Kooperative Innenstadtentwicklung – Steuerungsmodelle und Strategien

Kooperative Innenstadtentwicklung – Steuerungsmodelle und Strategien

Die Erhaltung der Innenstädte und Ortszentren als lebenswerte und prosperierende Wohn- bzw. Wirtschaftsstandorte sowie Plätze des öffentlichen Lebens stellt öffentliche und private Akteure gleichermaßen vor neue Herausforderungen. Entscheidende Erfolgsfaktoren in der Planung und Umsetzung von nachhaltig wirksamen Belebungskonzepten sind der Mobilisierungsgrad und die Einbindung der Akteursgruppen in kontinuierlich und eigenverantwortlich agierende öffentlich-private Partnerschaften.

 

Leidensdruck der Zentren
Unübersehbarer Anstieg von Leerständen in einst guten Geschäftslagen der Innenstädte, zunehmend gesichtslose und austauschbare Stadtkerne, Verlust von Lebensqualität durch „Rückzug“ der Nahversorgung in neue, großformatige Vertriebseinheiten an hochfrequenten Verkehrsanbindungen, Agglomeration kleinteiliger Geschäftsformate und Warensortiment des täglichen Bedarfs zu innerstädtischen Megaeinkaufscentern sowie ansteigende Filialisierung führen zu Funktionsverlusten in wesentlichen Innenstadtnutzungen. Einher gehen hiermit Uniformität der Geschäftsausstattungen, Ordnungs-, Sicherheits- und Gestaltungsdefizite sowie eine allgemeine Schmälerung im Erlebnis- und Lebenswert der Innenstädte. Ein „Down-Trading-Prozess“, der sich folglich auch negativ auf das Investitionsvermögen der Liegenschaftseigentümer auswirkt.

Kommunalpolitischer Schwerpunkt Innenstadtentwicklung
Neben verstärkten Standortmarketingaktivitäten und Maßnahmen zur Verbesserung der lokalen Wirtschafts- und Arbeitsplatzsituation werden in der vom Österreichischen Städtebund im Frühjahr 2006 beauftragten Bürgermeisterbefragung (vgl. KDZ und IFES, 2006) Maßnahmensetzungen zur Innenstadtentwicklung als Handlungsfelder mit besonderer kommunaler Schwerpunktsetzung auf Platz zwei genannt. Der Innenstadtentwicklung kommt dieser Umfrage zufolge vor allem in Städten von 10.000 bis 25.000 Einwohnern eine besondere zukünftige Bedeutung zu.

Gesamtheitliche Entwicklungsorientierung
Die Stadt oder auch die Innenstadt in der Gesamtheitlichkeit seiner Funktionen zu sehen und die Schwachpunkte der gewachsenen Zentren in gemeinsamer Abstimmung und gemeinsamen Handlungen der Akteure durch kooperative Entwicklungsprozesse zu vitalisieren, ist Herausforderung für eine neue, umfassende Entwicklungsorientierung.
Unkonventionelle, in kooperativer Form mit den Akteursgruppen des Stadtteils gemeinsam entwickelte Instrumente und Strategien müssen Einfluss auf die Gestaltung respektive Umgestaltung des „Produktes Innenstadt“ nehmen dürfen. Mehr denn je zuvor sind innovative Impulse, Denkanstöße und Blicke über den „Tellerrand“ notwendig um die Stadtzentren und Quartiere im Standortwettbewerb auf Basis der Kundenwünsche entwickeln zu können.
Eine gesamtheitliche Entwicklungsbetrachtung verlangt nach Management- und Marketingmethoden, die mehr als nur klassische „Stadtwerbung und Kommunikation“ zum Inhalt haben.
Gefragt sind: Mehr Mut zu einem umfassenden Stadtverständnis, zu kundenorientierter Arbeit am „Produkt Stadt“, zu Profil und einer eindeutigen Positionierung, zu klaren Strukturen und einer bürgeroffenen Projektentwicklung.
Aus der Beschäftigung mit der Thematik der kooperativen Entwicklungsprozesse in der Praxis generieren sich folgende Hauptfragestellungen:

- Welche Modelle, Bürgerbeteiligungsformen und Instrumente kommen in der kommunalen Praxis zur Anwendung?

- Wer organisiert und steuert die umfassenden Veränderungs- und Entwicklungsprozesse für die Stadt- und Ortszentren?

- Welchen Einfluss nehmen die neuen Kooperationsformen auf die lokale Politikentwicklung?

