„New Deal“ für Österreichs Städte

„New Deal“ für Österreichs Städte

Generalsekretär Thomas Weninger

 

Der wichtigen Funktion der Städte für die gesamte österreichische Volkswirtschaft wurde bisher viel zu wenig Augenmerk geschenkt. Die erforderliche politische Unterstützung und die dringend benötigten Ressourcen für den umfassenden Ausbau von städtischer Infrastruktur bleibt vielfach verwehrt. Gerade das hohe Niveau der städtischen Infrastruktur ist aber jener Vorteil, den Österreichs Städte im internationalen Standortwettbewerb brauchen, um auch weiterhin erfolgreich zu sein.
Kommunale Selbstverwaltung ist heute ein wesentlicher Baustein politisch-demokratischer Kultur, politisch demokratischen Miteinanders. Vor Ort, in der Stadt, in der Gemeinde ist das unmittelbare politisch-demokratische Erleben; hier gestaltet sich das soziale Leben. Entscheidungen über den sozialen Zusammenhalt wirken sich hier unmittelbar auf das Miteinander aus. Die Stadt ist der Ort, an dem die Kohäsion des Gemeinwesens stattfindet. Hier bildet sich nicht nur das Verhältnis zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern, sondern vor allem auch das Verständnis für dieses Zusammenwirken.
Städte haben das größte Angebot an Arbeitsplätzen, an Unternehmen und an höheren Bildungseinrichtungen und sind wichtige Akteure bei der Verwirklichung des sozialen Zusammenhalts. Städte stehen im Mittelpunkt jenes Wandels, für den Innovation und unternehmerische Initiative die Grundlage bilden.
Die Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachstums ist aber nur dann sichergestellt, wenn dieses Wachstum Hand in Hand geht mit Bemühungen, die Armut zu reduzieren, soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und Umweltprobleme anzugehen. Die Fähigkeit mit gesellschaftlichen Unterschieden zu leben, macht die Vielfalt des Miteinanders in unseren Städten aus. Aber es ist gerade diese Vielfalt und die dabei zum Ausdruck kommende wandelnde Bedeutung von Herkunft, Geschlecht, Religion, Sprache und Bildung, die uns gleichsam in eine „babylonische Verwirrung“ taumeln lässt. Mit dieser Komplexität und Diversität müssen wir erst lernen umzugehen.
Aber es steht außer Zweifel, dass wir das tun müssen, denn der wirtschaftliche Erfolg unserer Städte wird nur dann langfristig sein, wenn auch der soziale Zusammenhalt gleichsam als zu „optimierende“ Zielgröße im Auge behalten wird.
Der Österreichische Städtebund und das kommunalwissenschaftliche Institut KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung haben versucht, trotz der sehr eingeschränkten statistischen Datenlage, anhand von fünf Kenngrößen die Bedeutung des „Wirtschaftsmotors Stadt“ für unser Land aufzuzeigen. Dabei haben wir auch die ÖROK-Studie über städtische Regionen in Österreich herangezogen.
Es handelt sich dabei um die Kenngrößen
• Aufkommen der Einkommensteuer,
• Bruttoregionalprodukt pro Einwohner,
• Bruttowertschöpfung,
• Beschäftigungsverhältnisse,
• Erwerbsquote.

Kenngröße 1: Einkommensteuer
Rund die Hälfte der Einkommensteuern werden in 5 Stadtregionen (von insgesamt 35 Regionen) erhoben, nämlich in Wien, Linz-Wels, Salzburg und Umgebung, Graz und Rheintal-Bodensee. Fast drei Viertel aller Einkommensteuern werden in 10 von 35 vorwiegend städtischen Regionen aufgebracht.
Demgegenüber stammen aus den fünf in diesem Punkt schwächsten Regionen in Summe nicht einmal 2% dieses Steueraufkommens.

Kenngröße 2: Bruttoregionalprodukt
Das in Österreich 2006 erwirtschaftete Bruttonationalprodukt betrug in absoluten Zahlen 257 Milliarden Euro. Etwas mehr als die Hälfte davon stammte allein aus 5 Stadtregionen: Wien, Linz-Wels, Graz, Salzburg und Umgebung und Wien-Süd.
Zwei Drittel des österreichischen Bruttonationalprodukts werden von diesen Stadtregionen sowie fünf weiteren – Innsbruck, Rheintal-Bodensee, Klagenfurt-Villach, Tiroler Unterland und dem Innviertel – erwirtschaftet.
Demgegenüber steht ein Beitrag von gerade 2%, der von den fünf schwächsten Regionen geleistet wurde (Südburgenland, Osttirol, Außerfern, Mittelburgenland und Lung¬au, allesamt ländliche Regionen).

