Die Neugestaltung des Finanzausgleichs in der Schweiz

Die Neugestaltung des Finanzausgleichs in der Schweiz

Mit Beschluss vom 7. November 2007 setzte der schweizerische Bundesrat die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) auf den 1. Jänner 2008 in Kraft. Dieser Inkraftsetzungsbeschluss umfasste einen Bundesbeschluss mit 24 Verfassungsbestimmungen, 2 neue Bundesgesetze, 2 Mantelerlasse mit insgesamt 38 Gesetzesänderungen, 2 Bundesbeschlüsse zur Dotation der neuen Ausgleichsgefäße, einen Mantelerlass mit 40 Verordnungsänderungen sowie 8 neue Verordnungen. Der Umfang dieses Gesetzgebungspakets illustriert die Komplexität des Projekts NFA, das in einem rund 15-jährigen Prozess von einer paritätisch aus Vertretern von Bund und Kantonen zusammengesetzten Projektorganisation erarbeitet worden war.

 

Vorgeschichte
Die rechtliche Grundlage für das bis Ende 2007 geltende Finanzausgleichssystem stammte aus dem Jahre 1959. Im Zentrum des alten Ausgleichssystems stand ein alle 2 Jahre neu berechneter Finanzkraftindex der Kantone, welcher aufgrund des Volkseinkommens, der Steuerkraft, der Höhe der Steuerbelastung sowie eines Berggebietsindex berechnet wurde.
Dieser Finanzkraftindex diente zur Abstufung der Kantonsanteile an Bundeseinnahmen und am Nationalbankgewinn, der Beiträge der Kantone an die Sozialwerke des Bundes sowie der zweckgebundenen Bundesbeiträge an die Kantone. Der Finanzausgleich bestand schließlich aus über 100 Einzelmaßnahmen, war schwer steuerbar und verbunden mit verschiedenen Fehlanreizen und Ineffizienzen. Zudem war die Ausgleichswirkung ungenügend, mit einer anhaltenden Tendenz zur Aufgabenverflechtung und Zentralisierung.

Die zwei Hebel der NFA
Die NFA verfolgt zwei Hauptziele: den Ausgleich kantonaler Unterschiede und die Steigerung der Effizienz. Um diese Ziele zu erreichen, setzt sie bei zwei Hebeln an, bei den Finanzen (Finanzausgleich im engeren Sinn) und bei der Organisation der Aufgaben. Insgesamt sorgen fünf Instrumente für den Finanzausgleich und die Reorganisation der Aufgaben. Diese wirken gezielt und ergänzen sich gegenseitig.

Hebel 1: Finanzausgleich im engeren Sinn
Ziel und Funktionsweise des Finanzausgleichs im engeren Sinn können mit der folgenden Grafik veranschaulicht werden.
Das Leistungsangebot eines Kantons setzt sich aus Leistungen des Grundbedarfs und des Wahlbedarfs zusammen. Einzelne dieser Leistungen wirken über die Kantonsgrenzen hinaus und verursachen externe Kosten und/oder Nutzen, die sogenannten Spillovers. Ein besserer Ausgleich solcher Spillovers wird mit dem Ausbau der interkantonalen Zusammenarbeit mit Lastenausgleich angestrebt. Beim Wahlbedarf ist jeder Kanton frei, den Umfang selbst zu bestimmen, er muss aber auch die Finanzierung selber sicherstellen. Bezüglich des Grundbedarfs gilt die Bestimmung von Art. 43a Absatz 4 der Bundesverfassung, wonach „Leistungen der Grundversorgung (…) allen Personen in vergleichbarer Weise offenstehen (müssen)“. Damit diese Verpflichtung erfüllt werden kann, muss einerseits die minimale Finanzausstattung jedes Kantons mit dem Ressourcenausgleich auf einen bestimmten Schwellenwert angehoben werden. Andererseits gilt es zu berücksichtigen, dass die Produktion der Leistungen des Grundbedarfs nicht überall gleich kostenintensiv ist, sondern aufgrund geografisch-topografischer und/ oder soziodemografischer Faktoren Son¬derlasten entstehen, die mit den Instrumenten des geografisch-topografischen (GLA) und des soziodemografischen Lastenausgleichs (SLA) kompensiert werden.

Ressourcenausgleich
Messgröße für den Ressourcenausgleich bildet das Ressourcenpotenzial, d. h. die steuerlich ausschöpfbare Wertschöpfung in den Kantonen. Daraus wird aufgrund eines gleitenden Dreijahresdurchschnitts der Ressourcenindex pro Kopf der Bevölkerung berechnet, wobei der gesamtschweizerische Durchschnitt dem Wert von 100 entspricht. Kantone mit einem Ressourcenindex von mehr als 100 gelten als ressourcenstark, die übrigen als ressourcenschwach. Mit dem vom Bund und den ressourcenstarken Kantonen finanzierten Ressourcenausgleich erhalten die ressourcenschwachen Kantone Ausgleichszahlungen mit dem Ziel, die Finanzausstattung des ressourcenschwächsten Kantons auf mindestens 85% des schweizerischen Durchschnitts anzuheben. Damit bringt der Ressourcenausgleich einen wirksamen Ausgleich zwischen reicheren und ärmeren Kantonen.

