„Europa ist wie Gender- Mainstreaming eine Querschnittsmaterie …“

„Europa ist wie Gender- Mainstreaming eine Querschnittsmaterie …“

Wiens Mandatarin in Sachen Europa, Gemeinderätin Elisabeth Vitouch, ist seit 2001 Mitglied des Wiener Gemeinderates bzw. Landtages. Seit 25. Jänner 2007 sitzt sie der Wiener Gemeinderat-Europakommission vor. 2007 wurde Elisabeth Vitouch vom Österreichischen Städtebund als Ersatzmitglied für den Ausschuss der Regionen (AdR) der Europäischen Union nominiert und setzt sich dort für die Interessen der Städte Österreichs ein.

 

ÖGZ: Sind Sie eigentlich mit der Berichterstattung über die Tätigkeiten des Ausschusses der Regionen (AdR) zufrieden? Speziell für Wien gesprochen?
Elisabeth Vitouch: Ehrlich gesagt: nein, wobei das jetzt weniger die Wiener Medien betrifft, als die Berichterstattung vor Ort. Ein kleines Beispiel: Ich erinnere mich noch gut an einen sogenannten strukturierten Dialog mit EU-Kommissarin Benito Ferrero-Waldner, der medial schlichtweg ignoriert wurde. Obwohl Brüssel dazu umfangreiche Information aufgelegt und erarbeitet hatte: Selbst den ORF vor Ort hat es nicht interessiert. Man kann den Ausschuss der Regionen als Europäische Union auf die kommunale Ebene herunterbrechen und für die Kommunikationsebene schlichtweg sagen, dass sich dafür fast niemand interessiert.
ÖGZ: Weitere Beispiele?
Vitouch: Vor dem heurigen Sommer hat der Ausschuss der Regionen einen breit angelegten Fotowettbewerb für Jugendliche zum „Jahr des interkulturellen Dialoges“ ausgeschrieben. Ich persönlich habe keine Rückmeldung erhalten, dass in Wien die Aktion in irgendeiner Art und Weise angenommen oder kommuniziert worden ist.
ÖGZ: Vielleicht lag es ja an den Preisen?
Vitouch: Das glaube ich nicht. Neben zugegebenermaßen absehbaren Preisen wie Fotoapparate gab es auch Teilnahmemöglichkeiten an EU-Sitzungen, wo man sich denkt, das müsste doch eigentlich interessant sein. Ich persönlich denke, dass das allgemeine Interesse schlichtweg sehr gering ist. Ich glaube, Erhard Busek hat einmal gesagt, „einen Binnenmarkt kann man nicht lieben“. Anders gesagt: Alles, was nicht über Emotion geht, lässt sich schwer vermitteln.

