„Bei der Nachmittagsbetreuung erfüllen die Städte einen ganz wichtigen Auftrag“

„Bei der Nachmittagsbetreuung erfüllen die Städte einen ganz wichtigen Auftrag“

Bürgermeister Bernd Rosenberger führt seit 2003 die Landesgruppe Steiermark des Städtebundes als Vorsitzender. Im ÖGZ-Gespräch nimmt der Bürgermeister der Stadt Bruck an der Mur zum Projekt Regionext Stellung, sieht den Bund bei Mindestsicherung und Pflege in der Pflicht und plädiert für eine finanzielle Stärkung der Städte und zentralen Orte im nächsten Finanzausgleich.

 

ÖGZ: Sie haben in den letzten Wochen landauf, landab das Projekt Regionext als Städtebund-Vorsitzender in der Steiermark propagiert. Eine neue Regional- und Raumentwicklungspolitik ist im Entstehen. Welchen Zugang hat der Städtebund in dieser Frage?

Bürgermeister Bernd Rosenberger: Wir werden in Zukunft verstärkt regional denken und zusammenarbeiten müssen. Wollen wir unsere Aufgaben effizienter und kostengünstiger lösen, führt auch kein Weg daran vorbei. Deshalb ist das Projekt Regionext aus einer politischen Forderung von Landeshauptmann Franz Voves nach der „Steiermark der Regionen“ heraus entwickelt worden. Die Steiermark ist ein sehr klein strukturiertes Land mit insgesamt 542 Gemeinden. Eine weitere Besonderheit ist, dass es zwei Gemeindereferenten gibt, nämlich Landeshauptmann Voves für die sozialdemokratisch geführten Gemeinden sowie auch für die Namenslisten-Gemeinden und Landeshauptmann-Stellvertreter Schützenhöfer für die ÖVP-Gemeinden. Letzterer hat auch mit dem Projekt die Stärkung von Kleinregionen propagiert. Regionext wurde sozusagen zur „Chefsache“ erklärt, damit ist es auch von der Aufbereitung her für alle betroffenen Dienststellen des Landes prioritär zu behandeln. Ein Jahr lang wurde intensiv an diesem Projekt im Vorfeld gearbeitet, um auch in Zukunft über eine gemeinsame Raumplanung, Finanzierung und mit sonstigen Kriterien, ausgehend von den Kleinregionen in größere regionale Schwerpunktsetzung Lösungen anbieten zu können. Laut aktuellem Planungsstand sollen 50% der Bedarfszuweisungsmittel ganz konkret gemeinsamen regionalen Projekten zugeordnet werden, aber auch alle anderen Budgets der Landesressorts, wenn sie abgestimmt auf Regionalpolitik sind – auf regionale Programme also – sollen herangezogen werden können. Das ist wirklich ein völlig neuer und besonderer Weg und macht dieses ganz besondere Projekt Regionext so interessant.

ÖGZ: An wie viele Regionen denkt man derzeit und wie verteilt sich das über die ganze Steiermark?

Rosenberger: Wenn von Kleinregionen in Zukunft gesprochen wird, dann meint man mindestens 4 Gemeinden und mindestens 3.000 Einwohner. Das sollte die kleinste Einheit einer kleinregionalen Zusammenarbeit sein. Es könnten so in etwa 70–80 Kleinregionen in der Steiermark entstehen, das wäre nun nicht wirklich etwas ganz Neues, gibt es doch jetzt schon eine Reihe von regionalen Projekten in der Zusammenarbeit, die sich von gemeinsamen Verwaltungseinheiten bis zu gemeinsamen Wirtschaftsprojekten über fast alle Bereiche hinweg gebildet haben. In Zukunft wird es diese kleinregionalen Zusammenschlüsse aus dem Projekt Regionext heraus verstärkt geben. Die Schwerpunkte in den Kleinregionen sollen dann in eine Großregion eingebracht werden. Hier sind 6–7 Regionen angedacht, zum einen Graz und Graz-Umgebung, der Bezirk Liezen als größter steirischer Bezirk, die westliche Obersteiermark mit den Bezirken Knittelfeld, Judenburg und Murau, die östliche Obersteiermark, also die Bezirke Leoben, Bruck a. d. Mur, Mürzzuschlag, dann die Oststeiermark mit den Bezirken Hartberg, Weiz, Feldbach, Fürstenfeld, Radkersburg und noch die Süd- und Weststeiermark mit den Bezirken Leibnitz, Deutschlandsberg, Voitsberg. In diesen größeren Regionen werden sich in Zukunft Regionalkonferenzen bilden, wo die Projekte der Kleinregionen und auch Projekte, die für die größere Region von Bedeutung sind, abgestimmt werden. Und erst nach dieser Abstimmung werden Schwerpunkte gesetzt, mit den Dienststellen des Landes koordiniert und auf eine Machbarkeit sowie Finanzierung und Umsetzung hin geprüft. In den Regionalkonferenzen sind alle Gemeinden mit ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern mit Sitz und Stimme vertreten, aber auch alle regionalen Abgeordneten, verschiedenen Interessenvertretungen und alle Kammern bilden dieses Regionalforum.

