„Die Spitalsfinanzierung muss beim FAG dezidiert behandelt werden“

„Die Spitalsfinanzierung muss beim FAG dezidiert behandelt werden“

Seit 20 Jahren ist St. Pölten nunmehr die Landeshauptstadt von Niederösterreich. Im Gespräch mit der ÖGZ beschreibt Bürgermeister Matthias Stadler die Entwicklung hin zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Landeszentrum, thematisiert die ständig steigenden finanziellen Belastungen der niederösterreichischen Städte und forderte notwendige Änderungen im kommenden Finanzausgleich aus Sicht zentraler Orte und der Spitalsstandortgemeinden.

 

ÖGZ: Anlass unseres Gesprächs ist das Jubiläum 20 Jahre Landeshauptstadt. St. Pölten hat sich in diesen 20 Jahren sehr verändert – hin zur Wohnstadt, zur Studierendenstadt, zum natürlichen Landeszentrum. Wohin geht die Reise in den nächsten 10 bis 15 Jahren?

Bürgermeister Matthias Stadler: Wir sind mit der derzeitigen Entwicklung St. Pöltens in vielen Bereichen zufrieden, viele Dinge sind in den letzten 10 bis 15 Jahren in die Tat umgesetzt worden. Ich nehme nur ein Beispiel heraus: Wir hatten das traditionelle Stadttheater mit weniger als 400 Sitzplätzen und haben zur Zeit drei Theater mit fast 2.000 Sitzplätzen, wobei während September und Juni alle drei Häuser jede Woche bzw. nahezu täglich Programm bieten. Wir haben eine für unsere Größenordnung sehr gute Auslastung.
Wir haben in fast allen Bereichen gewonnen. Einige Zeit lang hat uns die Einwohnersituation Sorgen gemacht, da die Miet- und Grundstückspreise relativ hoch waren. Seit diese wieder auf ein vernünftiges Maß gesunken sind, hat sich die Situation am Bevölkerungssektor deutlich verbessert. Vor allem in den letzten 2 Jahren stellen wir ein konstantes Bevölkerungswachstum fest. Wir liegen jetzt mit rund 51.500 EinwohnerInnen bzw. HauptwohnsitzerInnen und knapp 55.000 inklusive der ZweitwohnsitzerInnen deutlich über der 50.000-EinwohnerInnen-Marke. Wir haben in den letzten zwei Jahren auch eine gute Geburtentendenz. Wir wollen noch stärker eine junge Stadt werden. Wir haben enorm an Freizeitqualität gewonnen und wollen diesen Sektor noch ausbauen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Tourismus. Noch vor 20 Jahren waren wir ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte. Heute liegen die Nächtigungen deutlich über 100.000. St. Pölten ist für Gäste aus aller Welt ein attraktives Tagesausflugsziel in Niederösterreich geworden. Aber auch im Bildungssektor haben wir in den letzten Jahren wichtige Impulse gesetzt – Fachhochschulneubau um 40 Millionen Euro, drei neue Studierendenheime, neu gegründete Design-Universität. Unser Ziel ist es, St. Pölten zu einem Bildungszentrum in Niederösterreich zu machen, und ich bin überzeugt, dass wir im Bildungsbereich sicher noch punkten werden.

ÖGZ: Wirtschaftsförderung und Betriebsansiedlungen stehen in fast allen Städten ganz oben auf der Agenda. Wie ergeht es dabei St. Pölten?

