„lebenfindetinnenstadt.de“

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Wie entsteht Dynamik in von Stagnation geprägten Ortszentren? Wie entwickeln sich zentral gelegene, jedoch vernachlässigte Stadtgebiete zur guten Lage? Wie betreibt man eine erfolgreiche Quartiersentwicklung mit Eigentümern, der Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung? Fürstenfeldbruck in Bayern hat im Rahmen des bayrischen Modellvorhabens „lebenfindetinnenstadt“ neue Wege zur Stadtentwicklung beschritten.

 

Gleich vorweg: Zentrale Elemente in diesem Prozess waren die Vernetzung der Beteiligten, gegenseitige Wertschätzung und gezielte Nutzung der vorhandenen Dynamik.

Ausgangslage
Die große Kreisstadt Fürstenfeldbruck mit 35.000 Einwohnern im Umland von München besitzt einen Stadtkern mit den typischen Merkmalen einer Marktgemeinde. Der historische Marktplatz bildet das Zentrum der Stadt, hier liegen der Einzelhandelsschwerpunkt und viele wichtige Infrastruktureinrichtungen.

Stagnation
Stadtentwicklung fand in Fürstenfeldbruck in den letzten Jahrzehnten vor allem außerhalb des Stadtzentrums statt. Zentrale, aber rückwärtig liegende Flächen in zweiter Reihe hinter dem Marktplatz sind bis heute baulich wenig entwickelt. Die bauliche Stagnation führte zu Brachflächen und vernachlässigten Hinterhofsituationen mitten in der Innenstadt.
Die rückwärtig des Marktplatzes angrenzenden Flächen werden nicht entsprechend ihrer hochwertigen Lage genutzt. Sie stellen keine Orte des innerstädtischen Lebens dar und bieten wenig Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Vor allem die Flächen östlich des Marktplatzes werden von der Bevölkerung nicht als Bestandteil der Innenstadt wahrgenommen. Dabei besitzen sie aufgrund der zentralen Lage abseits der Hauptverkehrsstraße, der Uferbereiche an der Amper, einzelner Baudenkmäler und des schönen Baumbestands ein großes Potenzial zur Ergänzung des innerstädtischen Angebots.
Die Aktivierung dieser Potenziale erwies sich in der Vergangenheit als schwierig und führte nicht zur baulichen Entwicklung der Flächen. Mehrere Aufstellungsverfahren für Bebauungspläne wurden in Angriff genommen, konnten jedoch nicht zu Ende geführt werden.

„lebenfindetinnenstadt“
Mit der erfolgreichen Bewerbung für das bayerische Modellvorhaben „lebenfindetinnenstadt“ bekam die Stadt die Chance, neue kooperative Herangehensweisen zu erproben. Als Projektgebiet wurde der ca. 12 ha großen Bereich östlich des Marktplatzes gewählt. Ziel war es, einen Paradigmenwechsel zu erreichen, die stagnierende Situation aufzubrechen und das Quartier durch eine städtebauliche Aufwertung und der Entwicklung der brachliegenden Flächen zu einem lebendigen Bestandteil der Innenstadt zu transformieren.

Projektmanagement
Mit dem Projektmanagement wurde ein Planungsteam beauftragt, das die städtebaulichen Planungen, die Moderation und Steuerung des Prozesses übernommen hat.
Es hat sich als besonders effizient erwiesen, dass die zwei Fachleute aus den Bereichen der Stadtplanung und der Freiraumplanung gleichzeitig die Moderation des gesamten Prozesses übernommen haben. Dies setzt aber voraus, dass die Planer neben ihrer Fähigkeit zum Entwickeln von tragfähigen stadträumlichen Konzeptionen auch hohe kommunikative Kompetenzen aufweisen.

Öffentlich-private Kooperation
Die Herangehensweise für das kooperative Verfahren beruht auf der Haltung, dass jeder Beteiligte Experte für seinen eigenen Verantwortungsbereich ist. Im Planungsprozess ging es deshalb weniger darum, den Einzelnen zu überzeugen, als die verschiedenen Anliegen in den Gesamtprozess einzubinden. In Fürstenfeldbruck wurden neben Eigentümern, aktiven Gruppen und Bürgern auch wichtige Institutionen sowie die Verwaltung und der Stadtrat aktiv in den Prozess eingebunden.
Durch die Gespräche mit den Beteiligten konnten die jeweiligen Belange sofort in die Planung einfließen. Darauf basierende Lösungsansätze konnten wiederum diskutiert und weiterverfolgt werden. So entstanden die Konzepte „im Dialog“ zwischen Planern, Bürgern und der Stadtverwaltung. Der Plan ist das Ergebnis dieses Prozesses.
Als vorteilhaft für diese Art des Vorgehens zeigte sich die Rolle eines neutralen Vermittlers. Den externen, nicht ortsansässigen Planern war es möglich, sowohl die Interessen der Eigentümer als auch der Stadt im Hinblick auf ein übergeordnetes Ziel zu vertreten. Die verschiedenen Belange konnten so gleichwertig gegenübergestellt werden, Vorbehalte aus vergangenen Planungsprozessen wurden abgebaut.

