WM 2006 – Was Österreichs Städte für die EM 2008 lernen können

WM 2006 – Was Österreichs Städte für die EM 2008 lernen können

Die Welt war bei der WM 2006 zu Gast bei Freunden – in den 12 deutschen Austragungsstädten. Dabei kam nicht zuletzt den ausrichtenden Städten eine zentrale Rolle zu. Dabei ging es um den öffentlichen Nahverkehr, eine optimierte Verkehrsinfrastruktur, öffentliche Sicherheit, Katastrophenschutz, „Public Viewing“-Konzepte und vieles mehr. Fazit: Ohne ausgeklügelte Vorbereitung läuft der Ball nicht rund.

 

Vom 7. bis 29. Juni 2008 steht nun das nächste Großereignis im Fußball an: die Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz. Die vier Austragungsstädte Wien, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt stehen vor ähnlichen Problemen und Herausforderungen wie die deutschen Spielstädte; der nachfolgende Bericht versucht ein erstes Fazit zu ziehen und – wo möglich – gewonnene Erfahrungen weiterzugeben.

Städte und Stadien mit intensiver Vorbereitung
Auch wenn die Eigentums- und Betreiberverhältnisse in den Stadien von Berlin, Hamburg, Hannover, Leipzig, Gelsenkirchen, Dortmund, Köln, Frankfurt, Kaiserslautern, Stuttgart, Nürnberg und München höchst unterschiedlich sind, haben doch alle Städte erhebliche Finanzmittel in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro in den Neu-, Aus- und Umbau der „Kathedralen des 21. Jahrhunderts“ gesteckt. Dies galt insbesondere dann, wenn die Spielstätten noch direkt oder indirekt in kommunaler Hand waren. Mit der Fertigstellung präsentieren sich nun 12 architektonisch gelungene, stimmungsvolle und leistungsstarke „Fußballtempel“, die – jeder für sich – ihre Eigenarten und spezifischen Besonderheiten haben. Dies reicht von der Totalrenovierung des denkmalgeschützten Olympiastadions in Berlin über zahlreiche Modernisierungen und Erweiterungen bis hin zum Neubau der Arena in München.
Die Untersuchungen der Stiftung Warentest vom Jänner 2006 mit Blick auf die Stadionsicherheit hatten leider für einige Irritationen gesorgt. Es konnte aber festgestellt werden, dass die Stadien sicher sind, die geltenden Bauvorschriften bei ihrer Errichtung eingehalten wurden und gut abgestimmte Sicherheitskonzepte vorhanden waren.

Verkehrsinfrastruktur wurde optimiert
In den Stadien wurden rund 3,2 Millionen Besucher gezählt; hinzu kamen zahlreiche Besucherinnen und Besucher der kulturellen und touristischen Begleitprogramme sowie der Public Viewings. Ziel der gemeinsamen Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur war es, eine möglichst reibungslose Verkehrserschließung zu gewährleisten und den Besuchern ein gastfreundliches Land mit einem effizienten und leistungsfähigen Verkehrssystem zu präsentieren.
Schwerpunkte des von allen Beteiligten gemeinsam getragenen Verkehrskonzepts war die Infrastrukturverbesserung von Schiene und Straße durch Baumaßnahmen (Kapazitätsverbesserung), die Optimierung der örtlichen Anbindung der Stadien (direkte und bequeme Erreichbarkeit), die Verbesserungen der Verkehrslenkung und Verkehrsinformation durch Leitsysteme und der Verkehrsorganisation (Stauprävention). Für die örtliche Verkehrslenkung und -organisation hatten die Städte Konzepte entwickelt, die eine leistungsstarke Erschließung des Stadions im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), eine Beseitigung der Schwachstellen im Individualverkehr, eine Verbesserung der Rad- und Fußwege, eine Verbesserung des örtlichen Wegeleitsystems und die Umsetzung des FIFA-Sicherheitskonzepts ermöglichten.

