Von der Volkszählung zur Registerzählung

Von der Volkszählung zur Registerzählung

Die Umstellung auf Registerzählungen in Europa und damit auch in Österreich hat schon vor der endgültigen Zählung in Österreich Bedeutung für den Finanzausgleich. Ein Überblick über die gewählten Methoden und den Stand der Vorbereitungsarbeiten.

 

Die EU-Verordnung über Volks- und Wohnungszählungen vom 9. Juli 20081 verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, repräsentative Daten anhand eines festgelegten Katalogs von Merkmalen im Jahr 2011 zu erheben. Damit soll die Vergleichbarkeit der Ergebnisse im ganzen EU-Raum gewährleistet sein. Verbindlich vorgegeben sind in der Verordnung ein einheitliches Bezugsjahr für alle Datenquellen sowie der Liefertermin. Die Volkszählungsergebnisse sollen innerhalb von 27 Monate nach dem Erhebungsstichtag an EUROSTAT geliefert werden. Es obliegt jedoch den Mitgliedstaaten, ob sie eine traditionelle Vollerhebung, einen Registerzensus auf der Basis vorhandener Verwaltungsregister oder andere Volkszählungsvarianten in Betracht ziehen.
Grundsätzlich lassen sich in der Europäischen Union daher vier Konzepte von Volkszählungen unterscheiden:
- Traditionelle Volkszählung: Hier erfolgt eine direkte Befragung der gesamten Bevölkerung mittels Fragebögen oder Interviews.
- Registergestützte Volkszählung: Hier werden die benötigten Informationen aus den bereits vorhandenen Verwaltungsregistern entnommen.
- Kombinierte Volkszählung: In einigen Ländern der Europäischen Union werden traditionelle Volkszählungen mit einer Registernutzung kombiniert oder registergestützte Verfahren mit einer Stichprobe ergänzt.
- „Rollende“ Volkszählung: Eine jährliche Datenerhebung erfolgt mittels direkter Befragung eines Teils der Bevölkerung, wobei der Umfang der Befragungen sich in der Regel nach der Gemeindegröße richtet.

Die Zählungsmethoden in Europa
Die nordeuropäischen Staaten Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen gehören weltweit zu den Ländern mit der längsten Tradition bei statistischen Erhebungen. Bereits seit den 1950er-Jahren wurden in diesen Ländern sukzessive EDV-gestützte lokale Einwohnerregister aufgebaut. Diese sind landesweit vernetzt und mit eindeutigen Identifikationsschlüsseln versehen. Zudem wurde in allen vier Staaten auch je ein zentrales Einwohnerregister geschaffen. Dabei ist zu beachten, dass für statistische Auswertungen nicht direkt auf die Einwohnerregister zugegriffen wird; vielmehr führen die nationalen statistischen Ämter unabhängige „Bevölkerungsregister“, die regelmäßig von Einwohnermelderegisterauszügen gespeist, aber auch aus zusätzlichen Quellen (z. B. Geburten- und Todesmeldungen aus dem Standeswesen) ergänzt werden.2
Belgien und Österreich gehören neben der Schweiz und Luxemburg zu den EU-Ländern, die sich seit der letzten Volkszählung im Übergang zu einem rein registergestützten Volkszählungssystem befinden. In Spanien, Belgien und der Schweiz fand in früheren Volkszählungen bereits teilweise ein Registerabgleich statt: Die aus den Registern bekannten Informationen wurden in den Fragebögen abgedruckt und der Bevölkerung zur Überprüfung übermittelt. Die Niederlande haben ein Konzept von Registerauswertungen entwickelt, die für ausgewählte Informationen durch Stichproben ergänzt werden.3 In der Schweiz wurden die gesetzlichen Grundlagen für die Harmonisierung amtlicher Personenregister geschaffen, wobei die materielle Harmonisierung nur von den registerführenden Stellen vorgenommen wird. Auch erfolgte in der Schweiz die Einführung eines neuen einheitlichen Personenidentifikators – ähnlich wie in Österreich – der für alle möglichen administrativen Prozesse nutzbar sein soll.4
Frankreich hat für die nächste Registerzählung 2010/11 eine besondere Volkszählungsmethode gewählt, die in der Europäischen Union einzigartig ist und vermutlich bleiben wird. Es handelt sich dabei um einen sogenannten „rolling census“, bei dem jährlich nur für einen Teil der Bevölkerung Informationen erhoben werden. Innerhalb eines Erhebungszyklus von fünf Jahren findet in den kleineren Gemeinden (<10.000 EinwohnerInnen) eine Vollerhebung statt. In größeren Gemeinden (10.000 und mehr EinwohnerInnen) werden nur Stichprobenerhebungen durchgeführt. Da etwa jede zweite Person in Frankreich in einer kleineren Gemeinden ihren Wohnsitz hat, werden insgesamt rund 70% der Bevölkerung erfasst. Die restlichen 30% der Bevölkerung werden hochgerechnet.5
In Deutschland wurde das von den Statistischen Ämtern empfohlene Registerzählungsmodell von der Innenministerkonferenz bestätigt und setzt sich aus mehreren Verfahrensschritten zusammen. Bei den Menschen in Deutschland werden dabei im Wesentlichen nur die Daten erhoben, die nicht durch Auswertung vorhandener Verwaltungsregister – vornehmlich Melderegister und Register der Bundesagentur für Arbeit – gewonnen werden können. Informationen über die Gebäude und Wohnungen, für die es keine flächendeckenden Verwaltungsdaten gibt, werden postalisch bei den Gebäude- und Wohnungseigentümern erhoben. Andere Fragen, wie etwa zur Bildung oder zu den Selbstständigen werden nur einem kleinen Teil der EinwohnerInnen gestellt, und zwar in Form repräsentativer Stichproben.6

