Zusammenspiel von Demografie und Gemeindefinanzen

Zusammenspiel von Demografie und Gemeindefinanzen

Wie weit der Zusammenhang zwischen Gemeindehaushalt und Demografie für die Budgetierung maßgeblich ist, wurde in einer umfassenden finanzstatistischen Analyse der Gemeindegebarungen für den Zeitraum von 2001 bis 2007 untersucht.1 Zur Verifizierung der Ergebnisse wurden ergänzende Fallstudien durchgeführt, in denen auch verschiedene andere Einflussgrößen identifiziert werden sollten.2

 

Rund zwei Drittel der Einnahmen der Gemeinden aus Abgaben – die Ertragsanteile aus gemeinschaftlichen Bundesabgaben – sind in hohem Maß von der Entwicklung der Einwohnerzahlen bestimmt. Auf der Seite der Ausgaben ist der direkte Einfluss von demografischen Variablen dagegen meist weniger stark ausgeprägt, weil neben den demografischen Entwicklungen auch politische Prioritätensetzung, ein infrastruktureller Nachholbedarf, sozio-ökonomische Trends – wie z. B. die steigende „neue“ Armut von AlleinverdienerInnen mit zwei und mehr Kindern – die Ausgabenentscheidungen beeinflussen.
Auf folgende Fragen wurden Antworten gesucht:
- Art des Zusammenhangs von Bevölkerungswachstum und Dynamik der Einnahmen und Ausgaben der Gemeindehaushalte.
- Liegen auch unterschiedliche Ausgabenintensitäten in Abhängigkeit von der demografischen Entwicklung vor?
- Klären des Zusammenhangs demografischer und sozioökonomischer Einflussfaktoren.

Herausforderungen der Gemeindepolitik durch unterschiedliche demografische –Entwicklungen
Die regional unterschiedlichen demografischen Entwicklungen stellen die Gemeinden vor bedeutende Herausforderungen, denn Regionen mit hohem Bevölkerungswachstum befinden sich oft in Nachbarschaft von Regionen mit nachhaltigen Einwohnerverlusten. Die Hauptaspekte des demografischen Wandels beschränken sich aber nicht nur auf eine anhaltend schrumpfende oder steigende Zahl der Bevölkerung, sondern auch auf folgende Umstände:
- Höhere Lebenserwartung,
- Veränderte Geburtenraten,
- Wanderungsbewegungen (z. B. überdurchschnittlich hohe internationale Wanderungsgewinne).
In der folgenden Abbildung werden die politischen Bezirke mit wachsenden oder schrumpfenden Bevölkerungszahlen farblich unterschiedlich ausgewiesen; dazu wird durch die (schwarzen/weißen) Balken die Bilanz aus internationalen Wanderungsbewegungen in den Bezirken ersichtlich gemacht. Besonders gravierend für die Gemeindebudgets sind die demografischen Entwicklungen insbesondere dort, wo mehrere solcher Umstände zusammentreffen – also z. B. Bevölkerungswachstum, das von einem starken Zuzug von AusländerInnen überlagert wird, schrumpfende Einwohnerzahlen und rapide „Überalterung“ durch höhere Lebenserwartung und Abwanderung der jüngeren und mobilen Bevölkerung.

Untersuchungsergebnisse
Einige Untersuchungsergebnisse sollen auszugsweise hier angeführt werden. Für die kompletten Ergebnisse kann auf die Studie „Theoretische und empirische Abhängigkeiten der Gemeindefinanzen von demografischen Entwicklungen in Österreich“ verwiesen werden.

Auswirkungen der Demografie auf die Einnahmenentwicklung
Die Einnahmenentwicklung 2001–2006 ist von der Entwicklung der Einwohnerzahlen abhängig (Abbildung 2). So entwickeln sich die Ertragsanteile in ähnlichem Ausmaß wie die Bevölkerung; auch die Kommunalsteuereinnahmen zeigen einen gewissen Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung da zwischen der Entwicklung der Arbeitsplätze und der Einwohnerzahl statistisch signifikante Korrelationen bestehen.

Demografie und Pro-Kopf-Einnahmen
Auch die Pro-Kopf-Einnahmen steigen tendenziell mit dem Bevölkerungswachstum. Bei einem Bevölkerungsrückgang zeigen sich vereinzelt zur Aufrechterhaltung der Infrastrukturleistungen höhere Pro-Kopf-Gebühren.

Auswirkungen der Demografie auf die Ausgabenentwicklung
Die Studie zeigt einen Anstieg der Ausgaben mit dem Bevölkerungswachstum in allen wichtigen Bereichen, wie dies insbesondere auf den Bereich „Bildung, Erziehung und Jugend“ zutrifft (siehe Abbildung 3). Insbesondere der Bereich der vorschulischen Erziehung und der Musikschulen wird stark von institutionellen Faktoren und gesetzlichen Regelungen (Klassenschülerhöchstzahlen, Gruppengröße, Kapazitätsauslastung durch Kinder aus Nachbargemeinden) bestimmt.