ÖPNV hatte Vorrang
Aufgrund der zeitlichen Ansetzung der Spiele und der Rahmenprogramme war es unvermeidlich, dass sich die Fahrgastströme der WM-Besucher und der „normalen“ ÖPNV-Nutzer in den Hauptverkehrszeiten am Nachmittag überlagerten. Erschwerend kam hinzu, dass die WM teilweise außerhalb der Schulferien stattfand und ein hoher Anteil des WM-Publikums mit dem jeweiligen ÖPNV-System nicht vertraut war.
Die städtischen Verkehrsgesellschaften und die Verkehrsverbünde hatten deshalb ihr Grundangebot erheblich erweitert und zwar durch

- die Einführung von Ergänzungsverkehren auf den Hauptachsen,
- die Angebotsausweitung in den Nachtstunden und
- zusätzliche Verstärkungsfahrten bei besonderen Anlässen.

Es wurde angestrebt, dass der Fahrplan für den gesamten WM-Zeitraum identisch war; es sollte keine Unterschiede im Angebot in den Abend- und Nachtstunden und an Werktagen und Wochenenden geben. Die letzte Abfahrt von den wichtigsten Veranstaltungs- und Knotenpunkten wurde so festgelegt, dass den Besuchern auch nach Veranstaltungsende noch Reisemöglichkeiten zu weiter entfernten Zielen geboten wurden.
Zwischen der FIFA und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen wurde ein Kombiticket als Eintrittskarte an Spieltagen vereinbart, das im Verkehrsverbund der WM-Städte ganztägig Gültigkeit hatte. Durch einen Rahmenvertrag mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband konnte weiter ein Hotelkombiticket bereitgestellt werden, das die Möglichkeit schaffte, bei Buchung eines Hotelzimmers den ÖPNV mitnutzen zu können. Ehrgeiziges Ziel war es, dass 50% des WM-Publikums bei der An- und Abreise den ÖPNV nutzen. Dies ist im Gesamtergebnis erreicht worden.

Sicherheitsfragen nahmen gewichtigen Platz ein
Zur Vorbereitung und Abstimmung der Sicherheitsfragen wurde durch die Innenministerkonferenz der Länder ein Bund-Länder-Ausschuss unter Federführung des Bundesministers des Inneren unter Beteiligung aller relevanten Behörden und Institutionen (inklusive einer frühzeitigen Beteiligung auch von österreichischen und schweizerischen Sicherheitsbehörden) eingerichtet. Er koordinierte die Abstimmung der diversen Einzelkonzepte und hat diese zu einem „Nationalen Sicherheitskonzept WM 2006“ zusammengefasst.
Dieses Konzept bildete die Grundlage für alle zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft 2006 und wurde beim Confederations Cup im Juni 2005 bereits erprobt.
Dabei standen Fragen der nationalen, aber auch der internationalen, grenzüberschreitenden praktischen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, des Austausches von Sicherheitsexperten zur Verhinderung von Gewalt, des frühzeitigen Erkennens und der wirkungsvollen Abwehr terroristischer Gefahrenlagen, die Bekämpfung allgemeiner und organisierter Kriminalität sowie die Verhinderung von Menschenhandel und Zwangsprostitution im Vordergrund.

Musterkonzept Katastrophenschutz erarbeitet
Im Rahmen des Nationalen Sicherheitskonzepts wurde – unter maßgeblicher Mithilfe des Deutschen Städtetages – auch ein „Musterkonzept Katastrophenschutz“ für die Aufgaben der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes erarbeitet. Die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr war neben der Prävention vorrangig auf Schadensbewältigung ausgerichtet. Ziel war es, die bestmögliche Versorgung betroffener Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, falls es zu einem größeren Schadensereignis kommen sollte. Daher hatten sich die Beteiligten auf wesentlich größere Zwischenfälle vorbereitet, als es der tägliche Rettungsdienst und die Einsätze der Feuerwehr zur Brandbekämpfung und technischen Hilfe erforderten. Hierzu wurden an den einzelnen Spielstädten Einsatzleitungen und Verwaltungsstäbe gebildet, welche im Rahmen des Musterkonzepts je nach örtlicher Lage individuelle Einsatzkonzepte entwickelten.

