Graz: Klimaschutz zum Anfassen, und das gleich mit Familienanschluss …

Graz: Klimaschutz zum Anfassen, und das gleich mit Familienanschluss …

Ob „Raumklima“, „politisches Klima“, „Klimazonen“, „Klima der Angst“, „Betriebsklima“, „Klimaanlage“, „Mikro-“ oder „Makroklima“ und natürlich „Klimawandel“ – das Klima ist aus dem allgemeinen Sprachgebrauch oder aus Nachrichten nicht mehr herauszuhalten. In jedem Fall meinen wir damit eine Sphäre, in der wir uns wohlfühlen und damit auch bedroht fühlen können – bei uns zuhause …

 

Die Sorge um die Regenwälder Amazoniens – vor rund eineinhalb Jahrzehnten Ausgangspunkt für ein Klimabündnis mit den BewohnerInnen dort – hat sich von einer abstrakten „Gönner-Perspektive“ längst zur äußerst realen Büßer-Rolle verkehrt. Damit wir angesichts des drohenden Klimawandels vor der eigenen Haustüre aber nicht gleich in Schreckensstarre oder – noch schlimmer – in Fatalismus verfallen, ist allgemeiner Sinneswandel angesagt. Und wieder einmal müssen einzelne Länder und vor allem Kommunen dort, wo weltweit einheitliche und wirksame Maßnahmen fehlen oder versagen (sieht man einmal von der Explosion der Treibstoffpreise ab), die Kartoffeln aus dem Feuer holen.

Gut eingepackte Häuser
Nachdem eine Umkehr oder wenigstens eine „Entschleunigung“ dieses Klimawandels ganz offensichtlich nicht als Schnäppchen zu haben sind, stehen vorerst außerordentliche, aber regional durchaus unterschiedliche Ausgaben ins Haus. Im Großraum Graz etwa für den weiteren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit zügig getakteter, flächendeckender S-Bahn und noch mehr, noch umwelt-/klimafreundlicheren Straßenbahnen und Bussen, mit Sonnenkollektoren auf jeder freien (und geeigneten) Dachfläche und gut „eingepackten“, sprich gedämmten Häusern, und natürlich mit (umweltschonend produzierter) Fernwärme im ausgeweiteten und verstärkten Netz.

Heilige Kuh an die Zügel nehmen
Ohne gleichzeitig die heilige Kuh des motorisierten Individualverkehrs wenigstens an die Zügel zu nehmen, wäre freilich alle Müh’ vergebens – das sieht man im Luftbelastungsgebiet Graz vor allem beim Problembereich „Feinstaub“: Rund zwei Drittel (!) der privaten Kfz müsste man hier schlichtweg aus dem Verkehr ziehen, um die einschlägigen EU-Grenzwerte verbindlich einzuhalten, und das will – Benzinpreisorgie hin oder her – erst einmal erklärt sein.
Exakte und flächendeckende Messungen sind da nur ein Teil der Miete – immerhin haben Luftschadstoffe kein Mascherl und VerursacherInnen drängen sich kaum in die Verantwortung. Wirklich klar ist der Fall eigentlich nur, wenn etwa früher die Luftgütewerte von den Osterfeuern im Grazer Kessel am Karsamstag ins Uferlose zu schnellen pflegten und Brauchtumsfeuer daher in den beiden letzten Jahren ohne nennenswerten Widerstand verboten werden konnten – mit überzeugendem Resultat!

Nutzen und Schaden
Transparenz ist jedenfalls immer gut und wird in Graz beispielsweise durch die ex¬ak¬te Abbildung der aktuellen Grazer Luftgüte auf einem Umwelt-Infoterminal in der Innenstadt, auf Telekabel, per SMS-Dienst und auf www.oekostadt.graz.at, gepflegt.
Weil aber nicht nur Möbelriesen durch Musterfamilien Produktbindungen erreichen können, sorgt auch auf dem Umweltserver des Umweltamtes eine „Familie Grazer“ für Familienanschluss und Betroffenheit. Beim „Heiz-Check mit Familie Grazer“ werden per Simulation diverse Heizmöglichkeiten miteinander verglichen und auf ihre Umwelt- und Klimaverträglichkeit hin untersucht.
Und demnächst wird man sich bei einem Klima-Check auch die Konsequenzen notwendiger und fehlgeleiteter Mobilität ausrechnen können.
Das Maß aller Dinge aber ist und bleibt der Egoismus des Menschen: Was habe ich persönlich davon oder wie kann mir etwas im umgekehrten Fall auch unmittelbar schaden (jeweils am besten auf Euro und Cent), lautet der einfachste Zugang zur allgemeinen Aufmerksamkeit.


