Städtetag-Arbeitskreis III Kostentreiber Soziales

Städtetag-Arbeitskreis III Kostentreiber Soziales

Vor allem die demografische Entwicklung, neue gesetzliche Bestimmungen wie die 24-Stunden-Pflege oder die Mindestsicherung sowie gesellschaftliche Veränderungen tragen dazu bei, dass die Ausgaben für den Sozialbereich stetig steigen und stellen Gemeinden damit vor finanzielle Herausforderungen. Insbesondere in Zeiten sinkender Ertragsanteile werden die steigenden Sozialtransfers die Gemeindehaushalte schwer belasten. Doch welche Gründe gibt es für die Ausgabensteigerungen? Und welche Entwicklungen wird die Zukunft bringen?

 

Stark steigende Sozialausgaben
Betrachtet man die bisherigen Entwicklungen, zeigt sich, dass sich die Finanzierungslast1 der Länder und Gemeinden deutlich stärker entwickelt hat als jene des Bundes. Die vergleichsweise moderate Entwicklung des Saldos im Bundesbereich ist auf die nur zaghafte Valorisierung des Pflegegeldes zurückzuführen. Dies hat dazu geführt, dass die Länder und Gemeinden einen immer größeren Anteil an der gesamten Finanzierungslast zu tragen haben.

Das Ausmaß der Ausgabenentwicklung ist auch in der Abbildung 2 erkennbar. So sind die Ausgabensteigerungen bei den Gemeinden und Ländern deutlich höher als beim Bund. Die hier dargestellten Werte wurden um Transfers bereinigt und stellen damit nur jene Ausgaben dar, welche tatsächlich von der jeweiligen Gebietskörperschaft bzw. der Organisationseinheit zu tragen sind. Bei den Sozialhilfeverbänden und den Fonds handelt es sich daher um solche Ausgaben, welche nicht durch Transfereinnahmen gedeckt sind. Dies sind insbesondere Leistungsentgelte.

Wo liegen die Gründe für die Ausgabensteigerungen?
Wie die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen, sind in den letzten Jahren in sämtlichen Sozialbereichen – von der Pflege über die Behindertenhilfe bis hin zur Jugendwohlfahrt und offenen Sozialhilfe – Steigerungen der Aufwendungen zu erkennen. Doch wo liegen die Gründe dafür? Aus den Diskussionen im Zuge der Arbeitsgruppensitzungen zur Vorbereitung für den Städtetag 2009 sowie aus bisherigen Beiträgen und Studien2 sind für die einzelnen Sozialbereiche folgende Kostentreiber erkennbar.
Vor allem der Bereich der Pflege weist enorme Ausgabenintensitäten auf. Dafür sind u. a. folgende Gründe bekannt:
• demografische Entwicklungen – steigende Zahl der pflegebedürftigen Personen, steigende Betreuungsintensität und Dau¬er der Pflegebedürftigkeit;
• Verschiebung der Familienstrukturen – von der traditionellen 3-Generationen-Familie hin zu kleinteiligeren Formen und Singlehaushalten – wodurch Machbarkeit und Bereitwilligkeit, Angehörige informell zu pflegen, rückläufig ist;
• Kaufkraft der Haushalte älterer Menschen;
• Wertewandel – höhere Qualitätsansprüche der KonsumentInnen;
• Kosten- und Leistungsstruktur in der am¬bulanten, teilstationären und stationären Pflege;
• Entwicklung des Lohnniveaus in den Pflegeberufen;
• Qualität der betriebswirtschaftlichen Führung von Pflegeeinrichtungen;
• gesetzliche Änderungen – z. B. die Einführung der 24-Stunden-Pflege;
• bundeslandweise unterschiedliche Qualitätsstandards – z. B. Heimverordnung (Maximalgrößen, Ausstattungen von Heimen sowie Beschäftigungsstrukturen);
• politische Einflussnahme auf Standortentscheidungen.
In der Behindertenhilfe führte vor allem der Ausbau der Leistungen zu den vorherrschenden Kostensteigerungen. Dieser Ausbau war einerseits durch die Zunahme der psychischen Erkrankungen und andererseits durch die neu hinzugekommene Zielgruppe der älteren Behinderten notwendig.
Die stärkste kostentreibende Maßnahme in der offenen Sozialhilfe war in Kärnten die Einführung der Mindestsicherung. Weitere Gründe für die Kostensteigerung sind:
• die steigende Zahl an LangzeitbezieherInnen von Sozialhilfe;
• der Trend der Klientenverschiebung vom Arbeitsmarktservice hin zur Sozialhilfe;
• die Ausdehnung der Gruppe der Working-Poors – steigende Erwerbsarmut.
In der Jugendwohlfahrt sind Gründe für die Ausgabenentwicklung in den veränderten Familienstrukturen zu finden. Diese machten einen verstärkten Handlungsbedarf der Jugendwohlfahrt notwendig und mündeten im Ausbau des Leistungsangebots, welcher laut Expertenmeinung zur Bedarfsdeckung auch zukünftig fortgeführt werden muss.