Zahlreiche Touristik- und Kulturangebote
Die touristische Branche zeigte sich hinsichtlich des Reiseaufkommens vor der WM zuallererst optimistisch. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) rechnete allein für das Jahr 2006 mit bis zu 5,5 Millionen zusätzlichen Übernachtungen und 1 Million ausländischen Besuchern. Hotellerie und Gastgewerbe wie auch die kommunalen Tourismusstellen bereiteten sich intensiv auf die in- und ausländischen Gäste vor. Ein Projekt „Nationale Service- und Freundlichkeitskampagne“, das durch die DZT federführend umgesetzt wurde, sollte während und nach der WM 2006 auf allen Dienstleistungsebenen und in der Bevölkerung das positive Image Deutschlands als Reiseland nachhaltig stärken und zu einer Steigerung des zukünftigen Reiseaufkommens nach Deutschland führen.
Die sehr optimistischen Erwartungen im Tourismussektor sind allerdings nicht überall erfüllt worden. Natürlich waren die Hotels an den Spieltagen in den Austragungsstädten ausgebucht; Enttäuschungen gab es an den Tagen dazwischen sowie in den umliegenden Regionen. Die Tatsache, dass die FIFA ein umfangreiches geblocktes Hotelkontingent erst gut vier Wochen vor dem Turnier zurückgab, führte zu weiteren Vermarktungsschwierigkeiten bei den Betroffenen. Das ausnehmend gute Wetter brachte darüber hinaus alle die Gastronomen in Schwierigkeiten, die keine Außengastronomie vorhalten konnten.

Kunst- und Kulturprogramm
Von der DFB-Kulturstiftung wurde ein Kunst- und Kulturprogramm zur WM 2006 umgesetzt, das von der Bundesregierung mit 29 Millionen Euro finanziert wurde. Mit diesem Programm sollte die Chance genutzt werden, den Gästen aus aller Welt Deutschland in seiner kulturellen Vielfalt zu präsentieren und zugleich die Bevölkerung des Gastgeberlandes wie auch die Weltöffentlichkeit auf die WM 2006 einzustimmen. Ganz besonders bedauerlich war es, dass die in diesem Rahmen geplante Eröffnungsfeier am 7. Juni 2006 in Berlin überraschend im Jänner 2006 von der FIFA abgesagt wurde. Gerade die grandiosen Eröffnungs- und Schlussfeiern der abgelaufenen Olympischen Winterspiele in Turin haben gezeigt, wie ein sportliches Großereignis in hervorragender Weise durch beeindruckende Höhepunkte umrahmt werden kann.
Darüber hinaus gab es vielfältige Anstrengungen der Ausrichterstädte, aber auch aller anderen beteiligten Kommunen, mit anspruchsvollen Projekten aus Kunst und Kultur dem WM-Publikum einen fröhlichen und abwechslungsreichen Rahmen zu bieten. Berlin, München, Gelsenkirchen und Leipzig setzten dabei auf große Open-Air-Konzerte, Kaiserslautern führte ein Straßentheater-Festival durch. In Frankfurt wurde die Hochhauskulisse als Projektionswand für eine überdimensionale Licht-Klang-Skulptur benutzt. Hannover verband im Herrenhauser Garten Kunst mit Natur. Auch Köln setzte sich multimedial in Szene. Große Ausstellungsprojekte fanden in Hamburg, Dortmund, Stuttgart und Nürnberg statt.

Mannschaftsquartiere
Alle 32 Teilnehmermannschaften hatten zum Jahreswechsel 2005/2006 ihr Quartier für die Vorbereitungszeit und das Training aus einer offiziellen Liste von 110 Quartieren ausgewählt. Auch für die Gastgeberstädte war dies eine neue Rolle: in einem vom Deutschen Städtetag und vom Deutschen Städte- und Gemeindebund Ende Februar 2006 veranstalteten Workshop kam es zu einem intensiven Erfahrungsaustausch über Fragen der Sicherheit, der Pressearbeit, der Protokoll- und Kulturfragen sowie der touristischen Herausforderungen für die Quartierstädte.

