Neues vom EuGH: Öffentlich-öffentliche Partnerschaften vergabefrei?

Neues vom EuGH: Öffentlich-öffentliche Partnerschaften vergabefrei?

Mit einer Entscheidung vom 11. Mai 2006 hat der EuGH einige Klarstellungen zu sogenannten Öffentlich-öffentlichen Partnerschaften getroffen. Im Urteil in der Rechtssache Carbotermo hat der EuGH die Voraussetzungen präzisiert, unter denen die Vergabe an eine gemeinsame Tochter mehrerer Gemeinden vergaberechtsfrei sein kann (sogenannte Teckal-Kriterien). Damit wurde vor allem für die kommunale Daseinsvorsorge in Form eines Verbandsmodells mehr Rechtssicherheit geschaffen.

 

I. Sachverhalt
Das Urteil Carbotermo1 geht – wie übrigens eine Vielzahl der vom EuGH zu entscheidenden Vergabeverfahren2 – auf die Beschaffung einer italienischen Gemeinde zurück. Diese vergab einen Auftrag über die Lieferung von Brennstoff sowie die Wartung von Heizungsanlagen und deren Anpassung an bestimmte Standards an eine AG. Diese stand als Enkelgesellschaft im 100%-Eigentum einer Holding. An dieser Holding hatte die Gemeinde 99,98% der Anteile inne. Der Rest gehörte anderen Gemeinden. Diese Konstellation betraf also die Vergabe an ein Gemeinschaftsunternehmen. Zwei, übrigens italienische Unternehmen, die an dem Auftrag interessiert waren, wandten sich an die zuständige Nachprüfungsinstanz. Diese richtete daraufhin ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

II. Grundsatz
Zunächst sei an den Grundsatz des EG-Vergaberechts erinnert, wonach die Vergaberichtlinien auch auf „Beziehungen“ zwischen zwei staatsnahen Einrichtungen Anwendung finden, also z. B. zwischen Gemeinden und ausgegliederten Rechtsträgern. Das hat zur Folge, dass damit die mitunter sehr detaillierten Vorschriften über das Vergabeverfahren, insbesondere über die Wahl der Verfahrensart, einzuhalten sind. Eine freihändige Vergabe (Direktvergabe) ist danach nur unter den sehr strengen Bedingungen für das sogenannte Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung zulässig.3

III. Vergaberechtsfreiheit für bestimmte
Inhouse-Vergaben

Im November 1999 hat der EuGH in seinem Urteil Teckal4, welches übrigens auch italienische Gemeinden betraf, öffentlichen Auftraggebern für bestimmte Inhouse-Vergaben Dispens von der Anwendung der Vergaberichtlinien erteilt. Dabei handelte es sich genau genommen nicht um einen Inhouse-Vorgang im eigentlichen Sinn, d. h. um Eigenleistungen, etwa durch eine Verwaltungseinheit oder einen Regiebetrieb, sondern um eine sogenannte Quasi-Inhouse-Vergabe, weil eine auf Vertrag fußende Vergabe ja die Beteiligung von mindestens zwei Einrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit voraussetzt.
Der EuGH hat im Urteil Teckal folgende zwei Voraussetzungen aufgestellt, unter denen eine Vergabe von der Anwendung der Richtlinien befreit ist:

- wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und

- wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben.

In Carbotermo hat der EuGH nunmehr diese Kriterien für öffentlich-öffentliche Partnerschaften in Form eines Gemeinschaftsunternehmens präzisiert.

