Brüssel hat sein „Haus der Städte“

Brüssel hat sein „Haus der Städte“

Seit Juni beherbergt das „Haus der Städte“ in Brüssel zahlreiche kommunale und regionale Organisationen.

 

Rund 500 Gäste – darunter die EU-Kommissarinnen Margot Wallström und Danuta Hübner, Mitglieder des Europaparlaments und des Ausschusses der Regionen, Minister und Bürgermeister – haben Anfang Juni an der Einweihung des Hauses der Städte, Gemeinden und Regionen am Square de Meeûs in Brüssel teilgenommen.
Zu den zahlreichen Organisationen, die das Haus auf fünf Stockwerken beherbergt, zählen unter anderem:
- der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE);
- EUROCITIES, das Netzwerk der großen europäischen Städte;
- das Europabüro der G-4, eines Zusam¬menschlusses der niederländischen Städte Amsterdam, Den Haag, Rotterdam und Utrecht;
- die lokalen und regionalen Verbände von Bulgarien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Holland, Norwegen, Polen, Rumänien, Slowakei, Schweden und Großbritannien.
Wir haben das Haus der Städte besucht, um zu erfahren, was dort geleistet wird und was es den Städten und Regionen bringt. Bis Mai war der RGRE in einem kleinen Gebäude am Place du Luxembourg untergebracht, und die verschiedenen Mitgliedsorganisationen waren über ganz Brüssel verstreut. Seit mehreren Jahren schon geisterte die Idee in den Köpfen herum, dass alle in einem gemeinsamen Gebäude versammelt sein sollten. Zum einen wäre es kostengünstiger, zum anderen aus logistischer Sicht vorteilhaft.
„Man muss nur ein Stockwerk hinauf oder hinunter gehen, um beispielsweise mit dem Vertreter der italienischen Regionen zu sprechen, statt E-Mails zu versenden oder durch die halbe Stadt zu marschieren“, erklärt Patrizio Fiorilli, Presse- und Kommunikationsreferent des RGRE.
Ähnlich sieht es die Kommunikationsdirektorin von EUROCITIES, Nicola Vatthauer: „Es ist schlicht und einfach ein informellerer Austausch. Es fällt einem wesentlich leichter, Positionen zu erarbeiten und gemeinsame Darstellungen zu machen. Das ist der wesentliche Vorteil des gemeinsamen Hauses.“ 12 Mitglieder von EUROCITIES sind jetzt in Brüssel unter einem Dach.
Natürlich gibt es auch einen gewissen politischen Wert eines Hauses, wo die meis¬ten lokalen und regionalen Regierungen vertreten sind. „Wenn man mit einer Stimme spricht, ist man stärker. Mit all diesen Personen in einem Gebäude versammelt, hat man auch gleich einen höheren Bekanntheitsgrad und findet mehr Beachtung. Ihre Anwesenheit hier ist der beste Beweis dafür“, bekräftigt Fiorilli.

Informelles Netzwerk
Innerhalb des Hauses der Städte hat sich ein informelles Netzwerk namens ELAN (European Local Association Network) entwickelt. Einmal im Monat treffen sich alle Mitarbeiter von Städte- oder Regionenvertretungen in Brüssel zumeist im Haus der Städte. Dann werden Informationen und Ideen ausgetauscht, mögliche Synergien besprochen und Termine ausgemacht.
„Wenn alle zum gleichen Seminar oder zur gleichen Konferenz gehen, ist das oft eine Zeitverschwendung. Stattdessen teilen sich die Leute, die einander ja alle kennen, die zahlreichen Termine auf und tauschen bei diesen Sitzungen dann die wichtigsten Informationen aus“, erklärt Fiorilli den praktischen Nutzen von ELAN. Natürlich werden auch belangreiche Informationen ausgetauscht, die der eine oder andere durch informelle Kanäle aufgeschnappt hat, denn „alleine kann man unmöglich alles mitbekommen“.
Zu den wichtigeren Aktivitäten des RGRE in Brüssel zählt die Organisation von Seminaren und Konferenzen. Darüber hinaus veranstaltet beispielsweise die Kommunikationsabteilung zahlreiche Kommunikationsseminare für die Mitglieder. Wenn z. B. der tschechische Gemeindeverband anfragt, ob er ein halbtägiges Kommunikationsseminar in Brünn für 100 lokale Vertreter geben kann, sind Patrizio Fiorilli und seine Mitarbeiter bereitwillig zur Stelle.
Einen Großteil der Arbeit macht das Lobbying der EU-Kommission und des EU-Parlaments aus. Je nach Statistik wird davon ausgegangen, dass 70 bis 80% der EU-Gesetzgebung auf lokaler und regionaler Ebene umgesetzt werden. „Das ändert die Vorstellung, die man sich von der EU macht, vollkommen. Auf einmal geht es nicht mehr darum, dass Angela Merkel, Gordon Brown und Barroso sich treffen. Auf einmal wird daraus eine massive Maschinerie, die Gesetze produziert, die auf dem Tisch des Bürgermeisters in Linz, Wien oder einer kleineren Gemeinde landen“, erklärt Fiorilli. Wenn der fertige Gesetzestext aber erst einmal auf dem Tisch des Bürgermeisters liegt, ist es schon zu spät, um daran noch etwas zu ändern.

