Kommunale Versorgungsleistungen im Rechtsvergleich

Kommunale Versorgungsleistungen im Rechtsvergleich

Am 7. Dezember 2005 wurde dem Verfasser für seine rechtswissenschaftliche Dissertation „Kommunale Versorgungsleistungen“1 vom Präsidenten des Österreichischen Städtebundes, Bürgermeister Dr. Michael Häupl, sowie vom Präsidenten des Österreichischen Gemeindebundes, Bürgermeister Helmut Mödlhammer, der Preis der Kommunen 2005 verliehen. Auf Einladung der Österreichischen Gemeinde-Zeitung sollen im Folgenden die Themen und wesentlichen Ergebnisse der Arbeit, die im Rahmen eines Forschungsschwerpunktes am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien entstand, vorgestellt werden.

 

Ausgangsüberlegungen
Die Daseinsvorsorge steht in politischer und rechtlicher Hinsicht seit geraumer Zeit im Brennpunkt der öffentlichen Diskussionen sowie rechtswissenschaftlicher und ökonomischer Überlegungen, und zwar sowohl in Österreich wie auch im europäischen Rahmen. Kern der Frage ist dabei in der Regel der Einfluss der Europäischen Union und des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Daseinsvorsorgesysteme. Nicht von ungefähr stehen im Zentrum dieser Debatte in Österreich die Kommunen und ihre politischen Vertreter: Schließlich wird hierzulande ein großer Teil der Daseinsvorsorgeleistungen auf kommunaler Ebene erbracht.
Dieser Befund ist Ausgangspunkt für die der vorliegenden rechtswissenschaftlichen Arbeit zugrunde liegenden Forschungsfragen: Dahinter steht die Überlegung, eine Bestandsaufnahme und Bewertung verschiedener Systeme kommunaler Daseinsvorsorge in ausgewählten europäischen Ländern durchzuführen, um herauszufinden, inwiefern sich diese Systeme ähneln oder unterscheiden. Daraus, so der Forschungsansatz, können wichtige Erkenntnisse für die Diskussion der aktuellen rechtlichen und politischen Fragen gewonnen werden, insbesondere wenn es um den Einfluss des Gemeinschaftsrechtes geht.

Untersuchungsgegenstand der Arbeit
Als Untersuchungsstaaten, deren Regelungen verglichen werden sollen, wurden neben Österreich England2 und Frankreich ausgewählt. Die Auswahl erklärt sich vor dem Hintergrund mehrerer Faktoren: Frankreich steht für sein auch über die Grenzen hinaus bekanntes rechtliches Konzept des Service Public, welches der Erbringung von Versorgungsleistungen durch die öffentliche Hand überragende Bedeutung beimisst und dies in spezifischen rechtlichen Regelungen (z. B. einem eigenen Verwaltungsvertragsrecht) zum Ausdruck bringt. England hingegen ist bekannt für seinen eher „marktfreundlichen“ Zugang, der auf der starken Inanspruchnahme von Privaten bei der Erbringung von Versorgungsleistungen und dem Einsatz marktorientierter Managementinstrumente auch im öffentlichen Sektor aufbaut. Untersucht werden sollte damit vor allem auch, ob und wie sich diese ganz unterschiedlichen Zugangsweisen auf die konkrete Rechtslage und die Strukturen auswirken.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Zunächst werden für die drei Rechtsordnungen die allgemeinen Rahmenbedingungen untersucht und dargestellt: Gegenstand dieses Teils ist also, welchen allgemeinen Regelungen die Erbringung von Versorgungsleistungen auf kommunaler Ebene unterliegt.
Um die Darstellung nicht zu abstrakt werden zu lassen und um eine möglichst gute Vergleichsbasis sicherzustellen, wurden in Folge vier Sektoren ausgewählt, die im Detail – und zwar wiederum für alle drei Länder – dargestellt werden. Es handelt sich hierbei um die Siedlungswasserwirtschaft (Wasserversorgung, Abwasserentsorgung), die Abfallentsorgung, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und die Versorgung der Bevölkerung mit stationären Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen.
Hier werden nicht bloß die Regelungen in den jeweiligen Ländern dargestellt, sondern auch die sektorspezifischen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (z. B. Wasserrahmenrichtlinie, ÖPNV-Verordnung) berücksichtigt.

Untersuchungsraster
Um zu vermeiden, dass „Kraut und Rüben“ verglichen werden, und um eine gemeinsame Basis für die Darstellung zu schaffen, liegt der Untersuchung ein vorab erarbeiteter Untersuchungsraster zugrunde – sowohl für den oben beschriebenen allgemeinen Teil wie für die Sektoren. In diesem Raster sind die wesentlichen Fragestellungen, die sich bei der Untersuchung jeder kommunalen Versorgungsleistung aus rechtswissenschaftlicher Perspektive stellen, in einer systematischen Weise abgebildet. Die wesentlichen Elemente des Rasters werden nun kurz beschrieben.