Public Viewing
Da für die WM nur ca. 3,2 Millionen Eintrittskarten zur Verfügung standen, wurde die Frage der unmittelbaren Teilhabe der Millionen von fußballbegeisterten Bürgerinnen und Bürgern sowie der in- und ausländischen Besucher eine der zentralen Fragen rund um die WM. Auch Sicherheitsgesichtspunkte spielten eine gewichtige Rolle, als sich im Jänner 2005 das Organisationskomitee der WM und die Schweizer Rechteinhaberfirma INFRONT entschlossen, nicht nur für die Ausrichterstädte, sondern auch für alle anderen Kommunen, Organisationen und Institutionen die Übertragung der WM auf Großbildleinwänden (das sogenannte „Public Viewing“) im Grundsatz zu ermöglichen.
Unterschieden wurde dabei, ob die Veranstaltung als nichtkommerziell (also ohne Eintritt, ohne Sponsoren und ohne weitere gewerbliche Verknüpfung) oder als kommerziell eingestuft wurde.
Grundlage einer Signal- und Lizenzerteilung durch INFRONT war die Anerkennung der FIFA-Marketingrichtlinien, die einen extrem weitgehenden Schutz der offiziellen FIFA-Sponsoren und nationalen Förderer festlegten.
Diese Bestimmungen machten es den interessierten Städten nicht eben leicht bis unmöglich, die erheblichen Kosten für ein solches vierwöchiges Festival auf den Marktplätzen zu refinanzieren, da zahlreiche „klassische“ Sponsoren der Kommunen als Wettbewerber der offiziellen Unterstützer ausschieden. Bemühungen, hier eine flexiblere Haltung zu erreichen, scheiterten. Hinzu kam, dass im Rahmen des nationalen Sicherheitskonzepts durch die Innenministerkonferenz der Länder Mindeststandards im Sicherheitsbereich verabschiedet wurden.
Diese erhöhten die Kosten für eine solche Veranstaltung durch Einzäunung, Einlasskontrollen oder Videoüberwachungsanlagen noch einmal so, dass zahlreiche Städte in einen Abwägungsprozess eintreten mussten, ob sie das finanzielle und organisatorische Wagnis für ein solches eigentlich gewünschtes Sommerfußball-Festival eingehen sollten und konnten.
Letztendlich sind die Erfahrungen der Nicht-Ausrichterstädte sehr gemischt: etliche Kommunen verzichteten auf die Durchführung oder übergaben diese an kommerziell arbeitende Agenturen, deren Erfahrungen bis hin zu Insolvenz führten. Erfolgreiche Veranstaltungen konnten dort verzeichnet werden, wo Hauptsponsoren außerhalb der FIFA-Partner gefunden und die Sicherheitsanforderungen minimiert werden konnten.
Mit immenser Resonanz fanden die Public-Viewings jedoch in den zwölf Ausrichterstädten statt; als „FIFA FAN FESTE“ waren sie Teil des offiziellen Programms der Spielorte und wurden auch zu gesonderten finanziellen Bedingungen durchgeführt. Die Fernsehbilder von der Berliner Fan-Meile und aus anderen Städten werden in bester Erinnerung bleiben. Teilweise mussten die Kapazitäten wegen der enormen Nachfrage erheblich aufgestockt werden (u. a. Berlin, Köln, Dortmund).
Dies führte zu nicht unbeträchtlichen finanziellen Mehrbelastungen der Städte, die mit diesen Zusatzkosten trotz der sehr positiven Schlussabrechnung bei FIFA und DFB letztlich allein blieben.
Die vier Wochen während der Fußball-Weltmeisterschaft und die jahrelange Vorbereitung brachten allen Beteiligten eine Menge Arbeit, aber – auch dank der guten Rahmenbedingungen wie Wetter und Turnierverlauf – Spaß, Zufriedenheit und Erfolg.
Die Städte – seien es Spielorte, Mannschaftsquartiere oder auch die Nicht-Ausrichterstädte – blicken positiv auf dieses Ereignis zurück und stellen fest: Es hat sich gelohnt.

OEGZ

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