Matthias Stadler: Natürlich setzen wir auch im wirtschaftlichen Bereich deutliche Akzente. Wir wollen nicht nur weiter im Dienstleistungsbereich unsere Stärken ausbauen, sondern im gesamten Wirtschaftsbereich punkten. Dazu haben wir kurz nach meinem Amtsantritt eine Wirtschaftsservicestelle – den sogenannten ecopoint – ins Leben gerufen, die schon jetzt deutliche Erfolge bei der Wirtschaftsförderung erzielen konnte. Wir riefen eine – in Österreich einzigartige – „Baurechtsaktion“ auch im Gewerbe ins Leben, die kleine und mittlere Betriebe fördert. Wir wollen natürlich auch unsere hervorragenden Chancen nutzen, nachdem St. Pölten laut deutschem Manager-Magazin neben drei anderen österreichischen Standorten unter die 10 Top-Europastandorte unter 1.207 Regionen und Städte gereiht wird. Wir liegen bei Technologie und Wirtschaft in den Toprängen im deutschsprachigen Raum. Wir sind gerade dabei, ein großes Betriebsbaugebiet zusätzlich mit ÖBB und BIG neu zu erschließen. Hier stehen im Endausbau 40 bis 80 Hektar zur Verfügung, nach Straßhof das größte ehemalige Bahnareal in Niederösterreich. Nicht ohne Stolz möchte ich auch anmerken, dass uns der Erfolg Recht gibt. So verzeichneten wir in den letzten Jahren eine Steigerung von knapp 29.000 Arbeitsplätzen auf 42.000 Arbeitsplätze in der Stadt.
Wir sind nicht zuletzt auch durch diese positive Entwicklung beachtlich gewachsen, was öffentliche Infrastruktur und Häuser betrifft. Es wurden alleine in den letzten 15 Jahren mehr als 6.500 Wohnungen gebaut. Zum Vergleich: Die gesamte Statutarstadt Waidhofen an der Ybbs hat insgesamt ca. 5.000 Wohnungen. Wir sehen, dass der Bedarf vorhanden ist. Dies sicher durch den allgemeinen Trend zu Single- und Zweipersonenhaushalten, aber vor allem auch durch den erfreulich starken Zuzug in die Stadt. Wir wollen als Stadt dieses gesunde Wachstum mit eigenen Wohnbauinitiativen auch in Zukunft gewährleisten. Dazu zählt in erster Linie unsere städtische Baurechtsaktion im Wohnen. Dabei haben wir innerhalb kurzer Zeit an die 290 Baurechtsgründe vergeben. Zur Zeit laufen gerade Flächenumwidmungen für weitere 100 Baugründe im Stadtteil Ratzersdorf.

ÖGZ: Was außerhalb Niederösterreichs vielleicht nicht so wahrgenommen wird: St. Pölten positioniert sich immer stärker als Kulturstadt.

Matthias Stadler: Wir setzen zum einen auf die Tradition als Barockstadt. Nicht nur im Städtebaulichen, wo die Namen Prandtauer und Munggenast mit den meisten Barockbauten in der Innenstadt in Verbindung stehen, sondern bis hin in den Kunst- und Musikbereich. So gab es heuer aus Anlass des Jubiläums „20 Jahre Landeshauptstadt“ etwa bei den Festwochen „Klang(m)weile“ einen Barockschwerpunkt mit dem Ensemble „giardino harmonico“ und der Gruppe „accordone“.
Wir setzen aber auch ganz gezielt auf das moderne, junge Image der Stadt, was österreichweit weniger bekannt ist. Wir haben in St. Pölten mit dem Hauptstadtfest eines der größten Stadtfeste Österreichs, welches seit der Hauptstadterhebung fix zum Veranstaltungskalender im Juli dazugehört. Wir haben zahlreiche weitere Festivals geschaffen und wir wollen uns auch im Segment moderne Musik bzw. Pop/Rock als Festivalstadt positionieren. So finden heuer erstmals mit dem NUKE-Festival und den Lovely Days zwei wirkliche Festivalknüller im VAZ St. Pölten statt.
Älteste Stadt und jüngste Landeshauptstadt – das gilt es auch im Kunst- und Kulturbereich einzuflechten. Es wird ja noch immer Enns als älteste Stadt Österreichs gehandelt. Wir haben vor wenigen Jahren im bayerischen Staatsarchiv eine Urkunde aus 1159 gefunden, die auch in Historikerkreisen als ältestes vorhandenes Stadtrecht gilt.

ÖGZ: All das kostet natürlich Geld. Sie sind als Vorsitzender der Landesgruppe Niederösterreich und als Bürgermeister bestens mit der Finanzsituation der Städte vertraut. Worauf haben wir uns bei den FAG-Gesprächen 2008 einzustellen?

