Arbeitskreis 2: Integration und Migration "Integration als Herausforderung und Chance begreifen"

Arbeitskreis 2: Integration und Migration "Integration als Herausforderung und Chance begreifen"

Arbeitskreis 2: Integration und Migration

 

Europa wie auch die Nationalstaaten müssen sich als Einwanderungsland erst positiv begreifen, meinte Bernhard Perchinig vom Institut für Europäische Integrationsforschung im Arbeitskreis Integration und Migration. Das bislang überwiegende Bild, Zuwanderung käme einem Problemkatalog gleich, verhindere das Erkennen der damit einhergehenden Chancen sowie ihre Nutzung.

Integration erfordert Qualität, Partizipation, Anerkennung
Qualifizierungssysteme und Elitenbildung bei Zuwanderergenerationen seien sinnvolle Instrumentarien, die in klassischen Einwanderungsländern, wie etwa Kanada oder Australien, zu einer wesentlich entspannteren Einschätzung des Themas führen. Die Diskussion zur Einführung einer „Blue Card“ für qualifizierte Einwanderer habe bislang noch keine Mehrheit gefunden, nichtsdestotrotz sollten die Staaten vermehrt auf diese Aspekte in ihrer Integrationspolitik Rücksicht nehmen. Wie sehr Wirklichkeit und Wahrnehmung mitunter auseinanderfallen können, illustrierte Perchinig an folgenden Fakten: Wien zählt nach jüngsten statistischen Daten nach Amsterdam und Greater London zur drittbevorzugtesten europäischen Großstadt. Und: gemäß OECD-Daten von 2001 zählen Österreich und Deutschland mit 12,5 bzw. 12,6% Zuwanderung nach Australien und Kanada zu den Top-Einwanderungsländern. Perchinig: „Gäbe es die Einwanderer in Österreich nicht, wäre Österreich um die Bevölkerung der 16 größten Städte, mit Ausnahme Wiens, ärmer. Also ein menschenleeres Graz, Linz, Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt, Wels, Villach, St. Pölten, Dornbirn, Wiener Neustadt, Steyr, Feldkirch, Bregenz, Leoben, Wolfsberg und Baden.“
Als wichtige Orientierungsmarken in Bezug auf Integration nannte Perchinig folgende drei Kriterien: Qualität, Partizipation und Anerkennung. „Der Angst vor Qualitätsverlust durch Zuwanderung kann nur dadurch begegnet werden, dass die öffentliche Infrastruktur entsprechend ausgestattet wird und das Potenzial von Einwanderung zur Geltung gebracht wird“, erklärte Perchinig. Zentral sei daher das Thema Qualifikation im Sinne der sprachlichen Frühförderung für Kinder.

Schmied: Spracherwerb von besonderer Bedeutung
Bildungsministerin Claudia Schmied unterstrich, dass insbesondere die Schulen wichtige Integrationsorte seien. Ihres Erachtens müsse es darum gehen, Chancengleichheit durch Bildung, aber auch in den jeweiligen Bildungssystemen zu erreichen. Darüber hinaus sollten Talente gefördert, mit Schwächen „achtsam umgegangen werden“, so Schmied. „Der Erfolg der Bildung, der Erfolg des Bildungssystems entscheidet sich auch und immer mehr über das Gelingen der Integration.“ Positiv bezeichnete sie die Herabsenkung der Klassenschülerzahlen auf maximal 25 Kinder pro Klasse. „Damit verbunden sind auch kleinere Lerngruppen im Bereich der Fremdsprachen. Wir erhöhen den Bereich der Tagesbetreuung bis zum Jahr 2008 – immerhin von Bundesseite finanziert: plus 27.000 Betreuungsplätze. Und wir haben einen speziellen Schwerpunkt auch im Deutschunterricht in der 9. Schulstufe.“ Diese kleineren Einheiten könnten, zusammen mit neuen pädagogischen Konzepten, die auf Teamarbeit abzielen, wichtige Schritte zu denn erstgenannten Zielen sein. Faktum sei, dass 14% aller Schülerinnen und Schüler Deutsch nicht als Erstsprache hätten: Mittels diverser Sprachangebote sei man dabei, das Erlernen wie auch die damit einhergehende Integration zu befördern. Als besonders wichtig bezeichnete sie auch die Motivation und Haltung des Lehrpersonals. Hier lege sie darauf Wert, dass mittels Fort- und Ausbildung die Didaktik und Sozialkompetenz weiter ausgebaut werde.

