„Die Daseinsvorsorge ist zentraler Bestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells“

„Die Daseinsvorsorge ist zentraler Bestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells“

Der deutsche EU-Abgeordnete Bernhard Rapkay (SPD) ist seit vielen Jahren im Europäischen Parlament als Experte für Fragen rund um die Daseinsvorsorge bekannt. Im ÖGZ-Gespräch plädiert der Berichterstatter zum Weißbuch Dienstleistungen von allgemeinem Interesse dafür, den „Kommunen in Europa eine stärkere Stellung einzuräumen, und zwar im Einklang mit dem EU-Vertrag“.

 

ÖGZ: Ende Oktober 2006 ist im Europäischen Parlament der Bericht Weiler zu öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPPs) und Konzessionen verabschiedet worden. Wie stehen Sie dazu?

MdEP Bernhard Rapkay: Ich glaube, dass das eine wohlabgewogene Meinung unterm Strich geworden ist. Das Dokument behandelt immerhin die Frage der Kompatibilität der unterschiedlichen Varianten von öffentlich-privaten Partnerschaften mit dem EG-Vertrag. Bei der Frage von Konzessionen, also das, was die Kommission in ihrer Mitteilung vertragliche ÖPPs nennt, denke ich, dass wir hier einen Rechtsakt brauchen. Nicht einfach nur eine interpretative Mitteilung. Das ist eigentlich so neu nicht. Das Parlament hat bereits bei der Novellierung der Vergaberichtlinien in erster Lesung die Kommission zu einem Legislativvorschlag aufgefordert. Dies hat sich nachher natürlich im verabschiedeten Wortlaut der allgemeinen Vergaberichtlinie wiedergefunden. Der Vorschlag des Europäischen Parlaments war es, Dienstleistungskonzessionen im Gegensatz zu Baukonzessionen weiter aus dem Anwendungsbereich herauszuhalten. Das ist ja auch akzeptiert worden. Aber trotzdem wurde dann in der Beschlussfassung aufgrund der Frage nach Rechtssicherheit näher darauf eingegangen.

ÖGZ: Und in dieser Frage hat das Parlament auf eine Entscheidung von sich aus verzichtet, mehr oder weniger?

Rapkay: Nein. Wenn es die Konzessionsrichtlinie geben sollte, dann ist das Europäische Parlament natürlich im Gesetzesverfahren mit einzubeziehen. Hier möchte die Kommission eben keine Mitteilung, sondern ein Gesetz und eine Richtlinie nach Artikel 95 des Vertrages ist im Mitentscheidungsverfahren zu beschließen. Der Weiler-Bericht bezieht sich auf die Kommissionsmitteilung, die auf der Basis der Konsultation zum Grünbuch entstanden ist. Hier hat die Kommission eigentlich zwei Varianten von ÖPPs identifiziert. Die institutionalisierten und die vertraglichen, die im Wesen eigentlich nur eine etwas andere Begrifflichkeit für Konzessionen sind. Die Kommission hatte damals gesagt, sie wolle im Laufe 2006 eine interpretative Mitteilung für die institutionalisierten ÖPPs. Da wäre ich auch dagegen, eine Rechtssetzung zu machen. Solche Kooperationen wie Joint Ventures nach dem klassischen Vergaberecht zu machen, wie es in der Kommission ja schon einmal Vorstellungen dazu gegeben hat, und es ja auch in manchen Ländern so ist, um dann zu sagen: der Private, der das Höchste bietet, der kommt dann zum Zuge, das hielte ich für einen Fehler. Weil ich glaube, solche Sachen kann man nicht nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten regeln, davon berührt wird ja auch die Frage der Unternehmensstrategie. Ich glaube, da wäre das Vergaberecht wirklich nicht hilfreich.
Dienstleistungskonzessionen, also wenn man wirklich Aufträge mit Ausschließlichkeitsrecht vergibt, sollten vom Vergaberecht nicht erfasst werden. Ich glaube auch, dass es keinen Sinn macht, das Vergaberecht einfach darauf auszudehnen. Dieser Bereich wurde ja nicht umsonst bisher ausdrücklich davon ausgeschlossen. Aber eine eigene Richtlinie zu machen, wäre schon im Sinn des Parlaments.

ÖGZ: Zukunft der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf europäischer Ebene und die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung sind für Städte und Gemeinden zentrale Themen. Wie sehen Sie die Entwicklung aus Brüsseler Perspektive?

