Von der Finanzkrise zur globalen Wirtschaftskrise: Ursachen und Folgen

Von der Finanzkrise zur globalen Wirtschaftskrise: Ursachen und Folgen

Die bisherigen „Rettungsmaßnahmen“ für das Finanzsystem versuchen, den Bankrott einzelner Großbanken sowie eine epidemische Ausbreitung der Krise mit allen (finanziellen) Mitteln zu verhindern. Sie sollen Liquidität und Vertrauen schaffen, auf dass der Kreislauf des Kreditgelds wieder in Schwung komme. Die Maßnahmen sind notwendig, aber gleichzeitig nur Symptomkuren.

 

Vorweg einige Thesen zum Charakter der Krise
These 1:
Die Finanzkrise stellt keinen (misslichen) Zustand dar, der durch „Entsorgung“ von faulen Krediten und mehr Eigenkapital für die Banken überwunden werden kann, sondern einen dynamischen Prozess der simultanen Entwertung von Aktien, Immobilien und Rohstoffen. Dadurch werden jene fiktiven (Bewertungs-)Vermögen vernichtet, welche in den vorangegangenen Boomphasen „geschaffen“ worden waren. Durch das Tempo dieses Entwertungsprozesses wuchs die Krise (bisher) den Rettungsmaßnahmen gewissermaßen davon.

These 2:
Das Potenzial für die aktuelle Krise wurde in einem fast 30 Jahre lang dauernden Prozess der Ausbreitung des Finanzkapitalismus gewissermaßen „aufgebaut“. Denn seit den 1970er-Jahren hat sich die Illusion „Lassen Sie Ihr Geld arbeiten!“ immer mehr ausgebreitet: Die Haushalte in den USA überließen die Vorsorge für die Hochschulausbildung der Kinder und das eigene Alter den steigenden Aktienkursen, die Unternehmen (insbesondere in Deutschland) akkumulierten viel mehr Finanzkapital als Realkapital, die Politik beschränkte die sozialstaatliche und förderte die finanzkapital“gedeckte“ Altersvorsorge. (Finanz-)Spekulation erfasste alle wichtigen Vermögenswerte wie Aktien, Immobilien und Rohstoffe.

These 3:
Die Entwertung all dieser (Finanz-)Vermögen wird die Nachfrage von Haushalten und Unternehmen schrumpfen lassen, insbesondere in jenen Ländern, in denen die Geld- und Fiskalpolitik bisher nicht reagiert hat wie etwa im Euroraum (im Gegensatz zu den USA). Überdies werden gerade jene Länder, welche in den letzten Jahren den Welthandel besonders stark stimulierten wie die USA, die Rohstoffexporteure, aber auch die osteuropäischen Länder, ihre Importe markant reduzieren. Dies wird jene Länder am stärksten treffen, deren Wirtschaft besonders exportabhängig ist wie etwa Japan, Deutschland oder auch Österreich.

These 4:
Das Anwachsen der Finanzkrise zu einer globalen Wirtschaftskrise (der schwersten seit den 1930er-Jahren) wird eine historische Wende einleiten, nämlich die Abkehr von jenem System, das die vergangenen 3 Jahrzehnte prägte, der Finanzkapitalismus. Alle seine verschiedenen Komponenten – neoliberale Wirtschaftstheorie, Vorrang für den Geldwert, Liberalisierung der Finanzmärkte, Regulierung der Wirtschaftspolitik, Teilprivatisierung der Sozialversicherung, insbesondere des Pensionssystems – stützen sich wechselseitig und bilden ein Ganzes. Es wird auch im Ganzen kollabieren (wie in den 1930er-Jahren).

