Optimierung der Sozialhilfe oder ein ganz neues Modell

Optimierung der Sozialhilfe oder ein ganz neues Modell

Stellt die aktuell beabsichtigte Mindestsicherung wirklich eine Verbesserung für die Betroffenen dar? Oder wäre es nicht sinnvoller, die Ressourcen für den für die Mindestsicherung notwendigen strukturellen Organisationsumbau gleich für eine Reform und Optimierung der österreichischen Sozialhilfe zu nutzen?

 

Zu einem Zeitpunkt, zu dem vor dem Hintergrund eines sich ändernden Grundverständnisses den Wohlfahrtsstaat betreffend
im Bereich des österreichischen Sozialwesens einiges im Umbruch begriffen scheint, ist es nahezu eine Herausforderung, zum Thema „Soziales“ Stellung zu nehmen. Dies umso mehr, als die Ebene, von der aus dies geschieht, zwar am unmittelbarsten von sozialen Problemstellungen betroffen ist, hinsichtlich der Festlegung und Gestaltung von grundlegenden Parametern aber quasi keine Einflussmöglichkeit hat.
Zeiten bevorstehender Veränderungen geben auch immer Anlass, Bilanz zu ziehen, Bestehendes im Vergleich zu Hinkünftigem zu bewerten und sich auf neue Situationen vorzubereiten.
Im Moment befinden sich die österreichischen Sozialhilfeträger und somit für die Stadt Graz auch das Sozialamt Graz in der Lage, sich mit der geplanten gänzlichen oder teilweisen Ablöse des geltenden Systems der Sozialhilfe durch eine sogenannte „Mindestsicherung“ zu befassen, soweit dies aufgrund der eher bescheidenen und ungesicherten Informationen, die den eigentlich hauptbetroffenen Institutionen übermittelt und zugänglich gemacht werden, überhaupt möglich ist.

Ein menschenwürdiges Leben führen
In den allgemeinen Bemerkungen zum Steiermärkischen Sozialhilfegesetz aus dem Jahre 1977 wird dieses als ein die Armenfürsorge ersetzendes modernes Gesetz eingeleitet, das bewusst Arme nicht mehr als solche, sondern als Hilfsbedürftige bezeichnet und das unter anderem den Grundsatz des Rechtsanspruchs auf finanzielle Unterstützung zur Führung eines menschenwürdigen Lebens für jene, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen, explizit benennt. Zum Begriff „menschenwürdiges Dasein“ ist auch noch formuliert, dass am jeweiligen Stand der Kultur und Zivilisation zwanglos gemessen werden soll, was darunter zu verstehen ist.
Diese in den wesentlichen Zielsetzungen in allen Bundesländern gleichen Landessozialhilfegesetze gewähren nach dem Prinzip der Subsidiarität einen Rechtsanspruch auf finanzielle Absicherung, die der Höhe nach jährlich per Verordnung in den sogenannten Richtsätzen festgelegt wird. Das Bild von Almosen erbittenden Befürsorgten wird zugunsten des Bildes von in den Rahmen eines modernen Rechts- und Sozialstaats eingebetteten anspruchsberechtigten Bürgerinnen und Bürger ersetzt.

Zentrale politische Herausforderung
Dieser knappe Exkurs zu den Grundzügen der Sozialhilfe, der selbstverständlich nur ohnehin Bekanntes zusammenfasst, erscheint hilfreich und notwendig, wenn man sich differenziert mit der geplanten bedarfsorientierten Mindestsicherung auseinandersetzen möchte.
Die in den 70er Jahren abgeschafften Begriffe Arme und Armut haben aufgrund weiträumiger wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen wieder Einzug in die öffentliche Debatte gefunden; in Zusammenhang mit den Umständen, dass die Ausgaben der Sozialhilfe stetig steigen, dass immer mehr Menschen von ihren wohlerworbenen Leistungsansprüchen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz oder gar der Erwerbsarbeit, die sie erbringen, nicht leben können und darüber hinaus geringere Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben, gesundheitlich beeinträchtigt sind etc. – spricht man wieder von Armut, von Armutsgefährdung, Armutsgrenzen. Es werden Armutsberichte erstellt und man geht sogar daran, Armut zu messen, indem man einen Einkommenswert festlegt, dessen Unterschreitung quasi Armut bedeutet.
Es steht außer Frage, dass dieses Thema die zentrale politische Herausforderung in einem Europa darstellt , in dem Reichtum und Vermögen wachsen, Gewinne steigen, während gleichzeitig oft Hunderte ihren Arbeitsplatz verlieren, eine Herausforderung, die nicht zuletzt in demokratiepolitischer Hinsicht immense Bedeutung hat.