Grundlegende Strukturen und Aufgabenträgerschaft
Unter dem Begriff „Grundlegende Strukturen“ findet sich eine allgemeine Einführung in das untersuchte Rechtsgebiet und eine Einordnung in die jeweilige Rechtsordnung. Danach wird geklärt, auf welcher Ebene – z. B. Nationalstaat, Bundesstaaten, Regionen oder Kommunen selbst – die Leistung definiert wird, mit anderen Worten, wer darüber entscheidet, welche Leistungen die Kommunen wie zu erbringen haben. Danach folgt die Festlegung der Aufgabenträgerschaft selbst (hier kann im Einzelfall z. B. vorgesehen sein, dass interkommunale Einrichtungen tätig werden oder dass Kooperationen mit anderen Staatsebenen erfolgen).

Organisationsstrukturen
Wesentliches weiteres Kernelement ist die Frage nach der Organisationsstruktur einer Versorgungsleistung. Auf österreichische Verhältnisse bezogen: Soll ein Regiebetrieb, eine öffentlich-rechtliche Anstalt, ein ausgegliedertes Unternehmen, eine PPP-Struktur oder ein „echter“ Privater die Leistung erbringen? Unmittelbar daran anschließend wird untersucht, nach welchen (vergaberechtlichen) Regeln die Kommune einen von ihr verschiedenen Organisationspartner auswählt.

Funktionsstrukturen
Unter „Funktionsstrukturen“ sind all jene Regelungen formeller oder informeller, allgemeiner oder spezieller Natur zu verstehen, die den Betrieb der einmal geschaffenen Organisationsstruktur kennzeichnen. Typische dabei zu beantwortende Fragen sind: In welcher Form und von wem werden die konkreten Leistungsinhalte geregelt? Bestehen spezifische Funktionsgarantien, denen der Leistungserbringer nachkommen muss? Welche Rechte und Pflichten sind ihm dazu eingeräumt (z. B. ausschließliche Rechte, Versorgungspflichten)? Welche Stellung kommt den Benutzern der Leistung zu? Welche Überwachungsrechte und Ingerenzmöglichkeiten hat die verantwortliche kommunale Körperschaft?

Finanzierungsstrukturen
Schließlich wird auch ein Blick auf die jeweils zum Tragen kommenden Finanzierungsstrukturen geworfen.

Die allgemeine Darstellung der einzelnen Rechtsordnungen
Frankreich
Nach einer allgemeinen Einleitung werden in einem ersten Abschnitt die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Erbringung lokaler Versorgungsleistungen in Frankreich dargestellt. Hier wird zunächst auf das Konzept des Service Public – prägendes Element des gesamten französischen Verwaltungsrechts – eingegangen. Sodann werden die auch für kommunale Versorgungsleistungen geltenden Grundsätze des Rechts der Services Publics dargestellt.
Besonderes Augenmerk wird auf die im französischen Kommunalrecht sehr stark ausgeprägten und differenzierten Formen der interkommunalen Zusammenarbeit gelegt. Bei der Darstellung der Organisationsstrukturen nach französischem Recht stechen besonders die Konzessionen und alle anderen Vertragsarten hervor, mit denen französische Kommunen schon seit dem 19. Jahrhundert bestimmte Versorgungsleistungen an private Unternehmen (heute oftmals Weltkonzerne, z. B. im Wassersektor) übertragen: Dem Service-Public-Gedanken wird hier durch spezifische Vorkehrungen Rechnung getragen, die es der Kommune ermöglichen, die öffentlichen Interessen zu wahren.

England
Das englische Kommunalrecht wird vor dem Hintergrund der Widersprüchlichkeit zwischen lokaler Autonomie (symbolisiert durch lokale Wahlen) und sehr stark ausgeprägter zentralstaatlicher Einflussnahme dargestellt. Die lokalen Strukturen zeichnen sich auch durch ihre im Vergleich zu Frankreich und Österreich sehr hohen Bevölkerungszahlen aus, wodurch sich mancherlei Fragestellungen nicht oder anders ergeben als hierzulande.
Prägnantes Beispiel für eine der Besonderheiten des englischen Systems ist sicherlich das sogenannte „Best-Value“-Konzept bzw. das System des „Comprehensive Performance Assessment“. Dabei handelt es sich um ein gesetzlich grundgelegtes System zum Kommunalmanagement, welches Anleihen an Managementsystemen aus der Wirtschaft nimmt und die englischen Lokalverwaltungen insbesondere dazu verpflichtet, sich an Kennzahlen und Benchmarks zu orientieren. Der zentralstaatliche Einfluss ist stark, und jene Lokalverwaltungen, die im Vergleich zum Rest unterdurchschnittlich abschneiden, haben mit Interventionen zu rechnen.
Ebenfalls Beachtung finden PPP-Modelle auf lokaler Ebene: Hier nimmt Großbritannien bekanntlich eine Vorreiterrolle ein.

