Straßenverkehrsrechtliche Vorschläge des Österreichischen Städtebundes zur Förderung des Radverkehrs

Straßenverkehrsrechtliche Vorschläge des Österreichischen Städtebundes zur Förderung des Radverkehrs

In den österreichischen Gemeinden ist das Fahrrad als platzsparendes, umweltfreundliches und kostengünstiges Verkehrsmittel wiederentdeckt worden. Besonders in Städten, wo der Platz knapp und die Wege kurz sind, kann das Fahrrad seine Stärken ausspielen. Der Österreichische Städtebund setzt sich dafür ein, dass sich diese Wiederentdeckung des Fahrrades als Verkehrsmittel auch in der Straßenverkehrsordnung (StVO) fortsetzt. Hinderliche oder sogar gefährliche Sonderregeln für den Fahrradverkehr sollen durch allgemeinverständliche, praxistaugliche Regeln ersetzt werden.

In die österreichische Straßenverkehrsordnung (StVO) sind beginnend mit der 10. Novelle 1983 fortlaufend Sonderbestimmungen für die Benützer von Straßen mit Radwegen, Radfahrstreifen und sogenannten „Radfahrerüberfahrten“ aufgenommen worden. Seit der 19. Novelle (1994) ist die Herauslösung des Fahrradverkehrs aus dem sonstigen Fahrzeugverkehr besonders ausgeprägt.
Der Verkehrsausschuss des Österreichischen Städtebundes hat dazu ein Forderungsprogramm mit folgenden Grundsätzen erstellt:
• Die Verhaltensregeln sollen praxisnäher gestaltet und vereinfacht werden.
• Für Radfahrer sollen an Kreuzungen wieder die normalen Vorrangregeln und auf der Fahrbahn wieder die allgemeinen Verkehrsregeln für den Fahrzeugverkehr gelten.

Unklare und gefährliche Vorrangregeln auf Straßen mit „Radfahranlagen“
Straßenverkehrsgesetze haben zwei besondere Arten von Konflikten zwischen Fahrzeuglenkern zu regeln:
1. Konflikte zwischen den Benützern zweier Straßen, die einander kreuzen,
2. Konflikte zwischen Benützern derselben Straße, wie sie beim Fahrstreifenwechsel oder beim Abbiegen zu einer anderen Straße auftreten können.
Die erste Art von Konflikten wird in der österreichischen StVO durch die allgemein bekannten Vorrangbestimmungen in § 19 geregelt; die zweite Art unter dem Titel „Richtungsänderung“ in § 11.
Seit 1994 sind diese normalen Vorrangregeln für Radfahrer auf Radwegen, Radfahr- und Mehrzweckstreifen, Geh- und Radwegen sowie Radfahrerüberfahrten weitgehend aufgehoben. Für Radfahrer und andere Fahrzeuglenker, die in der gleichen Richtung auf derselben Straße und sogar derselben Fahrbahn unterwegs sind, können derzeit völlig verschiedene Vorrangregeln gelten. Entscheidend ist dafür die Bestimmung in § 19 Abs. 6a: Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, haben anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben.
Die allgemeinen Vorrangregeln knüpfen daran an, wo ein Fahrzeug herkommt – und somit an ein Ereignis, das in der Vergangenheit liegt. Die Bestimmung in § 19 (6a), wonach Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, den Vorrang verlieren, knüpft hingegen an ein zukünftiges Ereignis an. Die Frage, wer Vorrang hat, kann somit erst im Nachhinein sicher beantwortet werden. Diese unklare Situation führt zwangsläufig zu Missverständnissen und zu paradoxen Situationen, wie Abbildung 1 mit unterschiedlicher Vorrangsituation bei gleicher Verkehrssituation zeigt.
Diese Sonderregel (§ 19 (6a)), die den allgemeinen Vorrangregeln widerspricht, sollte daher ersatzlos entfallen. Für Radfahrer auf „Radfahranlagen“ und die übrigen Fahrzeuglenker auf derselben Straße gälten dann auch an Kreuzungen wieder dieselben, allgemein üblichen Vorrangregeln.
Bei den problematischen Zweirichtungsradwegen bleiben dann noch Sonderfälle, welche durch die Übernahme einer Bestimmung aus § 9 der deutschen StVO eindeutig geregelt werden können: Abbieger müssen nicht nur entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, sondern auch solche, die in der gleichen Richtung fahren.
Damit können auch bei der schwierigen Kreuzungssituation mit Zweirichtungsradweg und Radfahrern, die auf der linken Straßenseite fahren, klare Vorrangregeln geschaffen werden (Abbildung 2):
Wenn bei einer Kreuzung zwischen einer Straße und einem selbständigen Radweg der Vorrang explizit festgelegt werden muss, kann dies ganz herkömmlich mit Verkehrszeichen geschehen:
• Radweg im Nachrang: „Vorrang-Geben“ oder „Halt“
• Vorrang für Radweg: „Vorrang-Geben“ oder „Halt“ für den Querverkehr.

