Digitales Posteingangsmanagement am Beispiel des Magistrats Waidhofen

Digitales Posteingangsmanagement am Beispiel des Magistrats Waidhofen

Oder: „Wenn meine Welt voll Kirschen ist, was tu ich mit den Kernen?“ (Zitat: Erma Bombeck)

 

In der Gemeindeverwaltung ist die Welt voll von Kirschen in Form von Anträgen, Einreichplänen, Beschwerden, Bescheiden, Rechtsmittelbelehrungen und „Akten“. Die Welt scheint nur mehr aus Anliegen und Wünschen zu bestehen, und es ist unser aller, die wir in der öffentlichen Verwaltung arbeiten, größtes Interesse, die Anliegen und Wünsche im Rahmen der Gesetze zu bearbeiten und zu erfüllen. Aber wenn der Bürger nach Hause geht und sein Anliegen kein Anliegen mehr ist, sondern zur Realität geworden, dann bleibt in unseren Büros das Papier zurück und wir stehen vor der Frage „Was tue ich mit den Kernen?“
Wenn wir die Worte „digital“ und „Posteingangsmanagement“ hören, denken viele sofort an Computer, automatische Verarbeitungen, vielleicht sogar an sich selbst lösende Probleme à la Raumschiff Enterprise, wo schon Captain Kirk rief „Auf den Bildschirm“. Aber leider spielen diese Filme im 23. Jahrhundert – wir leben heute.
Also nur zu sagen „Auf den Bildschirm“ und der Druck auf eine Taste sind immer noch zu wenig – oder vielleicht doch nicht?
Die Technologien sind im Wachsen, und so manches ist schon möglich, aber trotzdem muss noch vieles manuell gemacht werden. Wie beginnt man nun wirklich mit der Umsetzung eines „digitalen Postmanagements“ in der Kommunalverwaltung?

Vorgeschichte
In der Statutarstadt Waidhofen an der Ybbs wurde der Startschuss mit einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderates gesetzt, um den Weg zur Einführung eines elektronischen Aktes (ELAK) zu ebnen. Um das notwendige Fachwissen für dieses Thema in der Gemeinde aufzubauen, wurde es mir – als spätere Projektleiterin – ermöglicht, die Ausbildung zum „Certified E-Government-Expert“ an der Donauuniversität Krems zu absolvieren. Mit diesem Rüstzeug ausgestattet und einem hochmotiviertem Team zur Seite gestellt konnte eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.
Die Stadt Waidhofen an der Ybbs hatte bereits in der Vergangenheit eine E-Government-Vorreiterrolle und beteiligte sich seit 2004 an unterschiedlichen Projekten im Bereich E-Government. So wurde schon damals gemeinsam mit dem Österreichischen Städtebund (ÖStB) an einem Formularserverprojekt und an den Grundlagen für ein elektronisches Dokumentenmana¬gement – damals im Rahmen der Arbeitsgruppe EGORA Vorgangsbearbeitung, aus der der kommunale ELAK Acta Nova hervorgegangen ist – gearbeitet. Das Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, möglichst viele Anforderungen aus dem kommunalen Umfeld zusammenzutragen, zu bündeln, abzustimmen, um damit ein Produkt zu schaffen, das auf den Bedarf der Städte und Gemeinden maßgeschneidert ist.