Demografie und Pro-Kopf-Ausgaben
Die Höhe der Pro-Kopf-Werte wird meist von der Bevölkerungsentwicklung – aber auch von anderen, v. a. sozioökonomischen Faktoren – beeinflusst. Dabei können mehrere Muster identifiziert werden:
- Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben mit zunehmender Bevölkerungszahl: Dies trifft insbesondere auf Ausgaben für Infrastruktur (Wasserversorgung, Müllentsorgung, Straße), Erziehung und Jugend (vorschulische Erziehung, außerschulische Erziehung, Jugendwohlfahrt) sowie spezifische Sozialbereiche (Behindertenhilfe, Tagesheimstätten, Essen auf Rädern) zu.
- Rückgang der Pro-Kopf-Einnahmen/
-Ausgaben mit zunehmender Bevölkerungszahl: Dies gilt für die allgemeinbildenden Pflichtschulen, die Musikschulen, die Heimhilfe und das Feuerwehrwesen.
Während die Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Sozialhilfe (Abbildung 4) kaum von demografischen Entwicklungen beeinflusst werden (Sozialhilfeumlagen werden v. a. nach den gesamten Sozialhilfeausgaben eines Landes und nach der Finanzkraft der einzelnen Gemeinden bemessen), zeigen die Pro-Kopf-Ausgaben in den Bereichen Alten- und Pflegeheimen sowie Tagesheimstätten abhängig vom Bevölkerungswachstum zunehmende Ausgabenintensitäten.

Interdependenzen zwischen der demografischen Entwicklung und verschiedenen sozio-ökonomischen Gegebenheiten
Die angeführten Zusammenhänge sind meist nur gering ausgeprägt, befinden sich jedoch im Rahmen einer statistischen Signifikanz. Die Entwicklung der Gemeindehaushalte ist jedoch nicht nur von der Bevölkerungszahl und deren Entwicklung im Zeitverlauf, sondern auch von anderen demografischen, sozioökonomischen und weiteren Einflussfaktoren abhängig, wie dies aus den Fallstudien abgeleitet werden konnte.
Folgende demografische und sozioökonomische Einflussfaktoren sind dabei hauptsächlich ausschlaggebend:
- Zahl der Arbeitsplätze und Lohnniveau, Pendlerbewegungen
- Durchschnittseinkommen, Familienstruktur, Personen mit Migrationshintergrund
- Siedlungsdichte, zentralörtliche Funktion
Daneben bestehen eine Reihe weiterer Einflussfaktoren – insbesondere politische Prioritäten und gesetzliche Regelungen, institutionelle Faktoren wie Zugehörigkeit zu einem Bundesland, der Nachholbedarf bei der Infrastruktur oder Unterauslastung vorhandener Kapazitäten.

Unterschiedliche Belastung in den betrachteten Einnahmen- und Ausgabenbereichen nach Bevölkerungswachstum
Die Einnahmen- und Ausgabenbelastungen von Gemeinden unterscheiden sich nach Bevölkerungswachstum:
- Stark schrumpfende Gemeinden sind besonders belastet durch die Kostenremanenz bei den Pflichtschulen. Für die Zukunft sind schrumpfende Ertragsanteile bei gleichzeitig steigender Ausgabenintensität bei Kinder- und Altenbetreuung zu erwarten. Überlagert wird diese Problematik durch die Finanzierungsschwäche vieler peripherer Kleingemeinden in der Gruppe der stark schrumpfenden Gemeinden.
- Stagnierende Gemeinden weisen eine überdurchschnittliche Ausgabendynamik in der vorschulischen Jugenderziehung, den Musikschulen sowie den Alten- und Pflegeheimen auf. Auch besteht eine höhere Ausgabenintensität bei der vorschulischen Erziehung und Sozialhilfe. Dem stehen leicht unterdurchschnittliche Steuer- und Gebühreneinnahmen gegenüber.
- In den stark wachsenden Gemeinden bestehen überdurchschnittliche Steigerungen der Einnahmen aus eigenen Steuern und Ertragsanteilen. Dem stehen überdurchschnittliche Steigerungen in den Ausgabenbereichen – mit Ausnahme einzelner Sozialleistungen – gegenüber. In den meisten Ausgabenbereichen – mit Ausnahme der Pflicht- und Musikschulen – bestehen auch höhere Ausgabenintensitäten.

