Glanz auf Papier

Glanz auf Papier

Zur Geschichte des Goldenen Buches der Städte

 

Ein Goldenes Buch ist „kein Gästebuch im landläufigen Sinne …, in das sich Teilnehmer an Tagungen, Kongressen, Empfängen und sonstigen feierlichen Anlässen eintragen. Es soll auch nicht als Tagebuch für die Stadtchronik angesehen werden“. Stattdessen sollen sich Träger höchster städtischer Auszeichnungen, Persönlichkeiten, die sich um die Stadt oder um Österreich verdient gemacht haben, hohe österreichische Politiker und „prominente ausländische Vertreter des staatlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens“ einzeichnen. Diese „Richtlinien“, die 1955 in Klagenfurt beschlossen wurden, beschreiben die Funktion des Goldenen Buches der Städte. Ich möchte ergänzen, dass erfolgreiche Sportler ebenfalls in vielen Städten mit dieser Auszeichnung geehrt werden.
Seit wann und wo gibt es diesen symbolischen Akt? Den Eintrag in ein städtisches Ehrenbuch gibt es zum Beispiel in Kommunen in Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, in den Niederlanden, in Norwegen, in der Schweiz, in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und vor allem in Deutschland, wo diese Einrichtung im 19. Jahrhundert aufkam. Internationale Kontakte – wie Sportwettkämpfe – und Städtepartnerschaften scheinen dieses allgemein geschätzte Ritual allmählich immer weiter zu verbreiten.
Neben dem Goldenen Buch der Städte existieren weitere Arten, Autografen zu sammeln, unter denen ich Vorformen vermute. Es ist verwunderlich, warum die Idee zu einem städtischen Ehrenbuch nicht früher aufkam, lagen doch die Vorbilder vor Augen wie das beliebte Stammbuch oder private Gäs¬tebücher. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Fremdenbücher zunehmend populärer. Sie lagen aus in berühmten Bibliotheken, in Museen und in Heilbädern, sogar in reformpädagogischen Anstalten. Es folgten Hotels und schließlich die eigens sogenannten Hütten- und Gipfelbücher: Hüttenbücher wurden in den Alpen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geführt. In Österreich war die Eintragung darin bereits 1879 satzungsmäßig verankert worden.
Einen Einfluss auf die Entwicklung des Goldenen Buches könnte auch eine Sonderform ausgeübt haben, welche die Namen der Ehrenbürger einer Stadt auf¬lis¬tet: Wien vergab erstmals 1797 die Bezeichnung „Ehrenbürger“. Damit waren die Bürgerrechte verbunden, aber nicht deren Pflichten. 1839 richtete die Stadt ein „Gedenkbuch“ ein, um diese Personen nicht mehr in die Bürger-Protokolle einzutragen. 1853 wurde dieses Buch würdevoll gestaltet und im Buch selbst als „goldenes Buch der Ehrenbürger Wiens“ bezeichnet. Dieser Foliant wurde bis 1916 auch kurz „Goldenes Buch“ genannt. In ihm werden die Leistungen der Ehrenbürger charakterisiert; diese haben jedoch nicht ihren Namen in das Buch eingeschrieben. In Klagenfurt existierte ab 1821 ein Bürgerbuch, in das sich bis 1950 auch Ehrenbürger eintrugen; die Tradition für die Ehrenbürger wurde fortgesetzt. Ebenso verfügt Salzburg über ein „Ehrenbürger-Denkbuch“, das um 1875 angefertigt wurde; Salzburg hatte die Ehrenbürgerwürde erstmals 1829 verliehen. Es wurde auch in Graz 1931 ein „Ehrenbürgerbuch“ eingeführt.
