Integration gelingt

Integration gelingt

Das Thema Integration wird in der öffentlichen Diskussion meist mit Schwierigkeiten und Problemen assoziiert, oft ist von „gescheiterter“ und nur selten von „gelungener“ Integration die Rede. Kein Zweifel – die Gestaltung von Einwanderung und Integration ist eine Herausforderung, und es gibt auch immer wieder Probleme und Schwierigkeiten, doch ein einseitiges Starren auf die Probleme übersieht, dass Integration in Österreich schon seit Jahrzehnten erfolgreich geschieht und tagtäglich gelebt wird.

 

Die Demografie spricht eine klare Sprache: Gemäß einer aktuellen Veröffentlichung der Statistik Austria kamen 14,9% der österreichischen Wohnbevölkerung, also etwa rund 1.240.000 Menschen, im Ausland zur Welt, rund 122.000 Menschen wurden in Österreich als Kinder ausländischer Eltern geboren („2. Generation“). Dazu kommt noch eine datenmäßig nicht genau erfasste Gruppe von in Österreich geborenen Kindern eingebürgerter Zuwanderer. Wien ist das unbestrittene Zentrum der Zuwanderung: Rund 486.000 Wienerinnen und Wiener, etwa 29,2% der Bevölkerung, kamen im Ausland zur Welt, jedes zweite in den letzten Jahren geborene Kind hat Eltern mit Migrationshintergrund. Wäre die Integration gescheitert, wie es immer wieder durch die Medien tönt, würde Wien kaum seit vielen Jahren in den verschiedensten Rankings der Lebensqualität von Großstädten Spitzenplätze belegen. Es gilt also auch hier, die Kirche im Dorf zu lassen und nicht so zu tun, als wäre etwa jede/r Sechste „nicht integriert“.

Containerbegriff Integration
Diese überzeichnete Fehlwahrnehmung hat mehrere Ursachen: Ein zentraler Grund ist der Mangel an Sachlichkeit in der Debatte und die Nutzung des Themas zur politischen Profilierung. Eng damit verbunden ist der zweite Grund: Beim Begriff „Integration“ handelt es sich um einen sogenannten „Containerbegriff“, in den man alles Mögliche und Unmögliche hineinpacken und auch herausziehen kann. Politisch umfasst der Begriff eine Bandbreite von „Assimilation“ bis „Multikulturalismus“, und auch in der Sozialwissenschaft gibt es zwar Elemente eines gemeinsamen Verständnisses, aber keinen Konsens über die exakten Grenzen des Begriffs. Empirisch betrachtet, ist der Begriff vor allem durch die Politik des betreffenden Landes geprägt: Während in Großbritannien Antidiskriminierung ein wesentlicher Bestandteil des Integrationsbegriffs ist, dominiert in den deutschsprachigen Ländern der Fokus auf dem Spracherwerb, in Frankreich auf der Laizität, und in Kanada der Multikulturalismus. Die Europäische Union hat 2005 mit der Vorlage einer Mitteilung zu einer „Gemeinsamen Integrationsagenda“ einen EU-Definitionsversuch vorgelegt, der – nicht immer glücklich – Elemente der verschiedenen nationalstaatlichen Traditionen verbindet. Ob sich daraus in Zukunft ein gemeinsames europäisches Integrationsverständnis entwickeln wird, steht noch in den (europäischen) Sternen.
Besonders in Österreich wird „Integration“ meist auf individueller und nicht auf gesellschaftlicher Ebene diskutiert. Man spricht über „integrierte Ausländer“, nicht über eine integrierte Gesellschaft. Damit wird das Thema Integration in die Alleinverantwortung der Zuwanderer geschoben, die „Eingeborenen“ scheinen davon nicht betroffen zu sein. Die sozialwissenschaftliche Verwendung fokussiert hingegen auf den Gesellschaftsbezug und misst z. B. strukturelle Integration daran, inwieweit Angehörige einer bestimmten Gruppe im Statussystem einer Gesellschaft positioniert sind. Erreicht eine Gruppe im Schnitt z. B. eine ähnliche Berufs- oder Einkommensposition wie die Mehrheitsbevölkerung oder besucht ein ähnlich hoher Anteil ihrer Kinder höhere Schulen und Universitäten, gilt sie als strukturell integriert. Bleibt eine Gruppe hingegen zurück, ist dies ein Indiz für eine Problemlage, deren Ursachen erst zu erforschen sind und nur selten auf der Hand liegen. Im Alltag heißt „Integration“ jedoch meist „Anpassung“ auf der Verhaltensebene und interessiert sich selten für strukturelle Fragen, als „nicht integriert“ gilt, wer auffällt. Der wissenschaftliche und der Alltagsdiskurs reden daher oft aneinander vorbei.

