Vollversion der Resolution an den 65. Österreichischen Städtetag 2015

Vollversion der Resolution an den 65. Österreichischen Städtetag 2015

„Menschen machen Städte“   Wien, 11. Juni 2015

Das Jahr 2015 ist ein Gedenkjahr an bis heute nachhaltig wirkende historische Ereignisse: Vor 20 Jahren wurde Österreich Mitglied der Europäischen Union, vor 60 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet, vor 70 Jahren endete der 2. Weltkrieg, vor 650 Jahren wurde die Universität Wien gegründet. Ein Ereignis, das für die österreichischen Städte von großer Bedeutung war und ist, war die Gründung des Österreichischen Städtebundes vor 100 Jahren in Wien. Damals waren noch Städte wie Brünn, Marburg oder Meran Mitglieder dieser Interessensvereinigung. Die historischen Entwicklungen seither haben zwar das Staatsgebiet verkleinert, nicht aber die Bedeutung und Größe der Städte in Österreich. Während noch im 18. Jahrhundert etwa 75% der Bevölkerung auf dem Land lebten, stieg der Zuzug in die Städte seit der Industrialisierung stark an. Zur Jahrhundertwende lebten erstmals weltweit mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten. Heute haben sich etwa zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung in den Städten dieses Landes niedergelassen. 100 Jahre sind ein  Zeitrahmen, in dem sich die Rahmenbedingungen für Städte vielfach bedeutend verändert haben. Ein Rückblick auf die wesentlichen politischen Entscheidungen und Maßnahmen des vergangenen Jahrhunderts zeigt die Tragweite des jeweiligen Erfolgs oder Misserfolgs. Diese Erkenntnisse müssen in die gegenwärtige und zukünftige politische Arbeit einfließen. Seit dem Ausbruch der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise ist außer Streit gestellt, dass die Daseinsvorsorge für die Gesellschaft von so immenser Bedeutung ist, dass deren Gestaltung nicht ausschließlich den Marktkräften überlassen werden darf. Einerseits ist eine demokratische Kontrolle unerlässlich, die aber nur gewährleistet werden kann, wenn die Entscheidungsmacht nicht privatisiert wird. Andererseits ist klar geworden, dass rein profitorientiertes Handeln oft zu wenig Rück sicht auf die mittel- und langfristigen Auswirkungen von wirtschaftlichen Entscheidungen nimmt. Und die westlichen Gesellschaften verbrauchen heute bereits mehr Ressourcen als ökologisch zuträglich ist. Es ist die Aufgabe der Politik die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen marktwirtschaftlichen Handels so zu gestalten, dass Gewinnstreben zum "Motor" des Gemeinwohls werden kann.
Globale wirtschaftliche, politische  und kriegerische Entwicklungen sowie Naturkatastrophen schaffen Entwicklungen, die Menschen veranlassen, zu uns zu kommen und Schutz in unseren Ländern, Städten und Gemeinden zu suchen. Lösungen in Hinblick auf den Umgang, die Verteilung, Versorgung und Integration dieser Menschen sowie die Finanzierung dieser Maßnahmen sind dringend erforderlich, in Österreich und in Europa. Die Vorbereitung diverser internationaler Freihandelsabkommen, wie CETA, TTIP und TISA, weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ist als äußerst problematisch zu sehen. Es muss verhindert werden, dass durch diese Abkommen Parallelrechtssysteme etabliert werden, die außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit verbindliche Urteile ermöglichen. Darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass keine Produktstandards festgelegt werden, die weniger dem Schutz der ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und der Umwelt dienen, als dem Schutz von Konzernen. Die Wahlfreiheit der Kommunen bei der Erbringung der öffentlichen Dienste darf auf keinen Fall beschränkt werden. Die vorgebrachten Versprechen von Wirtschaftswachstum oder zusätzlichen Arbeitsplätzen sind derzeit wenig stichhaltig.  Zudem besteht die Gefahr, dass als Folge solcher Abkommen Konzerne, deren Zielsetzung ausschließlich in ihrem wirtschaftlichem Erfolg besteht, die demokratisch legitimierten politischen Organe dauerhaft entmachten. Obwohl die westliche Welt seit Beginn der aktuellen Krise weiß, dass die gängigen Strategien langfristig nicht zum Erfolg führen, wurden bislang keine Alternativen entwickelt. Das permanent wiederholte Spargebot der öffentlichen Kassen trifft die Städte, trifft die BürgerInnen, denn: Menschen machen Städte! Die Lebenshaltungskosten steigen, obwohl die Reallöhne seit Jahren sinken, sodass die Finanzierung der Lebenshaltungskosten immer schwieriger wird. Im wirtschaftsliberalen Großbritannien wird diese Situation bereits „Cost of Living Crisis“ genannt.  