Matthias Stadler: Allgemein ist es natürlich mein Ziel als Vorsitzender des NÖ. Städtebundes, eine noch bessere Absicherung aller Städte und Kommunen zu erreichen. Die Überwälzung vieler Aufgaben an die Kommunen und vor allem an die Statutarstädte, die auch gleichzeitig Bezirksverwaltungsbehörden sind, ist das vordringlichste Problem, da ihnen diese Behördenleistungen finanziell vom Bund weiterhin nicht abgegolten werden. Weitere Stichworte: Nachmittagsbetreuung, Sicherheits- und Polizeibereich. Die Polizei kommt ihren Aufgaben aufgrund der Einsparungen im Sicherheitsbereich vielfach nicht mehr nach. Wir Städte spüren das in erster Linie dadurch, dass die Qualität der Überwachung unserer ortspolizeilichen Verordnungen laufend abnimmt.
Als Bürgermeister einer Stadt mit zentralen Infrastrukturen möchte ich sagen, dass wir erhebliche Vorhaltefunktionen haben, die von der Finanzierung noch immer nicht abgegolten und berücksichtigt werden. Es ist ein Unterschied von der gesamten Finanzsituation, wenn man eine Stadt wie Salzburg mit über 140.000 EinwohnerInnen hat und das Bundesland gleichzeitig auch von der Bevölkerungszahl kleiner ist, oder ob man eine Stadt mit 50.000 EinwohnerInnen auf 1,5 Millionen Einwohner im Land ist, aber trotzdem ein Kulturprogramm und eine Infrastruktur bieten muss, die einem Bundesland dieser Größenordnung gerecht werden soll. Ich denke, dass hier zusätzliche finanzielle Abgeltungen dringend erforderlich sind, die man auch auf Bezirksstädte und zentrale Orte herunterbrechen sollte.

ÖGZ: Ein Dauerbrenner – gerade in Niederösterreich – ist der Bereich Spitäler.

Matthias Stadler: Richtig, spezifisch für Niederösterreich müsste man sich auch die Gesundheits- und Spitalsumlagen ansehen. Wenn wir sehen, dass beim Schuldenstand die vier niederösterreichischen Statutarstädte die Spitze anführen, dann ist das – egal ob es nun VP- oder SP-regierte Städte sind – erwiesenermaßen vor allem deshalb, weil die Finanzierungs- und Umlagensituation in Niederösterreich eine ungleich andere ist als in anderen Bundesländern. Das lässt sich leicht nachweisen. Wir haben zwar in den meisten Städten durch die Übernahme der Krankenhäuser durch das Land einen großen Klotz auf der Ausgabenseite wegbekommen, aber wir haben das Spitalsfinanzierungsproblem für die Standortgemeinden damit bei weitem nicht gelöst. Ich bringe nur das Beispiel St. Pölten: Wir zahlen noch immer für das Landesklinikum aktuell 15,3 Millionen Euro. Und die Valorisierung von 2005 auf 2006 waren alleine 960.000 Euro plus. Tendenz stark steigend! Dabei haben wir das Problem, dass wir jedes Anwachsen der Millionenbeträge für das Spital – ob nun NÖKAS-Beitrag oder Standortvorteil – natürlich weder über die Ertragsanteile, das schon gar nicht – noch über eigene höhere Einnahmen refundiert bekommen. Damit sieht man, wie das auseinanderdriftet. Es kann sich jede Standortgemeinde schon alleine aufgrund der Spitalsfinanzierung ausrechnen, wann sie pleite ist, auch wenn die Krankenhäuser nicht mehr in der Trägerschaft der Gemeinden sind. Der Zeitpunkt ist gar nicht so weit, man braucht sich nur die Städte Krems, Wiener Neustadt, Waidhofen/ Ybbs anschauen, und man kann es auch auf Amstetten und andere genauso herunterbrechen. Ich glaube, dass man sich dieser Spitalsfinanzierungsfrage ganz deutlich bei den nächsten FAG-Verhandlungen stellen muss und hier die Städte nicht im Regen stehen lassen darf. In diesem Zusammenhang muss man sich aber auch die Spitalsfinanzierung österreichweit ansehen. Bevor die Spitäler übernommen wurden, hat nur das Burgenland weniger pro Kopf für die Spitalserhaltung ausgegeben als Niederösterreich. Das hat sich durch die Übernahme zahlreicher Krankenhäuser in unserem Bundesland natürlich geändert. Wir zahlen aber immer noch durch die Valorisierungen begrenzt bis 2011 diese hohen Summen, die eigentlich für die Städte schon lange nicht mehr erschwinglich sind. Man muss das auch vor dem Hintergrund des Systems der Sozialhilfeumlage, Jugendverbandsumlage, Berufsschulumlage sehen, die auch überproportional steigen, sehen. Auch hier brauchen wir dringend eine Änderung. Wir müssen aber auch andere Belastungen durch den Bund hinterfragen – vom Passwesen, Meldewesen, Fundwesen bis hin zum aktuellen Beispiel Hochsicherheitspass, wo wir wieder keine adäquate Abgeltung der Verwaltungsmehrkosten bekommen.

