Was kostet Nichtintegration? Ökonomische Aspekte

Was kostet Nichtintegration? Ökonomische Aspekte

16,3% der österreichischen Bevölkerung weisen einen Migrationshintergrund auf. Integrative Maßnahmen sind nicht nur aus sozialer Sicht unumgänglich, sie weisen auch eine ökonomische Rentabilität auf. Die unzureichende Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials sowie die fiskalischen Belastungen durch mangelnde Einbindung von Personen mit Migrationshintergrund in das Erwerbsleben verursachen volkswirtschaftliche Kosten.

 

Die erfolgreiche Unternehmerfamilie H. aus Salzburg fördert ihre schulpflichtigen Kinder so, wie es im Idealfall der österreichische Staat leisten sollte: die chinesischstämmigen Eltern beschlossen vor zwei Jahren, mit ihren Kindern für die nächsten fünf Jahre wieder in die Heimat zurück¬zukehren. Grund: Die österreichischen Staatsbürger fanden vor Ort keine Möglichkeit, ihren beiden Kinder eine bikulturelle Ausbildung samt Muttersprachenunterricht in Wort und Schrift angedeihen zu lassen, um ihnen eine erfolgreiche Zukunft mit – und nicht zwischen – zwei Kulturen zu ermöglichen. In den Ferien kehren sie stets nach Salzburg zurück, um hier ihre Deutschkenntnisse zu perfektionieren und den Kontakt zu ihrem sozialen Umfeld in Salzburg aufrechtzuerhalten. Wenn beide Kinder das Mittelschulalter erreicht haben, möchte die Familie wieder nach Österreich zurückkehren. Dann eröffnen sich für die Kinder, so die Hoffnung der Eltern, bestmögliche Zukunftschancen in zwei Sprachen und zwei Kulturen.

Große „Minderheit“
Damit reagierte Familie H. auf die Lücken der österreichischen Bildungslandschaft. Österreich hat es bisher in vielen Bereichen verabsäumt, das enorme Potenzial seiner Zuwanderer zu erkennen und positiv für die heimische Wirtschaft nutzbar zu machen. Über 1,35 Millionen Österreicher mit Migrationshintergrund, somit 16,3% der Bevölkerung, stellen dieses Potenzial dar.
Im Gegensatz zu deklarierten Einwanderungsländern wie den Vereinigten Staaten oder Australien, welche bereits seit einiger Zeit eine stärkere Steuerung der Zuwanderung nach arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten verfolgen, trifft dies auf den deutschsprachigen Raum kaum zu. In den 1960er und 1970er Jahren warb Österreich Zuwanderer insbesondere aus Italien, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien als sogenannte „Gastarbeiter“ – vornehmlich für Zu- und Hilfsarbeitertätigkeiten – an. Als ab den 1970er Jahren im Zuge der Familienzusammenführungen die Angehörigen der Gastarbeiter nach Österreich folgten, verschärfte sich die Tendenz, dass der Großteil der Personen mit Migrationshintergrund über mangelnde fachliche oder berufliche Qualifikationen verfügte. Noch heute ist die Wahrscheinlichkeit der Niedrigqualifikation für Kinder und Kindeskinder der wenig qualifizierten Gastarbeiter der 1960er und 1970er Jahre deutlich höher als jener der ansässigen Bevölkerung.
Zu diesem strukturellen Problem gesellt sich ein bildungspolitisches: Jahrzehntelang ignorierte das Schulsystem die steigende Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund. Die deutsche Migrations- und Erziehungswissenschafterin Ursula Boos-Nünning erwartet auf Sicht von zehn Jahren in Großstädten ab 100.000 Einwohner einen Anteil nicht-deutschsprachiger Schü¬ler in Pflichtschulen von 60%. Dies stellt dramatische Anforderungen an ein bis dato monokulturelles Bildungssystem mit ebensolchen Lehrplänen und Lehrpersonal.