Lösungsansätze und Strategien
Ebenso vielfältig wie die Gestaltungs- und Entwicklungskultur in den einzelnen Städten und Ortschaften in der Europäischen Union ist auch das Spektrum der angewandten Stadtentwicklungsmodelle und Instrumente:
Offene Planungsverfahren, Quartiersmanagement, Mediation, Open Spaces, Runde Tische, Zukunftskonferenzen, Zukunftswerkstätten, Trilaterale Kooperationsverfahren, Planungszellen, Agenda-21-Prozesse, Business Improvement Districts (BID) etc. sind nur einige von mehreren derzeit in der kommunalen Praxis in Anwendung stehenden Planungs- und Entwicklungsverfahren.
Allen diesen Verfahren gemein ist, dass die Kommunalpolitik bzw. die öffentliche Verwaltung die Zusammenarbeit mit den Akteuren des betroffenen Stadtbereiches aktiv sucht und diese lokalen Know-how-Träger mit Kooperationsvereinbarungen am Entwicklungsprozess als Partner beteiligt. Als Teil der offenen Stadtteilentwicklung werden die Akteure auch in die Mitverantwortung und die Finanzierung der Umsetzungsmaßnahmen eingebunden.
Sie bilden eine Plattform für eine zeitlich befristete, strategische Standortzusammenarbeit.

Strategische Standortkooperationen
Das Modell der strategischen Standortkooperation differenziert sich in der kommunalen Praxis in zwei Hauptanwendungsformen:

BID – Business Improvement District
Als Business Improvement District (BID) wird ein räumlich begrenztes, meist innerstädtisches Quartier bezeichnet, in dem sich Grundeigentümer und Gewerbetreibende mit dem Ziel zusammenschließen, das unmittelbare Umfeld durch Maßnahmen zu verbessern. Die notwendigen finanziellen Mittel können auf Basis von landesgesetzlichen Regelungen für einen festgesetzten Zeitraum (meist 5 Jahre) durch zweckgebundene öffentlich-rechtliche Abgaben (Aufschlag auf die Grundsteuer) von den Hauseigentümern des BID-Bereiches eingehoben werden. Die eingehobenen Beiträge werden von der privaten BID-Gesellschaft für sogenannte „soft activities“ ausgegeben (Sauberkeit, Marketing, Ansiedlungsmanagement, Entwicklung von Ideen etc.).
Im deutschsprachigen Raum hat das Bundesland Hamburg zum 1. Jänner 2005 ein solches BID-Gesetz erlassen. In den USA, England und Kanada sind mehrere tausend BID-Gesellschaften zur Revitalisierung von Innenstadtquartieren gegründet worden. Die Festlegung eines öffentlich-rechtlichen Abgabenerhebungsrechtes gegenüber den Liegenschaftseigentümern sichert eine lückenlose Beteiligung der Hauseigentümer zu.

Freiwillige Quartiersgemeinschaften „Innenstadt“ auf Zeit
Im Gegensatz zu den „gesetzlichen“ BID-Gesellschaften organisieren die freiwilligen Vitalisierungsplattformen „Quartiersgemeinschaften Innenstadt“ ihre Mitgliedschaften durch den Abschluss von privatrechtlichen Kooperationsvereinbarungen mit den Hauseigentümern, Unternehmern und Mietern des betroffenen Innenstadtquartiers. Aufgabenschwerpunkte der freiwilligen Quartiersgemeinschaften sind in der Regel umfassende Marketing- und Verkaufsförderungsprogramme.
Mehrere deutsche Bundesländer fördern unter den verschiedenen Programmbezeichnungen aktiv die Entwicklung und Umsetzung von freiwilligen Quartiersgemeinschaften „Innenstadt“, wie z. B. Nordrhein-Westfalen „Ab in die Mitte“ oder der Freistaat Bayern mit seinem Programm „Leben findet Innen statt“. In Österreich unterstützt etwa die Niederösterreichische Dorf- & Stadterneuerung die Bündelung vorhandener lokaler Kräfte zur Stadt- und Ortskernbelebung durch Know-how und finanzielle Zuschüsse.

Stadtmarketing der zweiten Generation
1.600 Standortmarketingorganisationen sind in den letzten 15 Jahren in den verschiedenen europäischen Gemeinden und Städten zur Stärkung der Standortbedeutung, Positionierung im Standortwettbewerb und zur Verbesserung der jeweiligen regionalökonomischen Situation gegründet worden. Großteils wurden unter Einsatz der klassischen Instrumente des City- und Standortmarketings erfolgreich standortstärkende Programme realisiert.
Mit der Weiterentwicklung der Stadtmarketinginitiativen zur zweiten Generation, dem „umfassenden und kooperativen Stadtmarketing“ stehen den Städten, politischen Verantwortungsträgern und der Wirtschaft moderne Managementeinrichtungen zur Verfügung, die in strategischen und bürgeroffenen Prozessen die Aktivitäten und die Interessenlagen der heterogenen Akteursgruppen bündeln und im gesamtstädtischen Entwicklungsinteresse profilstärkend aufeinander abstimmen. Im Hinblick auf die neuen Anforderungen und Problemstellungen der Zentrenlagen und städtischen Quartiere können Stadtmarketingorganisationen als Promotoren und Motoren kooperative Standortentwicklungen initiieren und die Gestaltungs- und Veränderungsprozesse auf das Gesamtziel einer prosperierenden Stadtentwicklung orientiert steuern. Umfassendes Stadtmarketing wird in der Literatur auch als ein auf den gesamten Stadtbereich gerichteter Gestaltungs- und Entwicklungsprozess definiert.

