Stadtentwicklung zwischen Wachsen und Schrumpfen – zwei ungelöste Herausforderungen

Stadtentwicklung zwischen Wachsen und Schrumpfen – zwei ungelöste Herausforderungen

Vortrag von Jens S. Dangschat, TU Wien, ISRA

Städte stehen seit über 15 Jahren im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit internationaler Politik; in der Nachhaltigkeitsagenda 21 wurde im § 29 den Städten eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der damals noch belächelten Nachhaltigkeitsziele innerhalb der Lokalen Agenda 21 zugesprochen. Schließlich setzt die EU bei ihrem ehrgeizigen Ziel (des Lissabon-Vertrags), die wettbewerbsfähigste, zugleich nachhaltigste Großregion der Triade zu werden, vor allem auf die Städte respektive die Großstadtregionen (Metropolregion).

Städte zwischen Wachsen & Schrumpfen/Wohlstand & Armut
In der Urbanistikliteratur ist zunehmend von der Renaissance der (Innen-)Städte die Rede, was mehr ist als nur eine Hoffnung auf neues Wachstum, denn sie sind die Orte des neuen wirtschaftlichen Wachstums im Übergang zur sogenannten „wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft“, Orte neuer zivilgesellschaftlicher Formen der Selbstorganisation und Orte der Sicht¬barkeit des „ermöglichenden Staates“.
Die Städte sind jedoch seit den 1980er-Jahren aufgrund der massiven Deindustrialisierung auch in den Negativschlagzeilen: Probleme mit der Integration von Zugewanderten, Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität, fiskalische Engpässe und ein im Rahmen der Subsidiarität überforderter „lokaler Staat“. Die politisch-administrativen Systeme der Städte sehen sich zunehmend in die Rolle des „unternehmerischen Staates“ gedrängt; sie sollen wachsen, sie sollen effizienter werden und sie sollten kooperieren, um in der Verdrängungskonkurrenz besser überstehen zu können (co-operation + competition = co-opetition).
Diese Ungleichheitsmuster entstehen parallel, sich einander bedingend, auf verschiedenen räumlichen Ebenen. Schaut man auf die lokale Ebene, in Großstädten auf die einzelnen Bezirke, sind auch hier wachsende Diskrepanzen feststellbar – auch hier gibt es die Orte der Gewinner und Orte der Verlierer der Modernisierungsprozesse. Erneut sind es die Städte, die am erfolgreichsten im wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, die die größten Diskrepanzen hinsichtlich der gleichzeitigen Wohlstands- und Armutsentwicklung haben, was sich in den Städten zudem als zunehmend verschärftes Segregationsmuster zeigt.

Wachstum und Wettbewerb im Widerspruch zu sozialem Zusammenhalt
Das bedeutet im Klartext: Die Art, wie gegenwärtig Wirtschaftswachstum und Wettbewerbs¬fähigkeit hergestellt, abgesichert und ausgebaut wird, erzeugt wachsende ökonomische Diskrepanzen zwischen Gebietskörperschaften auf allen Maßstabsebenen, zwischen Wirt¬schaftsbranchen und sozialen Gruppen – also das Gegenteil von dem, was in der EU-Rhetorik unter „social cohesion“ respektive unter „gleichwertigen Lebensbedingungen“ verstanden wird.
In dem Vortrag wurden die Herausforderungen für die Wachstumsregionen ebenso wie für die schrumpfenden Regionen in den Bereichen Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung, Siedlungsentwicklung und Steuerung angesprochen und diskutiert.

Wissenschaftliche Politik¬beratung und Handeln des politisch-administrativen Systems im Widerspruch
Auffällig ist, dass gegenwärtig die wissenschaftliche Politikberatung für Städte und Stadtregionen jedweden Typs neben der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen (unique local pro¬position) gleiche, zumindest aber ähnliche „Patentrezepte“ vorschlägt: Verwaltungsmodernisierung (insbesondere Effizienzsteigerung durch Benchmarking sowie horizontale und vertikale Politikintegration), Ausschöpfen des „local capital“ durch Vernetzung und Kooperation, Partizipation und Public-Private-Partnerships. Wenn internationale Direktinvestionen, Headquarter und Hightech-Produktionen unrealistisch sind, so soll entweder „sanfter Tourismus“ auf historischen Erlebnispfaden, der Wellnessbereich oder ökologische Landwirtschaft das Wachstum sichern.
Auffällig ist, dass es ohne Wachstum nicht zu gehen scheint, dass es keine Modelle für Regionen gibt, die aufgrund der Steuerung der Siedlungsentwicklung nicht wachsen sollen – auch hier sollen die Einnahmen stimmen und die Bürgermeister wollen wiedergewählt werden.
Auffällig ist aber auch, dass seitens der Wissenschaft immer wieder konstatiert wird, dass den Entscheidungsträgern des politisch-administrativen Systems die Übergänge vom „Government“ (Regierungshandeln in klar definierten institutionellen Settings) zur „Governance“ (flexibles Entscheidungshandeln durch eine Reihe von AkteurInnen) schwer fallen, dass sie allenfalls verzögert Bund nicht ausreichend konsequent umgesetzt werden. Aber: Warum ist das so? Was sind die „guten Gründe“ hierfür? Was sind die institutionellen Zwänge, die dazu führen? Darüber wird nicht geforscht.
Das Problem liegt im eingeschränkten Denken – aber Vorsicht vor der Richtung der Öffnung!
Kooperationen zu bilden, ist nur eine von mehreren Optionen. Will man sie unterstützen, muss man „heilige Kühe“ schlachten: das föderale System des Jahres 1955 auf den heutigen Prüfstand schicken, die Frage nach der nahezu unbeschränkten Planungshoheit von Ge¬meinden stellen und die „organisierte Unverantwortlichkeit“ der Bundesebene bei der Raumordnung thematisieren.
Dass es auch anders geht, zeigt der Blick ins benachbarte Ausland und sogar in die USA – da wird mit Flächenwidmungsrechten zwischen Gebietskörperschaften gehandelt (CH), da werden Regionalparlamente gegründet (Stuttgart) respektive geben Großstädte wie Hannover einen großen Teil ihrer kommunalen Kompetenzen zugunsten einer Region auf oder Gemeinden im Umland von Leipzig schließen sich zu Wirtschaftsgemeinschaften bei der Ge¬werbeansiedlung zusammen. In den USA gibt es Fälle, in denen die Besiedlungsgrenzen eindeutig festgelegt und streng überwacht werden.

Stärken stärken = in der Sackgasse Gas geben?
Man kann die ganze Sache auch prinzipiell angehen und darüber nachdenken, warum Ge¬bietskörperschaften zu Unternehmen werden sollen, was an Lebensqualität und Vertrauen gewonnen wird, wenn man proaktiv den Verdrängungswettbewerb forciert. Gibt es eine Al¬ternative zum raschen und konsequenten Aufspringen auf den rasch dahinfahrenden Zug der Globalisierung? Was ist eigentlich gewonnen, wenn alle Städte und Regionen erfolgreich kooperieren? Was heißt denn: „Stärken stärken“? Wer hat letztendlich etwas davon?

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