Kenngröße 3: Bruttowertschöpfung
In 10 Regionen sind es zwei Drittel der österreichischen Bruttowertschöpfung.

Kenngröße 4: Beschäftigungsverhältnisse
Österreichs Städte sind Arbeitsmagneten. Die Städte sind nicht nur selbst bedeutende Dienstgeber, in den Städten befindet sich tatsächlich der Großteil der Arbeitsplätze in Österreich: Ab einer Gemeindegröße von 10.000 Einwohnern gibt es in Summe mehr Arbeitsplätze als Erwerbsbevölkerung.
So befindet sich rund die Hälfte der österreichischen Arbeitsplätze in nur 5 Stadtregionen (Wien, Linz-Wels, Graz, Salzburg und Umgebung und Innsbruck), fast zwei Drittel der ArbeitnehmerInnen sind in nur 10 Stadtregionen beschäftigt (die genannten 5 und Wien-Süd, Klagenfurt-Villach, Rheintal-Bodensee, Tiroler Unterland und Innviertel: alles Regionen mit stark städtischem Charakter).

Kenngröße 5: Erwerbsquote
Die Erwerbsquote hängt ebenfalls positiv mit der Größe der Stadt zusammen. Je größer die Gemeinde, desto höher die Erwerbsquote.
Aber nicht nur die Zahl der Arbeitsplätze konzentriert sich in städtischen Regionen, auch die Qualität der Arbeitsplätze steigt mit der Größe der Kommune, in der sie sich befinden: Im österreichischen Durchschnitt verfügen 14% der Erwerbstätigen über Matura oder Hochschulabschluss. Dieser Wert steigt mit der Größe der Stadt an auf 28% in den größeren Städten (bis 500.000 Einwohnern) und auf 36% in Wien.

Schlüsselrolle bei Infrastrukturinvestitionen
Die österreichischen Städte spielen dar¬über hinaus eine Schlüsselrolle bei Infrastrukturinvestitionen. Dieser Schlüsselrolle können sie nur bei ausreichender finanzieller Ausstattung auch in Zukunft nachkommen. Die Städte und Gemeinden sind nicht nur Unternehmensstandorte, sondern auch Auftraggeber und Konsumenten im Wirtschaftsgeschehen gleichzeitig. 2006 tätigten sie Ausgaben in der Höhe von beinahe 17 Milliarden Euro, das entspricht 6,6% des BIP. Für die Hälfte der öffentlichen Investitionen sind die Kommunen verantwortlich.

Gebotene Städtepolitik
Es ist daher von eminenter Bedeutung für die Städte, von der nationalen und europäischen Politik entsprechende Rahmenbedingungen nicht nur zu verlangen, sondern auch zu bekommen. Nur so können Städte auch weiterhin ihre Funktion als Wirtschaftsmotoren bestens erfüllen. Wir brau¬chen einen „New Deal“ für den „Wirtschaftsmotor Stadt“: Politische Entscheidungen, die die wirtschaftliche Prosperität von Städten beeinflussen, müssen in Hinkunft stärker darauf Rücksicht nehmen, dass Österreichs Städte die Wirtschaftsmotoren des Landes und somit auch wesentliche Quellen des Wohlstandes unserer Gesellschaft sind. Daher muss im nächsten Regierungsprogramm der städtische Raum ebenso berücksichtigt werden wie der ländliche Raum.