Österreich
Nach dem beschriebenen Muster und unter Heranziehung des Untersuchungsrasters finden sich im Teil über Österreich alle relevanten Fragen der kommunalen Wirtschaftstätigkeit und der kommunalen Daseinsvorsorge, beginnend mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben über die Regelungen der Gemeindeordnungen bis hin zu vergaberechtlichen Fragestellungen.

Sektorendarstellung
Siedlungswasserwirtschaft

Sowohl Wasserversorgung wie Abwasserentsorgung werden dargestellt, wobei das Schwergewicht wiederum auf Fragen der Aufgabenträgerschaft, der Organisation und der Finanzierung liegt. Aber auch andere Aspekte, wie Anschluss- und Versorgungspflicht, werden angeschnitten. Während in Frankreich so wie in Österreich vorwiegend kommunale Strukturen vorherrschen, besteht in England ein liberalisierter, regulierter nationaler Wassermarkt, der ebenfalls ausführlich beschrieben wird.

Abfallentsorgung
Hier liegt das Schwergewicht bei der interkommunalen Zusammenarbeit und der Mitwirkung Privater bei der Aufgabenwahrnehmung: Beide Elemente sind in den drei untersuchten Rechtsordnungen verhältnismäßig stark ausgeprägt.

Öffentlicher Personennahverkehr
Der ÖPNV bietet ein besonders anschauliches Beispiel für die Verschiedenheit der in den Untersuchungsstaaten eingeschlagenen Lösungswege. Vom „freien Markt“, wie er teilweise in England besteht, bis hin zu den sehr stark regulierten französischen (und interessanterweise zum Teil wiederum englischen) Systemen reichen die Spielarten, und sie haben natürlich sehr unterschiedliche rechtliche Konsequenzen. Um die Betrachtung nicht unnötig einzugrenzen, wird auch auf den Regionalverkehr Bezug genommen. Die in Österreich zurzeit sehr aktuelle Debatte zum ÖPNV spiegelt sich in den unterschiedlichen Modellen wider: Ausschreibungssysteme finden sich ebenso wie Monopolbetriebe.

Stationäre Pflegeversorgung
Auch soziale Dienstleistungen befinden sich im Umbruch: Eine wesentliche Fragestellung ist hier jene nach der Integration privater Institutionen in das öffentliche Versorgungssystem und die Frage der Finanzierung.

Vergleichende Betrachtung
Herzstück der Arbeit ist die umfangreiche vergleichende Betrachtung der untersuchten Rechtsgebiete. Alle wesentlichen untersuchten Aspekte, angefangen von der Aufgabenträgerschaft, über die Organisations- und Funktionsstrukturen bis hin zur Finanzierung werden in systematischer Art und Weise verglichen und Schlussfolgerungen daraus gezogen. Zwar wird nach der gründlichen Auswertung der Untersuchungsergebnisse deutlich, dass alle untersuchten Rechtsordnungen im Grundsatz recht ähnliche Strukturen kennen. Die Unterschiede im Detail sind aber vielschichtig und oft auch überraschend. So hat etwa die Betrauung Privater mit der Erbringung von Versorgungsleistungen in Frankreich eine längere juristische Tradition und eine stärkere institutionelle Absicherung als in Österreich und sogar im englischen Recht. Auch die Reaktionen der nationalen Rechtsordnungen auf Liberalisierungstendenzen in der Daseinsvorsorge sind durchaus unterschiedlich und führen zu neuen, bemerkenswerten Regelungsansätzen.
Die Arbeit wird in überarbeiteter Fassung im Sommer 2006 im Verlag Springer veröffentlicht werden.

Fußnoten:
1 Die Arbeit wurde an der Universität Wien approbiert und betreut von Präsident em. o. Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek sowie Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek.
2 Die Untersuchung beschränkt sich auf das englische Recht – bekanntlich verfügt das Vereinigte Königreich über verschiedene Rechtskreise; schottisches, walisisches und nordirisches Recht sind nicht Gegenstand der Untersuchung.

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