Europa in Wien: Unvollständige Bestandsaufnahme einer langjährigen Bemühung

Europa in Wien: Unvollständige Bestandsaufnahme einer langjährigen Bemühung

Entweder man bemüht sich step by step, den europäischen Gedanken zu kommunizieren, oder man belässt ihn dort, wo er immer schon zu Hause war: im für Außenstehende relativ schwer durchschaubaren Bereich der Politik und der damit befassten Gremien und Behörden. Wien bemüht sich redlich auch um ersteres.

 

Vor vierzehn Jahren war Europa in aller Munde. 1995, als Österreichs Beitritt via Volksabstimmung auf dem Programm stand und landauf, landab die Vorzüge des Beitrittes in die Union der damals 12 Staaten beworben wurde. Der überraschend große Erfolg der positiven Abstimmung – eine deutliche Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher stimmte damals mit „ja“ – ist Vergangenheit. Heute liegt Österreich mit seiner EU-Unzufriedenheit, konstant bestätigt in unzähligen Meinungsumfragen, in den vorderen Rängen. Von der Euphorie vor vierzehn Jahren ist offensichtlich nicht allzu viel geblieben. Ratschläge, wie man es besser machen müsste, gibt es zuhauf.
Es dürfte wohl nicht ganz unrichtig sein zu behaupten, dass die Europäische Union als Label dort funktioniert, wo sie als handfester, brauchbarer Verweis existiert. So geschehen in Wien in den 90er-Jahren in Form des Gürtel-plus-Revitalisierungsprojektes URBAN, wo am Ende u. a. das „Produkt“ Gürtellokale stand. So gesehen könnte auch der Twin City Liner zitiert werden, auch wenn dieser nur mit geringen Mitteln aus einem EU-Topf ins Leben gerufen wurde. Nichtsdestotrotz: Der mit über 200.000 Besuchern seit 2006 gut ausgelastete Passagierverkehr zwischen den beiden Hauptstädten Bratislava und Wien via Wasserstraße Donau macht das Thema „Grenzüberschreitung“ zumindest greifbar und attraktiv. Dass zeitgleich die Reportagen des Schriftstellers Martin Leidenfrost, erschienen im Sammelband „Die Welt hinter Wien“, über die Exotik der wirklich nahen Slowakei auf so großes Interesse gestoßen ist, stimmt freilich ebenfalls.
Folgt man den Einschätzungen der Wiener Mandatarin und Vorsitzenden der Europakommission des Wiener Gemeinderates, Elisabeth Vitouch (SPÖ), dann wird die EU von Wien auch jenseits spektakulärer Millionen-Töpfe-Verbesserungen vorangetrieben. Einmal bei einer Bildungsveranstaltung für Wiener Schülerinnen und Schüler, ein anderes Mal bei einem kulturellen Grätzl-Fest: Für Vitouch, die seit einigen Jahren im Auftrag des Bürgermeisters Wien bei zig EU-Sitzungen und Veranstaltungen vertritt und dadurch einen guten Einblick in das Innere von Brüssel/Straßburg & Co hat, ist „Europa so ähnlich wie das Thema Gender-Mainstreaming einzuschätzen, nämlich als Querschnittsmaterie“. Nicht unähnlich auch die Einschätzung von Ursula Stenzel (ÖVP), Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, die jahrelang als Mandatarin im Europäischen Parlament gesessen ist. „Wien und Österreich haben massiv von Europa profitiert. Es ist an der Zeit, die EU-Vernaderei zu beenden und Europa ernsthaft zu debattieren.“ Was für Stenzel auch bedeutet, die gesamte EU realistisch einzuschätzen. In Brüssel zuzustimmen und zu Hause nicht dabei gewesen zu sein, sei jedenfalls schlichtweg Unfug. In Sachen Bedeutung der Städte fällt ihre Einschätzung etwas anders aus: Der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE), in dem auch diverse Städte vertreten sind, leiste durchwegs gute Arbeit. Auch der Zusammenschluss zwischen ländlichem Raum und Stadt in diesem Gremium wertet sie nicht negativ. Für die Innere Stadt äußert sie sich in Sachen Europa sehr positiv: „Gehen Sie alleine nur durch die Gassen und Straßen und hören Sie die verschiedenen Sprachen!“ Auch Bezirkspartnerschaften mit Budapest und anderen Städten Ostmitteleuropas gehören zum europäischen Engagement der Inneren Stadt. Eine Ebene, die natürlich auch andere Wiener Bezirke pflegen. Nirgendwo ein Manko auszumachen? Zumindest eines fällt Stenzel sofort ein: Die EU muss noch viele Prozesse transparenter gestalten. Und in Richtung Wien: Ein größeres Interesse an den Sprachen der angrenzenden Nachbarn „wäre sicherlich wünschenswert“.
