Kann die Gesundheitsreform ihre Ziele erreichen?

Kann die Gesundheitsreform ihre Ziele erreichen?

Im Frühjahr 2006 wurde der „Österreichische Strukturplan Gesundheit“ (ÖSG) verabschiedet. Ein zentrales Thema im Gesundheitsbereich ist immer die Finanzierung. Aber genau diese Fragestellung wurde im Rahmen der Gesundheitsreform nicht wirklich aufgegriffen. Nicht die oft zitierte „Kostenexplosion“ im Gesundheitssektor ist das Problem, sondern die inadäquate Finanzierungsform selbst.

 

„Das Gesundheitssystem in Österreich wird reformiert, weil seine Strukturen ineffizient sind und weil seine Finanzierbarkeit in Frage steht.“ So jedenfalls lautet ein medial immer wieder präsentes Thema. An den grundsätzlichen Zielen der Reform, nämlich der solidarischen Sicherung einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung, der Steigerung der Effizienz und Kundenorientierung der Angebotsstrukturen sowie der vorrangigen Etablierung der Gesundheitsförderung ist nichts auszusetzen. Die Ansatzpunkte und bislang ergriffenen Maßnahmen lassen kaum mehr als zaghafte Symptomkorrekturen erkennen.

Problem „duale Finanzierung“
Das gravierendste strukturelle Problem des österreichischen Gesundheitssystems ist die sehr ausgeprägte sektorale Trennung in einen krankenhausbezogenen Versorgungsbereich einerseits und einen durch niedergelassene Allgemeinmedizinerinnen/Allgemeinmediziner und Fachärztinnen/Fachärzte betreuten Bereich andererseits. An der Schnittstelle dieser beiden Sektoren entstehen Ineffizienzen durch kostspielige Doppelgleisigkeiten und interessensgetriebenen Wettstreit um die Verteilung der Finanzmittel bzw. um die „Weiterleitung“ von Patienten. Das Ziel der „Finanzierung aus einer Hand“ ist mit der Einrichtung eines Reformpools bei den Landesgesundheitsplattformen von 1% bzw. 2% der Gesamtmittel für den intra- und extramuralen Bereich nicht annähernd erreichbar. Zu gering sind die Anreize für wirkungsvolle sektorenübergreifende integrierte Versorgungsmodelle und zu groß sind die Befürchtungen der Akteure auf beiden Seiten, ihre komfortablen und relativ sicheren Positionen verlassen zu müssen.

Föderale Struktur
Neben der dualen Finanzierung der Sektoren bleibt auch die föderalistische Struktur der neun unterschiedlichen Ländersysteme unangetastet. In der 73. Vereinbarung gemäß Artikel 15a des Bundesverfassungsgesetzes über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens ist in Artikel 30 festgelegt, dass kostendämpfende Maßnahmen im Ausmaß von 300 Millionen Euro wahrzunehmen sind. Wie diese Kostendämpfung umgesetzt wird, bleibt den Landesgesundheitsplattformen überlassen. Die Bundesgesundheitsagentur begnügt sich mit der Vorgabe von Struktur-Qualitätskriterien für die Leistungserbringer. Da Struktur-Qualitätskriterien aber Minimalstandards in personeller und apparativer Hinsicht definieren, ist deren Erfüllung in einer Vielzahl von Fällen mit beträchtlichen Kostensteigerungen verbunden.

Strukturplan Gesundheit
Der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) hat die Planung des Leistungsangebotes der Spitäler in den 32 Versorgungsregionen Österreichs zum Inhalt und strebt dabei als Maßnahme der Qualitätsverbesserung sowohl die wohnortnahe Versorgung als auch durch die Festlegung von Mindestfallzahlen die Bündelung spezieller Leistungen in Kompetenzzentren an.
Ob diese gewünschten Effekte durch das außergewöhnlich detailreiche planerische Werk des ÖSG wirklich zustande kommen, bleibt abzuwarten. Kostendämpfende Wirkungen sind damit aber wohl nicht zu erzielen.

