Mit Kultur zum „Lebenssinn“: Die LebensQualitätsIndikatoren

Mit Kultur zum „Lebenssinn“: Die LebensQualitätsIndikatoren

„Messbarkeit“ spielt auch innerhalb der Kunst- und Kulturförderung eine immer größere Rolle. Einen Weg dazu eröffnen die Lebensqualitätsindikatoren.

 

Mehr als 20 Jahre ist es her, dass der nach wie vor gerne zitierte ehemalige Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, Hilmar Hoffmann, seine Festrede zur Eröffnung des Brucknerfestes 1988 in Linz hielt.
Indem er auf Kurt H. Biedenkopf Bezug nahm, zitierte er dessen Postulat „Kultur für alle“ nicht nur als die Anerkennung der Notwendigkeit offener Kreativität, offen im Sinne von Unvorhersehbarkeit dessen, was dabei herauskommt (aus: „Kultur.Zeit.Gesellschaft mit Brucknerfestreden 1977–1998“). „Kultur für alle“ bedeute auch die Anerkennung eines Rechtes auf kulturelle Utopie: „Wir können es uns nicht leisten, gerade in diesem Bereich Sparsamkeit zu üben.“ Hilmar Hoffmann kommt zur Conclusio: „Die kulturelle Aufgabe besteht auch darin, Lebenssinn möglich zu machen. Mit Hilfe der Kultur, vor allem der Künste, formulieren die Menschen ihren Traum vom lebenswerten Leben, indem sie ihn nicht nur mitträumen.“
An den Spannungsbögen, in denen sich Kunst und Kultur im steten Ringen um Legitimation und Transparenz von Förderungen und finanziellen Notwendigkeiten befindet, hat sich in den Jahrzehnten nichts geändert. Gerade auf Ebene der Städte und Gemeinden wird bei Appellen zur unumgänglichen Sparsamkeit stets der Ruf laut, Ausgaben in den Bereichen Kunst und Kultur, aber auch Wissenschaft und Forschung – sofern sie kommunale Leistungen erfordern – einzuschränken. Zugleich gibt es aber niemanden, der nicht, vielleicht auf jeweils spezielle subjektive Weise, innerhalb der politischen Auseinandersetzung, aber auch in deren öffentlicher Reflexion den Nutzen von Kunst und Kultur betont. Das „Zauberwort“ unserer Zeit lautet „Messbarkeit“, es geht um Transparenz und Legitimation von Förderungen, es geht um deren Nachvollziehbarkeit für jene, die sie erhalten: im Idealfall als Anerkennung einer künstlerischen Leistung für die Gesellschaft durch die Gesellschaft.

Vergleichbarkeit
Eine weitere Problematik, mit der sich die mit Kunst und Kultur befassten EntscheidungsträgerInnen und operativen BegleiterInnen innerhalb der städtischen Gefüge auseinandersetzen, ist die Vergleichbarkeit der Kulturausgaben.
Das Kulturressort der Stadt Graz legt seit 5 Jahren, basierend auf einem Gemeinderatsbeschluss, Kunst- und Kulturberichte über alle Ausgaben vor (alle Kunst- und Kulturberichte unter www.kultur.graz.at). Formal verwendet das Kulturamt dabei die sogenannten LIKUS-Kategorien, also jene Einteilungen, die auf Bundesländerebene festgelegt wurden. Im Reigen der Landeshauptstädte, die regelmäßige Berichte vorlegen, steht Graz damit nach wie vor relativ einsam da. Die Vergleichbarkeit bleibt daher ein schwieriges Unterfangen.
Kunst und Kultur zu messen, wird mit unterschiedlichsten Instrumentarien versucht. Die Argumente zielen ganz stark in Richtung Wirtschaftlichkeit und Tourismus. Ein Beispiel aus der Stadt Graz: Nach dem Europäischen Kulturhauptstadtprojekt 2003 erarbeitete das Institut für Technologie- und Regionalpolitik vom Joanneum Research eine Studie, in der die direkten und indirekten Wirtschaftsimpulse von „Graz 2003“ im Bundesland Steiermark mit 76 Millionen Euro an Bruttowertschöpfung bzw. mit 146 Millionen Euro an Produktionswert definiert wurden.
Ob diese beeindruckenden und wissenschaftlich fundierten Zahlen im „Alltag“ der Argumentation für Kulturbudgets jemals Relevanz erhielten, bleibt aber dahingestellt.