ÖGZ: Was bedeutet Regionext dann für städtische Räume wie Leoben, Kapfenberg, Bruck?

Rosenberger: Die Städte zwischen 10.000 und 25.000 Einwohnern, da haben wir eine Reihe von Städten in der Steiermark, werden natürlich in den Regionalforen eine wichtige Rolle spielen. Denn auch die Städte sind angehalten, mit den umliegenden Gemeinden gemeinsame Interessen und Schwerpunkte zu setzen. Das ist natürlich eine besondere Situation, weil ja keinesfalls an irgendeine Gemeindezusammenlegung gedacht ist, sondern wirklich nur an eine regionale Zusammenarbeit. Städte ab einer bestimmten Größe könnten sich selbstverständlich selber organisieren. Ich bin aber überzeugt, dass es mit gemeinsamen Kooperationen auch mit kleineren Gemeinden viele Ressourcen gibt, die man regional besser lösen kann als bisher. Wir diskutieren jetzt gerade über Abstimmungsmodalitäten in den verschiedenen Regionalkonferenzen. Es kann nicht sein, dass einige Kleine über einen Größeren bestimmen, aber fairerweise sollten auch nicht die Großen über viele Kleine bestimmen können. Es muss also mehrere Möglichkeiten des Abstimmungsverhaltens geben. Jede Gemeinde hat ein Stimmrecht in einem zweiten Betrachtungsverfahren, allerdings muss die Bevölkerungsanzahl der jeweiligen Städte und Gemeinden auch berücksichtigt werden. Wir rechnen gerade verschiedene Modelle durch. Der Städtebund jedenfalls hat sich bei all diesen Diskussionen wesentlich eingebracht. Wir sind bei allen Gesprächen und Verhandlungen vertreten gewesen. Wir wollen hier positiv mittun, weil wir genau wissen, dass auch kein Weg an einer kommunalen Zusammenarbeit vorbei führt. Wir müssen Mittel und Möglichkeiten finden, die es uns auch in Zukunft erlauben, wieder Investitionen in verstärktem Ausmaß tätigen zu können. Dazu bedarf es sicherlich neuer Organisationsstrukturen und dazu bedarf es auch der positiven Einstellung für das Projekt Regionext. Nicht Euphorie treibt mich, aber ich bin positiv überzeugt, dass es ein neuer Weg sein kann, Städte und Gemeinden zu stärken.

ÖGZ: Bestehende interkommunale Kooperationen, etwa Ihrer Stadtgemeinde Bruck an der Mur mit der Nachbargemeinde Oberaich, werden nicht tangiert?

Rosenberger: Es gibt wie gesagt sehr viele positive Beispiele der Zusammenarbeit in unserem Land, die verstärkt werden müssen. Wir haben erst eine Wirtschaftsentwicklungs-Gesellschaft der Stadt Bruck mit der Marktgemeinde Oberaich gegründet, mit intensiver Zusammenarbeit bis hin zum interkommunalen Finanzausgleich. Diese ausgegliederte Gesellschaft ist eingebettet in der Betriebsansiedelungsgesellschaft AREA m Styria, wo die Gemeinden Leoben, Niklasdorf, Bruck an der Mur, Oberaich, Kapfenberg, Kindberg und Mürzzuschlag intensiv an Werkstoffansiedelungen arbeiten. Es können sich zusätzlich Schwerpunkte herauskristallisieren, es wird aber auch natürlich nicht so einfach sein, alle Interessen zu berücksichtigen. Ich denke jetzt an meine Region, die östliche Obersteiermark mit 56 Gemeinden, dabei sind die zweit-, dritt-, viertgrößte Stadt der Steiermark. Hier gibt es unterschiedliche Interessen mit starken Wirtschaftsräumen, mit ländlichen Gebieten, aber auch mit touristischen Schwerpunkten, wie etwa das Mariazeller Land, das Neuberger Tal oder die Eisenstraße, um nur einige zu nennen. In den letzten Wochen haben alle, die Vertreter des Landes von Städtebund und Gemeindebund, mehr als 1.000 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Gemeinderäte, Wirtschaftstreibende und Verantwortliche in den unterschiedlichen Ebenen in großen Veranstaltungen über Regionext informiert. Das ist die Basis, darauf werden wir aufbauen.