Neben der politischen Ebene sind es vor allem die Dienststellen der Stadt Wien, die nicht nur das dunkelblaue Sternen-Logo, wo es angebracht ist, konsequent betonen und verwenden und darüber hinaus auch die europäische Gesinnung vorantreiben. Etwa im Planungsbereich, wo Ausstellungen europäische Problemstellungen im großstädtischen Ambiente thematisieren, ebenso im Kulturbereich, wo Programmschienen, wie etwa das XXL-Filmfestival, ein dezidiert dem europäischen Qualitätsfilm verpflichtetes Kinoprogramm, Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Reflexion und Begegnung ermöglichen. Oder bei der Koordinierung von EU-Agenden durch die MA 27 (EU-Strategie und Wirtschaftsentwicklung), wo auch die Öffentlichkeitsarbeit über alle Vorhaben mit EU-Förderung thematisiert wird. Im Zeitraum 2007 bis 2013 stehen 25 Millionen Euro aus dem EFRE-Fonds (Fonds für regionale Entwicklung) für die Steigerung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit Wiens zur Verfügung. Wien ergänzt mit demselben Beitrag. Das umfangreiche Kommunikationspapier dazu unterstreicht deutlich die Bedeutung der Kommunikation über diese Maßnahmen und zielt darauf ab, „den Kenntnisstand der Öffentlichkeit in Wien über das Programm zu erhöhen und den Beitrag der Europäischen Union (EU) zur Wiener Regionalpolitik transparent zu machen“.
Ein Bohren durch dicke Hölzer? Ja, aber gleichzeitig und an vielen Stellen, könnte man sagen, wenn man sich in diesem Zusammenhang die jährlich erscheinenden Berichte der „Internationalen Aktivitäten der Stadt Wien“ näher ansieht: Diese Reviews, seit vielen Jahren herausgegeben vom Büro für Auslandsbeziehungen der Stadt Wien, sind nicht nur eine brauchbare Zusammenschau der außenpolitischen Aktivitäten einer regen und aktiven Großstadt in Zentraleuropa, sondern sie machen bereits beim oberflächlichen Querlesen klar, wie vielfältig die europäischen Bohrer in Wien im Einsatz sind. Ob im Stadtschulrat bzw. im Bildungsbereich, wo Austausch und Begegnung zwischen Schülerklassen beispielhaft aus der Brigittenau und einem Stadtbezirk von Bratislava stattfinden, aber auch die Forcierung von Native Speakers aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei eine Rolle spielen, über charmante Wien-Präsentationen durch Wien-Bälle des Pressedienstes bis zur erfolgreichen EU-Vermittlungstätigkeit des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF): In Summe ergibt sich da ein breites Spektrum nicht nur weltweiter, sondern vor allem auch nachbarschaftlicher europäischer Aktivitäten, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Spuren hinterlassen.
So gesehen, kann man sich die Stadt Wien auch als Bühnenarbeiter vorstellen, quasi als kommunaler Roadie neben anderen Großstädten, die das Erfolgsstück „Europe on Tour“ verlässlich bewerkstelligt, konsequent die kleinen und großen Bühnen für „Europa“ aufbaut, bespielt, daran via Veranstaltung, Aussendung und Redebeitrag erinnert, nicht müde wird, darauf hinzuweisen, dass diese Verbesserung im Straßenbild, jener Forschungsaustausch auch dank Fördermittel aus jenem oder jenem EU-Topf möglich wurde. Kurz: „Europa im kleinen Handverkauf“ (Vitouch). Denn es geht ja auch darum: Um das Mitdenken europäischer Images, schlicht und ergreifend um konsequente Markenpflege, auch wenn nicht jedermann das dunkelblaue Sternen-Logo so sexy findet wie jenes von Nike oder Puma.