Erstes Kriterium: Kontrolle
Was das erste Kriterium betrifft, also die Kontrolle wie über eigene Dienststellen, hat der EuGH5 erstmals ausdrücklich festgehalten, dass gemischt-öffentliche Unternehmen dieses Kriterium grundsätzlich erfüllen können. Damit hat er auch die Fachwelt6 überrascht. Darüber hinaus findet sich im Urteil auch eine prinzipielle Anerkennung für indirekte Beteiligungen, wiewohl der EuGH7 darauf hinweist, dass dies die Kontrolle schwächt. Im konkreten Fall sah der EuGH das Kriterium insgesamt nicht als erfüllt an.
In der Begründung folgt der EuGH im Wesentlichen der Linie im Urteil Parking Brixen.8 Das gilt zunächst einmal für die allgemeine Leitlinie: Heranzuziehen sind „alle Rechtsvorschriften und maßgeblichen Umstände“. Es kommt also auf die konkrete Ausgestaltung an. Damit kommen neben der gesetzlichen Lage, insbesondere auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, vor allem auch die Satzung des Gemeinschaftsunternehmens ins Spiel. Zentral für den EuGH ist deren Grad an Autonomie sowie die Weite der Befugnisse der Leitungsorgane. Entscheidend ist, ob die öffentliche Hand als Anteilseigner die Möglichkeit hat, „sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen dieser Gesellschaft ausschlaggebenden Einfluss“ zu nehmen.9
Freilich fallen auch einige Unterschiede zur bisherigen Rsp auf. So stellt der EuGH im Unterschied zum Urteil Stadt Halle10 nicht auf die Interessenlage der Anteilseigner ab. Insbesondere geht der EuGH nicht auf die Frage ein, ob die Interessen divergieren, wie es nach Meinung des EuGH bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen generell der Fall ist. Offensichtlich geht der EuGH bei gemischt-öffentlichen Unternehmen davon aus, dass Interessengleichklang besteht. Das mag zwar für die Verfolgung bestimmter, gemeinsamer Ziele gelten, doch trifft das m. E. nicht auf alle Konstellationen zu.
Ferner hat der EuGH auch nicht auf eine stattgefundene oder beabsichtigte Öffnung für privates Kapital Bezug genommen. Daraus darf man freilich nicht auf eine Abkehr von der bisherigen Rsp11 schließen. Vielmehr gab der Ausgangsfall keinen Anlass dazu, auf dieses Kriterium einzugehen.

Zweites Kriterium: Tätigkeit
Noch größeren Neuigkeitswert hat die Auslegung des zweiten Teckal-Kriteriums, d. h. das der „wesentlichen Tätigkeit für den/die Anteilseigner“. In einem ersten Schritt trifft der EuGH zunächst die grundsätzliche Klarstellung, dass die in der alten12 wie in der neuen13 Sektorenrichtlinie ausdrücklich vorgesehene 80%-Schwelle nicht analog heranzuziehen ist. Diese Auslegungshypothese wurde von einigen Mitgliedsstaaten propagiert, jedoch schon bisher weitgehend abgelehnt.14 In der Begründung – und das ist im Bereich der (Quasi-)Inhouse-Vergabe selten – übernimmt der EuGH die Argumentation der Schlussanträge.
In einem zweiten Schritt verkündet der EuGH eine neue Formel, die darauf abstellt, dass „das Unternehmen hauptsächlich für diese Körperschaft tätig wird und jede andere Tätigkeit rein nebensächlich ist“. Diesem allgemeinen Grundsatz fügt der EuGH noch einige Erläuterungen hinzu, wobei er sich von den Vorlagefragen und von den Schlussanträgen leiten lässt.15 Das betrifft etwa den Aspekt, dass es nicht nur auf quantitative Umstände ankommt, wobei der EuGH den Umsatz für entscheidend hält, sondern auch auf qualitative.16 Leider wird dieser Aspekt im Gegensatz zu den Schlussanträgen17 nicht näher spezifiziert. Hier wäre zu prüfen, ob der Leistungserbringer, d. h. das Gemeinschaftsunternehmen, in Konkurrenz zu privaten oder öffentlichen Unternehmen steht.18
Meines Erachtens lässt sich aus der Diktion des EuGH ableiten, dass es nicht auf die gesetzlich oder satzungsmäßig möglichen, sondern auf die tatsächlich erbrachten Tätigkeiten ankommt.19 Diesbezüglich stellt der EuGH klar, dass dabei nicht nur die Tätigkeiten für den Auftraggeber, sondern auch die für alle anderen Anteilseigner heranzuziehen sind. Irrelevant ist hingegen, wer Begünstigter der Leistung ist. Das können neben der Gemeinde selbst, deren Einwohner oder auch Touristen oder andere Personen, einschließlich juristischer Personen, sein. Auch wo die Leistung erbracht wird, ist nicht entscheidend. Damit werden selbst Leistungen außerhalb des Gebietes des Anteilseigners erfasst. Darüber hinaus kommt es für den EuGH nicht darauf an, wer die Leistung vergütet. Daher werden sogar Leistungen eingerechnet, die die Benutzer selbst bezahlen.