Eine Vorform für das Goldene Buch der Städte könnte ein allgemeines Fremdenbuch sein, das 1817 für den Friedenssaal von Münster beschafft wurde und in das sich auch mehrere gekrönte Häupter eintrugen. Auch im Rathaus von Wittenberg wurde 1822 ein Fremdenbuch ausgelegt, das linierte Seiten besaß. Es mag schon seit 1838 in Augsburg ein Fremdenbuch für den Goldenen Saal des Rathauses gegeben haben. Für das Stadtarchiv von Wasserburg am Inn wurde 1841 ein Fremdenbuch angeschafft, das aber erst 1855 Verwendung fand, und zwar bis 1905 nur für Ehrengäste der Stadt. In Ingolstadt verewigten sich zwischen 1872 und 1912 fünf Personen sowohl in einem alten Privilegienbuch als auch in einem Gästebuch. Für die Einweihung eines Siegesdenkmals legte Freiburg im Breisgau 1876 ein Gedenkbuch an. Seit 1883 gab es in Worms ein Fremdenbuch, aus dem dann das Goldene Buch wurde.
Vom Fremdenbuch unterscheidet sich das Goldene Buch durch seinen anti-egalitären Charakter. Es kann sein, dass es einen fließenden Übergang vom Fremdenbuch besonderer kommunaler Einrichtungen zum Goldenen Buch gab – je nach Definition durch eine Stadt, wann sie es als gesamtstädtisches Fremdenbuch ansah und es auf ausgewählte Gäste begrenzte.
Aus dem Jahr 1888 stammt in München das „Gedenkbuch des Rathhauses München“, das aufgrund seiner Funktion inzwischen auch Goldenes Buch genannt wird. Hingegen wurde eine Sammlung von Kunstarbeiten, die 1889 begonnen wurde, sogleich „Goldenes Buch“ genannt. Sie bestand aus einem Prunkschrein mit einer Mappe von Werken Münchner Künstler; sie sollten zu dieser Sammlung kostenlos ein Kunstwerk beisteuern. Die doppelte Initiative Münchens wurde zum Impuls für andere Städte, denn es kam wiederholt zum Missverständnis, dass unter dem Terminus „Goldenes Buch“ fälschlich das Gästebuch verstanden wurde statt der Kunstsammlung.
In Bad Kissingen griff man das Vorbild Münchens für ein „Gedenkbuch“ auf, und die deutsche Kaiserin signierte es 1889 als erste. Im Juni 1890 lehnte der Magistrat die Bitte einer Freifrau ab, sich „in das goldene Buch einschreiben“ zu dürfen, weil es nur für Berühmtheiten bestimmt sei. Hier taucht meines Wissens nach die Bezeichnung „goldenes Buch“ im behandelten Sinne erstmals auf. Über sehr frühe Exemplare eines solchen Ehrenbuchs verfügen in Europa auch die Städte Luxemburg (1890) und Kopenhagen (1903/1909).
Das „Fremdenbuch des Rathauses von Villach – 1889“ ist ebenfalls ein besonders frühes städtisches Ehrenbuch. Damals besaß Villach weniger als 9.000 Einwohner. Das Buch wurde zur Fertigstellung des neuen Rathauses begonnen, ein adaptiertes prächtiges Renaissancepalais, auf das man sehr stolz war. Vorbilder für das Buch sind nicht bekannt; es wird wohl von einem ortsansässigen Buchbinder gefertigt worden sein. Es gab in der Stadt und Umgebung Gästebücher wie das „Gedenkbuch“ für den Stadtpfarrturm, angelegt 1876. Das erste Einschreibebuch hatte außerdem die Funktion einer Chronik, was damals bisweilen vorkam. 1958 wurde ein „Gästebuch der Stadt Villach“ begonnen und gegenwärtig wird ein „Goldenes Buch“ geführt.
Anscheinend wurden während der k. u. k. Monarchie nur selten städtische Gästebücher begonnen. In Meran wurden im Zusammenhang mit der städtischen Heilanstalt zwei Goldene Bücher angeschafft: das eine enthält als Goldenes Buch der Stadt den ersten Eintrag 1906 und die erste italienische Unterschrift im „Albo d’oro“ 1920; das andere Buch aus dem Jahr 1917 blieb leer.