Den Eingewanderten geht es besser, als die Daten über Ausländer es zeigen
Und auch die bis dato übliche Form der statistischen Darstellung trägt zur Fehleinschätzung bei: Da inzwischen ein großer Teil der Eingewanderten eingebürgert ist, sagen die auf Basis der Staatsbürgerschaft erhobenen „Ausländerdaten“ immer weniger aus. Zudem verführt das staatsbürgerschaftszentrierte Denken zur Fehlannahme, dass Einbürgerung das Ende des Integrationsprozesses sei, Integrationspolitik für Eingebürgerte daher irrelevant und nicht nötig wäre. Dies ist in doppelter Hinsicht falsch: Einerseits ändert die Einbürgerung wenig an der Wahrnehmung vieler „Eingeborenen“, für die im Ausland Geborene unabhängig vom Pass immer „Ausländer“ bleiben; und andererseits wissen wir aus der Migrationsforschung, dass der Migrationshintergrund – also die Abstammung aus einer Einwanderungsfamilie – bis zumindest in die dritte Generation Auswirkungen hat – wie stark diese sind und welche Richtung sie haben, hängt sowohl vom mitgebrachten wirtschaftlichen und Bildungskapital ab wie von den rechtlichen Integrationsbedingungen.
Die „Ausländerdaten“ zeichnen aber auch ein falsches und häufig zu negatives Bild der Integrationskraft unserer Gesellschaft: Einbürgern lassen können sich also vor allem jene, die einen gewissen sozialen Aufstieg geschafft haben. Mit der Einbürgerung verschwinden sie aber aus den Ausländerdatensätzen, darin bleiben überwiegend jene, die sozial noch nicht aufgestiegen sind. Vor allem sozialstatistische Daten sind jedoch oft nur auf der Basis der Staatsangehörigkeit verfügbar. Wie deutlich diese Unterschiede allein auf demografischer Ebene sind, zeigt die Gegenüberstellung der Daten über ausländische Staatsangehörige und im Ausland Geborene (=Migranten) für Österreich. Österreich hatte zuletzt einen Migrantenanteil von 14,90% und einen Ausländeranteil von 9,85%. Alle auf die Staatsbürgerschaft bezogenen Daten ignorieren also gut ein Drittel der Einwanderungsbevölkerung, und dies führt zu unkontrollierbaren Verzerrungen. Dieses Datenproblem trägt massiv dazu bei, dass wir gelungene Integration übersehen und unterschätzen und Migration in der Öffentlichkeit noch immer fast nur unter einem Defizitansatz gesehen wird. Überspitzt: den Einwanderern geht es besser, als die Daten über die Ausländer vermuten lassen.
In Bezug auf die soziale Lage ist die Einbürgerung meist ein Zwischenschritt der Integration. Der Median des Haushaltsnettoeinkommens lag 2005 für Haushalte von „gebürtigen“ Österreichern bei 18.316 Euro bei Eingebürgerten bei 15.811 Euro und bei Nicht-Unionsbürgern bei 13.309 Euro (Statistik Austria 2005, 101).

Komplexe Integrationsrealität
Nicht alle Gruppen haben also in sozioökonomischer Hinsicht die gleichen Integrationschancen und -erfolge; die Ursachen dafür sind vielfältig und liegen einerseits in den hier vorgefundenen institutionellen Strukturen, besonders dem Bildungssystem, aber auch im Bildungssystem des Herkunftslandes, der regionalen Herkunft und dem mitgebrachten Bildungs- und kulturellem Kapital. So war z. B. die türkische Zuwanderung nach Österreich deutlich stärker eine Zuwanderung aus dem anatolischen Dorf ohne Zwischenstation in einer türkischen Stadt und umfasste vor allem Menschen ohne oder mit maximal türkischer Pflichtschulbildung, die besser gebildeten und bereits urbanisierten türkischen Arbeiter gingen nach Deutschland, nach Schweden, in die Niederlande oder nach Frankreich. Dort fanden sie in der Großindustrie Arbeit, während sie in Österreich vor allem im Baugewerbe, der Tourismuswirtschaft und in der gewerblichen Produktion landeten und dort deutlich weniger Aufstiegsmöglichkeiten vorfanden. Diese Herkunftsgeschichte spiegelt sich dann auch oft in den Bildungsverläufen der Kinder wider – wo das Haushaltseinkommen niedrig ist, ist der Druck auf die Kinder, schnell in den Arbeitsmarkt zu wechseln, besonders hoch, und höhere Bildung wird oft niedriger bewertet als in Familien, in denen die Eltern selbst über gute Bildungsabschlüsse verfügen.
Die hinter „den Ausländern“, „den Migranten“, „den Zuwanderern“, „den Eingebürgerten“ stehende Realität ist also deutlich komplexer und differenzierter, als es der Integrationsdiskurs gemeinhin vermuten lässt – genauso wenig wie es „die Österreicherin/den Österreicher“, die Tirolerin/den Tiroler oder die Kärntnerin/ den Kärntner gibt, gibt es die Ausländerin/ den Ausländer, Migrantin/Migranten etc. Insbesondere taugt der Ausländerbegriff nicht viel, um die Migrationsrealität zu verstehen – lösungsorientierte Politik muss vielmehr die Differenzierung der Integrationssituation zur Kenntnis nehmen und wissen, dass der Migrationshintergrund in unterschiedlichem Ausmaß eine Rolle für die Lebenssituation spielen kann.