IV. Bewertung und Konsequenzen
Das Urteil vom 11. Mai 2006 schafft für bestimmte Konstellationen nicht nur Klarheit und Rechtssicherheit, sondern zeichnet sich auch durch relative Offenheit aus. Schon von daher dürfte es bei den unmittelbar Betroffenen, d. h. den öffentlichen Auftraggebern, und hier wiederum bei Gebietskörperschaften, auf weniger Ablehnung stoßen als das Urteil Stadt Halle. Das lässt die positive Reaktion20 auf die Schlussanträge erwarten. Freilich gilt auch in diesem Zusammenhang: Nicht jede Kooperationsform zwischen „öffentlichen Händen“ wird per se als interner Organisationsvorgang anerkannt. Gesichert ist die Vergaberechtsfreiheit weiterhin nur im Fall der echten Eigenleistung durch unselbständige Verwaltungseinheiten. Schon bei Eigengesellschaften, die nur einer Gebietskörperschaft gehören, beginnt die Grauzone. Dass die Auftragsabwicklung im öffentlichen (interkommunalen) Bereich erfolgt, reicht eben nicht hin.21
Um sicherzugehen, bleibt den Auftraggebern aber nicht nur der Weg der Rückverstaatlichung22, sondern auch der der Ausschreibung. Damit nimmt freilich auch der von der öffentlichen Hand so geschätzte Gestaltungsspielraum ab.23
Manches bleibt weiter offen. Klärungsbedürftig – wenn auch im Zusammenhang mit gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen – erscheint etwa, was der EuGH unter der Beteiligung privater Unternehmen versteht, welche die Anwendung der Teckal-Ausnahme ausschließt. Einerseits gilt im Gemeinschaftsrecht allgemein ein weiter Unternehmensbegriff, welcher auch für die Auslegung der Vergaberichtlinien heranzuziehen ist. Andererseits gibt es neben privaten Unternehmen auch „echte Private“, die als solche keine Unternehmen sind. Das müssen nicht physische Personen sein. In Betracht kommen meines Erachtens auch juristische Personen, wie etwa Vereine. Entscheidend müsste sein, ob wirtschaftliche Interessen bestehen. Jede Beteiligung Privater, selbst solcher, die ideelle Zwecke verfolgen, zu „inkriminieren“, würde über das Ziel der Vergaberichtlinien hinausschießen.
Klarheit könnte eine Auslegende Mitteilung der Kommission schaffen. Diese wäre freilich, wie oft vergessen wird, weder für nationale Gerichte noch für den EuGH bindend. Hingegen böte sie begrenzten Schutz vor Vertragsverletzungsverfahren. Aus diesen und politischen Gründen wird eine solche Mitteilung abgelehnt.
Angesichts der fortbestehenden Ungewissheiten bei der „Inhouse-Vergabe“ war der Gesetzgeber gut beraten, die Teckal-Kriterien wortwörtlich in § 10 Z 7 BVergG 2006 zu übernehmen. Eine solche Vorgangsweise, die der EuGH in einem anderen Vergabefall24 ausdrücklich anerkannte, hat den Vorteil, dass nur mehr EuGH-Urteile, die davon abweichende Kriterien aufstellen, einen Anpassungsbedarf auslösen. Als pädagogisch wertvoll erweist sich der Hinweis in den Gesetzesmaterialien, dass diese Bestimmung gemeinschaftskonform auszulegen ist, wiewohl sich ein solches Gebot auch aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ergibt.25 Auch dadurch ist eine bestimmte Dynamik einprogrammiert.