¬Bildungssystem
Daten aus Deutschland1 belegen, dass jene Migrantenkinder, welche den Kindergarten besuchten, im Schnitt dreimal öfter das Gymnasium wählten als solche ohne Kindergartenteilnahme. Damit lag diese Gruppe jedoch noch immer knapp hinter einheimischen Kindern ohne Kindergartenbesuch. Vorschulische Integrationsmaßnahmen wirken am effektivsten und kosten vergleichsweise weniger als zeitlich nachgelagerte Schritte. Die Integrationswirkungen von Kinderbetreuungseinrichtungen entfalten sich jedoch auch auf die Eltern von familienextern betreuten Kindern, da sie eher Zeit für die Beteiligung am Erwerbsleben finden, wodurch sich erhöhte Steuer- bzw. Sozialversicherungseinnahmen bzw. geringere Transferausgaben der öffentlichen Haushalte ergeben.
Der ökonomische Strukturwandel zuguns¬ten anspruchsvoller humankapitalintensiver Branchen stellt in den westlichen Industriestaaten auch künftig steigende Anforderungen an die Qualifikation. Die Schule als Ort der Vermittlung von Wissen, Normen und sozialen Kompetenzen gewinnt daher stetig an Bedeutung. Umso beunruhigender ist es, dass die Schulbesuchsquote von Ausländern zwischen 15 und 20 Jahren mit knapp über 60% deutlich niedriger ist als jene der einheimischen Vergleichsgruppe (über 90%). Während ein Großteil der Kinder mit Migrationshintergrund nach der Volksschule die Hauptschule besucht, werden von österreichischen Kindern die Gymnasien stärker frequentiert. Noch drastischer zeigt eine Relationszahl das Ungleichgewicht: Im Schuljahr 2001/02 verhielt sich die Anzahl türkischer Kinder an Sonderschulen und allgemeinbildenden höheren Schulen 60:40, bei österreichischen Kindern hingegen 6:94.

Einwanderungsland Österreich
In unserem gesellschaftlichen System wurde bis dato beharrlich ignoriert, dass die ehemaligen Gastarbeiter mit ihren Familien in Österreich ihre Heimat gefunden haben. Da es kein offizielles politisches Eingeständnis dafür gibt, dass Österreich ein Einwanderungsland ist, fehlt eine gezielte Steuerung der Zuwanderungspolitik. Derzeit bestehen nur drei legale Möglichkeiten, sich in Österreich niederzulassen: Schlüsselarbeitskräfte, Familienzusammenführung und Asyl. Möchte etwa ein qualifizierter ukrainischer Schweißer, nach dem die österreichische Wirtschaft nach breiten medialen Meldungen größten Bedarf hätte, eine dauerhafte Beschäftigung in Österreich aufnehmen, so bleibt ihm das bis dato verwehrt. Denn als Schlüsselarbeitskraft müsste er ein höheres Entgelt nachweisen und als Asylwerber darf er grundsätzlich nicht arbeiten.
Auch das vorhandene Arbeitskräftepotenzial von Personen mit Migrationshintergrund wird nur unzureichend ausgeschöpft. Gemäß der SOPEMI-Studie 2007 der OECD sind im Durchschnitt beinahe 50% der qualifizierten Zuwanderinnen und Zuwanderer nicht erwerbstätig, arbeitslos oder üben einen Beruf aus, für den sie überqualifiziert sind. Während in der gesellschaftlichen Mentalität Österreichs mitunter noch Verständnis dafür zu finden ist, dass sich diese Personengruppe mit den Residualgrößen am Arbeitsmarkt zufriedenstellen müsse, wird dabei das enorme brachliegende wirtschaftliche Potenzial übersehen. So ergaben Studien im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung, dass ein Anstieg der EU-Beschäftigung um 1% im Falle von hoch Qualifizierten in einem Wachstum des BSP von 0,75% resultiert, im Falle von Arbeitern immerhin von 0,64%.
Transkulturalität, internationale Netzwerke sowie Mehrsprachigkeit sind wesentliche Voraussetzungen für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg eines Landes. Interessant wäre ein fundiertes Zahlenmaterial darüber, wie viel Wirtschaftskraft die heimische Wirtschaft dadurch jährlich nicht realisiert, dass es nicht gelingt, neue Märkte mit Hilfe des Potenzials von Personen mit ausländischem Kulturhintergrund auf- bzw. auszubauen.