Abklären der Anforderungen
Welche Anforderungen sind dies nun im Bereich des Posteingangs? Besonders wichtig ist es, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, die die Gemeinden mitbringen, zu berücksichtigen. Wie groß ist die Behörde? Hat sie einen oder mehrere Standorte? Wie ist die Organisation strukturiert? Auf welche Weise gelangt die Post in die einzelnen Abteilungen und Bereiche? Wird sie an die gemeinsame Postadresse gesandt und danach zugeteilt oder erfolgt eine Verteilung bereits bei der Zustellung über abteilungsspezifische Postadressen? Wie viele Mitarbeiter sind mit der Sichtung und der Aufteilung des Posteingangs beschäftigt? Welche Anzahl aktenrelevanter Schriftstücke langt täglich ein und bildet daher die Grundlage für alle weiteren Überlegungen?
All diese Punkte, die es bei einem (digitalen) Posteingangsmanagement zu berück¬sichtigen gilt, hat der Magistrat Waidhofen – natürlich nicht ganz ohne Unterstützung – angestellt. Mit Hilfe eines professionellen Beraters wurden unsere Fragen so kanalisiert, dass daraus konkrete Anforderungen ableitbar wurden. Dieses Fachwissen und die Koordination – sozusagen der rote Faden durch das Projekt – wurde durch die IT-Kommunal GmbH eingebracht. Diese ist ein Tochterunternehmen der Firmen rubicon-IT, PuMa – Public Management Consulting und ZVK – Zentrum für Verwaltungskooperation. Das rein österreichische Unternehmen wurde 2007 gegründet und ist auf IT-Beratung, Umsetzung von Projekten, Produktadaptierung und Betrieb von Anwendungen für die kommunale Verwaltung spezialisiert. Das ZVK, welches interkommunale IT-Projekte fördert und koordiniert, vertritt als Gesellschafter in der IT-Kommunal die Interessen der Kunden aus der kommunalen Verwaltung. Damit wird sichergestellt, dass zwischen IT-Kommunal und den Städ¬ten und Gemeinden eine nachhaltige und partnerschaftliche Beziehung entsteht.
Die erste Frage, die sich bei einer solchen Implementierung stellt – und das war bei meinen Vorgesetzten nicht anders – ist folgende: „ Warum setzen wir nicht ein fertiges Produkt ein und ersparen uns somit die Entwicklungsarbeit?“
Nach einer genaueren Evaluierung der am Markt befindlichen Lösungen mussten wir leider feststellen, dass uns bei Beibehaltung der internen Abläufe, der Strukturen und der gewachsenen Identität auch beim Einsatz von Standardprogrammen die Entwicklungstätigkeit nicht erspart bleibt. Gleichzeitig würden wir als Anwender dieser „fertigen Lösungen“ trotzdem an den oft sehr rigiden Rahmen gebunden bleiben, den das jeweilige Programm vorgibt. Wir kamen daher zum Schluss, dass die Verwendung eines Systems wie Acta Nova, bei dem die kommunale Verwaltung bereits vom Anfang an am Design der Software beteiligt war, wesentlich zufriedenstellender ist als der Kauf einer „Applikation von der Stange“. Die eigenen Vorgaben können so viel effektiver eingebracht werden und selbst dann, wenn die eigenen Abläufe eben ganz anders gewachsen sind als jene einer anderen Stadt, kann zumindest mit den gleichen Bausteinen, wie Feldbezeichnungen, Datenfeldern und Programmblöcken, gearbeitet werden, indem diese für den stadtspezifischen Prozess individuell zusammengestellt werden.
Waidhofen an der Ybbs ist als Statutarstadt mit seinen ca. 12.000 Einwohnern nicht gerade groß, hat aber trotzdem viele Aufgaben und Pflichten, die wesentlich größere Städte getrost an ihre Bezirkshauptmannschaften weiterreichen können.
Im Jahr 2006 haben meine Kollegin vom Stadtarchiv und ich in meiner Funktion als Leiterin der Registratur gemeinsam versucht, die Bereichsleiter für die Belange der Aktenverwaltung und der Archivierung zu interessieren, sind aber bei unseren Bemühungen recht rasch an unsere Grenzen gestoßen. Um die Hintergründe zu verdeutlichen, muss ich ein wenig auf die bestehenden Strukturen der Stadtverwaltung eingehen.
Im Magistrat Waidhofen an der Ybbs wurde bisher in den einzelnen Abteilungen protokolliert und es gab eine Geschäftseinteilung und eine Grundlage, wie eine Aktenzahl generell auszusehen hat. In den letzten 20 Jahren wurden diese Vorgaben individuell weiterentwickelt und verfeinert, wodurch abteilungsspezifische Aktenzahlen entstanden, die in ihrer Struktur von denen der anderen Abteilungen abwichen. Wir haben im Laufe unserer Vorüberlegungen zur ELAK-Einführung erkannt, dass unsere einzige Chance, wieder eine einheitliche Struktur innerhalb des Magistrats zu schaffen, darin besteht, über ein zentrales System Zuweisungen von Aktenzahlen und Zusammengehörigkeiten von Ablagestrukturen zu schaffen. Ohne ein solches wird es einer Einzelperson immer möglich sein, zentrale Vorgaben individuell zu interpretieren und eigene Vorstellungen zu verfolgen. Keiner kann schließlich die Denkmuster seiner Nachbarn auch nur erahnen, geschweige den kennen. Schon damals haben wir versucht, den Bereichsleitern und ihren Mitarbeitern die Wichtigkeit einer zentralen Archivierung und die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit in der Regionalgeschichte zu vermitteln.
Um nun aber auf unsere Eröffnungsfrage zurückzukommen: Wie wollen wir nun mit unseren „Kernen“ umgehen. Was geschieht mit dem zu bearbeitenden und zu archivierenden Material?