Rapkay: Wir hatten diese Debatte mit den Deutschen kommunalen Spitzenverbänden im Herbst 2006. Natürlich ist der Punkt „kommunale Selbstverwaltung“ wichtig. Das bestreitet eigentlich keiner, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht angetastet werden darf, jedenfalls dort, wo es sie gibt. Die Europäische Verfassung hebt ja auch zum ersten Mal die kommunale Selbstverwaltung direkt hervor.
Das ist aber natürlich kein Freibrief dafür, dass man sagt, ihr könnt jetzt machen, was ihr wollt, weil der EU-Vertrag gilt. Deswegen glaube ich, wird es sehr stark darauf ankommen – und das ist die Aufgabe der Kommunalverbände selber, insbesondere da, wo es so etwas gibt, also u. a. in Deutschland und in Österreich –, daran zu arbeiten, den Kommunen auf europäischer Ebene eine stärkere Stellung einzuräumen – und zwar im Einklang mit dem Vertrag. Das ist ja auch das Bemühen, mit dem was wir jetzt im Rapkay-Bericht zur Daseinsvorsorge beschlossen haben und das Bemühen meiner Fraktion für eine Rahmenrichtlinie. Dies ist ein Diskussionsvorschlag. Es zählt eben das Bemühen zu sagen, dass wir etwas erreichen wollen. Da kommen wir nahtlos zum Subsidiaritätsprinzip, welches ja leicht zu postulieren ist. Aber, das muss man dann bitte schön auch mit dem operationellen Geschäft in Einklang bringen. Dass heißt also Subsidiaritätsprinzip mit den entsprechenden Regelungen des Vertrages, Artikel 16, Artikel 86 und so fort zu vereinbaren. Dass ist die eigentliche Hauptaufgabe.
Hier gibt es viele politische Schattierungen, selbst in unserer Fraktion. Meine französischen Freunde haben, obwohl sie formal ja mitgegangen sind, andere, eher zentralstaatliche Vorstellungen und dass die europäische Ebene Verantwortung für die Bereitstellung von Leistungen der Daseinsvorsorge hat. Ich glaube aber, dass aus der reinen Praxiserwägung heraus man davon tunlichst die Hände lassen soll. So etwas kann man nicht zentral regeln, weil die Bedingungen der Daseinsvorsorge zwischen Lappland und Sizilien zu unterschiedlich sind. Regelungen würden zu Allgemeinplätzen verkommen.

ÖGZ: Das ist ja die Idee des früheren EU-Abgeordneten und Daseinsvorsorge-Papstes Philippe Herzog auch immer gewesen, einen europäischen Dienstleistungsbegriff zu entwickeln.

Rapkay: Ja. Das ist aus dem französischen Staatsverständnis heraus auch gut verständlich. Aber ich glaube, das ist auf die Pluralität, die vor allen Dingen heute vorhanden ist, nicht auf Gesamteuropa übertragbar. Deswegen bleibt es dabei und es ist auch in der Beschlussfassung zu lesen: die Definition und die Bereitstellung für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse obliegt den Mitgliedstaaten oder eben den Stellen, die in den Mitgliedstaaten dafür zuständig sind. Trotzdem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass diese Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und allgemeinem wirtschaftlichen Interesse schlicht und ergreifend zu den Grundlagen des europäischen Gesellschaftsmodells – ich will nicht vom Sozialmodell sprechen – gehören. Wo es also wirklich darum geht, dass die öffentliche Hand auch die Legitimation und die Autorität haben muss, da, wo etwa der Markt versagt, oder dort, wo der Markt doch nicht die optimalen Ergebnisse bringt, durch öffentliches Handeln zu agieren. Das muss aber dann eher bei vielen Sachen vor Ort geschehen und unsere Aufgabe ist, dass hier die Spielregeln des Binnenmarktes eingehalten werden.

ÖGZ: Stichwort europäisches Gesellschaftsmodell: In der EU hat man den Eindruck, es sind immer mehr, die liberalisiert, privatisiert werden. Auf der anderen Seite, etwa in Deutschland, streiten sich die Koalitionsparteien darum, wer jetzt mehr Sozialkompetenz hat, wer jetzt die sozialere Partei ist. Ist das nicht ein Widerspruch in sich, dort soziale Versprechungen, da mehr Wettbewerb und Markt?

