Rechtssicherheit der Daseinsvorsorge

Rechtssicherheit der Daseinsvorsorge

Nicht zuletzt seit der Bildung der neuen Bundesregierung ist die Diskussion über die Privatisierung öffentlicher Unternehmen – und damit einhergehenden weiteren Liberalisierungstendenzen in Österreich – wieder virulent geworden. Anhand ausgewählter Beispiele soll daher ein kurzer Einblick in die österreichische Situation der rechtlichen Absicherung der Daseinsvorsorge gegeben werden.

 

Der Rechtsbereich der Daseinsvorsorge war seit jeher ein sensibles Gebiet, beinhaltet er doch nicht zuletzt die Normen, die staatliche (zu einem wesentlichen Teil kommunale) Aufgaben für die Bereitstellung der für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendigen Güter und Leistungen regelt. Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mussten einige Rechtsvorschriften aus wirtschafts- und wettbewerbspolitischen Gründen angepasst werden. Doch wie weit ist die Daseinsvorsorge als Aufgabe der öffentlichen Hand noch sichergestellt?

Zum Grundsätzlichen
Nach europarechtlichen Vorgaben haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union für das Funktionieren der Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse Sorge zu tragen.1 Grundsätzlich stellt es der Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften den Mitgliedstaaten frei, Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse eigenverantwortlich oder mittels Wettbewerb zu erbringen. Die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des EG-Vertrages gelten für Unternehmen, die mit solchen Dienstleistungen betraut sind, nur insoweit, als sie dadurch nicht an der Erbringung ihrer Dienstleistung gehindert sind.2
Nach den Vorgaben der österreichischen Bundesverfassung bleibt es jeder Gebietskörperschaft unbenommen, wirtschaftlich tätig zu werden und eigene Unternehmen zu betreiben. Artikel 116 B-VG3 erwähnt in diesem Zusammenhang speziell die österreichischen Gemeinden, die gegenwärtig als Hauptträger der Daseinsvorsorge gelten.
In manchen Gemeindeordnungen ist die Zulässigkeit der Erbringung kommunaler Dienstleistungen durch eigene Unternehmen an die Voraussetzung geknüpft, dass die Dienstleistung durch Private nicht oder nicht im selben Umfang erbracht werden kann. Die Erbringung einer Leistung aus dem Bereich der Daseinsvorsorge durch private Rechtsträger ist jedoch stets mit einem Risiko verbunden: Die Herausbildung eines Marktes kann langfristig den Effekt haben, dass die Bereitstellung durch private Rechtsträger im gleichen Ausmaß nur durch höhere Preise erbracht werden kann, da Private einerseits zumeist nicht über dieselben finanziellen Mittel wie die öffentliche Hand verfügen und es ihnen andererseits nicht möglich ist, eine Finanzierung durch Steuern und sonstige Abgaben sicherzustellen.
Die neue Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm vorgenommen, in Zusammenhang mit einer Verfassungs- und Verwaltungsreform die Daseinsvorsorge in die Verfassung aufzunehmen. Dadurch würde eine langjährige Forderung des VÖWG (und des Städtebundes) umgesetzt und ein wichtiger Schritt in der rechtlichen Absicherung gesetzt werden, der vor allem für die österreichischen Städte und Gemeinden von besonderer Bedeutung wäre.