Deckelung des Bundes verschärft Finanzsituation
Die umgesetzten Maßnahmen der Gesundheitsreform stehen in deutlichem Kontrast zu deren Zielen. Die Finanzierbarkeit des österreichischen Gesundheitssystems ist nicht durch eine „Kostenexplosion“ bedroht, sondern durch die inadäquate Finanzierungsform selbst. Die Gesundheitsausgaben in Österreich steigen parallel zur Wirtschaftsentwicklung und liegen seit vielen Jahren konstant bei 9,4 bis 9,6% des BIP. Unsere Gesundheitsausgaben pro Kopf sind nahezu identisch mit jenen in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden und liegen deutlich unter jenen der Schweiz.
Die Finanzierungslücke entsteht vielmehr durch die Bindung der Beitragseinnahmen der Krankenversicherungen an die Löhne und Gehälter, die weit hinter der Dynamik des BIP zurückbleiben. Zusätzlich wird die Situation durch die Tendenz zur Deckelung der Mittel des Bundes für das Gesundheitswesen verschärft, welche die privaten Haushalte belastet und die Verteilungsgerechtigkeit untergräbt. Mit über 30% privatem Anteil an der Finanzierung der Gesundheitsausgaben liegt Österreich weltweit im Spitzenfeld. Mit der Frage einer Finanzierungsreform setzt sich die Gesundheitsreform nicht auseinander, wohl aber mit Kostendämpfung und Einsparungen, ohne dabei die drohenden Begleiteffekte von Leistungsabbau und Entsolidarisierung zu beachten.

Falsche Ziele der Gesundheitsreform
Natürlich sind Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung unseres Gesundheitssystems notwendig und möglich. Aber auch hier fokussiert die Gesundheitsreform auf die falschen Ziele, nämlich ausschließlich auf die stationäre Versorgung. Dass Österreich beim Anteil für die Krankenhausleistungen an den gesamten Gesundheitsausgaben und bei der Aufnahmerate in die Krankenhäuser in der EU unangefochten an der Spitze steht, ist eine Tatsache. Warum die österreichische Bevölkerung Krankenhausleistungen in einem derartig hohen Ausmaß in Anspruch nehmen muss, hat seinen Grund darin, dass den Leistungserbringern durch Politik und Finanziers falsche Anreize gesetzt wurden, welche den extramuralen Sektor zur Verschiebung von Leistungen zum intramuralen Bereich veranlasst haben. Dass diese Krankenhauslastigkeit des Systems jetzt nicht plötzlich durch Leistungskürzungen im intramuralen Sektor zu korrigieren ist, sondern einer grundlegenden Bereinigung der Schnittstellen im System bedarf, liegt auf der Hand.

Mehr Kooperation erforderlich
Integrierte Versorgung heißt Kooperation und Abstimmung der Leistungsangebote im gesamten Gesundheitswesen. Voraussetzung dafür ist neben der Finanzierung und Steuerung aus einer Hand aber die Transparenz. Diese wiederum setzt einheitliche Qualitätsstandards und Leistungsdokumentation voraus. Mit der letzten Novelle des Ärztegesetzes wurde auch ein Evaluierungsverfahren für alle niedergelassenen Ärztinnen/Ärzte verpflichtend eingeführt. Durch den Druck der Ärztekammer wurde diese Evaluierung inzwischen zu einem nutzlosen Formalismus abgewertet, welcher eine externe Beurteilung unmöglich macht und daher Transparenz verhindert.

Wirksame Reformschritte notwendig
Die Reform eines komplexen Systems wie die unseres Gesundheitssystems ist kein banales Unterfangen. Widerstände von Interessenverbänden können notwendige Maßnahmen verzögern oder blockieren. Umso wichtiger ist es, die Hebel der Veränderung am System genau dort anzulegen, wo maximale Effekte auf die Zielgrößen zu erwarten sind. Die Gesundheitsreform hat es bislang leider verabsäumt, ihre Hebel wirksam anzusetzen.

Städtebund-Linktipp:
www.linz.at/AKH/

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