„Der Bund muss den Freizeitteil am Nachmittag voll finanzieren“

„Der Bund muss den Freizeitteil am Nachmittag voll finanzieren“

Österreichs Städte und Gemeinden haben in den vergangenen Wochen erste Erfahrungen mit der konkreten Umsetzung der schulischen Nachmittagsbetreuung gemacht. Ergebnis der Bundesregelung: Mehrkosten, die beim Schulerhalter Gemeinde hängen bleiben. Zentrale Forderung an eine neue Bundesregierung: Die geplante Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen muss mit Städten und Gemeinden als betroffene Pflichtschulerhalter von Anfang an genau akkordiert werden.

 

ÖGZ: Die Verpflichtung zum Anbieten einer schulischen Nachmittagsbetreuung wurde 2005 auf Bundesebene Gesetz und ist im Frühjahr 2006 in den meisten Ländern durch Ausführungsgesetze festgelegt worden. Wie sind Ihre ersten Erfahrungen?

Herbert Just: Die Verpflichtung des Angebots einer zusätzlichen Nachmittagsbetreuung kostet die Stadt Graz 300.000 Euro an Mehrkosten pro Jahr. Wir fordern als Städtebund vom Bildungsministerium eine Änderung der Gesetzeslage dahingehend, dass die Freizeitbetreuung genauso Angelegenheit der Schule ist und damit von Landeslehrern über Refundierung des Bundes geleistet wird. Der Schulerhalter soll ausschließlich für die Infrastruktur zuständig sein, also Räumlichkeiten und Mittagessen zur Verfügung stellen, aber nicht für den pädagogischen Teil verantwortlich sein. In Graz haben wir derzeit knapp 2.000 Betreuungsplätze an Schulen sowie 1.700 Hortplätze. Insgesamt geben wir in Graz rund 2 Millionen Euro für die Nachmittagsbetreuung an Pflichtschulen aus. Die Summe von 300.000 Euro betrifft wie gesagt nur den Ausbau von 2005 auf 2006.

ÖGZ: Die Situation ist durch unterschiedliche Entwicklungen in den Bundesländern und durch die Landesgesetze recht ausdifferenziert.

Ferdinand Neu: In Innsbruck haben wir schon vor zwei Jahren den Schulversuch mit der Nachmittagsbetreuung sowohl auf Volksschul- als auch auf Hauptschulebene begonnen, deshalb wurden wir vom Gesetz auch nicht überrascht. Wir haben jährlich Steigerungsraten von etwa 50% bei der Inanspruchnahme der Nachmittagsbetreuung in den letzten drei Jahren. Für 2007 wird das in der Stadt Innsbruck einen Abgang in der Höhe von etwa 140.000 Euro verursachen. Wir konnten in Tirol vom Land dankenswerterweise eine Abgangsdeckung von 50% sicherstellen, sodass seitens des Landes der Wille zur Einführung der Nachmittagsbetreuung auch materiell untermauert wird. In Tirol kann übrigens schon ab 7 Schülern eine Nachmittagsbetreuung angeboten werden, das Bundesgesetz sieht dies erst ab 15 Schülern verpflichtend vor.

Just: In der Steiermark kann sie ab 10 Schülern vorgesehen werden, die Höchstzahl pro Gruppe beträgt 25. Das Land zahlt pro Gruppe jährlich 3.000 Euro, d. h. durchschnittlich 150 Euro pro Kind, das ist gerade eine Deckung von einem Viertel des Abgangs.

ÖGZ: Die Situation in der Stadt Salzburg ist eine ganz Besondere, gerade durch die lange Erfahrung mit der Nachmittagsbetreuung, aber auch durch deutlich ansteigende Schülerzahlen.