Moderne kommunale Wirtschaftsförderung
Angesichts der aktuellen Herausforderungen im Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte werden zunehmend neue und innovative Wege für die kommunale Wirtschaftsförderung gesucht. Vielerorts ist eine Abkehr von kurzfristigen und einzelfallbezogenen Maßnahmen hin zu langfristig angelegten Standortmarketingkonzepten und -strategien zu verzeichnen. Kommunale Wirtschaftsförderung wird als querschnittsorientierte Managementaufgabe betrachtet, die sich, um die Komplexität des Strukturwandels zu bewältigen, immer deutlicher in Richtung Förderung von Entwicklungsprozessen und Kooperationen hin orientiert. Förderung von Kooperationen, Kopplungen und Veränderungsprozessen anstatt Direktzuschüsse nach dem „Gießkannenprinzip“ sind Zieldefinitionen einer modernen kommunalen Wirtschaftsförderung. Stadtmarketing kann in der kommunalen Wirtschaftsförderung als netzwerkbildende Managementorganisation wertvolle initiierende, koordinierende und steuernde Aufgaben übernehmen und die lokalen Akteursgruppen zu wirkungsvollen Standortmarketingaktivitäten und -initiativen zusammenführen.

Chancen für neue Kooperationskultur
Als eines der sehr erfreulichen Zwischenergebnisse aus der Beobachtung der verschiedenen strategischen Standortkooperationen ist die Ausbildung und Entwicklung von neuen Kooperationskulturen zwischen den Akteursgruppen zu verzeichnen. Die einzelnen Mitglieder haben vielfach ein Verständnis dafür entwickeln können, dass Kooperationen und Kopplungen der Gemeinschaft Kraft, Entwicklungskompetenz und ein neues Image verleihen und damit Standortnachteile zu großen Einkaufscenter mildern. Strategische Standortkooperationen bedienen sich auch vermehrt der Marketinginstrumentarien der großen Einkaufscenter und platzieren sich erfolgreich und mit neuem Selbstvertrauen am lokalen und regionalen Markt.

Politikentwicklung
Good Governance wird in der Fachliteratur als neues Modell des „guten Regierens“ als partnerschaftliche Zusammenarbeit von Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beschrieben. Proaktiv initiierte strategische Standortkooperationen zwischen Politik, Wirtschaft und Bürgern sind offene Entwicklungs- und Gestaltungsprozesse, welche die lokalen Akteure zu mitverantwortlichen Gestaltern ihrer Stadtquartiere machen. Als informelle Bürgerbeteiligungsform können die offenen Entwicklungs- und Kooperationsprozesse zu einer Entwicklung der Kommunalpolitik im Sinne von Good Governance führen. Die lokalen Standortkooperationen ergänzen das repräsentative politische System, fördern das bürgerschaftliche Engagement und stärken über den Umweg einer hohen Stakeholder-Zufriedenheit die kommunale Politikentwicklung.

Stadtmarketing als „Chefsache“
Die Aufbaustrukturen von Stadtmarketinginitiativen und deren organisatorische Vernetzung zu den Stadtverwaltungen sind im europäischen Vergleich sehr unterschiedlich aufgestellt. Vielerorts sind die bestehenden Organisationsstrukturen aus Entwicklungsinitiativen abgeleitet und, auf die jeweiligen lokalen Positionen und Verhältnisse abgestimmt, eingerichtet worden. In der Stadt Lienz hat sich die direkte Eingliederung der Stadtmarketingorganisation als Stabsstelle zum Büro des Bürgermeisters sehr vorteilhaft auf den Realisierungsgrad und die Umsetzung von Stadtmarketing ausgewirkt.
Das Stadtmarketing Lienz hat sich analog der Entwicklung von Marketing im privatwirtschaftlichen Sektor als eine „unternehmensleitende“ und verwaltungsnahe Dienstleistungseinheit mit der Handlungsorientierung eines kooperativen Stadtentwicklers etabliert. In den letzten zehn Jahren konnten, nicht zuletzt durch die Naheposition zur Verwaltung, an die 170 Initiativen und Programme vom Stadtmarketingbüro initiiert und in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den betroffenen privaten Akteursgruppen umgesetzt werden. Stadtmarketing Lienz arbeitet in offenen Entwicklungs- und Gestaltungsprozessen, denen als Leitsatz eine umfassende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger voransteht. Die Bürgerinnen und Bürger sind damit sowohl Teil der Entwicklungsgestaltung als auch Partner in der Umsetzungsverantwortung und Finanzierung der einzelnen Projekte und Programme.

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