Auslaufmodell Innenstadt?

Auslaufmodell Innenstadt?

Alle reden von Urbanität, doch kaum jemand tut etwas dafür. Werden kompakte, multifunktionale Städte von Politikern, Planern und Nutzern überhaupt noch gewollt? Für eine Renaissance unserer Zentren wären nicht nur Verbesserungen der innerstädtischen Lebensqualität nötig, sondern vor allem auch Restriktionen des Wildwuchses an der Peripherie.

 

Nach Jahren teils dramatischer Verluste haben sich die Einwohnerzahlen der heimischen Städte zuletzt wieder erholt. Dass deshalb aber nicht alles eitel Wonne ist, zeigt ein genauerer Blick auf Wien. Während die großen Stadterweiterungsbezirke 10, 11, 12, 21, 22 und 23 auch durch Binnenwanderung, also durch Zuzug aus anderen österreichischen Bezirken, wachsen, wandert die angestammte Bevölkerung – mit Ausnahme der stark durchgrünten Bezirke 13, 14 und 19 – ungebrochen aus den zentraleren, „urbaneren“ Bezirken ab. Zwar wird dieser Verlust durch den erfreulichen Zuzug aus dem Ausland mehr als kompensiert, die Zahlen zeigen aber dennoch, dass das Leben in „städtischen“ Vierteln offenbar nach wie vor Einschränkungen unterliegt, die es an der Peripherie nicht gibt. Denn die klaren Gewinner des erfreulichen Bevölkerungswachstums in Österreich sind die Gemeinden im sogenannten Speckgürtel rings um die großen Städte, die günstiges Bauland bei gleichzeitiger Zentrumsnähe bieten.
Allein Wien verliert an sein Umland alljährlich rund 5.000 Bewohner – und das ist nur allzu verständlich: Die dicht bebauten Viertel, nicht nur in Wien, sind geprägt vom chronischen Lärm und den gesundheitsgefährdenden Abgasen des ungezügelten Autoverkehrs. Im öffentlichen Raum ist schon lange kaum mehr Platz für Aufenthalt, Kommunikation und Spiel, denn wo keine Autos fahren, stehen parkende Autos herum. Dazu kommt ein so¬zialer – und dennoch teurer – Wohnbau „von der Stange“, der in mancher Hinsicht auf dem Niveau der 1970er-Jahre stehen geblieben ist. Das Häuschen mit eigenem Garten bleibt so der Wunschtraum vieler Städter.
Substanzverlust
durch Randwanderung
Der Substanzverlust der Kernstädte beschränkt sich nicht auf Bewohner allein. Längst ist der automobile Einkauf jenseits der Stadtgrenze zur Normalität zwischen Neusiedler- und Bodensee geworden. Die Salzburger fahren zum Shoppen nach Wals-Siezenheim, die Linzer nach Pasching, die Grazer nach Seiersberg und die Wiener nach Vösendorf oder bald auch nach Gerasdorf – mit den bekannten fatalen Folgen für die innerstädtische Nahversorgung: Allein in Wiens traditionellen Geschäftsstraßen und ihrem direkten Umfeld stehen rund 600 Geschäfte mit insgesamt über 100.000 m2 Verkaufsfläche leer. Die dadurch bedingte Verödung der Erdgeschoßzonen trägt noch ein Übriges dazu bei, dass die Attraktivität der Innenstädte zunehmend schwindet.
Zu „guter“ Letzt verlagert sich nun auch noch die Funktion Arbeit merklich von der Kernstadt ins Stadtumland. Während etwa die Zahl der Arbeitsstätten in Wien zwischen 1991 und 2001 um 22% zunahm, verzeichneten die Bezirke Wien-Umgebung und Korneuburg im selben Zeitraum Zuwächse von 42 beziehungsweise 50% – auch dank Wirtschaftsförderungsmaßnahmen von Bund und Land, die ihre Subventionen an keinerlei raumplanerische Kriterien knüpfen. So verwundert es nicht, dass den 261.000 tagtäglichen Einpendlern nach Wien heute bereits 62.000 Wiener gegenüberstehen, die in die Ostregion auspendeln – und dies zu 93% mit dem Pkw tun.
Zumal die alljährliche Flucht Tausender österreichischer Familien aus den Kernstädten in die Speckgürtel mittels Erst-, Zweit- und Drittwagen erfolgt, werden die Symptome, vor denen sie fliehen, nur noch verstärkt – und vom Zentrum sukzessive auf den gesamten Agglomerationsraum ausgedehnt.
Damit nähern sich unsere Städte tendenziell dem alles andere als nachhaltigen amerikanischen Siedlungsmodell: mit einer auf zentrale Verwaltungs-, Sozial- und Kultureinrichtungen sowie auf Rechts- und Finanzdienstleistungen fokussierten City samt Wohnvierteln für eine schmale urbane Elite beziehungsweise für sozial schwache Gesellschaftsschichten – und darum herum weitläufige autoabhängige Suburbs für die breite Mittelschicht.
Mangelnde politische Verantwortung
Die heimischen Strategien, um die Kernstädte im Wettkampf mit ihren Nachbargemeinden zu stärken, scheinen mehrheitlich nicht dazu angetan, diesen Trend umzukehren. Denn anstatt die Lebensbedingungen in den dicht bebauten Gebieten grundlegend zu verbessern – sei es mit Investitionen in Grünflächen, in den öffentlichen Raum, in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie in qualitätvolle Wohnbauten, sei es durch eine massive Eindämmung des Pkw-Verkehrs bei gleich¬zeitigem Ausbau des öffentlichen Verkehrs –, beschreiten die Städte die vor Jahrzehnten eingeschlagenen Wege teils noch vehementer (beispielsweise durch den Ausbau von Stadtautobahnen) oder treten gar in ruinöse Konkurrenz zu ihrem Umland (etwa durch Verbauung der eigenen Grüngürtel mit Einkaufszentren und Fachmärkten).
Man muss den heimischen Städten allerdings auch zubilligen, dass sie bei der Bewältigung ihrer mitunter überregionalen Probleme vom Bund und den Ländern im Stich gelassen werden. So wäre es Aufgabe der Bundesregierung, endlich Kostenwahrheit im Verkehr herzustellen – was vor allem im urbanen Raum zu einem sofortigen Rückgang des Pkw-Gebrauchs führen würde. Ebenso müsste der Bund viel mehr Geld in den öffentlichen Personennahverkehr investieren, mit dessen dringlichem Ausbau die Kommunen und Länder budgetär überfordert sind.
Die Länder wären als übergeordnete Raumordnungsbehörden in der Pflicht, die Städte vor der – auch volkswirtschaftlich nachteiligen (siehe Infrastrukturkosten) – Konkurrenz durch ihre Nachbargemeinden zu schützen: durch klare regionalplanerische Vorgaben (z. B. für die Gewerbe- und Handelsentwicklung) ebenso wie durch verbindliche interkommunale Kooperationsmodelle.
Und schließlich hätten sie es über diverse Förderinstrumente in der Hand, die Siedlungsentwicklung nachhaltiger zu gestalten: An vorderster Stelle steht dabei die Wohnbauförderung in Höhe von derzeit 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, bei deren Vergabe nach wie vor kaum unterschieden wird, ob es sich um ein städtisches Mehrfamilienhaus mit öffentlichem Verkehrsanschluss handelt oder aber um ein Einfamilienhaus auf einer abgelegenen 1.000-m2-Parzelle.

OEGZ

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