Der Beginn des Projekts
Unsere heterogene Projektgruppe besteht aus fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus unterschiedlichen Bereichen der Verwaltung. Unter ihnen sind Mitarbeiter aus der IT, dem Bürgerservice und zwei Mitarbeiterinnen aus der Magistratsdirektion vertreten. Bei der Auswahl wurde bewusst darauf geachtet, sowohl die Arbeitsbereiche als auch Geschlecht und Dienstdauer zu mischen. Wir wollten Mitarbeiter ins Boot holen, die die Strukturen in der Organisation sehr gut kennen, um bei der Auswahl der Pilotverfahren, der fachlichen Ansprechpartner und bei der Festlegung des zeitlichen Rahmens keine Fehler zu machen. In den ersten Arbeitsgesprächen dieser Gruppe wurden ein grober Zeitrahmen und Ziele definiert, um dann mit der Behandlung der einzelnen Punkte zu beginnen. Unser Umsetzungsplan sah danach folgendermaßen aus:
• Festlegung der Pilotverfahren
• Projektteamschulung
• Projektmarketing
• Leistungskatalog der Gemeinde
• Aufbauorganisation und Berechtigungen
• Posterfassung, Scannen und Archivierung
• Prozesserhebung
• Schulungs- und Betreuungskonzept
Bei der Festlegung der Pilotprozesse wurde versucht, eine hohe Breitenwirkung durch die Umsetzung von internen Prozessen, die jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter betreffen, zu erzielen. So wurden bewusst Verfahren wie Urlaubsansuchen und Dienstreiseaufträge als Erste umgesetzt, damit wirklich jeder Mitarbeiter seine Scheu vor der anderen Art der Bearbeitung bei vergleichsweise kurzen und vor allem linearen Prozessen verlieren kann.
Als weitere Prozesse für die erste Phase wurden folgende gewählt:
• Im Personalbereich: Bereichsleiterstellvertreterzulage und Überstundenabrechnung
• In der Finanzverwaltung: Bürgermeistergenehmigungen und Auszahlungsanordnung
• In der Bezirksverwaltung: Veranstaltungsanmeldung und § 90 StVO-Bewilligung
• Über alle Bereiche hinweg: Sitzungsmanagement mit Sitzungsvorbereitung, Tagesordnung, Sitzungsbögen, Einladung und Protokollführung
Eine der größten Herausforderungen, die sich zu Beginn eines solchen Projekts stellt, ist wohl die Darstellung der Aufbauorganisation. Zwar gibt es wahrscheinlich in der Zwischenzeit für jedes Amt und jede Behörde ein Organigramm, aber um die Grundlagen für ein umfassendes Berechtigungskonzept herauszuarbeiten, das allgemein innerhalb der Gemeinde Verwendung finden soll, genügt es nicht, einen Bereich als Kästchen in einem Organigramm zu sehen, sondern es muss wirklich jede Person bzw. jeder einzelne Dienstposten beleuchtet und an der richtigen Stelle im Gefüge eingesetzt werden. Es ist unbedingt notwendig, sich darüber Gedanken zu machen, welchem Personenkreis welche Rech¬te zustehen und wie man diese vergibt. Besonders hilfreich bei der Aufbereitung dieser Daten war die grafische Darstellung der kompletten Struktur.
Ein elementarer Wunsch bei unseren Eingaben im Projekt war von Beginn an, so viel Regelwerk wie unbedingt notwendig einzubeziehen, um die Rechtssicherheit zu garantieren, aber so viel Spielraum wie irgendwie möglich zuzulassen, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht ihr wertvollstes Gut zu nehmen: ihr Wissen und ihre Fähigkeit, Tätigkeiten zu überdenken und zu hinterfragen. Es sollte immer die Möglichkeit gegeben sein, von vorgegebenen Strukturen und Wegen im Bedarfsfall flexibel abweichen zu können.
Dass all unser Handeln gesetzeskonform sein muss, ist jedem Mitarbeiter klar, und die vielen Fachanwendungen, die im Laufe der Jahre eigens für den kommunalen Bereich und die öffentliche Verwaltung entstanden sind, wurden immer auf den jeweiligen gesetzlichen Grundlagen aufgebaut. Aber gerade die Verwaltung von Akten unterliegt einer Vielzahl von unterschiedlichen Gesetzen, Richtlinien und Verordnungen. Darum ist es umso schwieriger, alle Einzelheiten zu kennen und einzuhalten. Diese Kontrolle soll nun das elektronische Aktenmanagement durch einheitlich implementierte Vorgaben, die im Zuge des Projekts erarbeitet wurden, erfüllen.
Wir haben viele Gespräche benötigt, um unsere Strukturen zu hinterfragen, festzustellen, welche gesetzlichen Hintergründe gerade dieser oder jener Vorgang hat, ob man Schritte im Prozessablauf einsparen oder ändern kann, ohne dabei die gesetzlichen Grundlagen aus den Augen zu verlieren. Oft haben wir festgestellt, dass wir unser Handeln schon sowieso sehr genau auf das Notwendige beschränken, ganz ohne Reform oder Reorganisation, sondern allein deshalb, weil die Anzahl der anfallenden Geschäftsfälle dementsprechend hoch ist und gar keine Zeit für zusätzliche Schritte blieben würde.
Auch haben wir bei unseren Reformen stets versucht, gewachsene Strukturen und Regeln zu brechen, um Fortschritte und Vereinfachungen zu erzielen.

