59. Österreichischer Städtetag - Resolution

59. Österreichischer Städtetag - Resolution

Österreichs Städte und Gemeinden sind die erste Ebene des Staates. Die Ebene, die den Bürgerinnen und Bürgern konkrete Antworten und Lösungen für den Alltag liefert. Gerade in der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise suchen die Bürgerinnen und Bürger Hilfe bei ihren Kommunen. Österreichs Städte und Gemeinden sind gefordert, ihre Leistungen für jene Bürgerinnen und Bürger, die in sozialer oder wirtschaftlicher Not sind, zu erhöhen. Die soziale Balance darf nicht gefährdet werden. Die Städte und Gemeinden sind die Garanten, dass alle gesellschaftlichen Gruppen unseres Landes in diesen schwierigen Zeiten diese ohne große persönliche Verluste überstehen. So sind es vor allem kommunale Infrastrukturinvestitionen, die der Konjunktur wieder Schwung verleihen können – sie setzen kurzfristige Nachfrageimpulse, stärken die Unternehmen vor Ort und erhalten Arbeitsplätze.
Die finanziellen Mittel, die den Städten und Gemeinden in der derzeitigen Situation zur Verfügung stehen, werden aber aufgrund sinkender Ertragsanteile und steigender Finanztransfers und der Unmöglichkeit, sich über den privaten Kapitalmarkt aufgrund unerfüllbarer Vorgaben der Banken zu finanzieren, immer geringer.
In Kenntnis der Resolution der 24. Hauptversammlung des Rates der Gemeinden und Regionen Europas vom April 2009 und mit Verweis auf die im Herbst 2008 beschlossenen und übermittelten Forderungen des Österreichischen Städtebundes an die Bundesregierung hat der Österreichische Städtebund folgende Resolution beschlossen:

Sozialer Zusammenhalt
Die demografische Entwicklung, gesellschaftliche Veränderungen und die Auswirkungen der anhaltenden Wirtschaftskrise, insbesondere die strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt, tragen dazu bei, dass die Ausgaben für den Sozialbereich in Österreichs Städten und Gemeinden stetig steigen. Insbesondere in Zeiten sinkender Ertragsanteile werden die steigenden Sozialtransfers die Gemeindehaushalte schwer belasten.
Das aktuelle Sozialsystem – Pflege, Jugendwohlfahrt, Behindertenhilfe und Sozialhilfe – ist gekennzeichnet durch eine starke Zersplitterung der Kompetenzen und divergierende Strukturen in den Bundesländern. Das führt zur Situation im Sozialsystem, dass sich für gewisse Bereiche niemand verantwortlich fühlt („Zuständigkeitsprobleme“). Es kommt zu starken Effizienz- und Effektivitätseinbußen.
Der Bereich Sozialhilfe steht in naher Zukunft vor großen Herausforderungen. Ausgehend von einer vom Städtebund in Auftrag gegebenen Studie über die Kostenexplosion im Sozialhilfebereich fordert und unterstützt der Österreichische Städtebund:

Institutionelle und kompetenzrechtliche Regelungen:
• Die Evaluierung derzeit bestehender unterschiedlicher institutioneller Regelungen;
• die Stärkung der bundesländerübergreifenden Koordination und Planung;
• die Harmonisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen;
• die verbesserte Koordination zwischen den Sozialhilfeträgern und dem AMS;
• die Kompetenzbereinigungen im Behindertenbereich;
• die verbesserte Koordination zwischen den einzelnen Sozialhilfebereichen und Einführung einer interdisziplinären Planung;
• die Stärkung der Koordination und Zusammenarbeit zwischen den Sozialhilfeverbänden, aber auch mit den Bezirksverwaltungsbehörden.

Einheitliche Qualitätsstandards:
• Die Definition bundesweiter Qualitätsstandards bei Strukturschlüsseln und Kostensätzen und eine Neukonzeption der Personalausbildung;
• die Stärkung der betriebswirtschaftlichen Managementkenntnisse in den Sozialhilfeeinrichtungen.