Kosten der Nichtintegration
Durch die mangelnde Integration von Personen mit Migrationshintergrund entgehen der österreichischen Wirtschaft Marktchancen und dem österreichischen Fiskus Abgabeneinnahmen bzw. Ausgabeneinsparungen. Diese werden hier als Kosten der Nichtintegration bezeichnet. Rechnet man Studienergebnisse aus Deutschland auf österreichische Verhältnisse um, so ergeben sich folgende Approximationen.
Die durch die Nichtintegration von Zuwanderinnen und Zuwanderern in Österreich nicht realisierte Wertschöpfung müsste nach dem Ansatz von Loeffelholz (2002) etwa bei 0,9% bis 1,9% des BIP liegen. Für Österreich bedeutet dies, dass auf einen Wohlstandsgewinn (im Sinne des „Harberger Dreiecks“) von rund 2,5 bis 5 Milliarden Euro verzichtet wird. Diesem Ansatz liegen – stark vereinfacht – Untersuchungsergebnisse zugrunde, wonach die in den Arbeitsmarkt Integrierten zusätzliche Wertschöpfung generieren und sich für einen Teil der Bevölkerung neue, komplementäre Jobmöglichkeiten bieten. Zwar werden dadurch mitunter auch bestehende Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt verdrängt; diese können jedoch durch Umschulungsmaßnahmen in neue Nischen vordringen. So konnte etwa für Spanien nachgewiesen werden, dass eine Zunahme des Zuwandererbestandes um 10% eine Ausweitung der spanischen Exporte um 2,3% und damit einhergehend auch eine Zunahme der Beschäftigung zeitigte.
Ein anderer Zugang mit ähnlichen Ergebnissen vergleicht den Anteil der ausländischen Bevölkerung mit dem Anteil am BIP, der von dieser Personengruppe erwirtschaftet wird. Legt man näherungsweise die deutschen Resultate zugrunde, so werden vom Bevölkerungsanteil mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft (ca. 10%) nur knapp über 5% des BIP erwirtschaftet. Durch bessere Integration in das Bildungssystem und folglich in den Arbeitsmarkt könnte der Anteil am BIP um 2,7 bis 5,4 Milliarden Euro steigen. Diese stellen hier die Kosten der Nicht-Integration dar.
Die dadurch dem Staat entfallenden Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen wä¬ren somit rund 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro. Unter der Annahme, dass der Staat für integrative Maßnahmen rund zwei Drittel davon aufwendet – worauf Studien hinweisen –, bliebe dem Staat noch immer ein „Gewinn“ von geschätzten 0,5 bis 0,8 Milliarden Euro. Diese entgangenen Einnahmen sind somit die fiskalischen Kosten der Nichtintegration. Diese Berechnungen stellen nur auf ausländische Zugewanderte ab, somit würden diese Kosten für alle Personen mit Migrationshintergrund deutlich höher ausfallen.
Die Fiskalbilanz von Zuwanderern, also die Gegenüberstellung ihrer Steuerleistungen und Sozialversicherungsbeiträge einerseits und beanspruchten staatlichen Leistungen andererseits, war in der Vergangenheit Thema öffentlicher Kontroversen. Für die Schweiz konnte nachgewiesen werden, dass der Nettotransfersaldo der Haushalte mit ausländischem Haushaltsvorstand zugunsten der Gesamtbevölkerung positiv ist. Deutsche Studien konnten differenzierter aufzeigen, dass Zuwanderer mit einer Aufenthaltsdauer unter 10 Jahren eine negative, hingegen Personen mit längerem Aufenthalt eine positive Fiskalbilanz aufwiesen. Für das Jahr 2001 lag die Differenz in der Fiskalbilanz zwischen Personen mit Aufenthaltsdauer unter 10 Jahren und solchen über 25 Jahren bei rund 3.100 Euro. Daran zeigt sich, dass Personen mit längerer Aufenthaltsdauer und somit ausgedehnter Integrationshistorie deutlich positive fiskalische Beiträge leisten.

Integrationsträger Gemeinden
Integration darf jedoch nicht nur ein Phänomen des Zeitablaufes darstellen, sondern kann durch gezielte Maßnahmen massiv beschleunigt werden. Zahlreiche Kommunen haben diese Problemlage bereits erkannt und Maßnahmenpakete geschnürt.
So hat etwa die Stadt Salzburg im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits begonnen, im Bildungsbereich wichtige Schritte zu setzen. Österreichweit erstmalig startete im Herbst 2007 das Projekt „Rucksackeltern“ in Kooperation mit der RAA, der Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (NRW). Neben den schon in anderen Gemeinden erfolgreichen „Mama lernt Deutsch“-Kursen (Mütter lernen an den Volksschulen ihrer Kinder Deutsch und haben dadurch intensiven Kontakt mit den Bildungseinrichtungen ihrer Kinder) initiierte die Stadt Salzburg einen Deutschkurs für Imame. Die islamischen Seelsorger fungieren somit als Multiplikatoren und motivieren ihre Gemeindemitglieder zum Besuch von Deutschkursen.
Da die Städte und Gemeinden nur innerhalb ihrer finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten agieren können, sind nunmehr die Länder und der Bund gefordert, dem Thema Integration den entsprechenden gesellschafts-, bildungs- und kulturpolitischen Stellenwert einzuräumen und die notwendigen budgetären Mittel einzuräumen. Auf Dauer kann es sich Österreich als Wohlstands- und Wissensgesellschaft nicht leisten, auf das wirtschaftliche Potenzial von über 1,35 Millionen Menschen zu verzichten.

OEGZ

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