In Österreich verbreiteten sich Goldene Bücher nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben Villach habe ich Informationen über ein Goldenes Buch in Kitzbühel, das 1945 begonnen wurde und dessen Verwendung nach 1960 einschlief. Graz legte 1948 ein Goldenes Buch aus, das damals „Gedenk- und Gästebuch“ genannt wurde und das Ehrenbürgerbuch ergänzte. Salzburg hat zusätzlich zu seinem Ehrenbürgerbuch seit 1949 ein „Goldenes Ehrenbuch der Festspielstadt Salzburg“. Wien besitzt neben dem Ehrenbürgerbuch seit 1954 ein Goldenes Buch. Im Jahr darauf beschloss Klagenfurt, wie oben dargelegt, eine solche Anschaffung, wobei schon zuvor für Hitlers Besuch 1938 ein „Gästebuch“ beschafft worden war, welches dann als Ehrenbürgerbuch Verwendung fand. Innsbruck folgte 1963 anlässlich seiner Europatage, in der die Partnerschaft mit Freiburg im Breisgau und Grenoble gefeiert wurde. Hinweise über Goldene Bücher habe ich ebenso für Steyr (1971), Bregenz (1978), Bad Ischl (1984), Eisenstadt (1987), Lienz (1992) und Spittal an der Drau (1997). Es gibt zugleich Städte, die ohne dieses kommunalpolitische Ritual auskommen.
Zur Ausbreitung mag auch ein Nacheifern von Vorbildern andere Städte im eigenen Land beitragen. Um ein deutsches Beispiel zu nehmen: So wollte man in Dortmund, das 1899 ein „Gastbuch“ einführte, ein kostbareres Buch als in Köln haben. Ungeachtet der Unterschiede bei politischen Systemen, gesellschaftlichen Werten und Details der Kommunalverfassungen konnte es sich auch in Zeiten und Ländern mit einer zeichenarmen politischen Kultur fraglos behaupten. Der Begriff „Goldenes Buch“ hat die Verbreitung des städtischen Ehrenbuchs verstärkt, denn er machte es attraktiv und warb dafür: Begriff, Idee, Objekt haben sich gegenseitig gefördert! Dabei ist die Gestaltung des Goldenen Buches von Stadt zu Stadt verschieden: sei es als Ledereinband mit Metallbeschlägen und Goldschnitt, sei es als Prachtkassette aus kostbaren Materialien, in dem einzelne Blätter liegen, was jedoch das Verständnis als „Buch“ unberührt lässt.
Der Name „Goldenes Buch“ wurde seit dem Spätmittelalter verschiedenen gedruckten Werken gegeben, die entweder Erbauliches anboten, die Wissensschätze sammelten oder gar Benimmregeln darboten. Etwas anderes war in Venedig das „Libro d’Oro“, ein im Mittelalter begonnenes Register dort regierender Familien. Inzwischen wird der Begriff „Goldenes Buch“ beliebig für thematische Sammlungen in Buchform verwendet. Ein Buchpreis gleichen Namens existiert in Österreich, gestiftet vom Hauptverband des Österreichischen Buchhandels. Im Internet steht die englische Fassung „Golden Book“ weltweit als Synonym für ein virtuelles Gästebuch; als „Golden Book“ bezeichnen in manchen Ländern anspruchsvolle Hotels ihr Gästebuch.
Grundlage für diese Ergebnisse bildeten meine Fragen an Stadtarchive und Büros von Bürgermeistern sowie die Recherche im Internet. Ich verfüge über Informationen aus gut 200 europäischen Städten. Ergänzungen oder gegebenenfalls Korrekturen sind bitte an gunter.stemmler@stadt-frankfurt.de
zu schicken. Vielleicht ist das älteste Goldene Buch noch zu entdecken?

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