Prozessmanagement in Graz: Reformen wirken!

Prozessmanagement in Graz: Reformen wirken!

Im Zuge der Verwaltungsreform wurde in der steirischen Landeshauptstadt nicht nur eine umfassende Stellenbewertung durchgeführt, sondern es wurden auch sämtliche Geschäftsprozesse des Magistrats erhoben. Diese gilt es nun nachhaltig zu optimieren. Besonderer Stellenwert kommt dabei den unzähligen E-Government-Prozessen zu.

 

Im Rahmen des Reformprojektes 2000+ der Stadt Graz wurde im Jahr 2000 per Gemeinderatsbeschluss der Projektauftrag für F.A.I.R. verabschiedet. „Gleiche Bezahlung für vergleichbare Tätigkeit“ war das erklärte Ziel, wobei die Bewertung ausschließlich den Inhalt einer Stelle und nicht die Leistung der mit dieser Stelle betrauten Person betraf.
Grundlage für eine als fair empfundene Differenzierung der Bezahlung sind in der Regel die unterschiedlichen mit der Wahrnehmung einer Tätigkeit verbundenen Anforderungen. Voraussetzungen für die Bewertung waren also die Kenntnis der mit dem Arbeitsplatz verbundenen Anforderungen und das Wissen um die Einbettung der Stelle in einen Gesamtkontext. Nach der Durchführung eines Pilotprojektes im städtischen Straßenamt wurden Datenerhebungsmethode, Stellenbewertungsmodell und Projektstruktur festgelegt und die Umsetzung des Projektes wie folgt gegliedert:
- Strukturierte Datenerhebung
- Stellenbewertung
- Geschäftsprozesserhebung

Unter Einbeziehung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgte die magistratsweite Beschreibung der Stelleninhalte anhand eines standardisierten Stellenbeschreibungsformulars. Die Erfassung der Organisationsstruktur, die Festlegung der Prozesslandkarte und die Erhebung/ Modellierung der Geschäftsprozesse waren in weiterer Folge essenziell für eine derart umfassende Datenerhebung. Der damit verbundene Erhebungsaufwand rechtfertigt sich durch das bis dato in wohl nur wenigen öffentlichen Verwaltungen vorhandene umfassende Datenmaterial als Grundlage für eine adäquate Bewertung und Voraussetzung für weiterführende Personal- und Organisationsentwicklungsprojekte. Insgesamt wurden mehr als 4.000 Stellen der Grazer Stadtverwaltung beschrieben und das gesamte Verwaltungsgeschehen in annähernd 3.500 Geschäftsprozessen (Haupt- und Subprozesse) abgebildet.

F.A.I.R. als Grundstein
Graz, 2006: Ausgehend von dieser gewaltigen Erhebung aller stattfindenden Geschäftsprozesse bot sich für den Magistrat Graz die Chance, eben diese Prozesse nicht nur zu modellieren, sondern auch zu optimieren. F.A.I.R. war also nur der Beginn eines sich ständig entwickelnden Prozessmanagements? Einerseits ja. Andererseits war F.A.I.R. vielmehr Ursprung und Basis für Prozessoptimierung, die der Magistrat Graz derzeit in Angriff nimmt. Ohne die weitreichende und detaillierte Erhebung aller Tätigkeiten wäre die nun weiterführende Ablaufoptimierung nicht möglich. Beispiele anderer Gebietskörperschaften zeigen, dass sich ohne vorliegende Prozessbeschreibungen Reformen bei Verwaltungsabläufen oft schwierig gestalten. Qualitativ hochwertige Geschäftsprozessoptimierung kann nur dann umgesetzt werden, wenn sämtliche Verzweigungen und Verknüpfungen eines Prozesses vorliegen.

Das Ziel ist Wertschöpfung
„Prozess ist eine ganzheitliche Arbeitseinheit oder Tätigkeitsfolge mit möglichst klaren Anfangs- und Endpunkten“, definierten die beiden amerikanischen Unternehmensberater Michael Hammer und James Champy sehr treffend. Die Grundstruktur eines Prozessmodells ergibt sich also aus einem Auslöser, einer Aktivität bzw. dem Geschäftsprozess und dem Produkt/Ergebnis, das gegebenenfalls wiederum Auslöser sein kann. Steuerungsmechanismen oder interne und externe Ressourcen wirken auf den Prozess ein. Bereits im Zuge der Stellenbewertungen und der Prozessbeschreibungen im Rahmen von F.A.I.R. wurde sichtbar, dass Geschäftsprozesse oft unnötig kompliziert abgehandelt wurden. Diese Aktivitäten werden nun zur Erstellung des Produktes, unter dem Blickwinkel der Wertschöpfung, auf Kundinnen- und Kundenbedürfnisse und die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung hinterfragt. Wertschöpfung kommunaler Geschäftsprozesse soll transparent gemacht, nicht-wertschöpfende Prozessbestandteile minimiert werden. Ziel ist dabei die Steigerung der Kundinnen-/Kunden- und Bürgerinnen- und Bürgerzufriedenheit ebenso wie die Reduzierung der Prozessaktivitäten bzw. der damit verbundenen Kosten.