Raimund Ahr: In Salzburg haben wir eine andere Ausgangsposition. Wir haben die Nachmittagsbetreuung bereits im Schulversuch bis 1998 intensiv betrieben. Damals hatten wir 600 Schüler in der Betreuung. Die große Anzahl der Kinder hat sich dadurch ergeben, dass die Nachmittagsbetreuung kostenlos war. 1998 ist sie ins Regelschulwesen übergeführt worden und die Anzahl der angemeldeten Schüler fiel auf 130 – weil sie dann kostenpflichtig war. Nach diesem Einbruch hatten wir allerdings Steigerungsraten von rund 20% und halten im laufenden Schuljahr bei rund 1.100 Schülerinnen und Schüler. Ein Schüler kostet die Stadt jährlich rund 1.000 Euro, d. h. ohne Infrastruktur, also die reinen Personalkosten für den Freizeitteil. Wir haben für die Nachmittagsbetreuung im Stadtbudget etwa 1,2 Millionen Euro budgetiert. Im Gegensatz zu Tirol oder der Steiermark gibt es vom Land null Euro Zuschuss. D. h. die Kommunen haben mit Ausnahme der 5 Lehrerstunden, die der Bund dem Land refundiert, alle Zusatzkosten zu tragen.

ÖGZ: Wie schaut es mit den Elternbeiträgen aus?

Just: Natürlich können theoretisch kostendeckende Beiträge verlangt werden, aber in der Praxis können die Eltern aus sozialen Gründen solche Beiträge bei weitem nicht bezahlen.
Wir haben einen Höchstbetrag von 136 Euro und einen Mindestbeitrag von 26 Euro pro Monat, die tatsächlichen Durchschnittsleistung liegt bei ca. 40 Euro.

Ahr: In Salzburg ist die Situation wieder etwas anders. Das Land hat die Schulbeitragsverordnung des Bundes umgesetzt, d. h. dass die Elternbeiträge für die Nachmittagsbetreuung mit 80 Euro pro Monat gedeckelt sind und zusätzlich die Richtsätze für Ermäßigungen sehr hoch sind. Beim Mittagessen könnten kostendeckende Tarife verlangt werden, aber das ist nur ein geringerer Teil des Gesamtbetrages.

ÖGZ: Wie sollte die ideale Nachmittagsbetreuung aussehen?

Ahr: Es sollte im Gesetz ausdrücklicher und für jeden verständlich definiert werden, dass die Nachmittagsbetreuung eine Variante der ganztägigen Schulform „Schule“ ist. Die pädogische Leitung und damit die Leitung des Freizeitteils obliegt dem Schulleiter, er muss auch für den Freizeitteil ein pädogisches Konzept haben, nicht nur für den Lernteil. Es ist daher unverständlich, dass seitens der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder die gesamten Kosten für den Freizeitteil bei den Städten und Gemeinden verbleiben. Speziell in Salzburg.

Neu: In Innsbruck haben wir derzeit 750 Kinder in der schulischen Nachmittagsbetreuung sowie 500 Kinder in den Schülerhorten und es besteht die Absicht, dieses duale System auch in der Stadt beizubehalten, weil beide Betreuungsformen ihre eigenen Qualitäten aufweisen, damit die Wahlfreiheit der Eltern – welche Betreuung ist die geeignetste für ihr Kind – aufrechterhalten bleiben kann. Handlungsbedarf seitens des Bundes besteht darin, dass die derzeit wesentlich schlechter bezahlten Lehrerstunden für die Freizeitbetreuung besser entlohnt werden sollten.
In Innsbruck wurde die Einführung der Nachmittagsbetreuung von den Schulen sehr positiv aufgenommen. Es hat natürlich viel Überzeugungsarbeit der Stadt gemeinsam mit dem Bezirksschulrat in intensiven Gesprächen gegeben. Durch die Nachmittagsbetreuung haben wir in Innsbruck für etwa 30 Lehrkräfte einen Arbeitsplatz schaffen können, die sonst weiterhin auf einen Platz warten hätten müssen.

Just: In Graz gibt es das langfristige Bestreben, die Horte und die schulische Betreuung zu einer Form der schulischen Tagesbetreuung zu verschmelzen, um damit sowohl die Raum- als auch die Personalressourcen besser ausnützen zu können. Und: Die Eltern geben einer derartigen Verschränkung deshalb den Vorzug, weil sie wollen, dass der Lehrer, der die Hausaufgabe aufgibt, diese dann im Betreuungsteil mit den Kindern durchgehen kann.