ÖGZ: Derzeit liegen sehr viele Bundesthemen „in der Luft“. Also etwa Pflegevorsorge, die Mindestsicherung. Was sagen Sie zu den bislang bekannten Vorstellungen des Bundes in diesem Bereich?

Rosenberger: Nehmen wir nun die genannten Themenbereiche: die politischen Forderungen, für die Armutsbekämpfung, für die Kinderbetreuung, für den Pflegebereich – nur um einige Beispiele zu nennen – in Zukunft mehr zu tun, halte ich für legitim und absolut notwendig. Allerdings dafür, so weit mir bekannt ist, 400 Millionen Euro mehr im Budget zur Verfügung zu stellen, halte ich für unausgegoren. Man muss kein großer Rechner sein, um feststellen zu können, dass dieses Geld für die vorgenommenen Aufgaben nicht ausreichen wird. Es liegt nun die Vermutung nahe, dass hier die Länder und damit wieder die Gemeinden kräftig zur Kasse gebeten werden. Projekte, die der Bund als gesellschaftliche Notwendigkeit erachtet und definiert, sollen dann andere mitzahlen. In der Steiermark – österreichweit ist es ja unterschiedlich – wird das gesamte soziale System, also Sozialhilfe, Behindertenhilfe, Jugendwohlfahrt oder der Pflegebereich, mit einer Kostenaufteilung von 60% Land und 40% Städte und Gemeinden bezahlt, all das mit erheblichen Steigerungsraten weit jenseits des Ausgabenwachstums bei anderen Aufgaben. Wenn man politische Vereinbarungen verschiedener Bereiche neu organisieren will, dann muss man auch darüber nachdenken, wie dies finanziert werden soll. Gemeinden noch mehr zu belasten – das ist sicher nicht der richtige Weg. Wenn eine sogenannte Grundsicherung zur Armutsbekämpfung eingeführt wird, wenn die Pflege neu gestaltet wird, wenn die Behindertenhilfe neu definiert wird, dann muss auch dementsprechend eine breite Diskussion entstehen, damit man die Leistungsfähigkeit der Gemeindefinanzen nicht noch weiter einengt. Es wird hier sicher notwendig sein, in einen breiten Diskussionsprozess einzutreten und zu versuchen, Möglichkeiten zu finden, d. h. auch wirklich über eine etwaige völlige neue Finanzierung, wie z. B. eine Pflegeversicherung, nachzudenken.

ÖGZ: Wie schaut die Situation in der Steiermark konkret aus?

Rosenberger: Vor allem bei der Pflege, bei der Behindertenhilfe und bei der Jugendwohlfahrt geht es hin zu jährlichen Steigerungsraten von über 10%. Natürlich gibt es quer durch das Land unterschiedliche Situationen mit denen etwa Sozialhilfeverbände konfrontiert sind. Einige Verbände organisieren den Pflegebereich selbst, in anderen Bezirken wird dieser Bereich ausschließlich von Privaten durchgeführt. Wenn man den neuen Herausforderungen unserer Gesellschaft Rechnung tragen will, dann muss man auch neue Finanzierungsmöglichkeiten finden und kreativ darüber nachdenken, wie man Prioritäten setzen kann.

ÖGZ: Bildungsministerin Schmied spricht von höchstens 25 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse. Wie sieht es in der Schulstadt Bruck aus? Ist es ein Problem bei Ihnen in der Steiermark?

Rosenberger: In der Obersteiermark, also damit auch in Bruck an der Mur, sind wir mit der Situation konfrontiert, dass wir überall sinkende Schülerzahlen haben, weil unsere Region mit einer gewissen Überalterung zu kämpfen hat. Nach einer Blitzumfrage bei allen steirischen Städten kann man sagen, dass es zwar unterschiedliche Zugänge gibt, aber es grundsätzlich mit der Höchstzahl von 25 Schülerinnen und Schülern in den Pflichtschulen kein Problem geben wird. Eigentlich ist die ganze Steiermark mit einer demografischen Entwicklung konfrontiert, wo es gilt, in den klein- und mittelstädtischen Bereichen neue Möglichkeiten der Ansiedelung und dem Halten der Jugend zu finden. Ausnahme ist ganz sicherlich der Großraum um die Landeshauptstadt Graz und die Stadt Graz selbst. Hier gibt es einen Bevölkerungszuwachs und damit könnten natürlich hier punktuell Probleme bei der Schülerhöchstzahl auftreten.