Schluss mit der Bittstellerei
In Österreich dreht sich die öffentliche Diskussion angesichts der oben beschriebenen Umstände seit längerem um Arbeitsplätze, bessere (Aus-)Bildung, Mindestlöhne und nicht zuletzt um die Mindestsicherung, die vor allem und endlich, wie beharrlich insbesondere von NGOs gefordert, mit der Bittstellerei Schluss machen und einen Rechtsanspruch auf Existenzsicherung gewährleisten solle. Den wie gesagt bislang eher schwer zugänglich gemachten Informationen zufolge soll es sich um einen Betrag handeln, der unter dem Armutsschwellenwert von 900 Euro (EU–SILC 2006) liegt, nämlich bei 747 Euro (brutto), der bedarfsorientiert gewährt wird. Die organisatorische Abwicklung soll über das AMS als Hauptanlaufstelle erfolgen.
Vergleicht man diese kurze Beschreibung der Mindestsicherung mit dem zuvor angesprochenen Exkurs zu den Grundzügen der Sozialhilfe, lässt sich unschwer erkennen, dass mit der Sozialhilfe bereits ein mit einem Rechtsanspruch versehenes Instrument zur Existenzsicherung gegeben ist, oder – anders formuliert – lässt sich bis auf die geplante neue Rolle des AMS nicht erkennen, worin in der Sache der Unterschied zwischen Sozialhilfe und Mindestsicherung liegen soll. Es geht hier keineswegs darum, die Sozialhilfe als unfehlbar darzustellen. Die Frage, warum sie es beispielsweise offensichtlich nicht geschafft hat, so zu funktionieren und wahrgenommen zu werden, wie in den 70er Jahren beabsichtigt, sondern nach wie vor als ein nach vorangegangener Bittstellerei gewährter Almosen, was sich auch in der hohen Nichtinanspruchnahme von 50 bis 60% österreichweit äußert, wäre unter anderem neben der Frage des Rückersatzes, der bundesweiten Vereinheitlichung oder der Frage der Krankenversicherung nach dem ASVG als erste kritisch zu behandeln.
Ihrer grundsätzlichen Intention nach will, kann und muss die Sozialhilfe die selbe Aufgabe erfüllen, die die Mindestsicherung erfüllen soll. Die vielleicht von manchen gehegte Erwartung, in Hinkunft so etwas wie ein Grundeinkommen für alle verwirklicht zu sehen, wird nicht eintreten; unter anderem stehen dem das Attribut „bedarfsorientiert“ und die beabsichtigte Möglichkeit einer maßgeblichen Reduzierung einer Unterstützung bei mangelnder Arbeitswilligkeit entgegen.

Ein ganz anderes Modell andenken
So ist aus heutiger Sicht fraglich, inwieweit die aktuell beabsichtigte bedarfsorientierte Mindestsicherung eine Verbesserung für die Betroffenen darstellen wird und inwieweit die Ressourcen in Zusam¬menhang mit dem notwendigen strukturellen Organisationsumbau nicht sinnvoller für eine Reform und Optimierung der österreichischen Sozialhilfe eingesetzt werden könnten, einer Sozialhilfe, die ihren Grundsätzen verpflichtet, geänderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung trägt, sofern man sich nicht für ein umfassend anderes Modell, das alle Leistungen bestehender Systeme existenzsichernd und armutsvermeidend gestaltet und stärkt und das den Einbau umfangreicher sozialer Dienstleistungen und intensiver aktiver Arbeitsmarktpolitik enthält, entscheidet.

OEGZ

ÖGZ Download