Objektive und subjektive Kriterien
Die eingangs zitierte, von Kunst und Kultur jedenfalls mit beeinflusste Lebensqualität vereint objektive Lebensbedingungen und das subjektive Wohlbefinden der Menschen. Aus Sicht der Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner beinhaltet der Begriff Lebensqualität die Bereiche Familie, Arbeitsplatz/Lehrstellen, Gesundheitsversorgung, Einkaufsmöglichkeiten, Kultur und Bildung, Umwelt und SeniorInnen. Mit dem Projekt LQI/LebensQualitätsIndikatoren (interne Projektleiterin in Graz: Dorothea Klampfl, Stadtvermessungsamt) ermöglichte es sich die Stadt Graz, Auskünfte über eine Ist-Situation zu geben, Informationen kleinräumig über die Lebensqualität der BewohnerInnen zu entwickeln.
Es werden objektive Lebensbedingungen und die subjektive Zufriedenheit der Menschen beobachtet. Beauftragt mit der externen Projektentwicklung von LQI ist seit Beginn des Projekts die ARGE GISDAT-Rettensteiner (www.gisdat.at), ein Unternehmen, das sich bereits seit dem Jahr 2001 mit dem Thema „Lebensqualität“ beschäftigt und es, ausgehend von Oberösterreich, bereits in mehreren Bundesländern und zahlreichen Gemeinden umgesetzt hat.
Lebensqualitätsindikatoren dienen der Erforschung der Lebensqualität eines bestimmten Stadtteils bzw. Sozialraumes. Indikatoren werden aus objektiven Daten (z. B. Bevölkerungsentwicklung, wirtschaftliche Situation, Bildungsniveau, Gesundheits- und Umweltdaten, Arbeitslosenquote, Sozialhilfequote, Jugendwohlfahrtsquote etc.) und aus Ergebnissen einer Bevölkerungsbefragung vor Ort gebildet.

Sozialraumorientierung
Initiator des Projektes war das Amt für Kinder, Jugend und Familie, das mit der Einführung der Sozialraumorientierung eine profunde Grundlage schaffen wollte und was auch gelungen ist. So wurde in der ersten Phase des Projektes versucht, alle bevölkerungs- und sozialräumlich relevanten objektiven Daten – neben den zahlenmäßig erfassbaren Daten wie z. B. Einkommen, Bevölkerungsentwicklung, Anteil MigrantInnen, Kriminalstatistik, Arbeitslosenstatistik etc.) auch die geografisch verortbaren Daten zu erfassen (Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen, Apotheken, ÄrztInnen, Einkaufsmöglichkeiten, öffentliche Verkehrsmittel, SeniorInnenwohnheime, Mobile Dienste, Krankenhäuser, Bibliotheken, Kirchen etc.). Die geografische Verortung ist bei diesen Daten kein Problem, da sie alle einer festen Adresse zugeordnet sind.
Das Kulturamt entschloss sich im Jahr 2008, also in der zweiten Phase des Projektes, alle kulturrelevanten Daten im Detail ebenfalls in das LQI-Modell einfließen zu lassen.
Das Kulturamt verfügt mit dem Kulturserver über eine umfassende Datensammlung von Terminen, Kunst- und Kulturschaffenden sowie kulturellen Einrichtungen. Es stellte sich heraus, dass der Datentransfer relativ unproblematisch war. Die spannendste Frage tauchte aber in Bezug auf die gerade in Graz überaus zahlreiche und aktive freie Szene auf. Damit sind jene Kunst- und Kulturschaffenden umfasst, die (in welchem Bereich auch immer, ob Theater, Konzerte etc.) auftreten/veranstalten, dies aber an unterschiedlichsten Spielstätten tun. Die Zuordnung der freien Szene zu den jeweiligen Vereins- bzw. Privatadressen ist nicht sinnvoll, denn dort findet Kultur ja nicht statt. Diesen großen und großartigen Bereich aber bei LQI nicht zu erfassen, würde das Bild auch verfälschen. In intensiven Überlegungen und vielen Versuchen ist es gelungen, eine „verortbare“ Variante zu finden: „KulturveranstalterInnen mit variablen Spielstätten“.