Die Durchführung
Das Reformteam rund um Magistratsdirektor Martin Haidvogl und Leiter Günter Fürntratt zeichnet in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Abteilungen für die prozessorientierte Organisationsgestaltung verantwortlich, wobei den bedeutenden Unterschied zu F.A.I.R. der Blickwinkel darstellt: Wurden bei F.A.I.R. noch die Geschäftsprozesse aus der Sicht der Abteilungen aufgelistet, analysiert man bei der nun folgenden Optimierung den einzelnen Geschäftsprozess mit Schwerpunkt auf abteilungsübergreifende Tätigkeiten.
Die Praxis zeigt, dass Abteilungen selbst daran interessiert sind, Bearbeitungs-, Liege-, Such- und Transportzeiten möglichst gering zu halten, weshalb das „Grazer Modell“ den Vorteil in sich birgt, dass es keiner zentralen Stelle bedarf, die auf Veränderungen pocht, quasi mit dem mahnend erhobenen Zeigefinger. Positive Begleiterscheinungen sind die wachsende Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. die dezentrale Verantwortungsbefugnis der betroffenen Abteilungen.

Beispiel Jugendwohlfahrt/ gesetzliche Vertretung
Neben zahlreichen „kleineren“ Prozessoptimierungen wurde eine umfassende Prozessoptimierung im Bereich der Jugendwohlfahrt (JWF)/gesetzliche Vertretung in der städtischen Abteilung für Jugend und Familie durchgeführt. Die Rahmenbedingungen waren schnell definiert: Das Projekt war so angelegt, dass bei der Erarbeitung sofort praktische Veränderungsschritte umgesetzt werden können, damit Arbeitsabläufe direkt anders organisiert werden. Die Prozessmodelle wurden von einem Projektteam (ein mit nur wenigen Personen besetztes Gremium) selbstständig gestaltet, wobei man besonderen Wert darauf legte, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den verschiedensten Bereichen – von der Sekretärin/dem Sekretär bis hin zur Referatsleiterin/dem Referatsleiter – an der Prozessfindung teilnahmen. Das Projekt wurde mit einem Monat zeitlich begrenzt, da man an einer zügigen und raschen Durchführung der Veränderungen interessiert war. Diese zeitliche Begrenzung soll in Hinkunft bei allen weiteren Geschäftsprozessoptimierungen beibehalten werden.
Die Hauptprozesse wurden im Hinblick auf mögliche organisatorische Probleme kritisch auf ihre Optimierungspotenziale durchleuchtet und Empfehlungen daraus abgeleitet. Eine Auslastungssimulation der arbeitsintensiven Hauptprozesse wurde ebenfalls durchgeführt. Dabei galt es, einzelne Geschäftsprozesse detailliert zu analysieren. Im Zuge dessen wurde nicht nur die Häufigkeit einer Tätigkeit (z. B. wie viele Schreibarbeiten täglich abgewickelt werden) erhoben, sondern auch deren Dauer. Dadurch war es möglich, einem Geschäftsprozess einen zeitlichen Rahmen zuzuordnen, was wiederum einen Rückschluss auf die Arbeitsbelastung zuließ. Nun konnte der Bedarf an personellen Ressourcen erstmals anhand der tatsächlich zu erbringenden Leistung festgestellt werden. Daraus wurde eine Abschätzung der benötigten Dienstposten rechnerisch abgeleitet.

Ergebnisse der Optimierung
Was waren die Vorteile und Ergebnisse dieser Prozessoptimierung im Bereich der Jugendwohlfahrt/gesetzliche Vertretung. Einerseits werden Verbesserungen in sehr banal erscheinenden Bereichen erzielt: Parteienverkehrszeiten werden angepasst, die Annahme von Telefongesprächen wird zentralisiert, das Verwenden von überflüssigen Rundstempeln soll abgeschafft werden, unnötige Postläufe gestrichen und leicht verständliche Checklisten für Bürgerinnen und Bürger erstellt werden. Andererseits wurden mittels Auslastungsanalysen aller Hauptbüroprozesse (in diesem Fall Auskünfte, Gerichtstermine, Aktenbearbeitung etc.) die Anzahl der für die Abwicklung der Geschäftsprozesse notwendigen Dienstposten definiert. Dadurch entstand ein Überblick über Anzahl, Dauer und Kosten eines einzelnen Geschäftsprozesses der Stadt Graz.

