Zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler in Österreich Empirische Befunde einer Befragung

Zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler in Österreich Empirische Befunde einer Befragung

Die hohe Bedeutung der cultural und creative industries für das Innovations- und Beschäftigungspotenzial von Regionen und Städten wird in verschiedenen Studien thematisiert und belegt, während andere Befunde aber auf eine zunehmend schwierige wirtschaftliche und soziale Situation der Kunstschaffenden selbst verweisen. Eine 2008 veröffentlichte Studie leistet erstmals eine umfassende Darstellung der Lebens- und Arbeitssituation von Künstlerinnen und Künstlern in Österreich.

 

Gerade die Berufsbereiche im Umfeld von Kunst und Kultur werden gerne als Muster sich verbreitender Modelle einer sich verändernden Arbeitswelt bemüht. Die Beschäftigungsformen im Kunstsektor sind häufig weder der lohnabhängigen noch der klassischen selbständig-unternehmerischen Tätigkeit zuzurechnen. Komplexe Beschäftigungssituationen mit hohen Selbständigkeitsraten, Mehrfachbeschäftigungen und wenig planbare Erwerbsverläufe sind nur einige Schlagworte aus diesem Kontext.
Wie sehen die Lebens- und Arbeitssituationen von Kunstschaffenden in Österreich aus? Dieser Frage ging eine im Herbst 2008 veröffentlichte Studie nach, die im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur vom Wiener Forschungsinstitut L&R Sozialforschung in Zusammenarbeit mit Gerhard Wohlfahrt, Universität Graz, erstellt wurde. Befragt wurden dabei KünstlerInnen aller Sparten in ganz Österreich, und die Ergebnisse differenzieren und spezifizieren das Klischeebild des „armen Künstlers“ in vielerlei Hinsicht.1 Insgesamt lassen sich die Lebens- und Arbeitssituationen der Kunstschaffenden durch Schlagworte wie intensiv, flexibel und belastend charakterisieren.

KünstlerInnen leben überwiegend in Städten
Der Lebensmittelpunkt der Kunstschaffenden ist stark auf urbane Gebiete konzentriert. So lebt von fünf Kunstschaffenden eine/r im ländlichen Raum und eine/r in einer kleinen bis mittleren Stadt (bis zu 100.000 Einwohnern), alle drei weiteren hingegen leben in einer Großstadt – und hier vor allem in Wien. Insgesamt 44% der befragten Kunstschaffenden haben ihren Lebensmittelpunkt zum Zeitpunkt der Befragung in der Bundeshauptstadt, allerdings ist lediglich ein Drittel von ihnen auch hier geboren. In einem Vergleich des Geburtsortes der befragten KünstlerInnen mit der regionalen Verteilung der Gesamtbevölkerung laut Statistik Austria zeigt sich aber eine relativ gute Übereinstimmung, das heißt, die befragten Kunstschaffenden stammen anteilig relativ gleichmäßig aus allen österreichischen Regionen. An der urbanen Konzentration des Lebensmittelpunkts zeigt sich somit eine hohe Bedeutung von Binnenwanderung.
Darüber hinaus erweist sich auch internationale Mobilität als wesentlich, und Österreich stellt sich als attraktives Land für Kunstschaffende dar: Knapp 17% der Antwortenden wurden nämlich außerhalb Österreichs geboren. Im Gegenzug verfügen auch rund drei Viertel der befragten Kunstschaffenden über internationale Mobilitätserfahrungen, beispielsweise in Form der Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden in anderen Ländern oder der Absolvierung von Ausbildungen im Ausland.

Hoch qualifiziert, aber relativ niedrig entlohnt
Die weit überwiegende Mehrheit der befragten Kunstschaffenden verfügt über einschlägige künstlerische Ausbildungen. Die größte Bedeutung haben dabei akademische Ausbildungen (Universität, Akademie, Konservatorium).
Solche haben knapp drei Viertel der Befragten besucht und insgesamt auch 43% abgeschlossen. Damit fällt die AkademikerInnenquote in dieser Bevölkerungsgruppe deutlich höher aus als im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt.
Das hohe Ausbildungsniveau führt aber keineswegs in sichere Einkommensbereiche, wie die Einkommensdaten der Studie aufzeigen. Die Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit fallen niedrig aus: für die Hälfte aller befragten Kunstschaffenden lag ihr jährliches Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit unter 4.532 Euro netto.