ÖGZ: Die Kosten im Gesundheits- und Sozialwesen sind das eine, die zusätzlichen Aufgaben, insbesondere bei den Statutarstädten, das andere.

Matthias Stadler: Stichwort Strafwesen im ruhenden Verkehr: Hier bleiben die Einnahmen nicht bei den jeweiligen Städten, die Personalagenden aber sehr wohl. Oder ganz aktuell die Übertragung des Fremdenpolizeiwesens an die Statutarstädte. Ich habe schon die Vorschreibung bekommen, innerhalb der nächsten 2 Jahre weitere Personen einzustellen – nur für das Fremdenpolizeiwesen. Hier klafft die Zielsetzung des Bundes völlig auseinander. Einerseits fordert er im Zuge der Verwaltungsreform 15.000 öffentliche Bedienstete weniger in Bund/Ländern/ Kommunen. Auf der anderen Seite bekommen wir in den Städten ständig neue Kompetenzen dazu, die wir aber mit dem vorhandenen Personal nur mehr sehr schwer bis oftmals gar nicht bewältigen können. Natürlich fordere ich auch eine Abgeltung auf diesen Ebenen.
Eines brennt mir noch unter den Nägeln, und zwar die ganze Frage des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs. Hier hat ja der Bund versucht, die gesamte Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen öffentlichen Verkehrssystems den Ländern zu überwälzen. Wir als Städte haben massive Bedenken, ob die zugesagten Bundeszuschüsse dann überhaupt noch wie bisher fließen. In diesem Zusammenhang haben wir Städte auch die große Befürchtung, dass dann die Bundesländer diese Summen, die sie vom Bund für den öffentlichen Nahverkehr bekommen – wobei durch die vom Vizekanzler angebotene Höhe im Vergleich zum errechneten Finanzierungsbedarf ja immer noch eine Lücke von über 100 Millionen Euro klafft –, dann zum Stopfen der Löcher bei den Regionalbahnen verwendet werden. Damit würde nämlich die Finanzierung der öffentlichen Bussysteme noch stärker unter Druck geraten. Die Stadt St. Pölten ist ja gerade dabei, zu einer Drittellösung bei der Finanzierung des innerstädtischen Personenverkehrs zu kommen – das schon seit Jahren! Wir würden unseren Drittelanteil sofort bezahlen, aber Bund und Land sind säumig.

ÖGZ: Ab Herbst 2006 muss in den Pflichtschulen eine Nachmittagsbetreuung eingeführt werden. Wie schaut die Situation konkret in St. Pölten aus?