Notwendige Schnittstellenbereinigungen zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung
Das aktuelle Sozialsystem (Pflege, Jugendwohlfahrt, Behindertenhilfe und Sozialhilfe) lässt starke Kompetenzzersplitterungen und divergierende Strukturen in den einzelnen Bundesländern erkennen. Diese vorherrschende Situation führt zu Schnittstellenproblematiken und Zuständigkeitslücken, die zu starken Effizienz- und Effektivitätseinbußen führen:
• unterschiedliche Zugangsbedingungen zur Sozialhilfe in den einzelnen Bundesländern („Pflege- und Sozialtourismus“);
• kein Mitbestimmungsrecht der Gemeinden als Finanziers;
• Systemlücken wie mangelhaftes Controlling der Sozialeinrichtungen oder nicht-bedarfsgerechte Aufnahme in der stationären Pflege;
• Kompetenzkonflikte zwischen Bildungsorganisationen, den Sozialhilfestellen und dem Arbeitsmarktservice – mangelhafte Kommunikation sowie fehlende interdisziplinäre,
zielgruppenorientierte Planung und Leistungserbringung;
• mangelhafte Koordination zwischen den Sozialhilfeverbänden (OÖ, Stmk) sowie kritisch zu bewertende Kommunikation zwischen den Sozialhilfeverbänden als Leistungserbringer und der Bezirkshauptmannschaft als genehmigende Stelle;
• mangelhafte interdisziplinäre Planung zwischen den Bereichen der Pflege, Jugendwohlfahrt, Behindertenhilfe, aber auch den Sektoren der Bildung und Gesundheit;
• fehlendes Entlassungsmanagement (für ältere und/oder beeinträchtigte, pflegebedürftige Personen) im Sinne eines schnittstellenfreien, sanften Übergangs von der stationären Krankenhausversorgung zur (medizinischen) Hauskrankenpflege;
• unklare Kompetenzzersplitterung hinsichtlich der Versorgung von Suchtkranken.

Was wird die Zukunft bringen?
Auch in Zukunft werden die Gemeinden – und hier insbesondere die Städte – vor neue Herausforderungen gestellt. Bei den Vorbereitungsarbeiten zum Städtetag 2009 haben sich dabei folgende Themenstellungen als besonders wichtig herauskristallisiert:
• Bedarfsorientierte Mindestsicherung:
Mit 2010 soll die bedarfsorientierte Mindestsicherung umgesetzt werden, wobei von den Städten mit einem deutlichen Ausgabenanstieg sowie mit einem höheren Koordinations- und Verwaltungsaufwand gerechnet wird. Gleichzeitig werden auch Qualitätssteigerungen für die KlientInnen und die Chance zur verbesserten Armutslinderung gesehen. Mit der Einführung der Mindestsicherung wird eine Ressourcenaufstockung bei den Städten notwendig werden.
• Bundeseinheitliche Qualitätsstandards:
Einheitliche Qualitätsstandards würden die Vergleichbarkeit und Koordination zwischen den Ländern verbessern. Veränderte Qualitätsstandards wirken sich jedoch auch auf die Ausgabenentwicklung aus. Insbesondere im Ausbildungsbereich sollten hier neue Wege (Ausbildung nach Kompetenzen und nicht nach Fachrichtungen) beschritten werden.
• Integration: Bei der Steuerung des Sozialbereiches ist das Thema Integration als wesentlicher Bestandteil miteinzubeziehen. Integration ist dabei als Querschnittsmaterie zu behandeln und sollte daher nicht nur im Sozialbereich berücksichtigt werden. Das klare Bekenntnis Österreichs als Einwanderungsland zu gelten, und eine klare bundespolitische Integrationspolitik würde dabei die Arbeit auf Kommunalebene deutlich erleichtern.
• Ehrenamtliche und pflegende Angehörige: Das aktuelle Sozialsystem basiert zu einem großen Teil auf unbezahlter Arbeit. Eine entsprechende Absicherung und Unterstützung der Personen soll in Zukunft verstärkt an Bedeutung gewinnen.
• Demografische und sozio-ökonomische Entwicklungen: Durch die aktuellen Entwicklungen wird in Zukunft eine regionale Planung immer wichtiger werden. Im Gesundheitssystem sollte eine Anpassung der Gesundheitsleistungen an die immer älter werdende Bevölkerung erfolgen.