Intensives Arbeiten, aber geringe Planungsperspektiven
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird klar, dass von der Kunst alleine nur sehr wenige Kunstschaffende leben können: Nur knapp ein Viertel war im untersuchten Kalenderjahr ausschließlich künstlerisch tätig und erwirtschaftete keine anderen Einkommen. Die relative Mehrheit kombinierte hingegen eine bunte Vielfalt an Beschäftigungen, denen sie zusätzlich zur künstlerischen Arbeit nachging. Vor allem sind dies Arbeiten im kunstnahen Bereich (z. B. Lehrtätigkeiten im Kunstbereich), aber auch kunstferne Tätigkeiten, sogenannte Brotjobs.
Bei Einbeziehung dieser Einkommen aus anderen als künstlerischen Tätigkeiten errechnet sich ein mittleres persönliches Netto-Gesamteinkommen der Kunstschaffenden von rund 1.000 Euro monatlich (12.400 Euro im Jahr). Dennoch fällt der Lebensstandard im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen klar niedriger aus: die Armutsgefährdungsquote ist mit 37% fast dreimal so hoch wie in der österreichischen Gesamtbevölkerung.
Wie viel Zeit investieren die Kunstschaffenden dabei in ihre Arbeit(en)? Die gesamte wöchentliche Arbeitszeit (also künstlerische, kunstnahe und kunstferne Tätigkeiten) liegt durchschnittlich bei etwa 52 Stunden. Bemerkenswert ist dabei das Ausmaß der Diskontinuität: Von sechs Kunstschaffenden arbeitet nur die Hälfte regelmäßig künstlerisch, zwei investieren Zeit in ihre künstlerische Arbeit unregelmäßig, aber zumindest relativ gut planbar, und für eine/n ist die künstlerische Arbeitszeit unregelmäßig und schlecht planbar. Dies ist auch in Zusammenhang mit der oftmals kurz- und kürzestfristigen Dauer von künstlerischen Beschäftigungen zu sehen, die sich häufig im Rahmen von drei Monaten bewegt.
Die Regelmäßigkeit des Arbeitseinsatzes ist dabei noch einmal entkoppelt von der Frage der Regelmäßigkeit des Einkommens. Denn die Hälfte der KünstlerInnen, die zwar regelmäßig künstlerisch arbeiten, erzielt damit dennoch nur ein unregelmäßiges und schwer planbares Einkommen.

Sozialversicherungsrechtliche Folgen und andere Belastungsfaktoren
Künstlerische Arbeit wird primär in Form selbstständiger Erwerbstätigkeit ausgeübt (rund 80% der Kunstschaffenden), Anstellungen spielen lediglich im darstellenden Bereich und im Film, zum Teil auch in der Musik eine nennenswerte, wenn auch insgesamt geringe Rolle. Aufgrund der hohen Verbreitung von Arbeiten außerhalb der künstlerischen Tätigkeit – in kunstnahen und/oder -fernen Arbeiten – sind jedoch gut die Hälfte der Befragten (52%) mehrfachbeschäftigt. Sie waren im untersuchten Erwerbsjahr also sowohl in unselbstständigen als auch in selbstständigen Arbeitsverhältnissen aktiv. Sofern die jährlichen Einkommensgrenzen zur Pflichtversicherung in den beiden Beschäftigungsformen überschritten werden, waren diese KünstlerInnen mehrfach pflichtversichert.
Die sozialversicherungsrechtliche Situation stellt sich dabei – neben dem Einkommen – auch als der zentrale Belastungsbereich dar. Ein erheblicher Teil der Kunstschaffenden war während des Erwerbslebens nicht durchgängig versichert. Gerade im Bereich der Pensionsversicherung kommt der Durchgängigkeit der Versicherung – vor dem Hintergrund der sukzessiven Ausweitung des Durchrechnungszeit¬raums zur Pensionsberechnung – ein wesentlicher Stellenwert zu. Jede/r Dritte gibt aber an, während des Erwerbslebens nicht durchgehend pensionsversichert gewesen zu sein.
Der im Jahr 2001 zur Unterstützung im Bereich der Pensionsversicherung eingerichtete KünstlerInnen-Sozialversicherungsfonds will hier Unterstützung bieten. Von Seiten der Kunstschaffenden wurden hier häufig die Voraussetzungen für den Erhalt von Zuschüssen kritisiert, verschiedenen dieser Kritikpunkte wurde bereits mit der Novelle zum Gesetz Anfang 2008 begegnet. Weitere Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Situation richteten sich vor allem auf eine Arbeitslosenversicherung bzw. Versicherung gegen Verdienstausfall, der Vermeidung von mehrfacher Pflichtversicherung und der Einführung eines Grundeinkommens bzw. -sicherung.
Die erlebten Belastungen in der täglichen Arbeitssituation stehen dabei in einem deutlichen Zusammenhang mit der Lebensqualität. Insgesamt sinkt mit steigender Belastung das subjektive Wohlbefinden, und dieses fällt unter den befragten KünstlerInnen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich niedriger aus.

