Europaparlamentarier und Daseinsvorsorge

Europaparlamentarier und Daseinsvorsorge

Was können sich Österreichs Städte und Gemeinden von den österreichischen Mitgliedern des Europaparlaments erwarten? Die ÖGZ hat vier österreichische Europaabgeordnete befragt.

 

„Der Bereich der sogenannten Daseinsvorsorge, also Dienstleistungen von allgemeinem Interesse – sind für Österreichs Städte und Gemeinden ein Schlüsselthema. Welche Positionierung ist von Ihrer Delegation in der kommenden Legislaturperiode in dieser Frage zu erwarten?“ – diese Frage hat die ÖGZ den vier im Europäischen Parlament vertretenen österreichischen Parteien gestellt. Hier die Antworten von MEP Hannes Swoboda, MEP Othmar Karas, MEP Ulrike Lunacek und MEP Andreas Mölzer.

MEP Hannes Swoboda
Für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sind hochwertige öffentliche Dienstleistungen eine Säule des europäischen Sozial- und Wirtschaftsmodells. Wie in der vergangenen Legislaturperiode werden wir uns auch künftig dafür einsetzen, dass ein klarer EU-Rechtsrahmen für öffentliche Dienstleistungen Realität wird. Die Sozialdemokraten haben im EU-Parlament und darüber hinaus eine Kampagne gestartet, um Unterstützung für unser Ziel zu gewinnen.
Diese neue Rahmenrichtlinie muss den universellen und gleichberechtigten Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger, die hohe Qualität, lokale Autonomie und Transparenz bei öffentlichen Dienstleistungen garantieren und die Definitionshoheit der EU-Mitgliedstaaten wahren. Kommunen
müssen also weiterhin das Recht haben, selbst festzulegen, welche Dienste von ihnen übernommen werden und welche sie an dritte Anbieter auslagern. Es gilt zudem, die Rechtsunsicherheiten zu beenden, die durch Vorschläge der EU-Kommission und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in diesem Bereich entstanden sind. Ein großer Etappensieg war bereits zu verzeichnen: Wir haben uns erfolgreich dafür stark gemacht, dass im
EU-Reformvertrag dem Binnenmarkt im Bereich der Daseinsvorsorge Grenzen gezogen wurden. Laut dem Vertrag sind es die Mitgliedstaaten, die die Daseinsvorsorge für die Bürger bereitstellen, finanzieren und in Auftrag geben. Die Verantwortung und Gestaltungsfreiheit der kommunalen bzw. regionalen Verwaltung wird betont. Das baldige Inkrafttreten des Vertrags würde unseren Positionen somit großen Aufwind geben.

MEP Othmar Karas
Der ÖVP-Europaklub versteht seit jeher den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt im Sin¬ne einer wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft. Diesem Anliegen trägt jetzt auch der Vertrag von Lissabon Rechnung. Das ist aus kommunaler Sicht nicht unerheblich, denn die kommunalen Daseinsvorsorgeleistungen – verstanden als öffentlich garantierte Infrastruktur z. B. in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, sozialer oder kultureller Form – sind integraler Bestandteil unseres Systems der sozialen Marktwirtschaft.
Der EU-Reformvertrag legt die weitgehende Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten für den Zuschnitt der Daseinsvorsorge fest. Zum ersten Mal im europäischen Primärrecht wird eindeutig die Zuständigkeit auch der lokalen Behörden in der Frage festgelegt, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zu erbringen sind. Dies soll gewährleisten, dass öffentliche Dienstleistungen von Beschränkungen der staatlichen Beihilfen ausgenommen sein sollen.
Für den ÖVP-Europaklub sind die Kommunen und Gemeinden eine wesentliche Entscheidungsebene auch für europäische Fragen. Wir unterstützen daher voll die Festlegung des Reformvertrages, mit der das kommunale Selbstverwaltungsrecht als Bestandteil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten verankert wird. Der ÖVP-Europaklub wird auch in der kommenden Legislaturperiode, auf Basis dieser erfolgreich erzielten Verbesserungen im Reformvertrag, das Recht der Kommunen verteidigen, ihre Aufgaben vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge in vollem Umfang erbringen zu können.

MEP Ulrike Lunacek
Umfassende und qualitativ hochwertige öffentlichen Dienstleistungen, wie z. B. Abfallbeseitigung, Wasserversorgung, öffentlicher Verkehr und soziale Dienste sind ein wichtiger Beitrag für eine hohe Lebensqualität und zeichnen unser Gemeinwesen aus. Wir Grüne stehen dafür, dass jede Bürgerin und jeder Bürger mit öffentlichen Dienstleistungen von ho¬her Qualität versorgt wird – und zwar unabhängig davon, ob sie oder er viel oder wenig verdient, in der Stadt oder auf dem Land wohnt. Im Rahmen der Erbringung dieser Dienstleistungen ist uns die Einhaltung von hochwertigen arbeitsrechtlichen, sozialen, gendergerechten und ökologischen Standards wichtig.
Auf europäischer Ebene fordern wir – vor dem Hintergrund der von uns Grünen vielfach kritisierten Dienstleistungsrichtlinie – eine Rahmenrichtlinie für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Sie soll den besonderen Schutz dieser Dienste berücksichtigen und gewährleisten, dass öffentliche Dienstleistungen nicht dem europäischen Wettbewerbsrecht unterstellt werden. Die Entscheidungsfreiheit der lokalen Behörde bei der Definition, Gestaltung und Organisation dieser Dienste muss erhalten bleiben. Aus grüner Sicht müssen diese Entscheidungen jedoch mit der Pflicht zur Transparenz verknüpft werden, um mangelnde öffentliche Kontrolle (z. B. durch den Gemeinderat), die u. a. bei Ausgliederungen entsteht, abzubauen. Wir wollen das europäische Beihilferecht so weiterentwickeln, dass die öffentliche Finanzierung dieser Dienstleistungen nicht von der europäischen Ebene als unzulässige Subvention in Frage gestellt werden kann.

MEP Andreas Mölzer
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse – also Wasser- und Energieversorgung, öffentlicher Verkehr oder die Entsorgung von Müll – sind für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von Bedeutung. Daher ist die Daseinsvorsorge, wie Dienstleistungen dieser Art auch genannt werden, den Wettbewerbsregeln der Europäischen Union in nur eingeschränktem Maße zugänglich. Denn der Zugang der Menschen zu diesen Leistungen darf nicht nur unter rein marktwirtschaftlichen Aspekten erfolgen, vielmehr ist auch auf eine entsprechende soziale Komponente zu achten.
Aus diesen Gründen habe ich mich als freiheitlicher EU-Abgeordneter Ende 2006 entschieden gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgesprochen, weil diese aus österreichischer Sicht völlig unannehmbar ist. Denn Leistungen von gemeinwirtschaftlichem Interesse unterliegen weiterhin dem Geltungsbereich dieser Richtlinie, sodass in Zukunft eine völlige Liberalisierung nicht auszuschließen ist.
Was die kommende Legislaturperiode des Europaparlaments betrifft, so werden die Vertreter der Freiheitlichen Partei Österreichs den Versuchen, die sogenannte Daseinsvorsorge zu liberalisieren, mit aller Deutlichkeit entgegentreten. Wichtige Fragen wie die Energie- oder Wasserversorgung sind vor Ort zu treffen und nicht in den Zentralen internationaler Konzerne, weil nur so unabhängig von den Befindlichkeiten der Märkte eine optimale Versorgung der Menschen sichergestellt werden kann.

OEGZ

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