Matthias Stadler: St. Pölten war in den siebziger Jahren die erste Stadt, die eine Nachmittagsbetreuung im Sonderpädagogischen Zentrum Nord eingeführt hat. Mittlerweile haben wir 3 Schulen mit ganztägiger Betreuung und zusätzlich 8 Horte. Ab Herbst werden wir auch im Norden der Stadt in 2 weiteren Schulen eine Ganztagsbetreuung einführen und so das flächendeckende Angebot weiter ausbauen. Wir sind zwar in St. Pölten in der glücklichen Lage, dass bei uns die Schülerzahlen konstant bleiben, weil wir eine Zunahme der Geburtenrate haben. Wir bleiben bei den Pflichtschulen konstant oder haben sogar Zugewinne. Aber ich habe trotzdem die Befürchtung, dass natürlich die Zahlen in einigen Stadtteilen sinken könnten und dass dann kleinere Schulen in den Außengebieten gefährdet sind. Elternvereine und Lehrer glauben, dass sie mit 15 für die Nachmittagsbetreuung angemeldeten Kindern auch den Schulstandort absichern können. Der Kommune erwachsen natürlich dadurch Kosten, rein für diese Nachmittagsbetreuung. Von den Kosten für die Infrastruktur spreche ich gar nicht. Im Schulbereich müssen wir nämlich zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen umsetzen, um diese Betreuung modern und qualitativ in allen Schulen in Zukunft sicherzustellen.
Ähnlich stellt sich die Situation beim neuen NÖ. Kindergartengesetz dar – hier hatten wir seitens der Landesgruppe des NÖ. Städtebundes sogar den Konsultationsmechanismus ausgelöst. Grundsätzlich begrüßen wir die Herabsetzung von 28 auf 25. Je kleiner die Gruppe, umso besser die Betreuung, weil man im städtischen Raum auch mit den Migrations- und Integrationsfragen konfrontiert ist. Das führt für die Städte aber auf der anderen Seite dazu, dass wir gefordert sind, zusätzliche Kindergartengruppen oder überhaupt neue Kindergärten errichten zu müssen. In St. Pölten haben wir bis jetzt in vielen Gruppen 28 Kinder gehabt und müssen nun aber teilen und teilweise für die zusätzlichen neue Gruppen die Kindergärten ausbauen. Die Folge ist, dass wieder einmal durch die Gesetze des Bundes bzw. der Länder die Städte und Gemeinden es sind, die als Kindergartenerhalter auf den damit verbundenen höheren Kosten sitzen bleiben.
Es trifft uns jetzt also doppelt – und das noch zum selben Zeitpunkt, was die Finanzierungssituation noch einmal zusätzlich erschwert. Wir brauchten in Wahrheit eine Sonderförderung für zusätzliche Bauprogramme.
Ein weiterer Bereich, in dem ich wirklich große Bedenken habe, ist jener der Erhaltung der öffentlichen Gebäude. Vielfach mussten die Gemeinden wichtige Infrastrukturmaßnahmen vor dem Hintergrund der Finanzierung verschieben. Auch wenn Sie solche Erhaltungsarbeiten bei Amtshäusern, Schulen und Kindergärten verschieben, irgendwann holen Sie die Kosten ein. Eine ähnliche Situation bietet sich uns bei den öffentlichen Kanälen. Mit der Errichtung unserer Kanal- und Wassernetze wurde teilweise vor 100 Jahren begonnen und diese wurden erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg erneuert. Aber nach ca. 50 Jahren sind nun die ersten großen Überholungsinvestitionen notwendig und die holen uns überproportional ein.

ÖGZ: Beim Städtetag 2006 waren Sie Vorsitzender des Arbeitskreises „Die sichere Stadt“. Sie haben dabei mit dem Innenministerium über die Personalausstattung der Polizei diskutiert. Wie ist Ihre Einschätzung derzeit?

Matthias Stadler: Die Situation ist so: Es klaffen die Zahlen des Ministeriums und die Zahlen der Personalvertreter bzw. die Planstellen und die tatsächlichen Besetzungszahlen auseinander. In den Städten hat eine Reduktion stattgefunden. Jetzt wird die Argumentation ins Treffen geführt, dass die zu den Landeskriminalämtern und Sicherheitsdirektionen abgezogenen Beamten laufend auch den Städten zur Verfügung gestellt werden und Spezialisten im Ernstfall zusammengezogen werden können. Nur – die Erfahrungswerte der einzelnen Polizeiinspektionen sprechen dagegen. In der Kriminalabteilung waren früher Spezialisten vor Ort, die jetzt teilweise bei den Landeskriminalämtern sitzen. Dass dadurch die schnelle Einsatzbereitschaft abnimmt und das Wissen über Kriminalität vor Ort ein ganz anderes ist, wenn ich nicht dort bin, muss allen klar sein. Wir haben in St. Pölten meiner Information zufolge einen Rückgang von 37 auf 12 Kriminalbeamte und einen Altersschnitt von 54,4 Jahren: Wie will ein Beamter in Jugendlokalen unauffällig eine Ermittlung durchführen, wenn er schon alleine aus Altersgründen auf den ersten Blick aus der Menge hervorsticht? Ein weiteres Problem ist, dass die derzeitigen Beamten alle ziemlich gleichzeitig in Pension gehen und ohne vorherige Personalaufstockung neue Beamte nicht rechtzeitig in die lokalen Gegebenheiten eingearbeitet werden können. So geht natürlich viel Know-how verloren. Hier ist Handlungsbedarf!
Es hat ja auch der Städtebund eine Umfrage in Auftrag gegeben, dass sich die Wahrnehmung der BürgermeisterInnen und jene der Bevölkerung hinsichtlich einer abnehmenden Polizeipräsenz deckt. Die Bevölkerung wünscht sich eindeutig mehr Polizeipräsenz. Die Polizeikräfte sagen, dass sie mit den verwaltungstechnischen Neuerungen so an die jeweilige Dienststelle gebunden sind, dass sie nicht mehr so viel im Außendienst sein können. Ich halte nichts von der Forderung, dass stattdessen zusätzliche Stadtpolizeieinheiten geschaffen werden sollten, weil im Bereich der öffentlichen Sicherheit eindeutig der Bund eine Verpflichtung und Aufgabe hat.
Wir wünschen uns, dass die ortspolizeilichen Verordnungen wieder stärker mitexekutiert werden. Eine Bettlerverordnung oder Ähnliches ist völlig zahnlos, wenn sie nicht ein Organ exekutiert. Aber ich glaube, dass insgesamt die Hauptpunkte in den Forderungen des Städtebundes an die Bundesregierung sowie in der Städtetagsresolution ohnehin umfassend erfasst wurden.