LQI als Steuerungsinstrument
Warum es interessant ist, kulturrelevante Daten im LQI-Modell der Stadt Graz verortet zu haben, ergibt sich aus dem Projektansatz: LQI bietet eine Vielzahl an aktuellen objektiven Daten und kombiniert diese mit wiederkehrend erhobenen subjektiven Daten der Bevölkerung. Die Kombination ermöglicht, LQI als Steuerungsinstrument zu nutzen: strategisch relevante Fragestellungen können mit den vorhandenen Daten „abgeglichen“ werden, um eine in die Tiefe gehende Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Bei zukünftigen Fragestellungen lohnt sich ein Blick auf die LQI-Daten ebenfalls: subjektive Zufriedenheit der Bevölkerung mit einem Thema, in diesem Falle mit dem kulturellen Angebot, in Kombination mit der subjektiven Einschätzung der Wichtigkeit, die dem Thema zugesprochen wird, ergeben im Zusammenhang mit den objektiven Daten durchaus spannende Ergebnisse.
Mögliche Fragestellungen, die von strategischer Bedeutung sind, könnten in Zukunft sein:
Wie zufrieden sind die BürgerInnen in den jeweiligen Bezirken mit dem kulturellen Angebot?
Wir wissen natürlich, dass sich ein Großteil des kulturellen Angebots im geografischen Innenstadtbereich (inkl. der angrenzenden Bezirke) befindet.
- Ist die Bevölkerung eines Bezirkes mit dem kulturellen Angebot zufrieden und hat das Thema für sie Relevanz, ließe sich daher daraus schließen, dass das Angebot passend ist und auch leicht erreichbar, was wiederum ein Indikator für den öffentlichen Verkehr sein könnte.
- Ist die Bevölkerung mit dem kulturellen Angebot zufrieden und hat das Thema keine Wichtigkeit, könnte das ein Indikator dafür sein, dass das Angebot mäßig in Anspruch genommen wird.
- Ist die Bevölkerung eines Bezirkes mit dem kulturellen Angebot nicht in hohem Ausmaß zufrieden und hat das Thema für sie eine entsprechende Wichtigkeit, kann das ein Indikator dafür sein, dass das Angebot nicht passend ist bzw. die Erreichbarkeit nicht gegeben ist – was, wie schon beim ersten Szenario, ein Hinweis auf schlechtere Erreichbarkeit des Angebots sein kann.
Welches Angebot gibt es für spezielle Bevölkerungsgruppen, wie z. B. Kinder, Jugendliche, SeniorInnen, ImmigrantInnen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen etc.?
Ein Detailblick auf die Daten von LQI kann den EntscheidungsträgerInnen eine Basis für mittel- und langfristige Planungen bieten. Analysen auf Basis der vorhandenen Daten geben Aufschluss über Vorhandenes, damit auch Fehlendes, auf Bedürfnisse der Bevölkerung und subjektive Wahrnehmungen.
Da die objektiven Daten laufend aktualisiert werden, bietet LQI Möglichkeiten, die über Studienergebnisse, die jeweils eine „Momentaufnahme“ darstellen, weit hinausgehen. Klar festgelegte Zuständigkeiten innerhalb des Projektes und konkret definierte Datengrundlagen ermöglichen so vergleichbare Auswertungen über die Jahre und einen detaillierten Blick auf die damit einhergehende Entwicklung innerhalb von Bezirken bzw. innerhalb der Stadt Graz.

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