Projektbüro
Zu Anfang des Modellvorhabens wurde am Marktplatz in einem leer stehenden Laden ein Projektbüro als Anlaufstelle eingerichtet. Das Projektmanagement war regelmäßig einen Tag in der Woche anwesend. Das Schaufenster wurde genutzt, um über aktuelle Ergebnisse zu informieren. Viele Bürger nutzten die Gelegenheit, sich zu erkundigen und ihre Ortskenntnis, Anliegen und Wünsche, aber auch ihre Kritik vorzubringen.

Stadtentwicklungsprozess
In Städten finden immer Entwicklungen und Prozesse statt, auch ohne das Zutun von aktiver Planung. Die Stadtplaner können diesen Prozess steuernd unterstützen, ohne dabei determinierend zu wirken. In Fürstenfeldbruck wurden Konzepte und Ideen dort gefördert, wo sich die Bereitschaft zu Kooperation zeigte.
Wenn Handlungsspielräume erkannt und genutzt werden und eine gemeinsame Vision entsteht, können Ideen umgesetzt werden, die meist schon lange in der Stadt vorhanden waren, jedoch keinen Raum fanden, umgesetzt zu werden.
Für den Planungsprozess wurden keine zusätzlichen Organisationsformen gebildet, es wurden vielmehr bestehende Organisations- und Entscheidungsformen gezielt für den Prozess genutzt. Die Konzepte zur Stadtentwicklung wurden auf breiter Basis entwickelt, die Entscheidung zur Durchführung blieb beim Stadtrat als demokratisch gewählte Instanz. Entscheidungen zur Grundstücksentwicklung wurden in kleinen Runden mit dem Eigentümer besprochen. Die Vertreter der aktiven Gruppen wurden in ihren Anliegen und Aktivitäten unterstützt.

Vernetzung
Beteiligte: private Eigentümer

Um Quartiere zu entwickeln, ist eine gute Kooperation zwischen den Eigentümern der Grundstücke und der Stadtverwaltung von entscheidender Bedeutung. Bei Entscheidungen zur Entwicklung der privaten Grundstücke geht es mitunter um große Investitionsvolumen und oftmals um sensible finanzielle oder familiäre Planungen. Diese Fragen können nicht in großen Planungsrunden erörtert werden. Daher wurden mit den Eigentümern zunächst in vertraulichen Einzelgesprächen erste Konzepte entwickelt.
Benachbarte Grundstücke, die abhängig von der bestehenden Situation gemeinsame Aufgabenstellungen aufweisen, wurden daraufhin zu sogenannten „Nachbarschaften“ zusammengefasst.
Die unter den Nachbarn erarbeiteten Lösungen wurden anschließend mit dem Bauamt abgestimmt. Das Ergebnis wurde dem Stadtrat als gemeinsamer Vorschlag von Eigentümern und Bauamt vorgelegt.
Um zu kooperieren, müssen sich die Partner zunächst kennenlernen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Hier konnte das Projektmanagement unterstützen, indem konkrete städtebauliche Ideen als fachliche Grundlage für sachorientierte Gespräche erarbeitet wurden.
Die Teilnahme der Eigentümer am Projekt war freiwillig. Im Quartier in Fürstenfeldbruck haben sich Eigentümer von etwa zwei Drittel der Flächen auch finanziell am Projekt beteiligt. Die private Mitfinanzierung war Voraussetzung zur Teilnahme an dem Modellvorhaben.