Die „klassischen“ Sektoren
Während etwa in Wien durch Verfassungsbestimmung4 eine Privatisierung der Wasserversorgung erschwert ist, indem der Verkauf der Wasserversorgungseinrichtungen an eine Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat gebunden und gleichzeitig festgelegt ist, dass die Versorgung mit Wasser durch städtische Wasserversorgungsanlagen keine Verringerung erfahren darf, fehlen in Tirol Bestimmungen über die Sicherheit der Wasserversorgung völlig. Des Weiteren ist die Wasserversorgung bis dato in den österreichischen Landesgesetzen zumeist nicht als Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand ausgestaltet.5
Ähnlich verhält es sich im Bereich der Abwasserentsorgung, wo die Landesgesetze es den Gemeinden offenlassen, in welcher Form die Leistung erbracht werden soll und auch die Erbringung durch Private ausdrücklich ermöglicht ist. Die kommunale Abwasserrichtlinie6 verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bis 2005 alle Gemeinden mit einem Kanalisationssystem auszustatten. Regelungen hinsichtlich der Form des Betriebes zu treffen, bleibt jedoch den Mitgliedstaaten überlassen. Wie im Bereich der Wasserversorgung ist auch für den Bereich der Abwasserentsorgung teilweise die Bildung von Gemeindeverbänden vorgesehen7.
Während das Wasserrecht und das Recht der Abwasserentsorgung den europäischen Staaten manches an Spielraum einräumen, ist das Abfallwirtschaftsrecht weitgehend durch Gemeinschaftsrecht determiniert, wo Elemente des freien Warenverkehrs ebenso tangiert sind wie umweltrechtliche Fragen. Aufgrund der Vielzahl einschlägiger europäischer Rechtsquellen sei hier nur auf die Abfallrahmenrichtlinie8 und die Abfallverbringungsverordnung9 hingewiesen. Während erstere vor allem den Abfallbegriff vereinheitlicht und Grundsätze der Abfallwirtschaft regelt, legt letztere die Voraussetzungen und Bedingungen fest, unter denen ein grenzüberschreitender Transport von Abfall innerhalb Europas zulässig ist. In Österreich finden sich Regelungszuständigkeiten des Bundes und der Länder, wobei für den Bereich der kommunalen Abfallwirtschaft auch nach der Erlassung des Bundes-Abfallwirtschaftsgesetzes im Jahr 200210 vor allem landesgesetzliche Bestimmungen maßgeblich sind. Zumeist werden die Gemeinden landesrechtlich zur Bildung von Abfallverbänden verpflichtet, derer sie sich zur Besorgung der kommunalen Abfallwirtschaft zu bedienen haben, wobei auch hier die Besorgung durch private Rechtsträger mittels Abschlusses von Verträgen zulässig ist.
Allen drei erwähnten Sektoren ist gemeinsam, dass es der österreichische Gesetzgeber trotz zumeist festgelegter kommunaler Verantwortung zumeist offen lässt, ob die Dienstleistungen direkt durch die öffentliche Hand oder durch private Rechtsträger erbracht werden sollen.
Im Sinne einer nachhaltigen Versorgungssicherheit sollte jedoch auf gesetzlicher Ebene durch verpflichtende Aufgabenzuweisungen eine subsidiäre Verantwortung des Staates festgelegt werden, sodass im Falle des Versagens eines sich allenfalls herausbildenden Marktes etwaige Risken von der öffentlichen Hand getragen werden.

