Arbeitskreis 1: Pflege und demografischer Wandel "Rolle der Gemeinden bei der Pflege ist unterschätzt worden"

Arbeitskreis 1: Pflege und demografischer Wandel "Rolle der Gemeinden bei der Pflege ist unterschätzt worden"

Arbeitskreis 1: Pflege und demografischer Wandel

 

Nicht nur in Österreich, in gesamt Europa sei eine nachhaltige Änderung der Altersstruktur feststellbar, betonte Rudolf Karl Schipfer vom Österreichischen Institut für Familienforschung der Universität Wien im Arbeitskreis Pflege und demografischer Wandel. Österreich halte aktuell bei 8,3 Millionen Einwohnern, die Lebenserwartung belaufe sich bei Frauen auf 85 Jahre, bei Männern liege sie bei 81 Jahren.
Schipfer: „Die Zunahme der Bevölkerung in städtischen Ballungsräumen und entlang von Verkehrsadern wird sich in Zukunft weiter verstärken, und gleichzeitig wird die Ausdünnung von peripheren und strukturell wirtschaftlich benachteiligten Regionen weiter zunehmen. Zum Überblick ein Hinweis auf die Änderung der Bevölkerungsstruktur in Österreich bis 2020: Der Anteil der unter 20-Jährigen wird sinken, und zwar von 22% im Jahr 2005 auf 20% im Jahr 2020. Die Anteile der über 60-Jährigen werden steigen, ebenso auch die Anteile der über 80-Jährigen, also der Betagten und der Hochbetagten, und die Altersgruppe der Erwerbstätigen – der 20- bis 65-Jährigen – wird leicht weiter wachsen. Grund dafür ist die Zuwanderung.“
Ebenso verändere sich gegenwärtig auch das traditionelle Netzwerk der Familie: Es werde zu einem Anstieg dauerhaft Kinderloser kommen, die Zahl der Einpersonenhaushalte bei den über 65-Jährigen steige an. Ebenso sei davon auszugehen, dass die Frauenerwerbsquote kontinuierlich steigen werde. Aktuell würden mehr als 80% der pflegebedürftigen Personen zu Hause von Angehörigen gepflegt werden, zu 78% seien es Frauen.

Schratzenstaller: Kompetenzen besser ordnen
Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) unterstrich, dass angesichts der absehbaren demografischen Entwicklung die Nachfrage nach Altenbetreuung und Pflegeleistungen steigen werde. Ein Problem sei bei dieser Thematik auch die zersplitterte Kompetenzaufteilung zwischen den Gebietskörperschaften, die noch durch eine Vielzahl privater Vereine und Organisationen mit unterschiedlicher Trägerschaft ergänzt werde. Falls dies in der laufenden Staatsreformdebatte gelänge besser zu regeln, wäre dies ein Erfolg für alle Beteiligten. Während Bund und Länder explizite Kompetenzen und Aufgaben in der Altenbetreuung hätten, seien die kommunalen Kompetenzen und Aufgaben weitaus weniger klar. Schratzenstaller: „Die Gemeinden sind länderweise sehr unterschiedlich in Pflege- und Altenbetreuung involviert. Mein Eindruck ist, dass die Rolle der Kommunen bislang unterschätzt worden ist, die Rolle, die die Kommunen in der Altenbetreuung und im Pflegebereich spielen könnten. Grundsätzlich sollten sich die Kommunen besonders in Politikbereichen engagieren, in denen es regional unterschiedliche Bedarfe gibt. Die Gemeinden haben hier einfach einen Informationsvorsprung und können auch auf regional unterschiedliche spezifische Bedarfe besser reagieren. Die Entscheidungswege sind kürzer, die Bürger können sich besser in die Meinungsbildungs- und in die Entscheidungsprozesse einmischen. Und es gibt auch einen gewissen Wettbewerb zwischen den Kommunen, der eventuell auch das Aufspüren von innovativen Lösungen ermöglicht.“
Besonders wichtig sei ein kommunales Engagement in den Bereichen Planung, Pflege- und Betreuungsangebote, altersgerechtes Wohnen und Infrastruktur. Hinsichtlich der Finanzierung gebe es mehrere Optionen: Zum einen eine Entflechtung und Abbau intragovernmentaler Transfers, die Erhöhung der Kostenbeiträge von Bund und Ländern an die Gemeinden, die Erhöhung kommunaler Steuerreinnahmen, zuletzt böte sich auch die Möglichkeit der verstärkten Gebührenfinanzierung an.

