„Die Städte müssen die Strukturfonds effizient nutzen“

„Die Städte müssen die Strukturfonds effizient nutzen“

Jean Marie Beaupuy sieht in der neuen EU-Förderperiode große Chancen und Herausforderungen auf Europas Städte zukommen. Das Interview führte Tansel Terzioglu, freier Journalist in Brüssel.

 

Warum wurde die Intergroup URBAN-Housing gegründet, was sind ihre Ziele?

Jean Marie Beaupuy: Es gibt im Europäischen Parlament verschiedene Ausschüsse von der Umwelt über Regionale Angelegenheiten bis zur Landwirtschaft, usw. 80% der europäischen Bevölkerung ist in den Städten konzentriert, von der Kleinstadt bis zu Metropolen wie London, Paris, Berlin oder Wien.
Die Frage ist, ob die politischen Entscheidungen und die Budgets, die für Verkehr, Umwelt, Landwirtschaft, usw. gewidmet sind, gut für die Städte verwendet werden – insoweit, als sie in separater Weise zur Verfügung gestellt werden. Was wir wollen, ist, die verschiedenen Politiken, die für die Stadt entschieden werden, tatsächlich zusammenzufassen, und zwar in einer kohärenten und übereinstimmenden Art und Weise.

Können Sie das etwas konkreter erläutern?

Beaupuy: Nehmen wir das Beispiel eines Stadtteils. Es gibt Subventionen – europäische, nationale oder lokale – für Kinder, für Unterkünfte, für Grünflächen, für Spiele etc. Tatsächlich ist es aber immer der gleiche Bürger, der in diesem Viertel wohnt und aus diesen Subventionen einen Nutzen zieht. In einem Stadtteil muss eine Kohärenz des Ganzen gegeben sein.
Wie gehen Sie vor, um diese Kohärenz zu erreichen?
Beaupuy: Um diese Kohärenz in den verschiedenen Verordnungen zu erreichen, die wir im Europaparlament beschlossen haben, haben wir gefordert, dass die verschiedenen Projektträger in den Kommunen und Städten ein Projekt präsentieren, das die allgemeine Kohärenz berücksichtigt, um vom Geld profitieren zu können.

Wird das nicht zu kompliziert für die Antragssteller?

Beaupuy: Auf den ersten Blick mag das kompliziert erscheinen. Aber ich nenne ihnen zwei Beispiele. In meiner Straße hat man im August den Belag aufgebrochen, um die Wasserrohre zu erneuern, weil die Wassergesellschaft bereit war. Nächstes Jahr wird es die Stromgesellschaft sein und das Jahr darauf vielleicht die Telefongesellschaft. Wer bezahlt? Immer der Steuerzahler. Aber er wird vielleicht drei oder fünf Mal zahlen müssen, um die Straße aufzubrechen.
Ein anderes Beispiel, wieder in meiner Stadt. Ikea wird im Westen der Stadt 1.000 Arbeitsplätze schaffen. Wir haben beschlossen, 1.000 Unterkünfte im Osten der Stadt zu errichten. Was machen die Leute? Sie durchqueren die Stadt, das bedeutet also noch mehr Staus, mehr Verschmutzung, mehr Ausgaben, mehr Entnervung. Es stimmt schon, dass es ein biss¬chen komplizierter ist. Aber die politisch Verantwortlichen müssen, wenn sie eine Entscheidung treffen, die die Schaffung von 1.000 Arbeitsplätzen im Westen akzeptiert, wissen, ob es klug ist, alle Wohnungen im Osten zu planen oder ob es nicht etwas zu überlegen gibt.

Gilt das Gleiche auch für die europäische Ebene?

Beaupuy: Auf der europäischen Ebene machen wir keine Auflage, komplizierte Dossiers zu erstellen. Wir möchten nur, dass diejenigen, die Geld von der EU wollen, sagen, wir haben daran gedacht, in Übereinstimmung mit den anderen Akteuren zu arbeiten. Wir haben an die Konsequenzen gedacht, die das für die anderen Akteure haben könnte, wenn wir eine Investition mit europäischem Geld aufstellen. Das nennt man einen integrierten Ansatz.

Gibt es in diesem Bereich des integrierten Ansatzes schon Fortschritte zu verzeichnen?