Stadler: Kulturelles Anderssein achten
Matthias Stadler, Bürgermeister von St. Pölten, stellte in seinem Beitrag die Integrationsschritte seiner Kommune vor. Kommunale Integration sei als Herausforderung ohne Grenzen zu verstehen, nicht zuletzt auch in einem finanziellen Sinne, da viel zu oft Gemeinden und Städte ohne ausreichende Unterstützung von den Ländern an ihre Grenzen stoßen würden. In der Landeshauptstadt Niederösterreichs weise die Statistik einen Ausländeranteil von etwa 11% aus.
Die Integrationspolitik seiner Stadt gehe in zwei Richtungen: einerseits zugewanderte Menschen zu integrieren, andererseits aber auch das Recht auf individuelle Freiheit, was auch ein kulturelles Anderssein miteinschließe, zu schützen. Damit sei auch Bewusstseinsbildungsprozess innerhalb der magistratischen Strukturen verbunden: „Ich glaube, die große Herausforderung liegt auch darin, der eigenen Mannschaft in allen Bereichen, nicht nur im Sozialamt und in der Jugendhilfe und im Schulamt, sondern übergreifend, in einem Magistrat, in der Stadtverwaltung bewusst zu machen, dass wir es bei Integration wirklich mit einer Querschnittaufgabe zu tun haben“, hielt Stadler fest. Innerhalb des Magistrates sei ein entsprechendes Leitbild verankert, weiters gebe es neben zahlreichen Initiativen und Programmen auch einen eigenen Integrationsbeauftragten. Weiters werden mehrere Sprachkurse im Erwachsenenbereich angeboten, von denen sich zwei ausschließlich an Frauen richteten.
Stadler präsentierte im Arbeitskreis eine Studie der Landesgruppe Niederösterreich mit den Forderungen im Bereich Integration gegenüber dem Land. Als ein wesentliches Problem identifizierten die Bürgermeister und Gemeindeverantwortlichen die zu geringen Personalreserven im Bereich der sprachlichen Frühförderung: „Das Problem ist, dass Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen bzw. Pflichtschullehrkräfte Landesbedienstete sind und das in die Gesamtkompetenz des Landes fällt. Hier sind die Personalressourcen sehr, sehr knapp, ja viel zu knapp für die Herausforderungen in den Ballungszentren Niederösterreichs.“ Und Stadler griff auch einen Punkt auf, der seiner Meinung nach zu wenig reflektiert werde: „Die eigene Bevölkerung muss von Integration auch als Chance überzeugt werden. Das heißt, wir müssen die Öffentlichkeitsarbeit massiv verstärken, damit wir die eigene Bevölkerung davon überzeugen, wie wichtig diese Integration ist und dass Integration für uns gemeinsam eine Chance sein kann.“

Huber: Integration ist kein Minderheitenthema
Silvia Huber, Stadträtin aus Wels, unterstrich, dass Integrationspolitik nicht länger als „Minderheitenthema“ gehandelt werden dürfe, sondern als Chance begriffen werden müsse. Integration dürfe daher auch nicht nur „für“ Zuwanderer, sondern mit diesen entwickelt und gestaltet werden. In Wels betrage der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund rund 25%. Wesentliche Motor der Integrationsaktivitäten sei das Integrationsbüro „Mosaik“, welches 2001 gegründet wurde und aktuell u. a. das Projekt „Miteinander wohnen“ verfolge. „Dabei geht es um die Vorbeugung, was Konflikte betrifft, und um die Schlichtung von Konflikten in Wohnsiedlungen. Die Palette reicht dort von der Organisation von Siedlungs- und Stadtteilfesten bis zur Erstellung einer mehrsprachigen Willkommensmappe.“

Schlüsselfunktion von Kindergarten und Schule
Darüber hinaus engagiere sich Wels mit Sprachförderung im Kindergartenbereich. „Sprachförderung in den Kindergärten ist eine ganz wichtige Sache. Es werden innerhalb der städtischen Kindergärten und Horte Kinder aus mehr als 25 verschiedenen Nationen betreut. Der hohe Anteil an Migrantenkindern betrifft alle Stadtteile und stieg im Vergleich zum vergangenen Jahr auf 41 bis 50%, wobei in einem Kindergarten sogar die 70%-Marke überschritten wurde“, beschrieb Huber die aktuelle Situation im Kindergartenwesen. Lernförderung, aber auch Kultur- und Jugendarbeit seien weitere wesentliche Stützen in der Integrationspolitik von Wels. „Die Stadt Wels verfügt über fünf Jugendtreffs, in denen wertvolle Integrationsarbeit geleistet wird. Gefördert werden soll hier der Kontakt zwischen den einheimischen und zugewanderten Jugendlichen.“
Weiters sei man auf einem guten Weg, für die Stadt ein Integrationsleitbild zu erarbeiten. „Integration findet in Städten und Gemeinden statt. Trotzdem oder gerade deshalb dürfen die Kommunen bei dieser Aufgabe nicht alleingelassen werden, sondern hier müssen sich der Bund und das Land zu ihrer Verantwortung bekennen. Integration ist als Prozess und nicht als Zustand zu verstehen, als Prozess, an dem mindestens zwei Parteien aktiv beteiligt sind. Es geht um gleiche Rechte und Pflichten, um Chancengleichheit, um Partizipation und nicht zuletzt um Toleranz, Akzeptanz und beiderseitiges Verstehen. Es heißt Abschied nehmen von Anpassung und Assimilation“, erinnerte Huber.

„Bilinguale Volksschule“
In der Debatte wies der Grazer Altbürgermeister Alfred Stingl auf die Problembereiche des Fremdenrechts hin, wobei er den Zugang zum Arbeitsmarkt und eine humanere Vorgangsweise bei Familienzusammenführungen hervorhob. Gemeinderat Thomas Rajakovics (Graz) wies auf den teilweise sehr hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in einzelnen Wohngebieten hin. „Ein Ansatz könnte das Modell der bilingualen Volksschulen sein. Wir haben es in Graz probiert: Wir haben jetzt eine deutsch-englische, und wir haben heuer dann das erste Mal eine deutsch-kroatisch-bosnische Volksschule.“ Auch Bundesministerin Schmied unterstrich die Wichtigkeit der Unterstützung bei der Sprachförderung. „Wir haben muttersprachlichen Unterricht in mittlerweile 19 verschiedenen Sprachen mit bis zu sechs Wochenstunden. Wir haben Deutsch als Zweitsprache mit besonderem Förderunterricht, eigenem Lehrplan, auch mit 12 Wochenstunden, das Unterrichtsprinzip: Interkulturelles Lernen. Es ist hier also ein vielfältiges Angebot da – aber es könnte mehr sein“, unterstrich Schmied.

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