Ob das der EU in Wien weiterhilft? Ob man deswegen in Liesing oder Penzing europäischer denkt? Falsche Fragestellung, denn: Am Zustand, dass die EU nicht zu Unrecht von vielen Zeitgenossen als Abstraktum erfahren wird, ändert alleine die Logo-Pflege nicht viel. Also doch die Event-Karte ziehen? Europa als Emotion ins kommunale Schaufenster stellen? Europa-Fest anstelle von Forum-Alpbach-Nachdenklichkeit? Dass ein bisschen mehr Emotion nicht schaden könnte, ergab zumindest die Nachfrage bei den Gesprächspartnern hinsichtlich der Fußball-Europameisterschaft heuer im Juni: Gut und einwandfrei über die Bühne gegangen hat die „EM“ nach Einschätzung der Interviewpartner schon etwas Positiv-Bewegendes mit sich gebracht. Die in Orange kostümierten Holländer-Fanzüge, die jubelnden und mitfiebernden kroatischen und deutschen Fans, die deutliche Präsenz der türkischen Wiener Community: Auch wenn es bei all dem sicherlich nicht um EU-Fragen ging, die Entdeckung einer europäischen Vielfalt der Kulturen im Großstädtischen war während dieser Wochen sicherlich für sehr viele erstmals zu verspüren.
Europa, das ist in Wien aber auch dort zu Hause, wo man spätabends mit der U6 vorbeifährt: Ewa im WIFI am Währinger Gürtel oder im BFI in der Leopoldstadt, wo am Abend unzählige bildungswillige Stadtbewohner in von Neonlicht erleuchteten Seminarräumen sitzen, um dieses oder jenes Zertifikat zu erwerben, dass dann aber europaweite Gültigkeit besitzt. Natürlich werden viele dieser Freiheiten und Möglichkeiten nur dann schlagend, wenn man im Ausland arbeiten will. Erst dann, wenn man nach Irland, Italien, Ungarn oder nach Skandinavien ziehen will, merkt man, wie sehr Europa schon auch eine Wirklichkeit für den eigenen Lebenslauf, für die eigene Berufskarriere geworden ist. Europa bewegt, überredet, einige Schritte zu machen: Wer das Angebot annimmt, merkt unmittelbar die Benefits gegenseitiger Zeugnis- und Ausbildungsanrechnungen. Auch wer Geschäftsbeziehungen über die rot-weiß-rote Grenze macht, weiß, wie relevant genormte Ausschreibungsverfahren, einheitliche Standards sind, um miteinander ins Geschäft zu kommen. Wer das alles nicht will oder braucht, lieber in der Stadt „und sonst nirgends“ lebt, der wird freilich Europa vor allem als Kaffeehausthema entdecken und pflegen. Wobei er in den heimischen Feuilletons wenig über „europäische Gedanken“ im Stile eines Friedrich Heers nachlesen wird können. Europa im rot-weiß-roten Kulturbereich gibt sich weniger nachdenklich und sonntäglich als vielmehr alltäglich. Anstelle von Reflexion etwa über Thematiken wie „Grenzen Europas“, „Identität“ oder „Europäische Verfassung“ geht es eher um Theaterkrise, Ausstellungs-Coups und Oscar-Nominierungen. Als aufmerksamer Zeitungsleser wird man den Eindruck nicht los, dass anderswo wesentlich unaufgeregter und zugleich ergiebiger über das Geistige von Europa geschrieben, berichtet und debattiert wird.
Spricht man mit diversen Fachleuten, wird eines deutlich: Die europäische Zeitmessung ist eine „morgige“. Immer wieder folgt der Hinweis auf die nachwachsende Generation. Internationaler, offener, besser ausgebildet, vitaler: Trifft die Einschätzung zu, dann hat es Europa mit der nächsten Generation um vieles einfacher. Nicht zuletzt wohl auch in Wien.

OEGZ

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