Rapkay: Nach wie vor beharre ich auf meiner Position, dass es zwischen Wettbewerb und Daseinsvorsorge keinen Widerspruch gibt. Wettbewerb ist kein Ziel an sich, das ist der Unterschied zu den Marktradikalen. Ich scheue mich da auch immer, den Begriff des Neoliberalismus zu nehmen, weil dieser ist dermaßen unscharf und wenig aussagekräftig. Wenn man sich anschaut, was alles mit dem Etikett neoliberal versehen wird, da muss man einfach feststellen, das sind Sachen, die miteinander überhaupt nichts zu tun haben, sie werden trotzdem neoliberal genannt. Also, das ist eher eine Kampfformel, die sagt nichts aus. Klar ist, wer sagt – und das gibt es natürlich, dass ist eine bestimmte Denkschule –, der Markt und der Wettbewerb ist das Ziel an sich, da sage ich, das ist Ideologie. Markt und Wettbewerb sind Instrumente, um politische und gesellschaftliche Ziele zu erreichen, und sie müssen in ihrer Anwendung davon abhängig gemacht werden, wie gut sie einen Beitrag dazu liefern. Deswegen gibt es für mich nicht von vornherein einen Widerspruch dazu, dass nicht Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse über über Markt und Wettbewerb erzielt werden können. Das ist also eine Grundposition bei mir. Die zweite Position ist, auch da werfen wir immer wieder Dinge zusammen. Es gibt von Seiten der EU keinerlei, ich lege darauf Wert und betone dies immer wieder, keinerlei Privatisierungsanforderungen.

ÖGZ: Von den Regierungsbänken in den Mitgliedstaaten hört man in dieser Hinsicht oft andere Aussagen.

Rapkay: Das ist ein beliebtes Schwarze-Peter-Spiel in den Mitgliedstaaten, zu sagen, ja wir wollen es ja gar nicht, aber wir werden ja gezwungen. Es ist völliger Unsinn. Die Entscheidung über die Privatisierung eines öffentlichen Unternehmens, z. B. in einer Kommune, liegt bei der Kommune, sonst nirgends. Oder, wenn man einmal die deutsche Situation – in der österreichischen weiß ich es dann natürlich nicht so detailliert – oder an der Kommunalverfassung, wie sie in den deutschen Bundesländern, die ist ja für die Kommunalaufsicht zuständig. Wenn hier z. B. die Gemeindeordnung in Nordrhein-Westfalen noch mehr in die Richtung verschärft wird. Grundsätzlich gilt privat vor Staat, was ja heißt, private Unternehmen vor öffentliche Unternehmen, dann ist ja die Angelegenheit eine deutsche Regelung und nicht eine der EU-Ebene. Die Europäische Union kann es auch gar nicht machen, weil es den Artikel 295 gibt. Was ich sehr wohl für notwendig erachte im EU-Binnenmarkt, dass wir die Marktgrenzen innerhalb des Binnenmarktes öffnen. Insofern ist hier auch ein Begriff der Deregulierung häufig falsch, weil bei der Energiewirtschaft beispielsweise ging es nicht um eine Deregulierung, sondern um eine Reregulierung. Marktöffnung und natürlich die allzu staatlichen Regulierungs- und Regelmechanismen in der Tat aufzugeben, aber nicht für das Laissez faire, sondern zugunsten eines europäischen Regelungsansatzes.

ÖGZ: Was können sich die Städte und Gemeinden von der deutschen Ratspräsidentschaft erwarten?

Rapkay: Die Städte und Gemeinden erwarten sich eigentlich den Schutz der Strukturen, in den sie agieren. Also ich glaube, die Ratspräsidentschaft wird in diesen Bereichen, was jetzt die kommunale Selbstverwaltung anbelangt, eher indirekt eine Hilfestellung geben, indem der Verfassungsprozess wieder beschleunigt wird. Da sind die Vorstellungen durchaus ambitioniert. Da wird es hier schon Veränderungen gegenüber dem vorhandenen Wortlaut geben. Anders kann ich mir dies persönlich nicht vorstellen. In der Substanz sollte aber nichts geändert werden, und ich sage einmal, solche Fragen, wie die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, das ist nirgends in Frage gestellt. Es sind andere Punkte die hier im Fokus stehen, das heißt also im Schlepptau der Verfassung würde hier natürlich eine Verbesserung entstehen, weil schon die Frage kommunale Selbstverwaltung einen Verfassungsrang hat, was sie bisher nicht gehabt hat. Das alleine sagt natürlich nur nichts aus. Aber ist natürlich ein starkes Signal, das ist einfach so, dass das nicht ausgeblendet werden kann. Also sowohl für die Gesetzgebung als auch für die Rechtssprechung, also für den Gerichtshof. Also das ist schon essenziell.

ÖGZ: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir danken für das Gespräch.

OEGZ

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