Wie kann das Sozialsystem in Zukunft finanziert werden?
Die Ausgabensteigerungen im Sozialbereich waren bereits in den letzten Jahren sehr deutlich, konnten aber großteils durch die positive Entwicklung der Ertragsanteile abgefangen werden. Dies wird sich in den nächsten Jahren ändern, wodurch der finanzielle Spielraum für Gemeinden deutlich eingeschränkt werden wird. Es ist daher an der Zeit, über neue Finanzierungsmodelle nachzudenken.
In den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Vorschläge für zusätzliche Finanzierungstöpfe diskutiert. Diese reichen von der Pflegesicherung über die Verwendung allgemeiner Steuermittel, die Einführung einer zweckgebundenen Vermögensbesteuerung bis hin zu Dividenden aus Bundesbeteiligungen.
Bei der Auswahl des Finanzierungsmodells muss auf vielfältige Auswirkungen Rücksicht genommen werden. So würde eine Pflegesicherung den Faktor Arbeit, der im internationalen Vergleich ohnedies schon stark belastet ist, noch zusätzlich belasten.
Hingegen hinkt Österreich bei der Vermögensbesteuerung – insbesondere durch das Auslaufen der Erbschafts- und Schenkungssteuer – hinterher. Eine Vermögensbesteuerung würde jedoch eine Vielzahl an Vorteilen mit sich bringen:3
• zunehmende Bedeutung von Vermögenszuwachs und auch Pflegebedürftigkeit;
• sinkender Lohnanteil am Volkseinkommen – bei gleichzeitig zunehmendem Anteil der Vermögenseinkommen in den letzten Jahrzehnten;
• die Besteuerung des Lohns nahm in den letzten zwei Jahrzehnten zu, die Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern sanken;
• im internationalen Vergleich weist Ös¬terreich eine relativ niedrige Vermögensbesteuerung auf;
• auch in Zukunft ist eine weitere Verringerung der Lohnquote zugunsten der Vermögenseinkommen (steigendes Volumen der Erbschaften) zu erwarten;
• ein Ausbau der Besteuerung von Vermögen und Vermögenszuwächsen hätte positive Effekte hinsichtlich Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit.
Der im aktuellen Regierungsprogramm vorgesehene Pflegefonds kann dabei einerseits zur Entlastung der Gemeinde- und Länderfinanzen beitragen, würde jedoch andererseits einen zusätzlichen Transferstrom in dem ohnedies bereits äußerst transfer-verflochtenen Sozialsystem bedeuten. Gleichzeitig soll auch die Erzielung einheitlicher Qualitäts- und Mindeststandards und eine Transparenzsteigerung bei den Sachleistungen erreicht werden, dies ist jedenfalls als positiv zu werten.

Quellen:
Hochholdinger, Mitterer: Kostenexplosion im Sozialbereich. Entwicklung der Sozialausgaben 2003–2007; Inhaltliche Vorbereitung des Österreichischen Städtetages 2009. 2009.
Mühlberger, Knittler, Guger: Mittel- und langfristige Finanzierung der Pflegevorsorge. 2008.
Schneider et. al: Die Kosten der Pflege in Österreich. 2006.
Biwald, Malz: Interregionaler Vergleich der Sozialhilfeverbände in der Steiermark – Finanz- und Leistungsanalyse. 2007.

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