Prucher: Altersgerechtes Bauen forcieren
Qualitätssicherung, die Erstellung definierter Produkte, ein Imagewandel und neue Schritte im Bereich des Wohnens seien wichtige Aspekte bei diesem gesellschaftlichen Wandel, betonte Herbert Prucher, Vorstand der Sozialabteilung des Landes Salzburg. Neben bekannten Veränderungen innerhalb der Familien erinnerte er auch an die Schwierigkeiten, die sich durch regionale Abwanderung ergeben werden. Besonderen Schwerpunkt legte er auf neue, übersichtliche Wohnmöglichkeiten für Seniorinnen und Senioren, die in Form von Wohngemeinschaften den individuellen Persönlichkeiten besser entgegenkommen würde. „Angesichts der demografischen Entwicklung wird es notwendig sein, dass man im Wohnbau generell umdenkt, dass man barrierefreie Wohnungen errichtet, weil ich glaube, dass nur damit langfristig sichergestellt wird, dass der Wohnraum entsprechend adaptiert wird. Eine Übersiedlung, nur weil man älter geworden ist, ist nicht unbedingt das, was man sich langfristig wünschen sollte. Hier wäre schon eine Perspektive, im Wohnbau entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, dass die demografische Entwicklung zumindest mit entsprechend ausgestaltetem Wohnraum oder kurzfristig adaptierbarem Wohnraum erfolgt“, so Prucher.
Faktum sei es jedenfalls, so Prucher, dass die demografische Entwicklung und neue Familienkonstellationen zu mehr öffentlichen Leistungen führen werden. Und die Kosten seien deshalb ein zentraler Faktor, der immer in Verbindung mit der Qualität der Betreuung zu sehen sei: „Ich möchte darauf hinweisen, dass der Großteil der Kosten, die in der Pflege entstehen, Personalkosten sind, nämlich über 70% der Kosten, und dass viele Versprechen von privaten Trägern, die der Auffassung sind, sie können alles billiger machen, nicht halten, weil das auch zu einer Senkung der Qualität der Leistung führt. Die Qualität der Leistung hängt damit direkt zusammen, und man muss sich sehr genau überlegen, ob eine Stadt ihre Leistungen wirklich ausgliedert und privatisiert, weil ich glaube, dass dadurch Qualitätsprobleme entstehen können, die man anfangs nicht absieht.“

Holzhammer: Angebote regional stärker koordinieren
Ein Drittel, also rund 70.000 Personen, seien in Linz bereits über 50 Jahre, jede/r siebente Linzerin bzw. Linzer über 70 Jahre alt, illustrierte Vizebürgermeisterin Ingrid Holzhammer die Situation für Oberösterreichs Landeshauptstadt. Besonders wichtig sei ihres Erachtens der Ausbau der mobilen Pflege. Linz habe bereits neue Heime mit 1- bis 2-Bett-Zimmern in ausreichendem Maße errichtet, Ziel müsse es jedenfalls sein, dass man so lange wie möglich zuhause wohnen könne. Gemeinsam mit privaten Anbietern verfüge Linz aktuell über 2050 stationäre Pflegeplätze. Besonders wichtig sei es natürlich auch, die Leistbarkeit sicherzustellen. Die Tarife für mobile und teilstationäre Betreuung sei sozial gestaffelt, hier existiere ein Netto-Zuschussbedarf (2006) von 2,1 Millionen Euro. Für den stationären Pflegebereich existiere ein Zuschussbedarf in der Höhe von 16,2 Millionen Euro (2006). „Die Koordinierung der Angebote muss noch stärker regional erfolgen. Wir haben das in der Stadt Linz so organisiert, dass wir über vier Sozialstationen diese Dienste koordinieren, und es gibt auch eine Objektivierung bei der Seniorenplatzvergabe. Es kann nicht ein Bewohner einfach in ein Pflegezentrum gehen und sich dort anmelden. Das läuft alles über die Sozialstationen, und wenn er eine entsprechende Punkteanzahl hat und die Pflegebedürftigkeit wirklich festgestellt ist, dann bekommt er einen Pflegeplatz.
Bei unserem Leistungsangebot stehen die Weiterentwicklung des präventiven Bereichs sowie die mobilen Dienste im Mittelpunkt, und wir wollen die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen weiter verbessern.

