Doppik nur eine Frage des Stils?

Doppik nur eine Frage des Stils?

Replik zum Beitrag von Klug in ÖGZ 9/2008

 

Einleitung
Seit geraumer Zeit wird auf österreichischer und internationaler Ebene gemutmaßt und diskutiert, ob und wann die Modernisierung des öffentlichen Haushaltswesens – von Kameralistik („Cash-Accounting“) auf Doppik („Accrual Accounting“) – auf Österreich übergreifen werde. Jüngst hat Klug (in ÖGZ 9/2008) dazu Stellung genommen und resümiert, es bedürfe eines zielbezogenen öffentlichen Rechnungswesens, „losgelöst von der Frage Doppik oder Kameralistik“.
Der vorliegende Beitrag versteht sich als Replik, als Ergänzung und als vertiefte Bearbeitung des Themas. Einerseits möchte der Verfasser zu einer objektivierten Diskussion der Frage des Rechnungslegungsstiles beitragen, andererseits auch oftmals gehörte Argumente „pro und kontra Kameralistik“ kritisch hinterfragen.
Nach Abwägung aller Argumente gelangt der Verfasser zum Ergebnis, dass eine Umstellung auf die doppische Rechnungslegung für den öffentlichen Sektor zu befürworten ist. Bei der Umstellung sollte – nach dem Vorbild anderer Staaten – zunächst auf regionaler Ebene „geübt“ werden und sollte daher eine stufenweise Umstellung – anstatt eines „Big Bang“ – erfolgen. Ferner plädiert der Verfasser für eine Umsetzung „mit Augenmaß“ verbunden mit einer realistischen Erwartungshaltung über Aussagekraft und Richtigkeit der Zahlen.

Accrual Accounting in Europa – Where are we and where to go next?
Wie sich der Verfasser dieses Beitrages anlässlich eines Besuches einer einschlägigen Konferenz („Modernising Accounting in the Public Sector“) in Brüssel vom 23. Ok¬tober 2008 (Veranstalter: Europäische Kommission und FEE1) vergewissern konn¬te, ist der Zug in Richtung „Doppik“ („Accrual Accounting“) im öffentlichen Haushaltswesen nicht mehr aufzuhalten.
Seitens der Europäischen Kommission und auf Druck zahlreicher Berufsverbände der Wirtschaftsprüfer (IFAC, FEE, CIPFA)2 sowie verschiedener „Standard-Setter“ (IPSASB, CIGAR)3 ist die Frage nach dem „Ob“ bereits mit „Ja“ beantwortet, und lediglich die Frage nach dem „Wie“ noch in Diskussion. (Die Fragestellung der erwähnten Konferenz lautete: „Where are we and where to go next?“)
In Österreich befasst sich von berufsständischer Seite eine Arbeitsgruppe des Institutes der Wirtschaftsprüfer (IWP) mit Fragen der Rechnungslegung und Prüfung des öffentlichen Sektors; dieser Arbeitsgruppe gehört auch der Verfasser an.
Einige der aktuell in Fachkreisen diskutierten Fragen – kursorisch aufgelistet – betreffen:
- Bloßes „Accrual Accounting“ oder auch Übergang auf „Accrual Budgeting“?
- Teilweise oder gesamte Übernahme der IPSAS?
- Formulierung eines „Framework“ für die IPSAS.
- Lösung von einzelnen Bewertungsthemen, z. B. betreffend „Heritage assets“, Pensionsverpflichtungen, Bewertung öffentlichen Gutes, Bilanzierung von Besteuerungsrechten („Right to tax“) als immaterieller Vermögenswert, Frage der Abbildung von Währung im Umlauf („Currency in Circulation“) u. Ä.
Sowohl die EU-Kommission selbst als auch einige Staaten Europas (Frankreich, Schweden) und – als Beispiel für supranationale Organisationen – auch die Vereinten Nationen haben bereits in weiten Teilen eigenständige Lösungsansätze für Accrual Accounting entwickelt und umgesetzt bzw. in vielen Fällen die IPSAS ganz oder teilweise übernommen.