Aufhebung der Radwegbenützungspflicht
Aus mehreren Untersuchungen zum Thema Radwegsicherheit ist bekannt, dass die Benützung von Radwegen insbesondere an Kreuzungen das Unfallrisiko für Radfahrer, aber auch für andere Verkehrsteilnehmer deutlich erhöhen (um das 1,5-fache bis 6-fache).1,2,3 Auch ist die Unfallschwere auf Radwegen nicht geringer als auf Straßen ohne Radverkehrsanlagen.4 Das Fahren auf (Gehsteig-)Radwegen ist – vor allem im Ortsgebiet – oft nicht nur langsamer und unbequemer, sondern vor allem an den Kreuzungen auch gefährlicher als das Fahren auf der Fahrbahn.
Gute Radwege, auf denen man sicher, schnell und komfortabel fahren kann, werden freiwillig benützt. Die Radwegbenützungspflicht zwingt Radfahrer, auch solche Radwege zu benützen, wo sie aus Gründen der Sicherheit, der Schnelligkeit oder des Komforts nicht freiwillig fahren würden.
Die bestehende Radwegbenützungspflicht dient nicht der Förderung des Radverkehrs oder dessen Sicherheit, sondern eher der Bequemlichkeit des Autoverkehrs. Sie führt außerdem auch dazu, dass Radfahrern bei Verkehrsunfällen vom Gericht Mitverschulden wegen Nichtbenützens des Radweges angelastet wird.
Im Ortsgebiet schadet die Radwegbenützungspflicht naturgemäß am meisten. Der Änderungsvorschlag des Städtebundes hat die Aufhebung der Radwegbenützungspflicht – vor allem innerhalb der Ortsgebiete – zum Ziel. Durch die Eingrenzung der Benützungspflicht auf Radwege (wie vor der 19. Novelle) gälten für die Benützung von Radfahrstreifen wieder die allgemeinen Fahrregeln gemäß § 7 (Rechtsfahrgebot) und § 9 (Verhalten bei Bodenmarkierungen).

Fahrradstraße
In Deutschland gibt es Fahrradstraßen als wichtiges Instrument der Radverkehrsförderung bereits seit 1997 (dt. StVO § 41 Abs. 2 Ziff. 5).
Zahlreiche Beispiele (z. B. Bremen, Müns¬ter und Kiel) zeigen, dass die Fahrradstraße eine einfache, aber wirksame Maßnahme ist, das Radfahren attraktiver und sicherer zu machen.
Fahrradstraßen sind in solchen Straßen zweckmäßig, wo der Radverkehr die überwiegende Verkehrsart ist oder in Zukunft werden soll. In Fahrradstraßen ist die gesamte Fahrbahn als Radweg ausgewiesen, motorisierte Fahrzeuge werden nur ausnahmsweise zugelassen. Alle Fahrzeuge dürfen nur mit mäßiger Geschwindigkeit (ca. 25 km/h) fahren. Fahrradstraßen sind in besonderer Weise geeignet, das Fahrradklima einer Stadt rasch und kostengünstig zu verbessern.
Für die Radfahrer ergeben sich folgende Vorteile:
• Es gibt genügend Platz und infolge der mäßigen Geschwindigkeit eine hohe Verkehrssicherheit.
• Gemeinsame Fahrten werden attraktiv, da Radfahrer nebeneinander fahren dürfen.
• Radfahrer kommen zügig, sicher und komfortabel voran.
Auch in österreichischen Städten besteht Bedarf für ein solches Instrument zur Radverkehrsförderung. Der Städtebund tritt deshalb dafür ein, die „Fahrradstraße“ in die StVO aufzunehmen.

Mitstreiter
Der Städtebund ist mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung der StVO nicht allein: Auch das Umweltministerium, das Land Wien, die Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr, der Verkehrsclub Österreich sowie mehrere Radfahrer-Interessenvertretungen treten für gleiche oder ähnliche Verbesserungen der StVO ein.

Literatur
M. Meschik: Planungshandbuch Radverkehr; Wien 2008.
H. Koch: Masterplan Radfahren, Strategie zur Förderung des Radverkehrs in Österreich; Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.); Wien 2006.
W. Rauh, Straßen zum Radfahren;Verkehrsclub Österreich (Hrsg.); Wien 1995.
E. Schrammel, C. Zuckerstätter: Radverkehr im Ort; Kuratorium für Verkehrssicherheit und ARBÖ (Hrsg.); Wien 1993.
W. Rauh: Das Fahrrad im Verkehr, Wegweiser zu einer fahrradgerechten Organisation des Straßenverkehrs; Argus und VCÖ (Hrsg.); Wien 1990.

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