ÖGZ: Die 2006 eingeführte Nachmittagsbetreuung läuft dann also auch problemlos?

Rosenberger: Auch bei der Nachmittagsbetreuung ist mir nicht bekannt, dass die Umsetzung in den steirischen Städten ein wirkliches Problem war. Es gibt hier unterschiedliche Modelle, die das Gesetz vorsieht und möglich gemacht hat. Von Ganztagsschulmodellen, der Schülerbetreuung selbst in den einzelnen Pflichtschulen bis hin zur externen Hortbetreuung der Schulkinder. Viele Städte hatten schon vorher und natürlich auch jetzt nach wie vor eine Hortbetreuung, die in eine Nachmittagsbetreuung mit dementsprechenden Öffnungszeiten umfunktioniert wurde. Die Kosten der Städte und Gemeinden, die für die Nachmittagsbetreuung aufgewendet werden müssen, sind während des Schuljahres noch nicht genau abzuschätzen. Da wird sicherlich nach dem 1. Schuljahr der verpflichtenden Einführung Bilanz gezogen werden. Ich bin aber überzeugt, dass es die Städte und Gemeinden auch dementsprechend geschafft haben, hier einem gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen. Es wird aber sicher nicht das Ende sein, es wird die Nachmittagsbetreuung immer wieder neue Anforderungen hervorrufen. Das kräftige Nachjustieren im Bildungswesen grundsätzlich wird uns ganz sicherlich auch in den nächsten Jahren dementsprechend fordern. Für die Städte und Gemeinden jedenfalls bin ich überzeugt, dass wir als Schulerhalter alles im Griff haben.

ÖGZ: Thema Integration: Auf dieses Thema bin ich gestoßen, weil in Bruck ein Integrationszentrum eröffnet worden ist. Welche Rolle spielt die Stadt hier?

Rosenberger: Wenn man Integration ernst nimmt – und wir tun das – dann muss man Integration auch vorleben und umsetzen. Es gab bisher bei uns im Bezirk ein Integrationswohnhaus, eines von 4 in Österreich. Dieses Haus wurde vom Österreichischen Integrationsfonds betrieben und bot für rund 200 Bewohnerinnen und Bewohner Platz. Die Verantwortlichen des Österreichischen Integrationsfonds haben dieses Haus nach 3 Jahren geschlossen, weil diese Betreuung scheinbar nicht die richtige war, die man sich vorgestellt hatte. Eine Alternative wurde deshalb überlegt und geschaffen, nämlich für die Obersteiermark in Bruck an der Mur ein Integrationszentrum zu eröffnen. Hier wird in Zukunft eine dementsprechend qualitätsvolle Betreuung für asylberechtigte Mitbürgerinnen und Mitbürger angeboten werden. Es wird Wohnraum gesucht, es wird bei einer etwaigen Arbeitsplatzbeschaffung geholfen, es wird die deutsche Sprache gelehrt. Natürlich sind auch die Städte und Gemeinden in der Steiermark gefordert, hilfreich bei der Integration von Asylberechtigten mitzutun. Ich bin überzeugt, dass die heimische Bevölkerung diesem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüber steht und man damit weg kommt von sogenannten „Ausländer-Ghettos“, wie es sie da oder dort noch immer gibt. Die Kosten für die Integration werden ja zu Beginn vom Bund getragen und nach einer bestimmten Zeit von den Ländern und Gemeinden übernommen. Konkret, was wieder die Sozialhilfe oder die Krankenversicherung anbelangt. Es gibt aber damit verbunden auch hier wieder eine schleichende Verlagerung der Kosten zu den Gemeinden hin, die uns auch durchaus sehr beschäftigen.

ÖGZ: Eine große Staats- und Aufgabenreform steht bevor, der Finanzausgleich 2009 ist schon am Horizont erkennbar. Was wünschen Sie sich aus Sicht der steirischen Städte?

Rosenberger: Städte in einer zentralörtlichen Funktion und in einer infrastrukturellen Ausstattung dürfen keinesfalls geschwächt werden. Die Finanzierbarkeit der Städte und Gemeinden muss gewährleistet sein. Städte sind Motoren für die Wirtschaft, die Kultur, das regionale Leben, die Lebensqualität. Eine Einheitsgemeinde festzuschreiben, halte ich nicht für den richtigen Weg. Es gibt einfach Unterschiede zwischen den Kommunen von der Größe und von der konkreten Aufgabenstellung her.

ÖGZ: Herr Bürgermeister, wir danken für das Gespräch.

OEGZ

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