Doppik unvereinbar mit den Zielen öffentlicher Haushalte?
Die Diskussion um die Frage des künftigen „Rechnungsstiles“ gleicht bisweilen einem „Glaubenskrieg“. Gegner der Doppik – wie z. B. Klug im zitierten Beitrag – sprechen davon, dass die Frage des Rechnungsstiles gar eine „philosophische Grundsatzfrage, abhängig von der jeweiligen politischen und ideologischen Position“4 sei.
Grund genug, sich damit auseinanderzusetzen: Klug lobt in seinem Beitrag die Pionierleistungen österreichischer Kameralwissenschaftler und lehnt die Doppik mit folgenden Worten ab: „Die Doppik ist das Rechnungswesen der Privatwirtschaft, die Individualgüter mit Gewinnerzielungsabsicht produziert und zu Marktpreisen anbietet. (…) Das Gewinnziel der Doppik spielt im öffentlichen Bereich keine Rolle.“5
Als Begründung führt Klug a. a. O. an: „Dem Gewinnprinzip entsprechend wird die Kreditwürdigkeit durch Aufstellung einer Vermögensbilanz und Erfolgsrechnung durch entsprechendes Rating beurteilt. Die Zinsbelastung für die öffentliche Hand ergibt sich auf der Grundlage umstrittener Bewertungsmethoden, womit Druck auf öffentliche Verwaltungen in Richtung Privatisierung mit der Behauptung ausgeübt werden kann, dass der Staat nicht oder nur schlecht wirtschaften könne.“
Als Replik ist hierzu anzuführen:
- Das „Gewinnziel der Privatwirtschaft“ ist keine notwendige Funktionsvoraussetzung für die Doppik. Richtig ist, dass erwerbswirtschaftliche Unternehmen weltweit die Doppik einsetzen. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass die Doppik für den öffentlichen Bereich nicht geeignet wäre, ist nicht näher begründbar und wird auch von Klug nicht widerlegt.
- Infolge der weltweiten Verbreitung der Doppik kann auf ein umfassendes Gesamtkonzept zur Rechnungslegung zurückgegriffen werden. Technische und personelle Ressourcen zur Nutzung des Know-hows sind im Bereich der Doppik unerschöpflich und kostengünstig vorhanden. Im Vergleich dazu stellt das Wissen um die „kameralistische Wissenschaft“ eine Spezialdisziplin dar, für die eigenständige Schulungs-, Forschungs- und Entwicklungslösungen erforderlich sind.
- Durch die jüngere Tendenz öffentlichrechtlicher Körperschaften, wirtschaftliche (wenn auch nicht immer kostende¬cken¬de) Aktivitäten in privatrechtliche Organisationsformen auszugliedern, entsteht ein „Zwei-Welten-Problem“: hier der hoheitliche, kameral abgebildete Bereich, dort der schon längst doppisch bilanzierende Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung. Klug mögen die Ausgliederungen schon an sich ein „Dorn im Auge“ sein – aber gerade aus einer kritischen Einstellung zu Auslagerungen heraus müsste er an einer „konsolidierten“ Zusammenführung von Hoheit und Privatwirtschaftsverwaltung interessiert sein.
Mit anderen Worten: die Rechnungslegungsmethode ist nicht das Problem, sondern das Mittel, um die Finanz- und Ertragslage transparent darzustellen.
Die Doppik ist auch nicht die „Verursacherin“ von Ausgliederungen. Vielmehr wahr ist, dass die Begrenztheit öffentlicher Budgetmittel vielerorts zu einem Umdenken geführt hat. Es kann an vielen Beispielen theoretisch und empirisch gezeigt und wohl nur schwerlich bestritten werden, dass Ausgliederungen Effizienzsteigerungen begünstigen:
- Verringerung von Organbeschlusszuständigkeiten; Entlastung von Organen von operativen Detailentscheidungen und politischer Tageswetterlage,
- dezentrale Bewirtschaftung erleichtert kostengünstigere und flexiblere Ressourcenallokation – etwa wenn man nur den Fall des Ausgleiches von Auslastungsspitzen bedenkt,
- privatrechtliche Beschäftigungsformen erhöhen tendenziell die Leistungsanreize für die Belegschaft,
- in diesem Zusammenhang ist auch anzuführen, dass in der Wirtschaftsverwaltung eine Ungleichbehandlung von Arbeitskräften des öffentlichen und des privaten Sektors (bei gleichem Aufgabengebiet) nicht marktkonform und auch nicht rechtfertigbar ist,
- letztlich: rechtzeitige Vorsorge für Belastungen künftiger Perioden durch Rückstellungen und Abschreibungen („Accruals“) in ausgegliederten Rechtsträgern.
Zusammenfassend und als Schlussbemerkung zu diesem Abschnitt: die Finanzlage des öffentlichen Sektors wäre heute eine wesentlich bessere, hätte man bereits in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten planmäßige Vorsorgen („Accruals“) für Pensionszahlungen und etwa für unterlassene Instandhaltungen gebildet.

