Gesundheitsdienstleistungen in der EU – der nicht funktionierende Markt

Gesundheitsdienstleistungen in der EU – der nicht funktionierende Markt

Bis Ende 2007 ist ein Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission für die zukünftigen Gesundheitsdienste zu erwarten. Wie schon im Artikel von Christoph Parak erwähnt, unterscheidet die Kommission vier verschiedene Arten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.

 

In diesem Beitrag soll die Problematik der individuellen Inanspruchnahme einer Dienst¬leistung im Ausland – also die klassische Patientenmobilität – kritisch betrachtet und kommentiert werden.
Einige einleitende Worte zur Grundproblematik:
Einerseits wird von der Kommission ein „gleicher, erschwinglicher und rechtzeitiger Zugang zur medizinischen Versorgung gemäß den Grundsätzen der Universalität, der Qualität, der Sicherheit, der Kontinuität und der Solidarität“ verlangt und „Sicherstellung der nachhaltigen Finanzierbarkeit“ gefordert. Andererseits wird gefordert, „dass die Patienten das uneingeschränkte Recht haben, in jedwedem Mitgliedstaat nach medizinischer Versorgung zu suchen“.
Dies ist ein Widerspruch!
Da das Gesundheitswesen nicht markttauglich ist und es daher nicht zu einer ökonomischen Allokation der Ressourcen kommt (siehe Kasten unten), wird das Gesundheitswesen insgesamt teurer und man untergräbt damit die Forderung nach nachhaltiger Finanzierung und freiem Zugang für alle.
Einige Daten sollen das oben Erwähnte und unter Gesundheitsökonomen Unbestrittene darlegen.

Gesundheitsmarkt nicht über Patienten steuern
Ein Vergleich der Gesundheitsausgaben pro Kopf mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ergibt in den westlichen Industriestaaten eine deutliche Korrelation von 90%. Reiche Länder geben also entsprechend viel Geld für das Gesundheitswesen aus. Vergleicht man jedoch das BIP pro Kopf mit der Lebenserwartung der Menschen, so sinkt die Korrelation auf 60%. Hohe Investitionen ins Gesundheitssystem erhöhen die Lebenserwartung der Menschen also nicht entsprechend. Diese Ineffizienz veranschaulicht das Beispiel USA:
Im Jahr 2002 betrugen die Gesundheitsausgaben in den USA pro Kopf 5.267 $. Kanada gab im selben Zeitraum pro Kopf 2.931 $ aus. Dennoch haben die USA eine geringere Lebenserwartung und höhere Säuglingssterblichkeit als Kanada.
Der Markt funktioniert eben nur optimal, wenn unter anderem symmetrische Information zwischen Anbieter und Nachfrager vorhanden ist.

Asymmetrische Information
Im Gesundheitswesen herrscht aber zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ein asymmetrisches Informationsverhältnis. So werden die eigentlichen Auftragnehmer, die Ärzte, durch ihren Informationsvorsprung, was das Angebot der Behandlung betrifft, zu Auftraggebern.
Auch zwischen Spital und Ärzten gibt es kein symmetrisches Verhältnis. Als Auftragnehmer des Krankenhauses trifft die Ärztin/der Arzt die Auswahl an diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Weder für den Krankenhausträger noch für die Patienten sind diese Auswahlmöglichkeiten direkt beeinflussbar. Das Ergebnis der Behandlung ist komplex und unsicher. Es gibt kein 1:1-Verhältnis zwischen Behandlung (Input) und Gesundheitszustand (Output) nach marktwirtschaftlichen Gesetzen.
Asymmetrische Information herrscht letzt¬endlich auch zwischen Versicherung und Versichertem, weil auch hier keine Ausgewogenheit zwischen der Leistung der Versicherung (Input) und dem Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten (Output) zu erwarten ist.

Angebotsinduzierte Nachfrage im Gesundheitswesen ein Faktum
Beachtenswert ist die Tatsache der angebotsinduzierten Nachfrage im Gesundheitswesen. Vergleichende Studien in den USA zeigen, dass die Operationsfrequenz von Mandeloperationen (Tonsillektomien) vor allem von der Anzahl der zur Verfügung stehenden HNO-Ärztinnen und -Ärzte und HNO-Betten bestimmt wird. Der Markt ermöglicht eben nur unter bestimmten Bedingungen eine perfekte Allokation der Ressourcen.
Letztendlich zeichnet sich das Gesundheitswesen durch sehr hohe Arbeitsintensität (ca. 70% Personalkosten) aus. Es gibt keine 1:1-Relation zwischen Input von Arbeitskraft und Output von Gesundheitsleistung, die Gesundheitsarbeit ist somit nicht markttauglich.

Selbstbehalte nicht zielführend
Will man planerisch in den nicht funktionierenden Gesundheitsmarkt eingreifen, so muss dies über die Angebotsseite passieren, weil die Nachfrage unelastisch ist und ein asymmetrisches Informationsverhältnis herrscht, weswegen auch Selbstbehalte nicht zielführend sind. Das finanzielle Risiko muss zum Anbieter gebracht sowie Quantität und Qualität der Leistung vorgegeben werden.
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass es zu einer Verteuerung des Gesundheitswesens kommen muss, wenn der Gesundheitsmarkt über den Patienten forciert wird.
Da schon jetzt die finanziellen Ressourcen bei den unbegrenzten Möglichkeiten der Medizin sehr knapp sind, kann es nur zu einem vermehrten Engpass in der Finanzierung kommen. Damit sind die Nachhaltigkeit der Finanzierung des Gesundheitswesens und der freie Zugang für alle Menschen in diesem Europa nicht mehr gesichert.

OEGZ

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