Koordination zwischen medizinischen und sozialen Leistungen
Als wichtigen Schritt für die Zukunft bezeichnete Max Rubisch vom Sozialministerium den weiteren Ausbau der sozialen Dienste. Dabei verwies er etwa auf den arbeitsmarktpolitischen Aspekt der Pflege: „Die sozialen Dienste und die Pflegevorsorge insgesamt bilden ja einen sehr dynamischen Sektor des Arbeitsmarktes. Hier hat das ÖBIG, auch im Auftrag des Sozialministeriums, die Zahl der Beschäftigten erhoben, und zwar mit Stand Ende 2003 alle Beschäftigten, die in der Klientenbetreuung tätig sind. Es war also eine Erhebung bei allen Einrichtungen der Alten- und Behindertenbetreuung, insgesamt bei etwa 2.800 Einrichtungen, eine Onlineerhebung, wo die Leistungsträger ihre Daten direkt in eine Eingabemaske eingegeben haben.
Es wurden alle Berufsgruppen erhoben, die in der Betreuung tätig sind, also nicht Verwaltungspersonal oder Reinigungs- und Küchenpersonal in den Heimen. Das Ergebnis war: etwa 46.000 Beschäftigte in dem Bereich. Nachdem der Rücklauf nur etwa 60% betrug, schätzen wir, es waren insgesamt etwa 70.000 Beschäftigte. 80% dieser Beschäftigten sind weiblich, vollzeitbeschäftigt (sind) 48%, teilzeitbeschäftigt 47%, nur zu einem kleinen Teil freie Dienstverträge oder Werkverträge.“ Besonders im mobilen Bereich sei ein Personalzuwachs von etwa 45% seit 1993 zu verzeichen – und die Zahl professionell ausgebildeter Pflegekräfte habe stark zugenommen, erläuterete Rubisch die Untersuchung. Es müsse Alternativen zum Heim in Form teilstationärer Angebote oder etwa betreuter Wohnformen geben, ebenso sei die Koordination zwischen den sozialen und den medizinischen wie auch zwischen den stationären und den ambulanten Leistungen und Diensten notwendig. Ein weiteres wichtiges Ziel: eine gesamtösterreichischen Planung für die Zeit nach 2010.

Solidarische Pflegeversicherung
In der Diskussion wurden zahlreiche Modelle der Betreuung und Finanzierung diskutiert, die insbesondere starke bundesländerweise Unterschiede im Bereich Pflege aufzeigte. In der Finanzierungsdiskussion kam Landtagspräsidentin Erika Stubenvoll (Wien) auf die solidarische Pflegeversicherung in der Vorsorge zurück: „Der Mensch allein kann ja nur nach seiner Finanzkraft diese Vorsorgeleistung erbringen. Es muss auf alle Fälle Partner geben, die mitfinanzieren, damit sozusagen am Lebensende oder wenn der Pflegefall eintritt, schon eine gewisse Summe vorhanden ist, die dann in eine Pflegeeinrichtung oder in eine andere Betreuungsleistung einfließen könnte.“

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