Unterschiedliche finanzwirtschaftliche Gegebenheiten und strukturelle Rahmenbedingungen spielen eine Rolle
Die Gemeinden innerhalb der verschiedenen demografischen Kategorien stellen keine homogene Gruppe dar, da es innerhalb der Kategorien zu sehr unterschiedlichen Herausforderungen und strukturellen Rahmenbedingungen kommt. So finden sich bei den schrumpfenden Gemeinden sowohl solche in peripheren Regionen als auch solche innerhalb der verstädterten Wachstumszonen, in denen sich die Arbeitsplätze konzentrieren. Bei den wachsenden Gemeinden kann zwischen den Kernstädten mit hohem Ausländeranteil sowie einer steigenden Zahl an sozial schwachen Bevölkerungsgruppen und wachsenden „Speckgürtelgemeinden“ mit geringen Ausländeranteilen unterschieden werden.

Handlungsempfehlungen auf übergeordneter Ebene
In allen Fällen der Bevölkerungsentwicklung wird das Gleichgewicht zwischen den Einnahmen- und Ausgabenerfordernissen jedenfalls durch das Streben nach bestmöglicher Ausnutzung der Infrastrukturkapazitäten im regionalen Kontext und der gemeinschaftlichen Bewirtschaftung von zentralörtlichen Leistungen zu beeinflussen sein. Konkret können insbesondere folgende Handlungsempfehlungen auf übergeordneter Ebene genannt werden:
- verbesserte Leistungssteuerung und -koordination innerhalb einer Region,
- von den übergeordneten Gebietskörperschaften ausgehende Impulse und Anreize zu einer regionalen Abstimmung und Ausrichtung der Investitionen und anderen Maßnahmen,
- stärker aufgabenorientierte Verteilung der Finanzausgleichsmittel.

Handlungsoptionen auf Gemeindeebene
Eine stärkere Integration demografischer Rahmenbedingungen in den Planungsprozess scheint dabei unausweichlich. Insbesondere die längerfristige Entwicklungsplanung im regionalen Kontext benötigt mehr politisches Interesse und Professionalität.
Elemente des Planungsprozesses sind:
- kommunale Leitbilder und Entwicklungskonzepte um Aspekte des demografischen Wandels ergänzen,
- Planungsgrundlagen verbessern (Prognosewerte), mittel- bis längerfristige Planungszeiträume nach Aufgabengebieten berücksichtigen,
- ressort- und gemeindeübergreifende Gesamtkonzepte und regional ausgerichtete Lösungen erarbeiten,
- sachpolitische Prioritätensetzung stärker in Bezug mit der Ressourcenplanung bringen.
Weitere Handlungsoptionen auf der Gemeindeebene sowie die Studienergebnisse finden Sie in unserem Mitgliederbereich auf unserer Homepage www.kdz.or.at.

Schlussbemerkungen
Schleichende Entwicklungen – wie die demografischen – zu ignorieren ist ebenso problematisch wie die Vernachlässigung der Interdependenzen zwischen demografischen und sozioökonomischen Entwicklungen (wirtschaftliche Dynamik, Armutsgefährdung, veränderte Familienstrukturen). Allerdings gibt es keine Zukunftsplanung ohne das Risiko des Irrtums.
Risikovorsorge durch richtiges Erfassen, Analysieren und Gewichten der Risken
(z. B. Analysieren der Überlagerung unterschiedlicher demografischer Entwicklungen) ist aber möglich. Ebenso lassen sich Risken begrenzen – durch Innovationen beispielsweise. In diesem Sinn plädieren wir für verstärkte mittel- bis langfristige Planungen, wobei die Fachplanungen mit der Haushaltsplanung und der politischen Prioritätensetzung – etwa bezüglich der Standards im Angebot – eng verknüpft werden müssen. Eine weitere Innovation wäre das Entwickeln einer regionalen Strategie zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen, der sozioökonomischen Trends und Risken.



1 Für die Analyse wurden die Gemeinden in fünf demografisch wichtige Kategorien eingeteilt: Stark schrumpfende Gemeinden – mehr als 3% Bevölkerungsrückgang p. a.; schrumpfend – 3 bis 1% Bevölkerungsrückgang; bevölkerungsbezogen stagnierend – 1% Bevölkerungsrückgang bis 1% Zuwachs; wachsende Gemeinden – Bevölkerungswachstum zwischen 1 und 3% p. a.; stark wachsende Gemeinden – ab 3% Bevölkerungswachstum p. a.
2 Solche Fallstudien wurden in schrumpfenden Gemeinden (Mürzzuschlag, Ternitz), in bevölkerungsmäßig stagnierenden (Liezen, Linz, Völkermarkt) und in stark wachsenden (Engerwitzdorf, Graz, Schwechat, Stockerau, Wiener Neustadt) durchgeführt. Wir bedanken uns bei den Finanzverwaltungen und den Fachabteilungen der genannten Städte für die Unterstützung.

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