Ein starkes Europa der Regionen und Kommunen

Ein starkes Europa der Regionen und Kommunen

Bürgermeister Dr. Michael Häupl Präsident des Österreichischen Städtebundes

 

Am 25. März wird Europa den 50. Geburtstag der Römischen Verträge feiern, mit denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft errichtet und der Grundstein für alle weiteren Fortschritte (trotz aller Hürden) gelegt wurde, die wir seitdem bei der Vereinigung unseres Kontinents verzeichnen konnten.
1951 gründete eine Gruppe von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern den Rat der Europäischen Gemeinden (RGE). Die meisten von ihnen waren von der Kriegszeit geprägt, die nur sechs Jahre vorher zu Ende gegangen war. Viele erlebten, dass ihre Stadt bzw. Gemeinde und deren Bevölkerung einen furchtbaren Preis als Ergebnis des langen und blutigen Konflikts zahlen mussten. Diese Bürgermeister können mit Fug und Recht als Avantgarde der EU bezeichnet werden. Ziel bei der Schaffung des Europäischen Rates der Gemeinden war ein vereintes, friedliches Europa, ein Europa, dass auf den Prinzipien der lokalen und regionalen Selbstverwaltung basiert. Sie wollten das, was man heute als Bottom-up-Projekt bezeichnet: ein Europa von und für seine Bürgerinnen und Bürger, seine Städte und Gemeinden schaffen. Ist dies nicht das, was Europa heute sein sollte?
Von Anfang an hat der RGRE drei Schlüsselthemen unterstrichen und diese Zeit seines Bestehens konsequent betont.

Städtepartnerschaften als Ausgangspunkt
An erster Stelle stand die Bedeutung von Städtepartnerschaften zur Erreichung der Ziele Frieden, Verständigung und Vereinigung quer durch Europa. Man sollte niemals vergessen, dass in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Städtepartnerschaften den Völkern, die noch vor kurzem gegeneinander Krieg geführt hatten, erlaubten, sich gegenseitig kennen und schätzen zu lernen und so halfen, eine EU von der Basis aufzubauen. Mit mehr und mehr europäischen Ländern, die der EU (bzw. EWG sowie EG) beitraten, halfen Städtepartnerschaften, neue Verbindungen und besseres Verständnis füreinander herzustellen und so einen wirklichen Sinn für eine gemeinsame europäische Identität und Bürgerschaft zu entwickeln. Ich hoffe, dass alle unsere Mitgliedsverbände eine aktive Rolle bei unserer Konferenz im Mai 2007 in Rhodos spielen werden, wenn wir Städtepartnerschaften für die Welt von morgen diskutieren werden.

Prinzip der lokalen Selbstverwaltung
An zweiter Stelle steht das Prinzip der lokalen Selbstverwaltung. Unsere erste Hauptversammlung in Versailles im Jahr 1953 verabschiedete unsere Charta für kommunale Freiheiten und wurde so zur Inspiration für die europäische Charta für lokale Selbstverwaltung aus 1985. Derzeit arbeiten wir intensiv daran, dass das Prinzip der lokalen und regionalen Selbstverwaltung in eine neue europäische Verfassung oder einen institutionellen Vertrag aufgenommen wird.
Und schließlich haben wir uns seit Versailles 1953 dafür eingesetzt, dass lokale und regionale Gebietskörperschaften formal und angemessen im institutionellen Rahmen der EU anerkannt werden. Die Versailler Versammlung nahm eine kurze Entschließung an, die darauf bestand, dass „die zukünftige Geburt einer europäischen politischen Gemeinschaft“ einen wichtigen neuen Schritt in Richtung der Integration Europas darstellt – doch dass diese Gemeinschaft, um erfolgreich zu sein, die tatkräftige Mitwirkung der Kommunen in Europa sicherstellen müsse.
Dieser Hinweis auf die Geburt einer „europäischen politischen Gemeinschaft“ im Jahr 1953 war sicherlich prophetisch und spiegelte die Hoffnungen wider, die zu dieser Zeit in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) gesetzt wurden, die 1951 als erster Schritt auf dem langen Weg zur europäischen Einigung gegründet worden war. Dies war ein wichtiger erster Schritt in Richtung europäischer Integration.
Die Unterzeichnung des Vertrages von Rom im März 1957 war offensichtlich ein Meilenstein in der Geschichte Europas und wurde zu einem überwältigenden Erfolg. Spätere Fortschritte basierten auf diesem stabilen Fundament. Jedoch verweist der Vertrag kaum auf Regionen, geschweige denn auf Kommunen. Dies soll kein elementarer Kritikpunkt sein, da die zentrale Aufgabe in erster Linie die Schaffung eines gemeinsamen Marktes sowie die Entwicklung einer kleinen Anzahl von gemeinsamen Politiken war (vor allem der Agrarpolitik).