Regulierter Wettbewerb
Wie jedoch die Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte zeigt, kann die Besorgung einer Dienstleistung durch die öffentliche Hand nicht in allen Sektoren der Daseinsvorsorge, zum Teil aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, zum Teil aus technischen Erwägungen, aufrechterhalten werden. So fanden die ersten Schritte zu einer Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes bereits 1987, somit acht Jahre vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, mit dem Grünbuch über die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes statt. Die rechtliche Umsetzung fand schließlich 2002 in der Rahmenrichtlinie11 ihren Niederschlag, die die Schaffung unabhängiger Regulierungsbehörden vorsah, um den Übergang zum freien Wettbewerb nahtlos zu gewährleisten. Im selben Jahr wurde vom Rat der Europäischen Union die Zugangsrichtlinie12 verabschiedet, die Regelungen über den Zugang zu den Telekommunikationsnetzen in den Mitgliedstaaten zum Inhalt hatte. In Umsetzung der Rahmenrichtlinie wurde in Österreich das Telekommunikationsrecht einer vollkommenen Überarbeitung unterzogen und ein unabhängiger und weisungsfreier Regulator geschaffen.13 Dessen Aufgaben, zu denen auch die Durchführung von Marktanalyseverfahren, mit dem Ziel, einen funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten, gehört, kommen nunmehr der Telecom-Kontroll-Kommission sowie der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) zu, die gegebenenfalls bei Streitigkeiten über den Marktzutritt mit Bescheid zu entscheiden hat.14 Während die Telecom-Kontroll-Kommission der Aufsicht des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie untersteht, agiert die RTR-GmbH vollkommen weisungsfrei.
Nach dem Vorbild der Telekommunikation sind auch in anderen Sektoren aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben unabhängige Regulierungsbehörden mit gleichartigen Aufgaben geschaffen worden. So wurden in Umsetzung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie15 sowie der Gasbinnenmarktrichtlinie16 zur Gewährleistung eines funktionierenden Wettbewerbs am Energiemarkt die Energie-Control-Kommission17 sowie die Energie-Control-GmbH einerseits, die Schienen-Control-Kommission sowie die Schienen-Control-GmbH18 geschaffen.
Im Zuge der schrittweisen Liberalisierung der Postdienste soll ab 1. Jänner 2008 die RTR-GmbH auch als Regulierungsbehörde im Postwesen agieren.
Während momentan die sogenannten „reservierten Dienste“ (Behandlung von Briefsendungen bis 50 Gramm) noch der Österreichischen Post AG vorbehalten sind, soll ab 2009 eine vollkommene Marktöffnung erfolgen, sodass die als „Universaldienste“ bezeichneten Dienstleistungen von jedem geeigneten Marktteilnehmer erbracht werden können. Im Bereich der Elektrizitätswirtschaft erfolgt die Versorgung neben einer Vielzahl kommunaler Betreiber durch die Österreichische Elektrizitätswirtschafts-AG (Verbund-Gesellschaft) bzw. Landesversorger, deren 51%iger Anteil der öffentlichen Hand gleichzeitig mit Außerkrafttreten des 2. Verstaatlichtengesetzes19 verfassungsrechtlich abgesichert wurde.20
Die regulierten Märkte sind einem sich stetig wandelnden Prozess unterworfen, dessen Funktionieren durch den Staat mittels der Einsetzung von Regulierungsbehörden gewährleistet wird. Das Risiko eines Marktversagens liegt nach dem derzeitigen Modell jedoch bei den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, die die Dienstleistung dann nicht oder nicht in gleichwertiger Qualität erhalten. Wenn auch das Risiko eines Marktversagens als gering zu bewerten ist, wäre die Erreichung höherer Rechtssicherheit ein notwendiger Schritt für eine verbesserte Zukunft der Daseinsvorsorge.

Fußnoten:
1 Artikel 16 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

2 Artikel 86 Abs 2 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

3 Bundes-Verfassungsgesetz 1920 idF v 1929 BGBl 1930/1.

4 § 3a Wiener Wasserversorgungsgesetz LGBl Nr. 10/ 1960.

5 Eine Ausnahme stellt hier § 23 des Gesetzes über die Wasserleitung für Gemeinden des nördlichen Burgenlandes, LGBl Nr. 10/1956, dar, der zumindest eine Verpflichtung des Wasserleitungsverbandes zur flächendeckenden Errichtung der erforderlichen Infrastruktur festlegt. Ob aus § 3a Wr. WVG eine solche Verpflichtung abgeleitet werden kann, ist strittig, jedoch eher zu bejahen.

6 Artikel 3 RL 91/271/EWG vom 21. Mai 1991.

7 So etwa § 7 Oö. Abwasserentsorgungsgesetz 2001, LGBl Nr. 27/2001, § 1 Abs. 5 Bgld. Kanalanschlussgesetz 1989, LGBl Nr. 27/1990.

8 Richtlinie 2006/12/EG vom 5. April 2006.
9 Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 1. Februar 1993.
10 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 BGBl I Nr. 102/2002.
11 RL 2002/21/EG vom 7. März 2002.
12 RL 2002/19/EG vom 7. März 2002.
13 § 1 KommAustria-Gesetz.

14 Zur Zulässigkeit der Übertragung hoheitlicher Aufgaben an Gesellschaften siehe VfSlg 14.473/1996.

15 RL 2003/54/EG vom 26. Juni 2003.
16 RL 2003/55/EG vom 26. Juni 2003.
17 § 4 Energie-Regulierungsbehördengesetz BGBl I Nr. 121/2000.
18 § 76 Eisenbahngesetz 1957 BGBl Nr. 60/195.
19 BGBl 81/1947, aufgehoben durch BGBl I Nr. 143/ 1998.

20 Bundesverfassungsgesetz, mit dem die Eigentumsverhältnisse an den Unternehmen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft geregelt werden, BGBl I Nr. 143/1998.

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