Beteiligte: Akteure und Interssenvertreter
Neben den Eigentümern waren in Fürstenfeldbruck aktive Gruppen, also Interessenvertreter wie Stadtmarketinggruppen, Vereine, Beiräte, Banken, Pfarrgemeinde, Volkshochschule u. v. m. eingebunden.
Die Stadtmarketinggruppe, eine private Interessenvertretung der Einzelhändler und Gewerbetreibenden, hat insbesondere das Thema „kinderfreundliche Innenstadt“ vorangebracht und am Marktplatz eine Betreuungseinrichtung für Kinder während der Einkaufszeiten eingerichtet. Die beteiligten Banken haben bei der Grundstücksentwicklung im Bereich der Immobilienbewertung und Finanzierung beraten. Der Behinderten-, Senioren- und Jugendbeirat konnten seine spezifischen Belange in die Planungen einbringen.
Die im Planungsgebiet tätigen Architekten und Planer wurden frühzeitig in die Überlegungen zur Quartiersentwicklung eingebunden. So konnten Einzelplanungen auf die Gesamtkonzeption ausgerichtet werden.
Durch einzelne Aktionen in der Stadt wurden Zielsetzungen unterstützt und eine breite Öffentlichkeit auf das Projekt aufmerksam gemacht. Ein Beispiel ist die Aktion „Ackern im Hinterhof“, ein Projekt, bei dem ein zum Parken genutzter Hinterhof für einen Tag als Spiel- und Gastronomiefläche genutzt wurde, um auf die Potenziale der Hinterhöfe aufmerksam zu machen. „Kinderreporter“ analysierten die Innenstadt und stellten ihre Wünsche und Ideen auf Plakaten und Bildern dar.

Einbindung von Stadtverwaltung und Politik
Der gesamte Planungsprozess wurde von Seiten der Stadtverwaltung intensiv begleitet. Die gute und sehr enge Zusammenarbeit des Projektmanagements mit dem Bauamt war für den Erfolg der Arbeit von zentraler Bedeutung.
Auch die Einbindung weitere Ämter und deren Kooperation untereinander waren wichtige Voraussetzungen.
Um eine breite politische Zustimmung für die Planungen zu erreichen, wurden mit dem gesamten Stadtrat mehrere Workshops durchgeführt und Vorschläge und Herangehensweisen erarbeitet. Verlässliche politische Entscheidungen dienen allen Beteiligten als wichtige Grundlage für ihr weiteres Handeln.

Gegenseitige Wertschätzung
Um Quartiere voranzubringen, muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen dem Gesamtinteresse der Öffentlichkeit und dem Einzelinteresse der Eigentümer oder anderer Akteure. Hierbei bedarf es einer hohen Wertschätzung der jeweiligen Interessen und Personen. Ein Gleichgewicht zwischen den Beteiligten entsteht erst dann, wenn die verschiedenen Belange nebeneinandergestellt werden in einem Gespräche „auf einer Augenhöhe“.
Ziel ist es, Win-win-Situationen zu schaffen, das heißt, dass sowohl private Interessen als auch die gesamte Stadt im Sinne einer positiven Stadtentwicklung von den Veränderungen profitieren müssen.
Grundstücke müssen sich wirtschaftlich verwerten lassen und gleichzeitig zur Aufwertung des Quartiers und der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt beitragen.
Nur so lassen sich gemeinsame Konzepte realisieren. Das Interesse der Einzelnen dient, eingebunden in das Gesamtkonzept, als Motor für die Entwicklung des gesamten Quartiers.

Dynamik
Konzepte und Ideen wurden dort erarbeitet, wo sich Bereitschaft zur Kooperation gezeigt hat. Unterstützt wurde dieses Vorgehen damit, dass die Teilnahme an der Planung von privater Seite freiwillig war. Dies ermöglichte ein effizientes Handeln.
Durch die starke Vernetzung der Beteiligten wurde für den Einzelnen sehr schnell sichtbar, wo im gesamten Prozess Veränderungen möglich wurden. In der Rückkopplung hat dies zu vielen kleinen Entscheidungen geführt, die eigene Position zu überdenken: In der Kenntnis, dass ein benachbarter Eigentümer sein Grundstück aufwertet, wurde eine neue Bereitschaft für die Investition auf dem eigenen Grund geschaffen.

Bildung einer „guten Adresse“
Durch die bereits beschriebene stagnierende Situation und den damit verbundenen „Rückseitencharakter“ waren Investitionen und Vermietungen des Gebäudebestands unattraktiv geworden.
Als Initialprojekt wird von Seiten der Stadt eine neue attraktive Quartiersmitte mit neuen Fußwegverbindungen geschaffen.
Die Voraussetzungen für bauliche Ent¬wick¬lungen werden durch die Bildung dieser neuen, hochwertigen „Adresse“ wesentlich verbessert. Man wohnt künftig nicht mehr hinter dem Marktplatz, sondern am neuen Quartiersplatz.
Hier übernimmt die Stadt ihre Verantwortung für den öffentlichen Raum und trägt mit der Aufwertung einen wichtigen Teil zur Dynamik bei.