ÖGZ: Die Entwicklung der Innenstädte ist in ausnahmslos allen österreichischen Städten ein Thema. In Niederösterreich gibt es eine neue Zentrumszonenverordnung. Wie geht St. Pölten hier vor?

Matthias Stadler: Die Attraktivität der Innenstädte vor dem Hintergrund Parkplatzsituation, Gratisparken, Parkgebühren in den Innenstädten und Leerstehungen ist sicher eine der Hauptthematiken in allen städtischen Rathäusern. In Niederösterreich haben wir seit kurzem ein neues Raumordnungskonzept, durch welches die innerstädtischen „Zentrumszonen“ gegenüber den am Rande der Gemeinden in den letzten Jahren wachsenden Einkaufszentren stärker gefördert werden sollen.
Die Landeshauptstadt St. Pölten hat die Zentrumszonen als erste Stadt bereits im Dezember 2005 festgelegt. Wir erwarten uns eine Stärkung der Innenstädte durch diese Verordnung. Viele Städte haben spezielle Maßnahmen mit Zusatzkosten gesetzt und Masterpläne erarbeitet. Dazu kommen die ganzen Fassadenaktionen, bei denen die Städte beachtliche Summen in die historische innerstädtische Gebäudeinfrastruktur investierten.
Wir in St. Pölten haben erst kürzlich eine neue Wirtschaftsinnenstadtplattform gebildet, wo nicht nur die City-Kaufmannschaft, sondern auch die Hausbesitzer und die gesamten Dienstleister eingebunden sind. Normalerweise war es so, dass teilweise die Interessen der Kaufleute mit denen der Hausbesitzer und der Dienstleister gar nicht korreliert haben bzw. Hausbesitzer in den traditionellen City-Club nicht integriert waren. Wir versuchen nun einen neuen Weg zu gehen, mit dem wir das gesamte Potenzial der Interessen der Innenstadt vereinsmäßig und innerhalb einer GesmbH, an der die Stadt beteiligt ist, bündeln wollen. Gleichzeitig arbeiten wir an einem Masterplan. Die Stadt hat hier namhafte Finanzmittel für die nächsten 3 Jahre zugesagt, damit hier Grundlagenarbeit und erste Detailarbeiten passieren können. Natürlich kommt auch dabei wieder ein enormer Finanzierungsbedarf auf die Städte zu. Ich erwarte mir hier vor allem zusätzliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur von Plätzen, Straßen, aber auch verschiedenste Zusatzmaßnahmen bis hin zu Koförderungen von einzelnen Maßnahmen des Masterplanes. Wir sehen, dass alle Städte, die diesen Weg beschritten haben, massiv finanziell gefordert sind, inklusive des gesamten Apparates der Verwaltung, von der Stadtplanung bis hin zum Stadtgartenamt. Trotzdem stellt der eingeschlagene Weg für mich die nötige Voraussetzung einer zukünftigen stärkeren Belebung der Innenstädte dar.