Rolle der Kommunen in Europa anerkennen
Aber mit dem Voranschreiten der Jahrzehnte und der Zuweisung vieler neuer Zuständigkeiten an die EU macht sich das Fehlen einer tatsächlichen Beteiligung von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften als zunehmend dringendes Problem bemerkbar. Denn während Kommunen und Regionen nun für viele Aufgaben und die Umsetzung von zahlreichen europäischen Gesetzen und Politiken zuständig sind, hat es der institutionelle Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und der EU versäumt, die entscheidende Rolle anzuerkennen, die wir Städte, Gemeinden und Regionen einnehmen.
Der Maastrichter Vertrag schuf 1993 den Ausschuss der Regionen als beratende Einrichtung. Das war ein wichtiger Schritt vorwärts. Trotzdem ist in den derzeitigen Verträgen kein wirklicher Gedanke eines europäischen Mehrebenenregierungssystems zu erkennen. Wir agieren immer noch weitgehend hinter den nationalen Regierungen „versteckt“. Subsidiarität erkennt immer noch nicht explizit unsere Rolle und unseren Beitrag an.
Und deshalb war die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung so wichtig. Zum ersten Mal hat ein EU-Vertrag lokale und regionale Selbstverwaltung anerkannt und zum ersten Mal wurde das Subsidiaritätsprinzip um die lokale und regionale Ebene erweitert, neben der europäischen und nationalen Ebene. Stärkere Verpflichtungen zu Konsultationen sind ebenfalls eingefügt worden. Dies sind unbestreitbare Errungenschaften für Europas lokale und regionale Gebietskörperschaften, und der Rat der Gemeinden und Regionen hat sich an vorderster Front für sie eingesetzt und kämpft nun dafür, dass sie beibehalten werden.

Chance auf EU-Verfassung nützen
Wir werden jedoch schwer zu kämpfen haben, um diese Errungenschaften zu behalten. Wenn die Verfassung in der einen oder anderen Weise fortschreitet, selbst wenn sie einen neuen Namen erhalten sollte wie „europäischer Grundvertrag“, dann sollte es keine Probleme geben. Aber wenn die Staats- und Regierungschefs einen deutlich reduzierteren oder anderen Vertrag bevorzugen sollten, dann sehen Europas lokale und regionale Gebietskörperschaften die große Gefahr, erneut ausgeschlossen zu werden. Es droht die einmalige Chance verloren zu gehen, dass unsere Rolle in den Verträgen explizit anerkannt wird.
Deshalb brauchen wir die Unterstützung der deutschen Ratspräsidentschaft bei den Staats- und Regierungschefs, dass lokale und regionale Demokratie und Selbstverwaltung als Teil der Werte der Union anerkannt werden. Wir müssen unser Lobbying bis zur endgültigen Entscheidung über die institutionelle und verfassungsrechtliche Zukunft der EU fortsetzen. Deshalb habe ich mich auch vor einigen Wochen gemeinsam mit den Präsidenten weiterer großer europäischer Kommunal- und Regionalverbände an Bundeskanzlerin Angela Merkel gewandt und ihr gegenüber auf die Bedeutung hingewiesen, die die Beibehaltung der wichtigsten Punkte für lokale und regionale Gebietskörperschaften hat.
Ein halbes Jahrhundert nach dem Vertrag von Rom befindet sich Europa an einem Wendepunkt. Der Rat der Gemeinden und Regionen ist überzeugt, dass die EU die lokale und regionale Dimension stärken muss, um in den nächsten fünfzig Jahren erfolgreich sein zu können.
Seit der Ratifizierung der Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung durch Frankreich im Juli 2006 haben nun alle EU-Mitgliedstaaten die Charta ratifiziert. Es ist daher schwer vorstellbar, dass jedwede EU-Verfassung bzw. ein neuer EU-Vertrag nicht explizit auf die Charta Bezug nehmen und ihre wichtigsten Prinzipien der lokalen Demokratie und Selbstverwaltung nicht enthalten sollte.
Wenn die europäischen Spitzen in Berlin zur Feier des 50. Geburtstags der Römischen Verträge zusammenkommen, werden sie auch eine Erklärung zu den Werten der Union verabschieden. Wir wollen hoffen – wie wir nachdrücklich gefordert haben –, dass sie sowohl einen positiven Bezug auf die Prinzipien der lokalen und regionalen Selbstverwaltung enthalten wird als auch zur Rolle, die unsere Regierungsebenen im demokratischen Leben der EU spielen.

OEGZ

ÖGZ Download