Auswüchse des „Accrual Accounting“ als Einwand?
Dass die Doppik – insbesondere in ihrer international geübten Ausprägungsform – auch Fehlentwicklungen nehmen kann, liegt in der Natur jeder von Menschenhand geschaffenen Sache. An dieser Stelle hierzu nur zwei Beispiele für Auswüchse:
- „Normensetzungsvielfalt“: Das „Standard-Setting“ im angloamerikanischen Raum (US-GAAP, UK-GAAP) hat in Form der IAS/IFRS auch Europa übernommen. Hier prallen zwei Regelungsparadigmen aufeinander. Während das europäische Unternehmensrecht mit verhältnismäßig wenigen Regelungen und einem Abstellen auf die nur ansatzweise kodifizierten „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“ auskommt, gehen die internationalen Rechnungslegungsstandards den Weg der Beschreibung von Lösungen für jegliche denkmögliche Frage. Dementsprechend umfassend und „reformfreudig“ sind die internationalen Regelungen. Der Anwender erstickt beinahe unter der Last der wöchentlich veröffentlichten Drafts. Die Vergleichbarkeit von Rechnungsabschlüssen wird durch die Normsetzungswut und Reformfreude der Standard-Setter zunehmend erschwert.
- Abgehen vom Vorsichtsprinzip: die im angloamerikanischen Raum verbreitete Möglichkeit, über die Anschaffungskosten eines Vermögenswertes hinaus aufzuwerten („Fair Value Accounting“), trägt das Risiko in sich, dass positive und negative wirtschaftliche Perioden in den Büchern extrem verstärkt werden. Die aktuelle weltweite Krise im Finanzsektor beweist dies eindrucksvoll. Ob die aktuelle Krise zu einem Umdenken führt, bleibt abzuwarten.
Die hier aufgezeigten Problembereiche des „Accrual Accounting“ sind, so sehr man diese auch kritisieren kann, nicht systembedingt. Das heißt: es handelt sich um kein Problem der Doppik, sondern um ein Problem der jeweils gewählten Detaillösungen.
Der österreichische Gesetzgeber wird gefordert sein, bei der Übernahme von doppischen Rechnungslegungsregeln „Augenmaß“ zu bewahren; mit einer etwaigen Verzettelung in Detailregelungen wird lediglich ein Beitrag zur „Scheingenauigkeit“ geleistet und letztlich den Kritikern der Doppik Vorschub geleistet.

Konsolidierte Betrachtungsweise als größter Vorteil des Accrual Accounting
Wie schon eingangs erwähnt, existieren im öffentlichen Sektor zwei Welten: Teile der Verwaltung sind bereits in eigenständigen Rechtsträgern oder rechtsträgerähnlichen Strukturen („Eigenbetriebe“) – mit doppischer Buchführung – abgebildet, andere Teile sind (noch) im öffentlichen Haushalt verblieben. Doppik und Kameralistik begegnen einander, bleiben einander aber wie entfernte Verwandte fremd und finden auch keine gemeinsame Sprache.
Wer um Transparenz bemüht ist, kann versuchen, durch relativ aufwendige Überleitungsrechnungen einige „konsolidierte“ Kennzahlen zu ermitteln; die Stadt Graz versucht dies seit mehreren Jahren und veröffentlicht konsolidierte Vermögens- und Finanzschuldgrößen sowie eine konsolidierte Ertragsrechnung (Fiktion, als ob kameraler und doppischer Haushalt ein großer gemeinsamer Haushalt wären).6
Der Vorteil der konsolidierten Darstellung liegt auf der Hand: das Nebeneinander von kameraler und doppischer Welt ermöglicht derzeit noch vielfältige kreative Gestaltungsmöglichkeiten der „Rechnungsabschlusspolitik“, wie z. B.
- taktische Transferzahlungen zwischen kameraler und doppischer Welt bei der Budgetgestaltung und der Gestaltung der Rechnungsabschlüsse,
- Auslagerungen von Finanzschulden und Vermögenswerten mit dem Ziel der „Verschlankung“ öffentlicher Haushalte sowie
- Verschiebungen von und zu nettodargestellten Eigenbetrieben.
Sowohl Defizitangaben als auch Angaben zum Schuldenstand einer Körperschaft sind daher – bekanntlich – mit größter Vorsicht zu genießen und ist eine Vergleichbarkeit der Finanzlage verschiedener Körperschaften nicht gegeben. Fehlallokationen können dadurch nicht ausgeschlossen werden und stellen sich – nach Einschätzung des Verfassers – einige Kommunen „schlanker“ und effizienter dar, als sie es in Wirklichkeit sind.
Derartige Gestaltungsmanöver werden bei der Konsolidierung wieder eliminiert; was bleibt, ist eine Annäherung an eine reale Vermögens-, Schuld- und Ertragsgröße.
Nur auf Basis derart konsolidierter Werte sind ehrliche und gerechte Verhandlungen über die Art und das Ausmaß der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben sinnvoll.


* Der Verfasser ist Leiter des Stadtrechnungshofes Graz. Er ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und Mitglied einer Arbeitsgruppe zu Bilanzierungs- und Prüfungsfragen des öffentlichen Sektors im IWP sowie im AFRAC. Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge bitte an: guenter.riegler@stadt.graz.at
1 FEE: Federation de Experts Comptables Europeens – Dachorganisation der nationalen europäischen Wirtschaftsprüferverbände; Österreich ist hier durch das IWP und die Kammer der Wirtschaftstreuhänder vertreten.
2 IFAC: International Federation of Accountings, CIPFA: Chartered Institute of Public Finance and Accountancy – Berufsverband der Prüfer im öffentlichen Sektor in England.
3 IPSASB: International Public Sector Accounting Standards Board; CIGAR: Comparative International Governmental Accounting Research; ein internationales Netzwerk an Wissenschaftlern, die den Bereich der Rechnungslegung des öffentlichen Sektors untersuchen.
4 Klug in ÖGZ 9/2008, 27.
5 Klug a. a. O.
6 Siehe Riegler, in: ÖHW Heft 3 und 4, 2006, 212 ff. („Die öffentliche Hand als Gesellschafter“).

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