Integration als politische Gestaltungsaufgabe
So viel zur Demografie. Was hat das Ganze mit Kommunalpolitik zu tun, und welche Herausforderungen stellen sich für Städte und Gemeinden?
Integration ist zuvorderst eine politisch zu gestaltende Aufgabe, ebenso wie etwa ¬öffentlicher Verkehr, Gesundheit oder Wohn¬bau. Es gibt weder einen Grund für Hysterie noch einen für Problemverleugnung. Ebenso wie sich jede Stadt über ihre Ziele im Bereich der Verkehrs-, Gesundheits- oder Bildungspolitik klar werden muss, bevor sie Maßnahmen entwickeln kann, müssen sich die Städte und Gemeinden über die Ziele ihrer Integrationspolitik klar werden – anders gesagt, sie müssen eine Situationsdiagnose erstellen und ein Integrationskonzept entwickeln, am besten unter Einbeziehung der wesentlichen „Stakeholder“. Wo liegen die Stärken und Schwächen in der bisherigen Integrationsgeschichte, welches Potenzial und welche Probleme gibt es, was sind die Ziele der Integrationspolitik für die nächsten Jahre und wie können sie erreicht werden? – Diese Fragen bilden den Rahmen für einen Leitbildprozess, der, ähnlich wie andere Leitbildprozesse, organisatorisch professionell aufbereitet und abgewickelt werden muss. Sowohl auf kommunaler wie auf Landesebene gibt es bereits gute Beispiele dieser Leitbildprozesse, so z. B. in Dornbirn oder Krems, oder auf Landesebene in Tirol bzw. Oberösterreich. Wichtig bei der Leitbildentwicklung ist nicht nur das Ergebnis im Sinne einer Festlegung und eines operativen Programms, sondern auch der Dialogprozess selbst, der im besten Fall zu einer gemeinsamen Sprache und Verpflichtung aller Akteure und Stakeholder führt und damit ein politisches Kleingeldwechseln zumindest erschwert.

Integration ist Chefsache
Integrationsaufgaben sind Querschnittsaufgaben, die viele Themen betreffen. Als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe benötigt das Thema eine ähnliche institutionelle Anbindung wie andere Querschnittsressorts auf hoher hierarchischer Ebene – Integration ist, ähnlich wie die Finanzpolitik, eine Chefsache. Wie in anderen Bereichen, die eng mit der Zivilgesellschaft verknüpft sind, ist allerdings auch hier eine intensive Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen und der Aufbau von entsprechenden Netzwerken sinnvoll und nötig, denn ohne Einbindung und Engagement der Bürgergesellschaft ist Integration nicht möglich. Dazu gehört auch die Mobilisierung von langansässigen Einwanderern als Multiplikatoren und Mentoren und die kluge Mobilisierung bürgerschaftlicher Freiwilligenarbeit, etwa indem bestehende Vereine bewusst Migranten zur Mitarbeit einladen.