Klimaschutz sichert die Lebensqualität vor Ort
- Pro SteirerIn 1 m2 Kollektorfläche lautet – natürlich im statistischen Schnitt – eine Zielvorstellung der Politik für die nähere Zukunft. Für Graz bedeutet das, dass einerseits Großflächen für Kollektoren zur dezentralen Einspeisung ins Fernwärmenetz gefunden werden müssen. Auf der anderen Seite machen natürlich auch Kleinanlagen Sinn – etwa auf noch mehr Dächern der Einfamilienhäuser im Grazer Grüngürtel.
- Bei rund 20.000 m2 vorhandener Grazer Kollektorfläche würde das eine Verzehnfachung der bisherigen (finanziellen) Bemühungen bedeuten – ein ambitioniertes, aber mittelfristig machbares und sinnvolles Ziel.
- Um einen wesentlichen Beitrag zur Einsparung von CO2-Emissionen und somit zum Klimaschutz zu leisten, ist die Optimierung der Fernwärme-Versorgung von elementarer Bedeutung. Das Projekt „Fernwärme Graz 2020“ bildet mögliche Szenarien für die Fernwärme-Versorgung im Großraum Graz ab und beleuchtet sie in Bezug auf spezifische Emissionen, Bereitstellungskosten und Versorgungssicherheit. Daraus resultieren soll eine Optimierung der Fernwärme-Versorgung in Bezug auf ökologische und soziale Verträglichkeit sowie ökonomische Effektivität. 25.000 bis 35.000 Wohnungen könnten bei einer geschätzten Investition von 50 bis 70 Millionen Euro von Seiten des Netzbetreibers neu angeschlossen werden. Das würde inklusive Großobjekte eine Steigerung von ca. 390 MW (Megawatt) auf rund 1.000 MW Fernwärmeleistung bedeuten. Dazu kämen dann allerdings 3.000 bis 4.000 Euro Anschlusskosten pro Wohneinheit, das sind noch einmal 140 Millionen Euro.
- Eine Bürde, die man sich durch einen gemeinsamen Projektantrag der regionalen Akteure an den Energie- und Klimafonds zu erleichtern hofft. Damit wäre man dann aber neben der Klimamisere auch den verschiedenen klassischen Luftschadstoffen im chronischen Luftbelastungsgebiet zu Leibe gerückt.
- Auch von dem seit Jahreswechsel gültigen „Deckplan 2“ zum Grazer Flächenwidmungsplan verspricht man sich wesentliche Impulse: Erstmalig wurde mit 4 g Staubemissionen je m2 Geschoßfläche und Jahr ein Grenzwert definiert, der etwa feste Brennstoffe im Luftbelastungsgebiet nicht von vornherein ausschließt, sondern neben einer entsprechend modernen Kesseltechnologie auch Verbesserungen bei der Wärmedämmung anregt. Erst dadurch werden die an sich klimaschonenden biogenen Brennstoffe auch der Feinstaubmisere eines Luftbelastungsgebietes gerecht.
- Gegen die ständigen Steigerungen bei den Kfz-Zulassungen haben auch die ambitioniertesten Kommunen bislang kein Heilmittel gefunden. Jetzt könnten aber die explodierenden Treibstoffpreise erstmals regional sinnvolle Maßnahmen gegen den Hauptverursacher der Grazer Umweltmisere möglich machen: Umweltzonen nach deutschem Vorbild sollten – bei Schaffung der gesetzlichen Grundlagen durch den Bund – den motorisierten Individualverkehr endlich so dosieren, dass nachhaltige Lebensqualität und Klimaschutz nicht ständig zu kurz kommen.
- S-Bahn-Ausbau, neue Straßenbahnen auf teilweise verlängerten Linien und eine möglichst schadstoffarme Busflotte werden aber erst die erwarteten Alternativkapazitäten liefern müssen. Letztere mit bemerkenswerten Ambitionen: Staunte schon bisher halb Europa über den Betrieb mit Biodiesel aus Altspeiseöl in Kombination mit einem Feinstaub-Kat, so könnten neue Grazer Busse gar mit Biogas aus regionalen biogenen Abfällen unterwegs sein.



Klimaschutz in Graz – Zahlen, Daten, Fakten
1988/89: Im „Smog“-Winter 1988/89 erweist sich Graz in seiner lufthygienisch benachteiligten Beckenlage als Luftsanierungsgebiet. Vor allem der motorisierte Individualverkehr und der Hausbrand sind bis heute für konventionelle wie auch für klimawirksame Luftschadstoffe verantwortlich.
Dieser negative Meilenstein ist letztlich aber Ausgang und Antrieb für eine Umwelt- und Klimapolitik im Konsens von Parteien, Aktivgruppen und letztlich der Grazer Bevölkerung. Grundsatzprogramme wie das Umwelt-Sachprogramm „Ökostadt 2000“ und das „Kommunale Energiekonzept“ (KEK) sollen nicht nur Bestandsaufnahme, sondern Leitlinie, Zeit¬horizont und Gewichtung für konkrete Maßnahmen liefern.
In einer neuen „Gründerzeit“ wird etwa die Zahl der Fernwärmeanschlüsse in den folgenden fünf Jahren verdreifacht.