Finanzierung des Pflegebereichs:
• Vor dem Hintergrund der bisher ergebnislos geführten Verhandlungen u. a. zur Pflegeversicherung oder Vermögensbesteuerung fordert der Österreichische Städtebund die ernsthafte Diskussion neuer Finanzierungsmodelle;
• (befristete) Einsetzung einer ExpertInnenfachgruppe unter Teilnahme der Städte und Gemeinden;
• das Mitbestimmungsrecht für Gemeinden im Sozialhilfebereich oder Herausnahme der Gemeinden aus der Kofinanzierung;
• die Abgeltung von Mehraufwand, der durch bundes- oder landesgesetzliche Neuerungen entsteht;
• die Berücksichtigung der Belastungen im Sozialbereich im Rahmen einer aufgabenorientierten Verteilung der Ertragsanteile;
• die bedarfsorientierte Mindestsicherung durch Abgeltung des Mehraufwandes, Umsetzung gemäß §-15a-Vereinbarung, Erhöhung der Nettofinanzierungsrate, des Arbeitslosengeldes, der Notstandshilfe und des Kinderbetreuungsgeldes;
• die Forderung einer solidarischen Pflegeversicherung;
• die Bemessung der Beiträge der Städte und Gemeinden zur Sozialhilfe ist neu zu regeln, wobei der Parameter Finanzkraft abzuschwächen und die EinwohnerInnenzahl zu verstärken ist;
• die Eindämmung der Steigerungsraten der Sozialhilfeumlagen;
• Stärkung der mobilen und ambulanten Dienste im Bereich der Pflege.

Berücksichtigung der Integrationsthematik:
Die Zukunft vieler Städte wird aufgrund der absehbaren demografischen Entwicklung multiethnisch sein und im Lebensraum Stadt wird sich als erstes zeigen, inwieweit Strategien und Maßnahmen zur Integration erfolgreich sind.
• Integration ist als Querschnittsmaterie zu behandeln, Bund, Länder und Gemeinden sind hier gleichermaßen gefordert;
• eine klare bundespolitische Integrationspolitik erleichtert die Arbeit auf Kommunalebene deutlich;
• Österreich muss die sozialen und strukturellen Rahmenbedingungen für eine tragfähige Integration bieten, von den ZuwanderInnen muss ein sichtbarer Integrationswillen und entsprechende Integrationsbemühungen eingefordert werden;
• die Leistungen und Beiträge der Vereine, von privaten Initiativen und der Kirchengemeinden sind wichtige Teile einer kommunalen Integrationspolitik, Netzwerke sind wertvolle Kommunikationswege, welche Vertrauen bilden und Brücken zwischen aufnehmender und zugewanderter Gesellschaft schlagen.

Stärkung der Wirtschaftskraft – kommunaler „New Deal“
Die entscheidende Bedeutung der Städte und Gemeinden als Wirtschaftsmotoren des Landes ist ein unbestrittenes Faktum. Es liegt daher im Interesse des Wirtschaftsstandortes Österreich, die kommunalen Finanzen abzusichern. Um in Zeiten der Wirtschaftskrise ihre Kraft als Wirtschaftsmotoren des Landes voll ausspielen zu können, müssen Österreichs Städte mittelfristig geplante Investitionen in Infrastruktur wie die Errichtung und Sanierung von Kindertagesstätten, Schulen, Altersheimen, Sportstätten, Sportanlagen, Spielplätzen, Straßen, Radwegen und den Ausbau des ÖV jetzt vorziehen und kurzfristig umsetzen. Dafür ist es für die Städte notwendig, rasch günstige Finanzierungslinien zu bekommen. Städte und Gemeinden müssen das Kernstück öffentlicher Investitionen eines neuen österreichischen Konjunkturpakets sein.
Der Österreichische Städtebund schlägt einen kommunalen „New Deal“ vor, um die Kapazität und Kompetenz der Kommunen besser zu nutzen. Wir sind es den zukünftigen Generationen schuldig, endlich eine Ausgewogenheit unter der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik herzu¬stellen.
Der Österreichische Städtebund fordert daher ein kommunales Infrastrukturinvestitionspaket (KIIP):
• Der Bund soll Österreichs Städten und Gemeinden den Zugang zu günstigen Finanzierungsmöglichkeiten (diese müssen günstiger als der Finanzmarkt sein), etwa durch die Auflage von Anleihen, ermöglichen.
• Bund und Länder sollen die Anstrengungen der Kommunen finanziell unterstützen, indem sie Zinsenzuschüsse von 50% Bund und 25% Land gewähren. Die Tilgung und weitere 25% der Zinsenlast übernehmen die Kommunen.
• Wenn die vom Bund zur Verfügung gestellten Finanzmittel verbraucht sind, sollen für den weiteren Investitionsbedarf kommunaler Infrastrukturmaßnahmen die Rahmenbedingungen für Bankdarlehen verbessert werden.
• Die Einrichtung einer eigenen zentralen Abwicklungsstelle soll vorgesehen werden. Die Anträge sollen rasch auf ihre Förderwürdigkeit überprüft und die Förderungen von Bund und Land koordiniert veranlasst werden.
• Beschleunigte Verfahrensabwicklungen in der Verwaltung sind anzustreben, um Zeitverzögerungen zu vermeiden.
• Die Rahmenbedingungen, nach denen die Gemeindeaufsichtsbehörden die Darlehensaufnahme für zusätzliche Investitionen von Kommunen behandeln, sind an das Programmziel anzupassen.
• Der Schwerpunkt der kommunalen Maßnahmen liegt im Ausbau der sozialen Infrastruktur im Kindergarten-, Schul- und SeniorInnenbereich sowie des Öffentlichen Verkehrs unter Beachtung des Gender-Mainstreamings.