Integration bedeutet Qualitätsmanagement
Städte und Kommunen sind große Dienstleistungsanbieter. Integration heißt in diesem Zusammenhang vor allem Qualitätsmanagement: In einer vielfältigen Gesellschaft reicht es nicht aus, standardisierte Dienstleistungen für alle anzubieten, sondern es benötigt eine mit den Kunden gemeinsam entwickelte Dienstleistungsdifferenzierung. Dies kann nur gelingen, wenn Beteiligung und Anerkennung zu den Leitprinzipien der Verwaltung werden und alle relevanten Nutzer in die Qualitätssicherung eingebunden werden. Dienstleistungsdifferenzierung ist vor allem dort notwendig, wo bisherige Standards nicht kulturneutral waren, und dies betrifft vor allem den Bereich religiöser Lebensvorschriften, z. B. bei Ernährungsangeboten in Institutionen. Zur Qualitätssicherung zählt etwa, dass in einer Stadt mit einer großen Zahl von Muslimen Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser in der Gestaltung ihrer Menüfolgen auf religiöse Ernährungsvorschriften Rücksicht nehmen sollten – geschieht dies nicht, werden die betroffenen Kinder in einen Konflikt zwischen Schule und Elternhaus gestoßen, der nur schadet: Koschere Ernährung oder Ernährung, die muslimischen Ernährungsvorschriften folgt, ist ernährungsphysiologisch genauso wertvoll wie die traditionelle Küche, es gibt daher keinen Grund dafür, diese kulturelle Differenz nicht zu achten und ein entsprechendes Angebot zu entwickeln. Wie das konkret gehandhabt wird, muss vor Ort entschieden werden, wichtig dabei ist jedoch, dass dieses Angebot als zusätzliche Option und nicht auf Kosten des Bestehenden geht.
Ebenso gilt es, klare Grenzen zu setzen, wo der Anspruch auf Rücksichtnahme gegenüber religiösen Vorschriften qualitätsmindernd wirkt. Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn den Wünschen nachgegeben würde, Mädchen nicht am Turnunterricht teilnehmen zu lassen, was für die betroffenen Mädchen einen Verlust an Unterrichtsqualität mit sich bringen würde. Angesichts der strukturell schwächeren Position von Kindern ist es hier Aufgabe der Kommune, die gleiche Unterrichtsqualität für alle Kinder zu sichern und derartige Wünsche nicht zu akzeptieren. Eine derartige Entscheidung braucht jedoch, um respektiert zu werden, Erklärung: Auch die Kommunikation über die Grenzen der interkulturellen Adaption der Institutionen fällt leichter und wird eher akzeptiert, wenn sie auf eine Tradition des Dialogs und der Einbindung aufbauen kann.

Soziokulturelle Vielfalt erhöht das kulturelle Kapital
Der kommunale Verwaltungsapparat ist nicht nur ein großer Arbeitgeber, sondern auch ein Symbol kommunaler Autonomie. Mit der Rekrutierung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund holt eine Verwaltung nicht nur kulturelle Kompetenz ins Haus, sondern setzt auch ein klares Zeichen für Gleichberechtigung und Normalität.
Es gibt zudem nichts, dass die Normalität soziokultureller Vielfalt besser zeigt als Polizisten, Beamte oder städtische bzw. kommunale Auftragnehmer mit Migrationshintergrund. Viele Städte und Kommunen, die diesen Weg gegangen sind, berichten nicht nur über gestiegene Kundenzufriedenheit, sondern sehen ihre Rekrutierungspraxis auch als Teil der Entwicklung eines offeneren und moderneren Images. Andererseits ist es auch nötig, die bestehende Belegschaft zum Thema Migration und Integration zu schulen und diese Schulung in die normalen Weiterbildungsprogramme zu inkludieren.
Last, but not least erfordert Integration, dass alle Bewohner ihre Anliegen in den politischen Prozess einbringen können. Die gemischten Erfahrungen mit den „Ausländerbeiräten“ in den 1990er Jahren verschoben in der letzten Zeit den Fokus vor allem auf themenzentrierte Beiräte – etwa zu Wohnbau, Gesundheit oder Bildung. In diesen Beiräten sind alle relevanten Akteure auf Basis von Qualifikation und Betroffenheit vertreten, die Teilhabe von Zugewanderten wird am besten durch die Einbindung von Fachleuten mit Migrationshintergrund gesichert. In diesen Beiräten haben Städte und Gemeinden wertvolle Praxiswerkstätten zur Erarbeitung maßgeschneiderter lokaler Integrationsmodelle.

Abschließend
Integration ist eine Herausforderung für Städte und Gemeinden, jedoch keine Überforderung. Einwanderer sind ein Teil der Stadtgesellschaft und sie werden es auf Dauer bleiben. Die homogene Stadt oder Gemeinde der 1950er Jahre kehrt nicht wieder und soll auch nicht wiederkehren. Wie jedes andere Politikfeld muss auch Integrationspolitik proaktiv gestaltet werden und zu pragmatischen Lösungen finden, die die Betroffenen überzeugen und von ihnen mitgetragen werden, ohne sich populistisch am Wirtshaustisch zu orientieren. Die österreichischen Städte und Gemeinden haben in den letzten Jahrzehnten bereits große Integrationsleistungen erbracht, und mit entsprechendem politischen Willen und pragmatischer Fantasie werden sie auch in Zukunft die Herausforderung Integration erfolgreich bewältigen.

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