Europa mit Emotion verbinden

ÖGZ: Also mehr Emotion in die Thematik einfließen lassen?
Vitouch: Ja, man müsste eine emotionalere Bindung herstellen. Etwa in die Schulen gehen, was der AdR auch brav in Hinsicht auf die bevorstehenden Europawahlen bereits begonnen hat. Nur, da gibt es dann ganz banale Probleme: Ich selbst wollte in die Schule gehen, wo meine beiden Söhne maturiert haben, und habe beim Direktor vorgesprochen, dass ich gerne mit den siebten und achten Klassen über Europa diskutieren würde. Die Antwort war ein „Wir melden uns“, was aber nicht stattgefunden hat. Conclusio: Man will solche Dis¬kussionen nicht, weil alle vor der politischen Dimension Angst haben.
ÖGZ: In den 90er-Jahren konnte Wien mit dem URBAN-Projekt, das die Sanierung des Gürtelbereiches zum Thema hatte, sehr positiv die europäische Dimension verkaufen. Welche Rolle haben bei diesem Kommunikationsprozess die Kommunen eigentlich inne?
Vitouch: Aus meiner Sichtweise arbeitet die kommunale Ebene durchwegs seriös und positiv in diese Richtung. Auch die EU-Vertretung in Wien macht durchwegs interessante Veranstaltungen, ebenso wie der EU-Koffer vom Außenministerium im Zuge des Lissabon-Vertrages, der eine unglaubliche Fülle an Materialien gehabt hat. Der Punkt ist nur: Mit Papier alleine kommt man nicht an die Leute heran.
ÖGZ: Werben Sie auch persönlich auf der „Straße“ für die EU?
Vitouch: Durchaus. Meine Erfahrung ist deswegen auch folgende: Wenn ich in meinem Bezirk Materialien austeile, sind die Leute auch interessiert. Was mit den Materialien zu Hause passiert, weiß ich freilich nicht. Ich finde alles gut, was auffällt. Es gab seinerzeit in Wien zum Europatag die „Europa-Bim“. Das war zum Beispiel eine sehr gute Idee gewesen.
ÖGZ: Wenn es heute bereits einen „Tag des Apfels“ gibt, hat sich da Europa nicht auch einen eigenen Tag in Wien verdient?
Vitouch: Ich finde schon. Es geht doch schon so vieles in Richtung Event. Gerade bei Europa, das ja in Zeiten neuerlicher aktueller Kalter-Krieg-Stimmungen vor allem als größtes Friedensprojekt anzusehen ist, müsste man die Thematik als Querschnittsmaterie angehen. Ich vergleiche das immer gerne mit dem Prinzip des Gender-Mainstreaming, wo ja auch alles – vom Garagenbau bis zu Postenbesetzungen – in diesem Sinne bedacht und berücksichtigt wird.

Europa gehört breit kommuniziert

ÖGZ: Was bedeutet?
Vitouch: Na, das ist doch klar: Wenn die EU auch eine solche Berücksichtigung erhielte, dann muss bei der Lehrplanerstellung in der Schule das Thema beim Fach „Politische Erziehung“ drinnen sein. Detto beim Film, wobei hier die Berück¬sichtigung schon Realität ist. Aber auch im Wiener Rathaus müsste dies gelten: Das beginnt beim Stadtgartenamt und endet bei der Verkehrsplanung.
ÖGZ: Nun sind Sie ja seit Anfang 2007 Vorsitzende der Europakommission des Wiener Gemeinderates. Müsste man sich da nicht auch von der Wiener Stadtregierung mehr EU-Unterstützung – auch jenseits konkreter Anlässe – wünschen?
Vitouch: In realiter läuft diese Position im politischen Alltag mit. Das bedeutet: es gibt kein eigenes Büro, keine eigene Infrastruktur. Viele Termine, die ich wahrnehme, passieren ja auch in Vertretung des Bürgermeisters. Was konkret durch mich geschieht, ist Lobbying im Ausland. Meiner Erfahrung nach muss man sich allerdings selbst gut vernetzen. Das bleibt einem nicht erspart.
ÖGZ: Apropos „vernetzen“: Bei der Fußball-Europameisterschaft im Juni wurden neben dem „Einnetzen“ auch viel Europäisches „vernetzt“. Hat es Ihnen gefallen?
Vitouch: Und wie! Sport, Schulen und Kultur: das sind ja alles Gebiete und Terrains, wo vieles für Europa getan werden kann bzw. wird. Mein persönliches Steckenpferd als Wiener Gemeinderätin, die im Kulturausschuss zu Hause ist, ist der europäische Film. Denken Sie nur an die Schiene des XXl-Filmfestivals, wo Mercedes Echerer als Leiterin des Programms durchaus den Kopf in die Höhe bekommen hat. Die gesamte europäische Filmförderung ist höchst relevant, weil sie zumindest etwas gegen die „Hollywoodisierung des Kinos“ setzt. Gerade heute haben ja Fragen der nationalen Identität, die früher im rechten Eck gestanden sind, wieder eine Relevanz: Die nationalen Eigenheiten werden in einem gesunden Wettbewerb wieder akzentuiert. Das widerspricht ja auch nicht dem Gedanken des Zusammenwachsens.
ÖGZ: Gibt es da nicht oft Missverständnisse?
Vitouch: Ja, das wird sehr oft missverstanden. Die EU gerät viel zu oft unter den Verdacht, nur nivellieren zu wollen. Dem sollte man ja auch entgegenwirken. Eigentlich sollen ja die nationalen Stärken gefördert werden, denn nur so kann man die ganze EU stärker machen. Wichtig da¬bei ist, dass dies alles über die reine Bin¬nenmarktdiskussion hinausgehen muss.
ÖGZ: Bei 27 Mitgliedsstaaten ein oft nicht leichter Weg …
Vitouch: Das will auch niemand behaupten. Oft ist es ein mühsames Bohren harter Bretter, um hier Max Weber zu zitieren.