Kreislauf ermöglicht Adaptierungen
Selbstverständlich ist eine solche Prozessoptimierung in ganzheitlicher Sicht kein zeitlich begrenztes Vorhaben, sondern nur der Auslöser für einen kontinuierlichen Veränderungs- und Verbesserungsprozess. Nach Einführung der erarbeiteten Maßnahmen sollen von sogenannten Prozessverantwortlichen die Verbesserungen implementiert und nach spätestens einem Jahr evaluiert werden. Durch die dauerhafte Überprüfung der Zielerreichungen wird gewährleistet, dass sich neu ergebende Rahmenbedingungen rasch erkannt und damit verbundene Prozesse neu modelliert werden können. Eigene Prozessoptimierungs-Workshops werden im kommenden Jahr an der Grazer Verwaltungsakademie für eben diese Verantwortlichen abgehalten.

www.graz.at
Im Sinne einer optimalen Nutzung der Synergieeffekte wäre es kontraproduktiv, würden die Daten- und Strukturerhebungen ihrerseits zu einem bürokratischen Mehraufwand führen. Deshalb werden schon im Analyseverfahren E-Government-Prozesse geprüft. Diese Prüfungen erfolgen jedoch anlassbezogen, wenn Behördenwege für den Kunden/die Kundin möglichst unbürokratisch abgewickelt werden sollen. Beispiele gibt es in Graz dafür einige. Insgesamt 28 verschiedene Online-Formulare sind über die E-Government-Plattform auf www.graz.at abrufbar. 15.000 Online-Formulare wurden seit dem Start der Grazer E-Government-Plattform eingereicht. Besonders oft genutzt wurden dabei die Formulare für die Lenkerauskunft, das Gewerbe und vor Wahlen natürlich die Wahlkartenanträge.
Wie kann man diese E-Government-Plattform auch im Bereich der Geschäftsprozessoptimierung einbinden? Durch die Diskussion über die einzelnen Abläufe und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Strukturen werden natürlich Behördenwege hinsichtlich einer möglichen Automatisierung hinterfragt. Primäres Ziel bei der Schaffung automatisierter Schnittstellen für Benutzerinnen und Benutzer ist das Vermeiden von Medienbrüchen, welche eine Benutzerin/einen Benutzer quasi zwingen, im Verlauf des Prozesses ihre Such- oder Verarbeitungsstrategie zu wechseln, um dem gerade vorliegenden Medium zu entsprechen. Um derartige Medienbrüche zu lokalisieren, müssen sämtliche Transaktionen eines Geschäftsprozesses erhoben werden – wie im vorangehenden Beispiel wird auch hier die Dauer der Aktion berücksichtigt. „Einsparen durch automatisieren“ ist dabei der Schlüsselsatz, denn je mehr Medienbrüche vorliegen, desto mehr Personalaufwand ist für die Behebung notwendig.

E-Government-Prozess
Im Idealfall ist die Überprüfung eines Geschäftsprozesses – bzw. eines Teiles davon – auf E-Government-Tauglichkeit Bestandteil der eigentlichen Optimierung. Fakt ist aber auch, dass es bei elektronischen Optimierungen eigene Aspekte zu berücksichtigen gilt. Zu den generellen Vorhaben wie „zeitliche Straffung“ oder „Kundinnen- und Kundenfreundlichkeit“ bezieht man in diesem speziellen Fall auch etwaige Medienwechsel, Kapazitätsauslastungen, Datenredundanzen, Arbeitsvereinigungen oder Parallelisierungen von Vorgangsschritten ein. Ausgehend von der eigentlichen Aktivität findet nun eine E-Government-Prozesserhebung und in weiterer Folge die eigentliche Prozessentwicklung – unter Berücksichtigung von Zugang, Prüfung, Verrechnung, Workflow, Zustellung, Statistik, Archivierung, Arbeits- und Genehmigungsschritten und Statusmeldungen – statt. Was hier in zwei Zeilen sehr vereinfacht dargestellt wird, ist in Wirklichkeit ein höchst komplexer Vorgang, dessen Erläuterung einen eigenen Artikel benötigen würde. Immense Bedeutung misst man in Zeiten der Budgetkonsolidierung jedenfalls der zuvor beschriebenen Prozessbedarfsberechnung bei: Welche Synergien kann ich am Arbeitsplatz durch elektronische Anwendungen schaffen? Kann ich durch Optimierung Leistungssteigerung auch bei geringerem Personalstand erreichen? Das alles ist Zukunftsmusik, ebenso wie der Wunsch nach Dezentralisation: Abteilungen werden demnach in Hinkunft für Geschäftsprozessoptimierungen durch verstärkte Schulungsmaßnahmen noch besser befähigt werden. Zukunftsmusik, doch vor jeder umgesetzten Idee bedarf es bekanntlich einer guten Vision.

Resümee
Fakt ist, dass Graz die Zeichen der Zeit schon früh erkannt hat und mit der Stellen- und Geschäftsprozesserhebung im Rahmen von F.A.I.R. den wesentlichen Grundstein für einen modernen, bürgerinnen- und bürgernahen Magistrat gelegt hat. Geschäftsprozessoptimierungen und damit verbundene E-Government-Anwendungen sind in Wahrheit nur weitere Schritte zum Ziel „Moderner Dienstleister“. Ein Ziel, das aufgrund der sich ständig verändernden Voraussetzungen immer wieder neu definiert werden muss. Dadurch treten neue Probleme auf. Probleme, auf deren Lösungssuche sich Graz schon längst begeben hat.

Städtebund-Linktipp:
www.graz.at

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