ÖGZ: St. Pölten ist seit vielen Jahren Mitglied bei CENTROPE, ein regionales Kooperationsprojekt, das Ostösterreich mit Südböhmen, Westslowakei und Westungarn verbindet. Die Sache ist etwas zweischneidig: Einerseits besteht die Konkurrenz einzelner Standorte, andererseits ist Kooperation angesagt. Wie gehen Sie damit um?

Matthias Stadler: Es gibt hier einen gewissen Zwiespalt. Ich glaube aber, dass gerade die Kooperation – CENTROPE wurde angesprochen – über die Grenzen des eigenen Bundeslandes mit den ungarischen Komitaten, mit Südmähren, mit der Westslowakei sehr sinnvoll ist, wenn die Städte und Regionen im Verbund versuchen, sich als Wirtschaftsstandort international in Szene zu setzen. Das – glaube ich – unterstützt unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit international enorm. Wenn man einmal als Region international wahrgenommen wird und besonders wegen der großen wirtschaftlichen Herausforderungen Europas insgesamt – besonders vor der Konkurrenzsituation mit den USA, aber auch mit Fernost – ist es wichtig, dass man sich international positioniert. Wir sind auf den großen internationalen Immobilienmessen. Wir sind am deutschen Mittelstandstag präsent als Wirtschaftsstandort bzw. mit ecopoint. Wir versuchen offensiv unseren Standort zu stärken, nicht nur durch die Wirtschaftsservicestelle.
Aber es geht dabei nicht ausschließlich um die Wirtschaftsansiedlung. Ein wichtiger Punkt sind die Betriebserweiterungen. Ein Beispiel: Die Traditionsfirma Sunpor – Kunststofferzeugung, Fahrradinnenhelmerzeugung – hat gerade 40.000 Quadratmeter für eine Erweiterung gekauft, Spar baut aus, Gourmet hat schon einen Standort in Bratislava gehabt, diesen wieder abgegeben und in St. Pölten 15.000 Quadratmeter dazugekauft. Für die örtlich ansässigen Betriebe möglichst gute Konditionen und eine vorausschauende Grundstückspolitik zu betreiben, das ist ein ganz wichtiger Zusatzfaktor. St. Pölten verfolgt hier den Weg der Spezialisierung. So wollen wir unseren Wirtschaftsstandort langfristig mit 3 Kompetenzzentren sichern. Der Bereich Medien bietet sich durch die Schwerpunktsetzung unserer Fachhochschule förmlich an, weil wir uns ja auch als Standort für Medienunternehmen zusätzlich positionieren konnten. Das zweite ist der Bereich Gesundheit und Soziales. St. Pölten hat das größtes Spital des Landes, die GKK und die PVA errichten gerade ein großes Gesundheitszentrum hinter dem Bahnhof. St. Pölten ist aber auch im Bereich der Gesundheitsausbildung ein Zentrum Niederösterreichs. Die Fachhochschule bietet interessante Studiengänge an, und auch viele Fachschulen in diesem Bereich haben in unserer Stadt ihren Sitz.
Das dritte Kompetenzzentrum liegt im Bereich mittelräumiger Logistik. St. Pölten ist eine in Niederösterreich verkehrstechnisch ausgezeichnet gelegene Stadt, direkt auf der Ost-West-Verbindung, aber auch auf der Achse Nord-Süd. Gemeinsam mit dem Land wollen wir unsere hervorragende Ausgangssituation durch zusätzliche Verkehrsinfrastrukturbauten in Niederösterreich noch verbessern. Dabei denke ich an eine neue Brückenverbindung bei Traismauer, dem zweigleisigen Bahnausbau nach Herzogenburg, die Hochleistungsstrecke auf der Westbahn oder die Attraktivierung der Leobersdorfer Bahnlinie. Wir fordern auch eine Westumfahrung von St. Pölten zur Verbesserung des überregionalen Verkehrsnetzes. Durch das historisch gewachsene, insgesamt sogar größere Stadtgebiet wie jenes von Linz und durch die Nord-Süd-Ausdehnung benötigen wir die Westerschließung und die Güterzugsumfahrung, wenn wir von Verkehrsbewältigung und Logistik sprechen. Wir sehen die Chancen mit der Ostöffnung und den neuen EU-Ländern, dass wir vor Wien zu einem mittelräumigen Logistik- und Verteilerzentrum auf Schiene und Straßen werden wollen.

ÖGZ: Herr Bürgermeister, wir danken für das Gespräch.

OEGZ

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