Staats-, Verwaltungs- und Finanzreform
Verwaltungsmodernisierung und interkommunale Zusammenarbeit werden in Österreichs Kommunen seit langem praktiziert. Österreichs Städte und Gemeinden haben in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Verbreitung von elektronischen Verwaltungsabläufen gesetzt. Das vorhandene Optimierungspotenzial in den Kommunalverwaltungen wurde bereits vor Jahren aufgegriffen und entsprechende Verbesserungsmaßnahmen gesetzt. Mit der Umsetzung von Shared Services – der Bündelung gleichartiger Prozesse aus verschiedenen Bereichen einer Organisation oder aus gleichen Bereichen mehrerer Organisationen – haben Österreichs Kommunen bereits früh die Zeichen der Zeit erkannt und gelernt, damit Ressourcen zu sparen und Verwaltungskosten langfristig erheblich zu senken.
Eine Reform der Verwaltung kann nur im Einklang mit einer gleichzeitigen Staats- und Finanzreform einhergehen.
Der Österreichische Städtebund fordert und unterstützt:
• Die verfassungsrechtliche Verankerung der Verwaltungsgemeinschaften.
• Die Neuregelung der verfassungsrechtlichen Grundlagen für Gemeindeverbände gemäß dem im Österreich-Konvent ausgearbeiteten Entwurf. Das heißt: keine Beschränkung auf „die Besorgung einzelner Aufgaben“ und keine Begrenzung durch Landesgrenzen.
• Eine Initiative, die die Landesgesetzgebungen in Hinblick auf Verwaltungsvereinfachung und E-Government-Kompatibilität überprüft und einander angeglichen werden. Dies dient der effizienten elektronischen Abwicklung und der Rechtssicherheit in den Kommunen.
• Eine Senkung der Steuerlast auf die Arbeitseinkommen.
• Die offensive Weiterverfolgung der Finanztransaktionssteuer als reglementierendes Element auf europäischer Ebene.
• Die Modernisierung und Anpassung an die heutigen Gegebenheiten des Finanzausgleichs im Verhältnis der Gebietskörperschaften untereinander (aufgabenorientierter Finanzausgleich).
• Die Mittelausstattung der jeweiligen Gebietskörperschaft muss sich nach ihren Aufgaben und den damit verbundenen Ausgaben richten.

Daseinsvorsorge
• Österreichs Städte und Gemeinden bieten Leistungen der Daseinsvorsorge ihren Bürgerinnen und Bürgern auf höchstem Niveau. Es ist dringend geboten, die Daseinsvorsorge als Staatszielbestimmung und Aufgabe des Gesamtstaates zu formulieren. Die Leistungen der Daseinsvorsorge sind grundsätzlich eine Aufgabe aller Gebietskörperschaften – Bund, Länder und Gemeinden. Bei der Aufgabenerfüllung jener Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse erbracht werden und mit einer Verantwortung für das Gemeinwohl verbunden sind, sollen Kriterien wie die Versorgungssicherheit, die soziale Erschwinglichkeit, diskriminierungsfreier Zugang, die Gesundheit oder die Nachhaltigkeit gegenüber rein ökonomischen Gesichtspunkten der Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen.
• Um die qualitätsvolle Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge nicht zu gefährden, ist es dringend notwendig, dass sich der Bund an die Vereinbarungen des Finanzausgleichs hält und bei von ihm geplanten Maßnahmen mit Österreichs Städten und Gemeinden ernsthaft Verhandlungen aufnimmt.