ÖGZ: Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen kommt man im Bildungsbereich an der Klassenschülerhöchstzahl nicht vorbei. Wie ist ihre Meinung aus der Praxis dazu?

Just: Aus pädagogischer Sicht ist die Absenkung absolut zu begrüßen, das ist keine Frage.
Das brächte allerdings zahlreiche Städte in eine Situation, dass sie neue Räumlichkeiten bauen müssten. In Graz ist die Situation so, dass ca. 15 Klassen zusätzlich erforderlich wären. Dazu kommt in Graz, dass einige Schulen an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt sind und die Kinder auch nicht regional nahe untergebracht werden könnten.
Wenn man die Klassenschülerhöchstzahlen absenkt, muss man die Schlüsselzahl bei den Lehrern im Gegenzug senken. Es ist natürlich immer viel besser und für alle Beteiligten leichter, wenn 30 Schüler von zwei Lehrern betreut werden, als wenn 25 Schüler mit einem Lehrer das Auslangen finden müssen. Die Forderung ist ganz klar: Die pädagogischen Ressourcen müssen vom Bund her verbessert werden.

Neu: Die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen ist sicherlich positiv. Für die Gemeinden sollte es eine einschleifende Regelung sein, die in der ersten Klasse beginnt. Hier ist allerdings die Situation aufgrund der unterschiedlichen Sprengelausdehnung von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Es muss für die Städte und Gemeinden organisatorisch verträglich umgesetzt werden.

Ahr: Die Stadt Salzburg steht vor der Situation tendenziell steigender Schülerzahlen. Bis zum Schuljahr 2010/11 werden die Schülerzahlen um weitere 200 Schülerinnen und Schüler steigen, das sind rund 8% Zuwachs. Im Volksschulbereich sind die Kapazitäten damit komplett ausgereizt. Bei Senkung der Klassenschülerhöchstzahl müssten wir laut Berechnungen 17 zusätzliche Volksschulklassen, 7 zusätzliche Hauptschulklassen und eine Klasse mehr im Polytechnischen Lehrgang einrichten.
D. h. wir bräuchten den kompletten Neubau von zwei achtklassigen Volksschulen und einer Hauptschule. Die Kosten für den Neubau einer achtklassigen Volksschule betragen 3,6 Millionen Euro – wohlgemerkt ohne Aufschließungs- und Grundkosten.
Es muss die Schlüsselzahl gemäß FAG angepasst werden. Auf 14,5 Volksschüler bzw. 10 Hauptschüler kommt derzeit ein Lehrer. Hier muss also komplementär zur Senkung der Klassenschülerhöchstzahl die Zahl nach unten geschraubt werden.

ÖGZ: Eine abschließende Frage: Was muss 2007 aus Ihrer Sicht konkret im Bund und in den Ländern geschehen?

Neu: Die bestehende Nachmittagsbetreuung sollte bundesländerweise objektiv evaluiert werden. Dann müssten die Landesgesetze adaptiert werden, da diese im Frühjahr 2006 teilweise sehr rasch entstanden sind.
Wichtig: Die Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf nimmt stark zu. Aber die Lehrkräftezuteilung folgt dem nicht, d. h. es gibt für die Betreuung de facto weniger Lehrkräfte. Das Bekenntnis zur Integration muss sich auch bei den Lehrkräfteressourcen niederschlagen. Kinder mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf wurden in der Nachmittagsbetreuung im Bund schlicht „vergessen“.

Just: Dies kann nur unterstrichen werden: während im Unterrichtsteil für Integrationsklassen zusätzliche Personalressourcen zur Verfügung stehen, ist im Betreuungsteil der „Regellehrer“ allein für eine Betreuungsgruppe, in der sich bis zu 5 Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf befinden, zuständig. Hier müsste der Bund dringend Sonderpädagogen zusätzlich bereitstellen.

OEGZ

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