Ziele einer nationalen Städtepolitik
Was müssen Ziele und Inhalte einer nationalen österreichischen Städtepolitik sein?
Die nationale österreichische Städtepolitik muss zunächst und vor allem einen Beitrag zur Entfaltung der Städte leisten. Die Städte sind die wichtigsten Träger der öffentlichen Infrastruktur, der Daseinsvorsorge schlechthin. Es muss nicht nur die Investitionskraft sichergestellt werden, sondern es müssen auch grundsätzliche Strukturreformen zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Städte umgesetzt werden:
• Die Staatsreform und die Reform des Finanzausgleichs muss auf eine klare Kompetenzverteilung und ein Entflechten der Trägerschaft und der geteilten finanziellen Verantwortung für die Aufgabenerledigung setzen: Nicht Köpfe finanzieren, sondern Aufgaben! Wir brauchen endlich einen aufgabenorientierten Finanzausgleich. Erst dann kommt die Verwaltungsreform.
• Die Finanzausgleichsreform – einmal mehr auch im aktuellen Paktum zum FAG verankert – muss ehestens unter Mitwirkung der Städte angegangen werden. Eine substanzielle Verbesserung der eigenen Steuerquellen der Städte und eine stärker aufgabenorientierte Ausrichtung der Beteiligung der Gemeinden am Steuerverbund ist zu entwickeln. Die Schweiz hat diesen Schritt bereits erfolgreich getan: Seit 1. Jänner 2008 gibt es einen neuen Schweizer Finanzausgleich.
• Die Kofinanzierung von Landesaufgaben durch diverse Umlagen seitens der Städte und Gemeinden ist abzubauen und mittelfristig zu beenden. Eine wirklich alte Forderung des Österreichischen Städtebundes. Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft: die OECD, der IWF in seinem letzten Länderbericht zu Österreich, aber auch der Österreichische Rechnungshof sowie der Staatsschuldenausschuss fordern dies ebenfalls und zum wiederholten Male.
• Die übliche Politik der Bedarfszuweisungen der Länder an Gemeinden muss unter dem Aspekt der Demokratiepolitik überdacht und neu geregelt werden. Die Verantwortlichen in den Ländern sind hier gefordert. Auch sie haben wohl ein vitales Interesse an wirtschaftsstarken Städten. Mich erinnern diese Bedarfszuweisungen teilweise an den „Fürsorgestaat“ des 19. Jahrhunderts; ganz abgesehen davon, dass dieses System völlig intransparent und nicht nachvollziehbar ist!

Die Städte haben immer weniger Geld und die oftmals bereits negativen freien Finanzspitzen bedrohen das kommunale Angebotsspektrum und führen unweigerlich zu Leistungsreduktionen.
Es ist den Bürgerinnen und Bürgern unzumutbar und darüber hinaus demokratiepolitisch bedenklich, wenn sich viele Gemeinden wegen der äußerst prekären wirtschaftlichen Lage zur Veräußerung wichtiger Infrastruktur, zur Flucht in riskante Finanztransaktionsgeschäfte oder zur Reduzierung auf die „Nachtwächter-Stadt“ gezwungen sehen.
Viele dieser beschrittenen Wege erweisen sich als unumkehrbar, verkaufte Werte als dauerhaft verloren. Immer mehr Menschen sehen aber ihre Zukunft in den Städten. Die großen Aufgaben für eine moderne Stadtpolitik liegen mit Sicherheit in der Bewältigung der zunehmenden sozialen Probleme und der wachsenden wirtschaftlichen Probleme der Städte und Gemeinden selbst.
Damit die Städte weiterhin „Zentren wirtschaftlicher Dynamik“ bleiben, brauchen sie entsprechende ökonomische Rahmenbedingungen! Nur dann wird es uns gelingen, eine gezielte, strategisch konzipierte Stadtentwicklungs- und Betriebsansiedelungspolitik zu betreiben. Nur so haben wir genug wirtschaftliche Kraft, um die für viele Menschen immer wichtiger werdenden Sozialleistungen bereitstellen zu können.
Die Städte sind bereit, ihre Verantwortung für die wirtschaftliche Weiterentwicklung der Regionen und den gesellschaftlichen sozialen Zusammenhalt zu übernehmen. Sie sind bereit!
Aber erst wenn Bund und Länder erkennen, dass jede weitere Schwächung der Städte indirekt, aber sehr unmittelbar nicht nur eine Schwächung der dort lebenden Menschen bedeutet, sondern eine Schwächung der Wirtschaftskraft des Landes insgesamt, erst dann besteht die Chance für einen Neuanfang. Einen Neuanfang in Form einer Neuordnung der innerstaatlichen Kompetenz- und Finanzmittelverteilung, der den Städten jene Gerechtigkeit widerfahren lässt, die ihnen zusteht. Noch ist es nicht zu spät!

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