Interview mit der Leiterin des ÖStB-Büros Brüssel

Interview mit der Leiterin des ÖStB-Büros Brüssel

ÖGZ: Warum ist der Österreichische Städtebund in Brüssel?
Simona Wohleser: Weil die Kommunen als EU-Akteure für uns nie fraglich, sondern selbstverständlich waren. Weil wir uns nicht unter die Bittsteller einreihen, sondern aktiv an der EU-Gesetzgebung mitarbeiten, uns einbringen und österreichisches Know-how weitergeben wollten und weil die österreichischen Kommunen den Eindruck hatten, vom Bund über europäische Angelegenheiten nicht ausreichend oder verspätet informiert zu werden. Weil wir gemeinsam mit den anderen nationalen Verbänden in Brüssel eine kommunale Ansprechbasis für die EU-Institutionen aufbauen wollten.
ÖGZ: Wer ist noch in Brüssel?
Wohleser: Eigentlich alles, was Rang und Namen hat. Insgesamt sind ca. 20.000 Lobbyisten und ca. 3.000 akkreditierte Journalisten anzutreffen. Das sind sogar mehr als in der Lobbyistenhauptstadt der Welt, in Washington D.C. Lediglich 6% der Lobbyisten entstammen der regionalen und kommunalen Ebene. Den Hauptanteil bilden Industrie- und Wirtschaftsvertretungsbüros. Dazu kommen noch die diplomatischen Vertretungen der 27 EU-Mitgliedstaaten und die ca. 150 diplomatischen Vertretungen von Drittländern (z. B. USA, Japan, China, Schweiz, Norwegen etc). Der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund fallen in Brüssel auch unter die Lobbyisten, aber sie haben die bevorzugte Stellung von Lobbyisten im Verfassungsrang.
ÖGZ: Wie arbeitet man in Brüssel?
Wohleser: Unter Hochspannung. Mit vier griffigen englischen Worten wird die Arbeit in Brüssel umschrieben: Monitoring – Beobachtung und Begleitung des Gesetzgebungsprozesses in den für uns wichtigen Gesetzesvorhaben und Initiativen; Networking – Aufbau und Pflege von formellen/informellen Kontakten zu Kollegen in den EU-Institutionen, anderer Verbindungsbüros und unserer Dachverbände; Lobbying – Beeinflussung des Gesetzgebungsprozesses und anderer Initiativen; Promoting – Präsentation des Büros (durch Ausstellungen/Lesungen etc.) – dies ist jedoch eher für die größeren Büros gedacht.
ÖGZ: Was macht der Städtebund in Brüssel?
Wohleser: Er versucht das Gras wachsen zu hören. Eigentlich versuchen wir schon bevor noch eine Initiative, ein Gesetzesvorschlag von der Kommission angedacht wird, herauszufinden, ob es tatsächlich dazu kommen wird und welche Auswir¬kungen dies auf die Kommunen haben könnte … Das heißt, aus einer nahezu unendlichen Flut von Informationen aus Kommission, Rat und Parlament, einem Wust von Vorhaben, Empfehlungen, Anhörungsverfahren, Richtlinien und Verordnungsvorschlägen versucht man diejenigen Vorhaben zu erkennen, die für die Städte in Österreich wichtig werden könnten. Es werden die Arbeitsprogramme der Europäischen Kommission regelmäßig durchforstet, es werden Grün- und Weißbücher, Mitteilungen, Richtlinienvorschläge und Verordnungsvorschläge gelesen und erklärt. Es wird eine vorläufige Interpretation durchgeführt. Zusätzlich wird für den Städtebund an Veranstaltungen internationaler Gremien teilgenommen und werden die Delegierten des Städtebundes zum Ausschuss der Regionen und Kommunen (AdR) betreut.
ÖGZ: Wie verschafft man sich in Brüssel Ge¬hör?
Wohleser: Genauso wie in Österreich, man schmiedet Koalitionen, auch Regenbogenkoalitionen. Wir „Kommunalisten“ agieren gemeinsam mit unseren Kollegen aus den anderen nationalen Kommunalverbänden und unserem Dachverband. Wir sind eine streitbare, hartnäckige und kritische Masse in Brüssel.
ÖGZ: Warum kann man diese Arbeit nicht von Wien aus erledigen?
Wohleser: Gegenfrage: Warum wird die Arbeit des Österreichischen Städtebundes, Österreichischen Gemeindebundes, der Verbindungsstelle der Bundesländer in Wien gemacht und nicht irgendwo sonst in Österreich? Die deutschen Verbände (Anm. d. Red: Deutschland ist EG-Gründungsmitglied und daher seit 1957 dabei) haben das einige Jahrzehnte von Deutschland aus versucht, bis sie dann 1992 ihre Büros in Brüssel eröffnet haben. Will man pro-aktiv arbeiten, Kontakte schließen und erste (interne) Informationen erhalten, so ist das vor Ort einfacher. Nicht immer lassen sich vertrauliche Gespräche per E-Mail oder Telefon führen.
ÖGZ: Ein Wort zum Abschluss?
Wohleser: Eigentlich wäre es an der Zeit, Europa als Verwaltungs- und Regierungsebene wahrzunehmen. Man könnte, so wie der Städtebund das macht, statt Polemik gegen Europa, die EU-Beschlüsse konstruktiv begleiten und man könnte beizeiten damit aufhören, europäische Entscheidungsprozesse als ferngesteuert darzustellen.

OEGZ

ÖGZ Download