These 5:
Der Übergang zu realkapitalistischen Rahmenbedingungen wird lang und mühevoll, allerdings nicht so lang und so katastrophal wie in der letzten Talsohle des „langen Zyklus“, nämlich zwischen 1931 und 1948. Es wird die wichtigste Aufgabe der Politik sein, die Talsohle im langfristigen Entwicklungszyklus möglichst kurz zu halten. Leitlinien einer solchen Politik sollten die Verlagerung des (unternehmerischen) Gewinnstrebens von Finanzveranlagung und -spekulation zu Aktivitäten in der Realwirtschaft sowie die Stärkung des Sozialstaats sein.
Ohne eine systemische Diagnose der Krisenursachen kann keine nachhaltige Therapie entwickelt werden. Wie also hat sich die große Illusion verbreitet „Lassen Sie Ihr Geld arbeiten, in welchen Etappen hat sich der Finanzkapitalismus ausgebreitet“? Vereinfacht dargestellt in folgenden Schritten:
- Mit der Aufgabe fester Wechselkurse (1973) und den nachfolgenden Ölpreisbooms entwickelten sich enorme Spekulationsmöglichkeiten, die schrittweise von den „Profis“ gelernt wurden.
- Ende der 1970er-Jahre erhöhten die Notenbanken die Zinssätze so drastisch, dass die Kreditzinsen seither permanent über der Wachstumsrate liegen (in den USA wurde diese Politik hoher Kreditkosten allerdings Anfang der 1990er-Jahre revidiert, seither liegen die Zinsen in den USA mittelfristig wieder unter der Wachstumsrate). Bis zu diesem „Zinsschock“ hatten die Notenbanken das Zinsniveau mittelfristig unter der Wachstumsrate gehalten.
- Unter dieser Bedingung können Unternehmen nur weniger (Investitions-)Kredite aufnehmen, als sie an Zinsen für die „Altschulden“ bezahlen müssen. Dementsprechend haben sie auf den Wechsel zu einem über der Wachstumsrate liegenden Zinsniveau mit einer nachhaltigen Einschränkung ihrer Realinvestitionen reagiert.
- In den 1980er-Jahren wurden immer mehr Instrumente (Finanzderivate) geschaffen, die Spekulieren mit allen Arten von (Finanz-)Vermögen leichter machten (Devisen, Aktien, Anleihen, Rohstoffe).
- Die Umstellung der Pensionssysteme in den USA förderte den 1982 einsetzenden Aktienboom zusätzlich, er dauerte bis 1999 an.
- Immer schnellere Spekulation destabilisierte Wechselkurse, Rohstoffpreise, Zinssätze und Aktienkurse, die Unsicherheit für realwirtschaftliche Aktivitäten stieg ebenso wie die Attraktivität von Fi¬nanz(derivat)spekulation.
- Industriekonzerne verlagerten ihr Gewinnstreben daher von Real- zu Finanzinvestitionen (SIEMENS ist nur ein besonders markantes Beispiel). Dazu hat auch das in der EU weiterhin über der Wachstumsrate liegende Zinsniveau beigetragen.
- Dadurch musste das Wirtschaftswachstum nachhaltig sinken, die Arbeitslosigkeit stieg (produktive Arbeitsplätze brauchen eine hohe Kapitalausstattung), ebenso die Staatsverschuldung. Die Symptomkur der Sparpolitik reduzierte insbesondere die Arbeitslosenunterstützung und die Pensionsleistungen des Sozialstaats.
- Also wollten auch die „Normalbürger“ ihr Geld arbeiten lassen, insbesondere zur Altersvorsorge. Schon in den 1990er-Jahren ist die Renditeansprüchlichkeit enorm gestiegen: Die Realwirtschaft wuchs kaum, aber das Finanzkapital sollte zumindest 10% abwerfen.
Lange Zeit schien es, als könne das Geld wirklich arbeiten: So waren auf den Aktienmärkten der 1990er-Jahre Durchschnittsrenditen von 15% zu holen, die Kurse stiegen enorm. Die Diskrepanz zwischen Börsenwert und tatsächlichem Wert der Unternehmen vergrößerte sich stetig, das (Pyramiden-)Spiel „Der Unternehmen neue Kleider“ endete abrupt (Aktiencrash 2000/2003).
Zwischen 2003 und 2007 gelang noch ein Aktienbubble, in Europa durch die weitere Verunsicherung über die sozialstaatlichen Sicherungssysteme gefördert (Expansion der Pensionsfonds). In den USA begann der Immobilienbubble eine viel größere Rolle zu spielen, Geld arbeitete nun in Form einer Höherbewertung von Häusern. Die „Geldvermehrer“ nützten dies zur Schaffung neuen Finanzkapitals in Form von Krediten an nahezu Mittellose: Als die Immobilienpreise zu fallen begannen, wurden die zu „Wert“papieren gebündelten Hypothekarkredite wertlos (Sommer 2007).
Daraufhin stürzten sich die „Geldvermehrer“ auf Rohstoffderivate, der letzte große „bubble“ setzte ein, die Preise von Rohöl, Weizen, Mais, Reis und sonstigen Rohstoffen explodierten, zwar nahm der Hunger zu, aber das Geld arbeitete wenigstens noch einmal kräftig. Mit dem Verfall der Rohstoffpreise seit Mitte 2008 hat es sich „ausgebubbelt“. Hauptgrund: In der Frühphase von „bubbles“ steigen die Profis ein, je länger er dauert, desto mehr steigen wieder aus. Verlängert wird die Höherbewertung von Aktien oder Rohstoffen durch den Zufluss von „frischem Blut“ der Amateure, also ihren (verspäteten) Einstieg. Versiegt der Zustrom der Amateurgelder, dann kippt der „bubble“ bald (jener der Rohstoffe Mitte 2008).
Die zweite Arbeitsweise von Geld besteht im kurzfristigen „trading“ mit Finanzderivaten aller Art. Alle diese Spiele sind Umverteilungsspiele (die Summe der Gewinne ist gleich der Summe aller Verluste). Als Gruppe sind die Amateure die Verlierer, gleichzeitig sind ihre Einsätze Voraussetzung dafür, dass diese Spiele expandieren können („frisches Blut“).
Weltweit ziehen sich derzeit die Amateure von den „Finanzspielen“ zurück. Der Mangel an „frischem Blut“ führt zum Kollaps des Systems des „arbeitenden Gelds“:
- Der Umverteilungs- (und Überlebens-) kampf findet verstärkt zwischen den großen „Profis“ statt, also Banken, Ver-
- sicherungen und (demnächst) Hedgefonds.
- „Frisches Blut“ kann nur mehr aus dem Nichts geschaffen werden, also durch die Notenbanken.

Fazit:
Das Geld verweigert die Arbeit, der Finanzkapitalismus ist am Ende. Langsam dämmert die Einsicht in das fundamentale ökonomische ANWN-Gesetz, das freilich zu einfach ist, um von wirtschaftswissenschaftlichen Geistesgrößen begriffen zu werden: „Aus nix wird nix“.

OEGZ

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