Erreichte Ziele
Unser Ziel war und ist es immer, für unsere Kolleginnen und Kollegen in einem flexiblen Rahmen Vorteile für die tägliche Arbeit zu finden und eine technische Unterstützung und somit Erleichterung bei der Vergabe von Geschäftszahlen, der Suche und der Protokollierung zu schaffen. Die Durchlaufzeiten verkürzen sich ja schon rein rechnerisch allein durch den Wegfall des manuellen Posttransports von der Poststelle zum Mitarbeiter, aber auch aufgrund der möglichen parallelen Aktenbearbeitung durch mehrere Mitarbeiter oder Sachverständige. Die Liegezeiten bis zur Abholung durch den Mitarbeiter aus den Postfächern der einzelnen Bereiche können genauso entfallen wie die umständliche Suche nach Akten in verschiedenen Abteilungsarchiven.
Im Zuge unseres Projekts wurde besonderes Augenmerk auf die vollständige Revisionssicherheit der einzelnen Geschäftsfälle und Dokumente gelegt. Über eine durchgängige Historie wird jede Bearbeitung innerhalb eines Vorgangs festgehalten, egal ob es sich nur um einen Aktenvermerk, die Erstellung oder Änderung einer Erledigung oder schlichtweg die Vergabe von Schlagworten handelt. Damit kann jede noch so kleine Veränderung im Geschehen dokumentiert werden. Aber auch für den Benutzer ist der zeitliche Ablauf innerhalb des Prozesses oft von großer Bedeutung.
Das papierlose Büro ist – und wird es vermutlich immer bleiben – Zukunftsmusik, aber wenn Postein- und -ausgänge digital aufbewahrt werden, können die Archive von heute den Aktenanfall von morgen auch bewältigen. Heute füllen wir jedes Jahr zig Regalmeter mit Ordnern und Archivboxen. Die Registraturen wachsen, und auch der Anspruch der Verwaltung an ein schnelles Wiederfinden der Akten ist ganz natürlich. Der Einsatz von elektronischen Aktenmanagement-Systemen trägt wesentlich dazu bei, das Aktenmaterial im System aktuell und vor allem jederzeit griffbereit zu halten.
Die Überschaubarkeit und Beeinflussbarkeit jedes einzelnen Prozesses für den Mitarbeiter ist sicher das Novum, die Neuerscheinung in einer langen Reihe von Workflow-Systemen. Denn hier kann der Mitarbeiter sein Wissen und seine Kenntnisse in den Prozess einbringen, auf Veränderungen eingehen und vor allem kann er in seinem Akt agieren und nicht immer nur auf die Systemvorgaben reagieren.

Abschließende Erfahrungen
Aus all dem erkennt man, dass sich die Stadt Waidhofen – und mit ihr viele Behörden der öffentlichen Verwaltung – der Wichtigkeit von Mitarbeitermotivation und eines „gesunden Betriebsklimas“ bewusst ist. Der Mitarbeiter, der nur mehr mittels Checklisten und starren Abläufen seine Arbeiten erledigt, verliert sein Selbstwertgefühl und damit auch seine Motivation. Unsere Mitarbeiter sind uns aber wertvoll. Darum wollen wir einerseits durch die Prozesshinterlegung die Arbeit vereinfachen und andererseits den Mitarbeitern durch die Einführung eines modularen Systems zeigen, dass das Wissen jedes Einzelnen darin Einzug gefunden hat und auch geschätzt wird.
Wir sind noch nicht so weit, zu rufen: „Auf den Bildschirm“, aber wir sind auf dem Weg dorthin. Ob dieser Weg der richtige ist, wissen wir heute noch nicht, erst jene, die in fünfzig, hundert oder mehr Jahren unser jetziges Handeln beurteilen, werden darüber entscheiden können.

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