Aktuelle Erfahrungen in Österreich
Die erste Registerzählung in Österreich ist für das Jahr 2010 geplant, und als Vorbereitung fand bereits eine Probezählung mit Stichtag 31. Oktober 2006 statt. Das bedeutet, dass erstmals Informationen anhand von Volks-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählungen auf Basis der vorliegenden Verwaltungsregister entnommen wurden. Damit gehört Österreich zu jenen sieben UNECE-Staaten, die für die nächste Zensusrunde (2010/2011) registergestützte Systeme verwenden. Wie die Erfahrungen aus Wien zeigten, müssen derzeit in Österreich jedoch noch einige Hürden genommen werden, bevor man von einer echten „Registerkultur“ sprechen kann.
Die von Statistik Austria gewählte Vorgangsweise im Zuge der Proberegisterzählung zeigte noch einige Schwächen. So wurden jene Personen, die sich nur im Melderegister fanden, aber in keinem anderen Vergleichsregister, mittels RSb von Statistik Austria angeschrieben, jedoch ohne die Art und Stichhaltigkeit der Rück¬meldungen für die Gemeinden bzw. die Institutionen, die Vergleichsregister führen, transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Es wurde lediglich eine Teilmenge davon den Gemeinden als Klärungsfälle übermittelt, ohne konkrete Information über Rückmeldungen, die an die Statistik Austria gingen. Damit erhielten die Gemeinden die Möglichkeit, mittels eines von Statistik Austria gestalteten Formulars Wohnsitzerklärungen der GemeindebürgerInnen und über ihren Aufenthalt zum Stichtag nachzureichen bzw. andere Nachweise des Aufenthalts aus Behördenakten beizubringen. Laut Statistik Austria erfolgte jedoch nur von rund 15% aller Gemeinden eine Rückmeldung an die Bundesanstalt.
Die Vorgangsweise bei der Berücksichtigung dieser Abklärungen ist derzeit aber nicht explizit geregelt und daher noch Gegenstand von Diskussionen zwischen Ländern und Gemeinden einerseits und dem Bund sowie Statistik Austria andererseits. Längstens bis zur sogenannten „Qualitätssicherung“ nach erfolgter Registerzählung (wie im Registerzählungsgesetz derzeit vorgesehen) sollten hier Präzisierungen vorgenommen und Richtlinien erstellt werden. Zwei Ziele müssten damit erreicht werden: Ein Verfahren, dass im Sinne der Verwaltungseffizienz nicht zu aufwendig ist, das aber Behördenverfahren akzeptiert UND zusätzlich zu einer Registerpflege im Sinne statistischer Qualitätskriterien bei den Dateninhabern führt.
Das gewählte Verfahren im Rahmen der Proberegisterzählung führte noch zu einer mehrmaligen Involvierung eines Teils der BürgerInnen und entsprach daher noch nicht dem eigentlichen Gedanken einer Registerzählung. Da zudem keine formalisierte Rückmeldungsschiene an die registerführenden Stellen vorgesehen war, konnte außerdem noch keine kohärente und abgestimmte Bereinigung der Register erreicht werden.
Zusätzliche Brisanz erhielt die Wohnsitzanalyse im Rahmen der Proberegisterzählung dadurch, dass ihr Ergebnis als Basiswert zur Berechnung der Volkszahl für den Finanzausgleich 2008 herangezogen wur¬de. Die Formulierung im Gesetz sieht hier vor, dass eine „aufgrund der Qualitätssicherung (§ 5 (6) RZB) bzw. „nach Maßgabe der statistischen Qualitätserfordernis¬se“ sowie „mittels geeigneter statistischer Verfahren“ (§ 9 (9) FAG) ermittelte Bevöl¬kerungszahl“ herangezogen werden soll.
Ein qualitätsvolles Verfahren einer unabhängigen Behörde bzw. Institution ist gerade im Finanzausgleich von entscheidender Bedeutung. Das Vertrauen zur Qualität kann aber nur hergestellt werden, wenn der angewendete Qualitätsmaßstab zumindest für Expertinnen und Experten transparent und nachvollziehbar ist.