Lastenausgleich
Die Berechnung der Sonderlasten der Gebirgskantone stützt sich auf Indikatoren der Siedlungshöhe, der Steilheit des Geländes, der Siedlungsstruktur und der Bevölkerungsdichte. Für den soziodemografischen Lastenausgleich sind die Indikatoren Armut, Alter und Ausländerintegration einerseits und die Gemeindegröße sowie Indikatoren der Siedlungsdichte und des Verhältnisses zwischen Beschäftigten und der Wohnbevölkerung andererseits maßgebend. Mit den vom Bund finanzierten Lastenausgleichsgefäßen werden entsprechende Spitzenbelastungen ausgeglichen.

Hebel 2: Reorganisation der Aufgaben

Entflechtung der Aufgaben und der Finanzierung
Wo möglich und sinnvoll, ist für eine Aufgabe und deren Finanzierung nur noch eine Ebene zuständig: entweder der Bund oder die Kantone. Im Rahmen dieser auf der Grundlage der neu in der Verfassung verankerten Grundsätze der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz vorgenommenen Aufgabenentflechtung konnten 7 Aufgaben dem Bund (u. a. Nationalstraßen, individuelle Leistungen von AHV und IV, Landesverteidigung) und 10 Aufgaben den Kantonen (darunter als gewichtigste die Sonderschulung sowie die Unterstützung von Heimen und Institutionen für Behinderte) zugewiesen werden. Weitere 17 Aufgaben bleiben als sogenannte Verbundaufgaben bestehen.

Neue Zusammenarbeitsformen zwischen Bund und Kantonen
Beim Vollzug von Bundesaufgaben durch die Kantone können die beiden Partner sogenannte Programmvereinbarungen abschließen, in denen gemeinsam die zu erreichenden strategischen Ziele festgelegt werden, deren Erreichung der Bund durch Pauschal- oder Globalbeiträge unterstützt. Die operative Umsetzung bleibt in der Verantwortung der Kantone. Damit werden die bisherigen starren Einzelsubventionen ersetzt und statt Kosten subventioniert, Leistungen mitfinanziert.

Verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Kantonen
Mit diesem Instrument werden die Rahmenbedingungen für eine verstärkte interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich geschaffen. In neun, in der Bundesverfassung abschließend aufgezählten Aufgabenbereichen1 kann die Bundesversammlung auf Antrag einer Mehrheit der Kantone interkantonale Verträge allgemeinverbindlich erklären oder einzelne Kantone zum Beitritt verpflichten. Die Bestimmung ermöglicht es, notfalls auch gegen den Widerstand einzelner Kantone, die interkantonale Zusammenarbeit umzusetzen, um z. B. kantonale Aufgaben im Verbund mit anderen Kantonen wirtschaftlicher erbringen zu können (Nutzung positiver Skaleneffekte) oder die Kosten kantonsübergreifender Leistungen bei angemessener Mitsprache und Mitwirkung der Betroffenen gerechter auszugleichen (Ausgleich von Spillovers).

Der Übergang vom alten zum neuen Finanzausgleichssystem
Konzept der Haushaltsneutralität

Gemäß Konzept der NFA erfolgte der Übergang vom alten zum neuen Finanzausgleichssystem für den Bund einerseits und die Gesamtheit der Kantone andererseits haushaltsneutral. Die beim Bund für die Dotierung der neuen Ausgleichsgefäße verfügbaren Mittel ergaben sich aus einer Reduktion des Kantonsanteils an der direkten Bundessteuer von bisher 30 auf neu 17% des Aufkommens (2,1 Milliarden Franken) sowie dem Wegfall der bisherigen Finanzkraftzuschläge auf den Bundessubventionen (1,6 Milliarden Franken), vermindert um den Saldo der Auswirkungen der Aufgabenentflechtung, welche eine Mehrbelastung des Bundes von 1,2 Milliarden Franken verursachte. Insgesamt stand somit eine Summe von knapp 2,5 Milliarden Franken zur Verfügung, von welcher 1,8 Milliarden Franken in den Ressourcenausgleich und 0,7 Milliarden Franken in den Lastenausgleich flossen. Der Ressourcenausgleich wurde ergänzt durch Beiträge der ressourcenstarken Kantone im Umfang von 1,26 Milliarden Franken.2 Für den Ressourcenausgleich standen damit insgesamt 3,06 Milliarden Franken zur Verfügung. Grundlage für die Festlegung dieser Ausgleichsbeträge bildete der Finanzplan des Bundes für das Jahr 2008. Im laufenden Jahr wird die Einhaltung der Haushaltsneutralität anhand der effektiven Zahlen der Jahresrechnung 2008 überprüft. Sollten sich größere Abweichungen zeigen, wird eine Anpassung der Ausgleichsgefäße ins Auge zu fassen sein.