Ausrichtung des Quartiers auf das Miteinander der Generationen
Das Quartier ist von verschiedenen Infrastruktureinrichtungen wie zwei Seniorenwohnheimen, der Grundschule, einem Kindergarten, der Volkshochschule und der Pfarrgemeinde geprägt.
In Ergänzung zu den bestehenden Einrichtungen kann hier ein hochwertiger innerstädtischer Wohnstandort entstehen.
Dies soll insbesondere durch die Konzentration von Einrichtungen für Familien und Senioren, durch Bildungseinrichtungen wie der Volkshochschule und durch ein Mehrgenerationenhaus als offenen Treffpunkt gelingen. Mit diesem Angebot ergänzt das Quartier östlich des Marktes den Einzelhandelsstandort Fürstenfeldbruck in perfekter Weise und trägt zur Belebung der Innenstadt bei.
Die Stadt Fürstenfeldbruck hat sich mit den Ideen für den Quartiersplatz erfolgreich für ein Modellvorhaben des Bundesbauministeriums im Bereich des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) beworben. Bei diesem Projekt geht es um Innovationen für alten- und familiengerechte Quartiere und um die Frage, wie Freiräume gestaltet werden müssen, um das Miteinander der verschiedenen Generationen und Gruppen zu fördern. Die Fertigstellung des Quartiersplatzes ist bis Juni 2010 ist geplant. Durch die finanzielle Förderung des Bundes ist es möglich, eine Planung zu realisieren, die besonders auf das Miteinander der verschiedenen Generationen ausgerichtet ist. Mit der Einrichtung eines Mehrgenerationenhauses in einem ehemaligen Schulgebäude wird die neue Quartiersmitte zum lebendigen Baustein der Innenstadt.

Ergebnisse
Im Projekt „lebenfindetinnenstadt“ ist in kurzer Zeit eine starke, gemeinsame Vision entstanden. Durch die Umsetzung zahlreicher geplanter Projekte entsteht in den nächsten Jahren ein starker Baustein für eine lebendige Innenstadt.
Derzeit werden folgende einzelne Projekte im Quartier vorangebracht:
- die neue Quartiersmitte (Fertigstellung eines zentralen Platzes und der angrenzenden Flächen 2010);
- ein öffentliches Gebäude mit Volkshochschule und Mehrgenerationenhaus (Umbau und Fertigstellung 2010);
- Einbau einer Kinderkrippe in das Gebäude des Wohnstiftes (Innenräume 2008 fertiggestellt, Freibereich Fertigstellung Juni 2009);
- eine neue Grundschule (Wettbewerb 2008, Bau vermutlich 2010);
- ca. 60 neue Wohneinheiten auf den privaten Flächen (in den nächsten 5 Jahren, weitere 60 u. U. später);
- Bau eines Fußgängersteges entlang des Flussufers (einzelne Teile in Planung);
- Verbesserung der rückwärtigen Gebäudeseite der Sparkasse;
- Aufwertung der öffentlichen Straßen und Wege.
Laufende Planungen wie eine Wohnanlage mit 36 altengerechten Wohnungen und das projektierte neue Gemeindehaus der Pfarrei konnten städtebaulich in das Gesamtkonzept eingebunden werden.
Die Sicherung der Gesamtkonzeption erfolgt über die Erstellung eines städtebaulichen Rahmenplans, der 2009 erstellt wird.

Zeitlicher Rahmen des Projekts
Der Bearbeitungszeitraum von zwei Jahren hat sich zur Initialzündung für die Quartiersentwicklung bewährt. Ziel war es, das Modellvorhaben als Anschubkraft für eine positive Dynamik zu nutzen, die die Dinge aus eigener Kraft und eigenem Interesse heraus voranbringt. In der anschließenden Phase bedarf es der Koordination und der Begleitung zur Sicherung der Ziele, die jedoch in kleinerem Umfang durchgeführt werden kann.

Persönliches Fazit
„lebenfindetinnenstadt“ hat sich für uns als Projektmanager als ein spannendes und erfolgreiches Instrument zur Entwicklung von Stadtdynamik herausgestellt.
Der Einsatz aller Beteiligten ging über das übliche Maß bei standardisierten Stadtplanungsverfahren hinaus. Dies muss bei der Frage, welche Projekte in einer Stadt Prioritäten bekommen und welche Kapazitäten erforderlich sind, berücksichtigt werden.
Der offizielle Rahmen des Modellvorhabens und die Begleitung der Modellphase durch die Bayerische Staatsregierung hat unsere Arbeit unterstützt.
Die Beteiligung der Öffentlichkeit, der Eigentümer, der aktiven Gruppen und der intensive Einsatz des Oberbürgermeisters Herrn Kellerer und des Stadtbaurates, Herrn Kornacher, haben einen wichtigen Teil zum Erfolg des Projekts in Fürstenfeldbruck beigetragen.

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