Bildung
Gerade in dieser schwierigen Zeit sind Maßnahmen zu ergreifen, um den heranwachsenden Generationen das notwendige Rüstzeug für die kommenden Herausforderungen mitzugeben.
Der Österreichische Städtebund fordert und unterstützt:
• Die Initiative des Bundes, ein verpflichtendes Bildungsjahr für die 5- bis 6-Jährigen einzuführen bei voller weiterer Kostentragung durch den Bund;
• die rechtliche Absicherung der Städte- und Gemeindeinteressen im Bildungsbereich;
• die Sicherstellung des Transfers, der laut Regierungsprogramm und §-15a-Vereinbarung zur Verfügung gestellten Mittel von den Ländern an die Träger der Kindergarteneinrichtungen – nämlich die Städte und Gemeinden;
• die Finanzierungszusage des Bundes für das verpflichtende Bildungsjahr über das Jahr 2011 hinaus;
• die Bemühungen um eine Steigerung der Effizienz und Effektivität der österreichischen Schulorganisation und Schulverwaltung. Gerade Städte haben mit ihrem Integrationsbedarf der von Randgruppendasein potenziell bedrohten Bevölkerungsteilen Interesse an einem funktionierenden Bildungssystem.
• Die Beseitigung bestehender Parallelstrukturen in der Schulverwaltung (nebeneinander von unmittelbarer Bundesverwaltung und Landesverwaltung, Sonderstrukturen);
• das Mitwirkungsrecht der Städte in allen Reformen der Schulverwaltung, besonders bei der Steuerung der Bildungsaufgaben in ihrem Wirkungsbereich, welches über die Agenden der Schulerhaltung hi¬nausgeht;
• Bereitstellung zusätzlicher administrativer Ressourcen (auch Personal) durch den Bund, um der Schulleitung den notwendigen Raum für die pädagogische Arbeit zu geben;
• klare Trennung von Schulerhaltung und Bildungsaufgabe: Die Bildungsaufgabe des Bundes beinhaltet insbesondere auch die Integrationsarbeit, Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen, Schulsozialarbeit und den psychosozialen Dienst an den Schulen.

Klimaschutz und Mobilität
Wirksame Konjunkturprogramme sollen auch den Klimaschutz unterstützen.
Der Österreichische Städtebund fordert und unterstützt:
• Klimaschutzrelevante Investitionen wie etwa der Ausbau umweltfreundlicher Verkehrsmittel, thermische Sanierungen von öffentlichen Gebäuden wie Schulen und Kindergärten. Diese Investitionen schaffen darüber hinaus nachhaltig hochwertige Arbeitsplätze.
• Eine StVO-Reform, die den Umweltverbund, vor allem Öffentlicher Verkehr und Radverkehr, stärker begünstigt.
• Im Rahmen der Lehrpläne muss es eine Umorientierung der klassischen Verkehrserziehung in Richtung einer umfassenden Erziehung zu einem nachhaltigen Mobilitätsverhalten geben.

Europa – Die Grundfeste eines starken und vereinten Europas ist die freie Gemeinde
Die Geschichte Europas ist auch eine Geschichte seiner Städte und Gemeinden. Ein von oben nach unten gebautes, zentralisiertes Europa wird niemals die Unterstützung seiner Bevölkerung erfahren. Europa kann es sich in der heutigen schwierigen Zeit nicht leisten, gespalten oder zerrissen zu sein – es braucht eine starke demokratische Beteiligung und Unterstützung seiner Städte und Gemeinden und Bevölkerung. Österreich hat mit der Unterzeichnung und der Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung des Europarats 1988 bereits klargemacht, welchen Stellenwert seine Städte und Gemeinden in Europa haben müssen.
Der Österreichische Städtebund
• begrüßt den Umstand, dass im Vertrag von Lissabon erstmals in den Europäischen Verträgen die Rolle demokratischer und entscheidungsfreier Kommunen anerkannt wird;
• fordert die europäischen Institutionen auf, die kommunale Selbstverwaltung zu achten und in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit allen Regierungsebenen ihren Verantwortungen gerecht zu werden, um die Herausforderungen der Zeit zu meistern;
• fordert die europäischen Institutionen und die Österreichische Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass die Regeln zu den staatlichen Beihilfen und im Vergaberecht einfacher und kreativer angewandt werden können.

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