Härteausgleich
Was bezüglich Haushaltsneutralität für das Verhältnis zwischen dem Bund und den Kantonen gilt, kann nicht auch für jeden einzelnen Kanton Gültigkeit haben. Die Folgen der Aufgabenentflechtung und die neuen Finanzierungs- und Verteilungsschlüssel wirken sich nicht auf alle Kantone gleichmäßig aus, sondern schaffen „Gewinner“ und „Verlierer“. Um den Sys¬temwechsel trotzdem mehrheitsfähig zu machen, wurde das Instrument des Härteausgleichs geschaffen. Mit dem Härteausgleich, der zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel von den Kantonen finanziert wird, wird sichergestellt, dass jeder ressourcenschwache Kanton mit dem Systemwechsel eine finanzielle Entlastung erfährt. Insgesamt ist dafür eine Summe von etwas mehr als 300 Millionen Franken erforderlich. Der Härteausgleich bleibt während 8 Jahren unverändert und reduziert sich anschließend pro Jahr um 5%.

Die Ebene der Kantone und Gemeinden
Um die Aufgabenentflechtung vollziehen und die neuen Zusammenarbeitsformen zwischen Bund und Kantonen umsetzen zu können, mussten analog zur Bundesebene auch in allen Kantonen Gesetze und Verordnungen geändert sowie Verwaltungsstrukturen und Abläufe angepasst werden. Ebenso mussten die neuen Finanzströme in Budgetierung und Finanzplanung berücksichtigt werden. Hinzu kam, dass in den meisten Kantonen auch die Gemeinden in unterschiedlichem Ausmaß von der Aufgabenentflechtung betroffen waren, weil sie z. B. Aufgaben im Sonderschulwesen und im Bereich der sozialen Sicherheit wahrnehmen, welche von der Aufgabenentflechtung besonders stark betroffen waren. In den meisten Kantonen musste deshalb parallel zur Einführung der NFA auch das innerkantonale Finanz- und Lastenausgleichssystem angepasst werden. Als Daueraufgabe bleibt für die Kantone der Ausbau der interkantonalen Zusammenarbeit mit Lastenausgleich.

NFA-Folgeorganisation
Mit dem Inkraftsetzungsbeschluss zur NFA wurden die Grundbeiträge für den Ressourcen- und den Lastenausgleich für die ersten vier Jahre festgelegt. Jedes Jahr werden der Ressourcenindex und die Lastenindices neu berechnet und die Ausgleichszahlungen für das Folgejahr neu festgelegt. Dabei werden der Bundesbeitrag an den Ressourcenausgleich aufgrund der Veränderung des gesamten Ressourcenpotenzials und der Beitrag der ressourcenstarken Kantone aufgrund der Veränderung ihres Ressourcenpotenzials angepasst. Der Lastenausgleich wird der Teuerung angeglichen.
Aufgrund eines Wirksamkeitsberichts werden die Grundbeiträge alle vier Jahre durch das eidgenössische Parlament neu festgelegt. Dabei wird jeweils auch die Notwendigkeit des Härteausgleichs überprüft. In den Wirksamkeitsberichten sind auch die Wirkungen der interkantonalen Zusammenarbeit mit Lastenausgleich darzulegen.
Sowohl die jährlichen Arbeiten zur Neuberechnung der Indizes und zur Festlegung der Ausgleichszahlungen für das Folgejahr als auch die Erarbeitung der Wirksamkeitsberichte werden durch paritätisch aus Bundes- und Kantonsvertretern zusammengesetzte Fachgruppen begleitet.

Schlussbemerkungen
Mit der Inkraftsetzung der NFA auf den 1. Jänner 2009 hat eine eigentliche Föderalismusreform stattgefunden. Der „Start ins neue Zeitalter“ ist erstaunlich reibungslos verlaufen, auftauchende Probleme werden pragmatisch angegangen. Noch nicht in allen Bereichen konnte die neue Philosophie der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen umgesetzt werden, und in einzelnen Aufgabenbereichen gelten noch Übergangsbestimmungen. Letztlich wird der Erfolg der NFA von der konsequenten Nutzung der neuen Gestaltungsmöglichkeiten durch alle Beteiligten, Bund und Kantone abhängen.
Mit der NFA wurden die Grundsätze der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz neu in der Bundesverfassung festgeschrieben. Die Einhaltung dieser Grundsätze in der Bundespolitik sicherzustellen, wird eine Daueraufgabe bilden, die angesichts des anhaltenden Zentralisierungsdrucks ständige Aufmerksamkeit verlangen wird.


1 Straf- und Maßnahmenvollzug, Koordination im Schulwesen, kantonale Hochschulen, Kultureinrichtungen von überregionaler Bedeutung, Abfallbewirtschaftung, Abwasserreinigung, Agglomerationsverkehr, Spitzenmedizin und Spezialkliniken, Institutionen zur Eingliederung und Betreuung von behinderten Personen.
2 Diese horizontalen Ausgleichsbeiträge ersetzen die bisherige horizontale Finanzkraftabstufung der Kantonsanteile an Bundeseinnahmen und am Reingewinn der Nationalbank sowie der Beiträge der Kantone an die Sozialwerke des Bundes.

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