Die Zukunft sollte eine koordinierte und transparente Registerharmonisierung sein
Es ist selbstverständlich richtig, die Veränderung des Bevölkerungsstandes auch in den Mittelverteilungen zu berücksichtigen. Es sollte jedoch das ursprüngliche Ziel einer Registerzählung, nämlich präzise und stichtagsgenaue Informationen aus Verwaltungsdaten zu erlangen, ohne den BürgerInnen unnötig oft zu konfrontieren, nicht aus dem Auge verloren werden. Denn präzise Informationen und Statistiken über den Zustand, die Veränderung und die zu einem jeweiligen Stichtag aktuellen Lebensbedingungen der Bevölkerung sind unverzichtbare Basis von Entscheidungen der Politik und Verwaltung.
Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn die Kommunikation zwischen registerführenden Stellen so dicht und rege ist, dass nur beim Registeraufbau einmalige Kosteneffekte entstehen, bei der Registerpflege jedoch alle Synergien und damit Kostenvorteile erreicht werden können.
Noch ist es nicht zu spät: die Vorbereitungsarbeiten wären gemacht. Jetzt ist von der künftigen Bundesregierung die Entwicklung eines Systems gefordert, dass die Entscheidungshoheit nicht allein ausgegliederten Dienstleistungsunternehmen überlässt, sondern präzise Regeln der Kommunikation zwischen den Registern und den Behörden erstellt, sowie zumindest ein Gremium oder auch eine eigene Stelle schafft, das oder die die Einhaltung dieser Regeln gewährleistet und eine Plattform zwischen den Dateninhabern von Bund, Ländern, Gemeinden und Institutionen sowie Statistik- und E-Government-ExpertInnen bietet.
Einen Anhaltspunkt für die Organisation der künftigen Vorgangsweise könnte das „Schweizer Modell“ bieten: In der Schweiz wurde ein sogenanntes „Registerharmonisierungsgesetz“ erlassen, dass präzise regelt, wie beim Übergang von Verwaltungsdaten zu statistischen Registern vorgegangen werden soll. Das würde auch in Österreich garantieren, dass es einen einheitlichen Qualitätsstandard gibt, jedoch die Registerpflege den einzelnen Institutionen und Behörden überlassen. Damit könnte auch erreicht werden, dass derzeit noch vorhandene Probleme bei der Registerpflege in Österreich – als Beispiel sei hier das GWR (Gebäude- und Wohnungsregister) genannt, dessen Befüllung und Merkmalsdefinition aufgrund der mangelnden Abstimmung mit den länderweise unterschiedlichen Basisgesetzen und einer fehlenden Meldeverpflichtung der Dateninhaber (Eigentümer und Verwalter bzw. Bauherrn der entsprechenden Gebäude und Wohnungen) noch verbesserungsfähig ist – gelöst werden könnten.

Fazit
Bei der Durchführung von Volkszählungen kommen vielfältige Methoden zum Einsatz. Was in den jeweiligen EU-Staaten möglich ist, hängt jedoch stark von der Staats- und Verwaltungskultur ab.
Doch ein Methodenwechsel allein genügt nicht. Damit man von harmonisierten und bereinigten Registern sprechen kann, müssen verschiedene Anforderungen berücksichtigt werden, wie etwa die Verwendung gleicher Merkmalsdefinitionen, einheitlicher Nomenklaturen bzw. gleicher Ausprägungen und gleicher Kodierungen für eine definierte Liste von Merkmalen sowie die Führung dieser Merkmale in der gleichen Qualität und Aktualität in den einzelnen Verwaltungsregistern.
Obwohl auch in den skandinavischen Staaten keine direkte Rückmeldung an die Dateninhaber erfolgt, besteht jedoch eine enge Kooperation zwischen der amtlichen Statistik und den Behörden zur Evaluierung von Datenqualität, Repräsentativität, Methoden zur Datenerfassung und zur Registerbereinigung.
Denn nur bereinigte und harmonisierte Register sind für die amtliche Statistik und deren NutzerInnen auf allen Ebenen der Verwaltung und Politik nachhaltig verwertbar und eignen sich für die Ablösung von Direktbefragungen.



* Andrea Hlavac ist Leiterin der Wiener Landesstatistik und Ausschussvorsitzende des Statistik-Ausschusses im Österreichischen Städtebund; Gustav Lebhart ist Demograf und Registerexperte in der Wiener Landesstatistik.
1 Verordnung (EG) Nr. 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über Volks- und Wohnungszählungen.
2 UNECE (2007): Register-based statistics in the Nordic countries Review of best practices with focus on population and social statistics. New York/Geneva.
3 Statistics Netherlands (2005): Brief description of the methodology plan for the 2011 Census of population and housing in the Netherlands.
4 Bundesamt für Statistik (2004): Einblick in das Großprojekt Registerharmonisierung. Neuchâtel.
5 UNECE (2006): The population census in France: from general census to „rolling census“. ECE/CES/ 2006/24.
6 Quelle: www.destatis.de (Zugriff Nov. 2008)

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