1991:
Das Klimabündnis von 22 Gründungskommunen mit der Vertretung der indigenen Völker in den südamerikanischen Regenwäldern wird in Graz ratifiziert.

1993:
Die internationale mweltschutzorganisation „Greenpeace“ zeichnet Graz mit dem Klimaschutzpreis aus.

1995:
Mit dem einstimmigen Beschluss seines Umwelt-Sachprogramms „Ökostadt 2000“/Lokale Agenda 21 stellt Graz endgültig die Weichen für einen konsequenten Weg in Richtung Nachhaltigkeit.

1996:
Auch das „Kommunale Energiekonzept“ (KEK) wird einstimmig im Grazer Gemeinderat beschlossen und bildet in sieben Modulen die Grundlage für die Energie- und Klimapolitik der folgenden Jahre.
Für nachhaltige Erfolge auf dem Umweltsektor erhält Graz von der Europäischen Union den ersten internationalen „Sustainable City Award“ als „Zukunftsbeständige Stadt“.

2000:
Im „Global House“ der Expo2000 in Hannover erregt das Grazer Umweltamt mit Projekten wie ÖKOPROFIT® (zur betrieblichen Umweltvorsorge), ÖKODRIVE (Förderung einer klima- und umweltverträglicheren Mobilität) und THERMOPROFIT (Modell einer wärmetechnischen Haussanierung) einiges Aufsehen.

2002:
Unter 140 Bewerbungen aus ganz Europa wird das Grazer Projekt „Ökodrive“ – „raffiniertes“ Altspeiseöl betreibt die städtischen Busse – mit dem europäischen Umweltpreis „Climate Star“ ausgezeichnet.

2003:
Umwelt- und Klimavorsorge als „Alltagskultur“ schlägt sich für Graz auch im Jahr als Kulturhauptstadt Europas nieder: Die Photovoltaikanlage der Helmut-List-(Veranstaltungs)-Halle (Bauherr ist die Hightech-„Schmiede“ AVL) ist die zu dem Zeitpunkt größte und effizienteste fassadenintegrierte Anlage Ös¬terreichs: 370 m2 liefern ca. 29.000 kWh umweltfreundliche elektrische Energie pro Jahr.

2004:
Das EU-Life-Projekt „KAPA – GS“ bemüht sich wie das Projekt „Trendsetter“ und schon vorher „GOAL“ um einen kooperativen Ansatz für eine umwelt- und klimafreundlichere Mobilität.

2008:
Mit 3.500 m2 wird die größte Solaranlage Mitteleuropas auf den Dächern des städtischen Abfallentsorgers AEVG installiert, mit welcher der tägliche Warmwasserbedarf von 3.600 GrazerInnen abgedeckt werden kann, während 480.000 kg CO2 pro Jahr eingespart werden. Die Ausweitung auf 6.500 m2 ist bereits im Gange.
Das Pionierprogramm ÖKOPROFIT® des Grazer Umweltamtes wird gleichzeitig von der EU für besonders erfolgreiche Maßnahmen zur Durchsetzung umweltverträglicherer Energie mit dem „Sustainable Energy Europe Award“ ausgezeichnet.



ÖKOPROFIT®: Positiver „Klimawandel“ im Unternehmen
Während in anderen Städten Gewerbe und Industrie zum Teil erheblich höhere Belastungen für Umwelt und Klima darstellen, hat Graz seine Hausaufgaben gerade in diesem Bereich gemacht: Der Ausbau der Fernwärme und vor allem das betriebliche Pionierprogramm ÖKOPROFIT® haben seit 1991 eine erhebliche Umweltentlastung bei gleichzeitiger Kostensenkung und Steigerung der Öko-Effizienz im Unternehmensbereich ermöglicht.
Durch gezielte Umweltmaßnahmen zur Reduktion von Abfällen und Emissionen, durch die Optimierung des Energieverbrauches sowie durch sorgsamen Umgang mit Ressourcen konnten fast 150 Grazer ÖKOPROFIT®-Unternehmen in den vergangenen Jahren beeindruckende Erfolge erzielen. Ganze Regionen wie etwa Vorarlberg (über 220 ÖKOPROFIT®-Betriebe) oder die Weltstadt München folgen ebenso gerne dem Grazer Beispiel wie über 1.000 weitere Unternehmen auf der ganzen Welt.

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