Fußnoten:
1 EuGH, Urteil vom 11. Mai 2006 – Rs. C-340/04 (http://www.curia.europa.eu/de/index.htm).
2 S. nur aus jüngster Zeit: EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2005 – Rs. C-458/03, Parking Brixen; EuGH, Urteil vom 6. April 2006 – Rs. C-410/04, ANAV. Darüber hinaus sind eine Reihe weiterer Vorabentscheidungsverfahren und Vertragsverletzungsverfahren betreffend die Vergabe durch italienische Gemeinden anhängig.
3 Art. 40 Abs 3 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 134; Art. 31 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134.
4 EuGH, Urteil vom 18. November 1999 – Rs. C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121.
5 Randnummer 37.
6 Jennert, Inhouse-Vergabe nach „Carbotermo“: Bei der kommunalen GmbH möglich, beim Zweckverband nicht? NZBau 2006, 421 ff.
Skeptisch und für eine enge Auslegung hingegen noch: Müller, Öffentlich-öffentliche Partnerschaften unter den Zwängen des Vergaberechts, ZVB 2005, 251 (252); Potacs, Neubestimmung der In-house-Vergabe, ZfV 2005, 513 (516); Rieder/Reinthaler, Stadt Halle – Rechtsschutz gegen Direktvergabe und „Aus“ für private Beteiligungen, RdW 2005, 204 (207); Storr, Public-Public-Partnerships: Grundfragen gemeinsamer Aufgabenerfüllung durch Gemeinden, wbl 2005, 555 (561).
7 Randnummer 39.
8 EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2005 – Rs. C-458/ 03, Parking Brixen, Randnummern 65 ff.
9 Randnummern 36 und 38.
10 EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – Rs. C-26/03, Stadt Halle, Randnummer 50.
11 EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2005 – Rs. C-458/ 03, Parking Brixen, Randnummer 67; EuGH, Urteil vom 6. April 2006 – Rs. C-410/04, ANAV, Randnummer 27 ff.
12 Art. 13 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. L 199 vom 9. 8. 1993, S. 84.
13 Art. 23 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 134 vom 30. 4. 2004, S. 1.
14 So bereits GA Stix-Hackl in ihren Schlussanträgen in der Rs. C-26/03, Stadt Halle, Nr. 72; so auch die inzwischen überwiegende Meinung (s. dazu die in den Schlussanträgen in der Rs. C-340/04, Carbotermo, Fußnote 39, zit Lit).
15 Randnummern 64 ff.
16 Übernommen von GA Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rs. C-458/03, Parking Brixen, Nr. 83; s. auch die in den Schlussanträgen in der Rs. C-340/ 04, Carbotermo, Fußnote 41, zit Lit.
17 GA Stix-Hackl in ihren Schlussanträgen, Nr. 98 f.
18 Zu diesem Aspekt Portz, Anwendung des Vergaberechts bei Inhouse-Geschäften (Halle-Erkenntnis) und interkommunale Zusammenarbeit, ÖGZ 2005, 17 (21).
19 So ausdrücklich GA Stix-Hackl in ihren Schlussanträgen in der Rs. C-26/03, Stadt Halle, Nr. 83, und ihr folgend GA Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rs. C-458/03, Parking Brixen, Nr. 81.
20 Bultmann, Zur Privilegierung gemischt-öffentlicher Eigengesellschaften bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, NZBau 2006, 222 (224); Gutknecht, RPA 2006, 96.
Zum zweiten Kriterium s die Meinung von Storr, Public-Public-Partnerships: Grundfragen gemeinsamer Aufgabenerfüllung durch Gemeinden, wbl 2005, 555 (562), zu den Schlussanträgen von GA Stix-Hackl in der Rs. C-26/03, Stadt Halle.
21 So jedoch noch Müller, Öffentlich-öffentliche Partnerschaften unter den Zwängen des Vergaberechts, ZVB 2005, 251 (252).
22 So der Tenor der Betroffenenverbände beim Hearing des Binnenmarktausschusses des Europäischen Parlaments am 20. April 2006, bei dem der Verfasser die Rsp des EuGH erläutern durfte.
23 Jennert 422.
24 EuGH, Urteil vom 6. April 2006 – Rs. C-410/04, ANAV, Randnummer 25.
25 Ebd.

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