Öffentliche Förderung und Wertschätzung
Eine wesentliche Rahmenbedingung der sozialen Situation Kunstschaffender stellen die sozialen und kulturellen Förderungen dar, wobei sich die Angebotsstrukturen und damit auch die Nutzung stark nach Sparten unterscheiden. Durchschnittlich machen Preise, Prämien, Stipendien und Einzelpersonenförderungen der öffentlichen Hand auf Ebene des Einkommens aus künstlerischer Arbeit einen Anteil von 9% aus.
Die Nutzung öffentlicher und privater Förderungen ist weit verbreitet, etwa drei Viertel der befragten KünstlerInnen standen während ihrer bisherigen Berufslaufbahn bereits in Kontakt mit einem oder mehreren Fördersystem(en)3. Dabei zeigt sich eine große Bedeutung der Förderungen des Bundes sowie der Länder, Städte und Gemeinden, die sich auch der relativ größten Bekanntheit erfreuen. Länder, Städte und Gemeinden sind aus der individuellen Sicht der befragten Kunstschaffenden zudem die am leichtesten zugänglichen SubventionsgeberInnen, hier liegt mit 83% die vergleichsweise höchste Erfolgsquote4 vor.
Gleichzeitig kritisieren viele Kunstschaffende eine zu geringe öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung künstlerischer Arbeit. Insbesondere zeitgenössischer Kunst würde häufig mit Misstrauen begegnet, und das Potenzial österreichischer Kunstschaffender würde weitaus zu wenig ausgeschöpft.
Die Fördersituation könnte vor allem durch eine höhere Dotierung der Fördereinrichtungen verbessert werden, wobei dies nicht – darauf verweisen die Kunstschaffenden klar in ihren Anmerkungen – auf ein simples „Raunzen“ nach mehr Geld reduziert werden dürfe: Vielmehr ginge es um eine Gewährleistung von Rahmenbedingungen und Strukturen, die KünstlerInnen in Österreich ein kreatives Arbeiten ermöglichen. Bessere und übersichtlichere Informationen sowie eine Erhöhung der Transparenz der Vergabesysteme hinsichtlich der Bedingungen, der Fristen und des Prozedere sind weitere wesentliche Anregungen.


1 Kernstück der Untersuchung war eine Fragebogenerhebung, mittels derer Anfang des Jahres 2008 professionelle Kunstschaffende der Sparten Musik, Literatur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Film kontaktiert wurden. Darin wurden die Themenbereiche Beschäftigung, Einkommen und soziale Absicherung, sowie die private Lebenssituation, die Nutzung von Förderungen, Aus- und Weiterbildung, Mobilität und Vernetzung bearbeitet. Insgesamt 1.850 Fragebögen von KünstlerInnen konnten in die Auswertung einbezogen werden und bildeten die Basis für differenzierte Analysen zur sozialen Lage der Kunstschaffenden. Den zeitlichen Bezugsrahmen bspw. für einkommensbezogene Fragen bildete ein Kalenderjahr.
Die Studie steht auf der Homepage des BMUKK, www.bmukk.gv.at, sowie der von L&R Sozialforschung, www.lrsocialresearch.at, als Download zur Verfügung.
2 Schulz, Wolfgang, und Pichler, Florian (2005): Lebensqualität in Österreich – ein 20-Jahres-Vergleich, in: Schulz, Wolfgang, Max Haller, Alfred Grausgruber (Hg.), Österreich zur Jahrhundertwende. Gesellschaftliche Werthaltungen und Lebensqualität 1986–2004, Wiesbaden, S. 75–113.
3 Die in dieser Studie erhobenen Daten erlauben einen Blick auf die Förderlandschaft aus der Perspektive der einzelnen KünstlerInnen. Sie zeigen damit die individuelle Nutzung und Bekanntheit von Förderungen, erfassen also in der Hauptsache unmittelbare Direktzuwendungen.
4 Erfolgsquote meint den Anteil derer, die (zumindest einmal) Förderungen erhalten haben, bezogen auf die Gruppe derer, die (zumindest einmal) um entsprechende Förderungen angesucht haben.

OEGZ

ÖGZ Download