Lobbying vor dem ersten Entwurf
„Hier schaltet sich der RGRE ein. Wir haben Politikexperten für die verschiedenen Bereiche. Ihre Aufgabe ist es, zu wissen, was die Kommission vorbereitet. Dann machen wir Lobbying, noch bevor der erste Entwurf einer EU-Richtlinie vorliegt“, präzisiert der Presse- und Kommunikationsreferent.
Wenn die Kommission ein Grünbuch – also eine erste offizielle Diskussionsgrundlage – vorlegt, diskutieren die RGRE-Mitglieder, um einen gemeinsamen Standpunkt zu erarbeiten. Dies geschieht teils im Haus der Städte – etwa in den ELAN-Sitzungen –, teils aber auch per E-Mail. Denn nicht alle Mitglieder können sich eine eigene Vertretung in Brüssel leisten. Dennoch dürfen sie natürlich nicht im Dunkeln gelassen werden, wenn es um ihre Interessen geht. Schlussendlich formuliert der zuständige Politikexperte des RGRE die offizielle Position der europäische Städte und Regionen, die an die Kommission geschickt wird. „Hier kann man schon einige Punkte erzielen“, so Fiorilli.
Nach der Kommission ist das Europäische Parlament an der Reihe, um den Gesetzesvorschlag nach seinen Vorstellungen umzugestalten. An dieser Stelle werden die einzelnen Verbände sehr wichtig. „Einer alleine kann unmöglich Lobbying bei allen EU-Abgeordneten machen. Deshalb ersuchen wir unsere Mitgliedsverbände, ihre eigenen Europaabgeordneten zu bearbeiten. Dann geht zum Beispiel die Vertreterin des österreichischen Städtebundes mit unserem Positionspapier zu den österreichischen EU-Abgeordneten und erläutert unsere Ansichten“, erklärt Fiorilli.

Öffentliches Beschaffungswesen, Daseinsvorsorge
Mit welchen Themen wird sich der RGRE in Brüssel in den nächsten zwei Jahren schwerpunktmäßig befassen? Ganz oben auf der Liste der kommunalen Themen, die gegenwärtig forciert werden, steht alles, was mit dem öffentlichen Beschaffungswesen zu tun hat. „Wenn man alle Städte und alle Regionen Europas hernimmt und alle Verträge, die zwischen öffentlichen Körperschaften und privaten Unternehmen abgeschlossen werden, machen diese lokalen und regionalen Regierungen einen gewaltigen Anteil davon aus“, illustriert Fiorilli die enorme Bedeutung dieser Gesetzgebung.
Ein Aspekt dieser Thematik ist auch die Frage nach der Zukunft Europas, die Frage, welche EU wir wollen. Beim RGRE sieht man einen Grund für die EU-Skepsis in manchen Bevölkerungsteilen darin, dass die Menschen denken, dass Europa zu weit weg von ihrem Alltagsleben ist. „Diese Wahrnehmung ist falsch, denn drei Viertel der EU-Gesetze kommen in den Straßen Innsbrucks oder Wiens an. In Wirklichkeit ist die EU also sehr nahe, aber sie ist nicht sichtbar“, unterstreicht Fiorilli. Einen Ausweg sieht der RGRE darin, der EU einen stärkeren lokalen und regionalen Anstrich zu geben. „Wenn man den europäischen Bürgern näherkommen will, muss man zuerst den Städten und Regionen näherkommen.“
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Gleichstellung der Geschlechter. Im vergangenen Jahr wurde eine europäische Charta der Gleichstellung verabschiedet, die bei der Generalversammlung in Innsbruck präsentiert worden ist. Mittlerweile haben schon 500 Bürgermeister ihre Un¬terschrift unter dieses Dokument gesetzt.
EUROCITIES stellt in den nächsten zwei Jahren laut Nicola Vatthauer das Thema „Immigration und Migrationsprozesse“ in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Es geht um die Frage der ökonomischen Auswirkungen in den Städten – wie reagieren die Städte darauf, wie kommen sie mit der Migration klar?
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Daseinsvorsorge, die jetzt wieder auf dem Programm der EU steht. In dieser Frage soll im nächsten Jahr die Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament verstärkt werden. Schließlich wird sich EUROCITIES auch intensiv mit der Energiethematik – Energieeffizienz, Mobilitätssysteme usw. – beschäftigen. Im Oktober findet in Göteborg eine große Konferenz zu diesem Thema statt.

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