Beaupuy: Ja, absolut. Dieser Ansatz hat schon existiert, gerade in Österreich und Deutschland mit Lothar Blatt, dem Leiter des Deutsch-Österreichischen URBAN-Netzwerks, wo es sehr schöne Erfolge gegeben hat. Da wurde innerhalb eines Stadtteils gleichzeitig der wirtschaftlichen Entwicklung, der Ent¬wick¬lung der Unterkünfte, der Grünflächen, der Schulen, der Bibliothek etc. Rechnung getragen, damit es eine Kohärenz gibt. Gerade weil das schon existiert, fordert unsere Intergroup, dass dieser Ansatz mehr und mehr systematisch wird – ohne verpflichtend zu sein.
Welche anderen Aktivitäten stehen im Vordergrund?
Beaupuy: Wir heißen Intergroup UR¬BAN-Housing. Der Wohnungsbau ist keine europäische Kompetenz. Aber Europa schaltet sich auf sektorielle Weise ein, wenn es um die Regeln bezüglich der Materialien für den Wohnungsbau geht, um die Sicherheitsnormen, um die Isolierung, um die Energieeffizienz, um die Zugänglichkeit z. B. für Behinderte. Bislang schaltete sich die EU aber nicht in die Finanzierung der Unterkünfte ein. Für die 12 neuen Mitgliedsländer gibt es jetzt aber eine kleine Subventionsmöglichkeit in Höhe von 3% für Sozialwohnungen.
Vor allem haben wir in der Intergroup die Charta der sozialen Wohnungswirtschaft ausgearbeitet. Dann ha¬ben wir im Mai dieses Jahres den Andria-Bericht über Wohnraum und Regionalpolitik verabschiedet, worin wir eine europaweite Studie fordern, um die Situation der Entwicklung des Wohnraums auf EU-Ebene besser zu kennen. Auf dieser Grundlage können dann die Staaten, die Kommunen, die für Wohnbau zuständigen Organisationen besser vorbereitete Entscheidungen treffen.

Welche Positionen vertritt die IntergroupUR¬BAN für das bevorstehende Grünbuch zum städtischen Verkehr, das Kommissar Barrot im Juli mit den Mitgliedern der Intergroup diskutiert hat?

Beaupuy: Wir wollen, dass auch bei diesem Grünbuch der integrierte Ansatz auf der Ebene der Städte und des städtischen Umlandes berücksichtigt wird, damit alle Personen, die sich fortbewegen müssen, wirklich angepasste Transportsysteme haben können. Das heißt nicht nur Autos, sondern auch öffentliche Verkehrsmittel, Fahrräder oder Fußgänger. Wir möchten aber auch, dass die anderen Faktoren wie die städtische Entwicklung und die verschiedenen Lebensweisen Berücksichtigung finden. Wenn man nämlich Fahrzeuge haben will, die 5 oder 10% weniger Energie verbrauchen, und z. B. gleichzeitig neue Unterkünfte abseits der Stadt schafft, die zahlreiche Fahrten notwendig machen, dann verursacht man zusätzliche Treibstoffkosten, Umweltverschmutzung, Zeitverluste usw.

In der neuen Finanzperiode seit 2007 ist die integrierte Stadtentwicklung Teil der allgemeinen europäischen Strukturfondsprogramme. Was bedeutet das konkret?

Beaupuy: In den Strukturfonds sind insgesamt rund 308 Milliarden Euro budgetiert, davon sind rund 10% direkt für die Städte vorgesehen. Es gibt aber zusätzlich zu diesen 10% auch einen indirekten Anteil, der je nach Stadt an Verkehr, Unterkünfte oder Soziales gebunden ist. Und über die Strukturfondsmittel hinaus können die Städte auch andere Budgets und Fonds wie etwa für Forschung oder für Verkehr in Anspruch nehmen.

Welchen Ratschlag können Sie den Städten geben, damit diese die Fonds optimal ausschöpfen können?

Beaupuy: Es muss in den Städten wirklich ein koordiniertes Vorgehen geben zwischen den verschiedenen Akteuren wie Stadtverwaltung, Universität, Unternehmen und anderen. Wenn die Städ¬te die für sie bestimmten Strukturfonds nicht effizient nutzen, werden wir alles verlieren. Das ist eine wirkliche Gefahr.
Danke für das Gespräch.

OEGZ

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