Städte nicht vergessen

ÖGZ: Zurück in die Städte: Wenn ein Großteil der Europäer in großstädtischen Bereichen wohnt, hat man da nicht den Eindruck, dass diesem Faktum in Brüssel zu wenig Rechnung getragen wird?
Vitouch: Da bin ich ganz bei Ihnen. Auch der Wiener Bürgermeister hat das schon oft erwähnt, nämlich: Über kurz oder lang wachsen alle Regionen aus dem Umland der Städte zusammen. Letztendlich werden wir alle einmal in Städten leben. Ein konkretes Beispiel aus der AdR-Arbeit: die Telekommunikation. Es ist gar nicht lange her, da gab es den Antrag, speziell ländliche Randgebiete in Sachen Ausbau des Breitbands & Co. stärker zu berücksichtigen. Von unserer Seite gab es dann den Einwand, dass man dabei auch den städtischen Bereich nicht vernachlässigen darf. In den Städten gibt es sehr viel mehr Benachteiligte, die keinen Breitband-Internetanschluss haben. Auch der AdR wird über kurz oder lang mehr bei den Städten anfragen müssen, um auch deren Interessen stärker zu berücksichtigen.
ÖGZ: Müsste man dann auch irgendwann über den Namen Ausschuss der Regionen zu debattieren beginnen?
Vitouch: Im Prinzip könnte das schon am Ende einer solchen Diskussion stehen. Zugleich muss man aber auch die Wirklichkeit in ihrem Rang lassen: Die „Euro¬cities“ wären über solch eine Entwicklung sicherlich nicht sehr glücklich, weil das ja einem Wildern in anderem Terrain gleichkommen würde. Und seien wir doch ehrlich: Bei all dem geht es auch um die Zuteilung von Fördermitteln und Ressourcen.
ÖGZ: Wien hat ja aufgrund seiner Stärke und Größe zumindest in Österreich den Vorteil, dass es mehr oder weniger problemlos in Europa, in der Europäischen Union und bei deren Programmen mitwirken kann. Für kleine Städte ist aber die Teilnahme an EU-Programmen oftmals allein aufgrund mangelnder Ressourcen im eigenen Haus schwierig. Um auf den Punkt zu kommen: Müsste man für kleinere Städte nicht ein einfacheres Procedere entwickeln?
Vitouch: Das sehe ich eigentlich nicht ganz so. Natürlich gibt es ein bürokratisches Problem innerhalb der EU, nur es gibt auch Städtepartnerschaften, es gibt ein anwendbares Know-how, welches ja auch Wien gerne zur Verfügung stellt. Für Wien wäre da insbesondere der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF) zu nennen, der ein sehr gutes europäisches Vermittlungsangebot darstellt. Oder der Filmfonds für die Filmschaffenden. Dazu kommt noch: Wenn man die erste Einreichungshürde einmal bis zuletzt durchgemacht hat, kennt man sich schlichtweg besser aus. Die eigentliche Schwierigkeit liegt meiner Meinung oftmals darin, die passenden Leute zusammenzubringen. Generell glaube ich nicht, dass diese Thematik ein Problem mangelnder städtischer Größe ist. Parallel gibt es ja auch ernsthafte Bestrebungen seitens der EU, bürokratische Hürden so gering wie möglich zu gestalten.
ÖGZ: Danke für das Gespräch.

(Das Interview führte Hans-Chistian Heintschel, Stadt Wien, MA 53.)

OEGZ

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