Europaweit sind vor allem die Wohnkosten massiv gestiegen und der starke Zuzug in die Städte hält an, sodass wieder der Ruf nach der öffentlichen Hand bei der Errichtung von leistbarem Wohnraum in den Städten ertönt. In Österreich bezieht ein Großteil der bedürftigen Personen die Mindestsicherung zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen (Working Poor). Die hohen Förderungsmittel, die Österreich jedes Jahr ausschüttet, haben bislang nicht zu einer ausreichenden Anzahl von Arbeitsplätzen, die ausreichendes Einkommen für die Finanzierung eines angemessenen Lebens gewährleisten, geführt. Arbeitslosigkeit  und prekäre Beschäftigungsverhältnisse steigen,  gleichzeitig nimmt die Vermögenskonzentration weiter zu. Auch in Städten leben viele Menschen, die beschämenderweise in einem der reichsten Länder der Welt trotz Erwerbseinkommen oder Pension auf caritative Unte- stützung angewiesen sind. Lebensmittelausgabe an sozial Bedürftige von Vorarlberg bis ins Burgenland gehört mittlerweile zum kommunalen Alltag. Als Folge fortgesetzter Krisen der Finanzmärkte werden die Verluste regelmäßig an die öffentliche Hand weitergereicht und dadurch die verfügbaren öffentlichen Mittel weiter eingeschränkt. Deshalb muss die Daseinsvorsorge als Aufgabe des Staates außerhalb der reinen Finanz- und Wirtschaftslogik definiert und die Entscheidungshoheit der Städte und Gemeinden über deren Gestaltung sichergestellt werden. Nachhaltige öffentliche Investitionen in die Daseinsvorsorge und in Zukunftsbereiche wie Bildung und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Gesundheit und Pflege, öffentlicher Verkehr und sozialer Wohnbau oder aktive Arbeitsmarktpolitik dürfen nicht als Schulden gemäß Fiskalpakt beziehungsweise  Stabilitäts- und Wachstumspakt bewertet werden. Dies wird in sämtlichen Freihandelsabkommen zu berücksichtigen sein. Der Österreichische Städtebund fordert anlässlich seines 100-jährigen Bestehens: •         die uneingeschränkte Berücksichtigung der Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in allen innerösterreichischen Entscheidungsprozessen von Bund und Ländern wie sie in den Europäischen Verträgen und den Prinzipien der Charta der Kommunalen Selbstverwaltung des Europarats enthalten sind; •         die Einräumung eines kommunalen Mitentscheidungsrechts der bundesverfassungsgesetzlich berufenen Vertreterinnen und Vertreter der Städte in allen Angelegenheiten, die Einfluss auf die Kompetenzen und Finanzen der Städte und urbanen Gemeinden entwickeln. Vereinbarungen gemäß Artikel 15a BVG oder vergleichbare, auch internationale  Maßnahmen, die eine inhaltliche oder finanzielle Bindung für Kommunen bedeuten, bedürfen ebenfalls deren Zustimmung; •         gemäß der „Wiener Deklaration“ der BürgermeisterInnen der EU-Hauptstädte vom 21. April 2015 auch innerstaatlich eine standardmäßige Durchführung eines URBAN Impact Assessments von legislativen Vorhaben; •         die Zusicherung der Bundesregierung, dass die vom Österreichischen Städtebund formulierten Anliegen der Städte auch in etwaigen Freihandelsabkommen (beispielsweise TTIP) und sonstigen internationalen Vereinbarungen vollinhaltlich abgebildet werden; insbesondere darf der demokratische Rechtsstaat nicht durch Streitbeilegungsabkommen untergraben werden. •         mindestens einmal pro Legislaturperiode die Vorlage eines umfassenden Berichts über die Lage der Städte und Gemeinden in Österreich im Österreichischen Nationalrat durch die Bundesregierung. Der Präsident des Österreichischen Städtebundes erhält bei der öffentlichen Behandlung des Berichts im Nationalrat Rederecht; •         einen aufgabenorientierten Finanzausgleich: Eine Reform des Finanzausgleichs, die sich an den Aufgaben orientiert, muss die Finanzierung der Basisauf-gaben, Sonderlasten und zentralörtlichen Aufgaben der Städte entsprechend  Art. 2 und 4 F-VG sicherstellen. Die spezifisch urbanen Zentrumslasten müssen anerkannt und abgegolten werden. Die Praxis des sekundären und tertiären Finanz-ausgleichs in Form von Transferzahlungen an die Länder muss eingedämmt und gedeckelt werden, der Vorwegabzug für Bedarfszuweisungen ist abzuschaffen; •         eine klare Trennung von Ressourcen- und Lastenausgleich: Ein überzogener Ressourcenausgleich im Finanzausgleich, der Kommunen mit geringen zentralörtlichen Aufgaben mit beträchtlichen frei zu verwendenden Mittel versorgt, während Kommunen mit umfangreichen Aufgaben kaum über genügend Finanzkraft verfügen, ihren Aufgaben nachzukommen, ist unbedingt zu vermeiden. Die Mittelausstattung hat sich ausschließlich an den aufgabenbedingten Unterschieden zu orientieren. Der horizontale Ausgleich folgt dem Prinzip des Lastenausgleichs, der strukturelle Gegebenheiten berücksichtigt und anhand messbarer Kriterien zu einem Ausgleich besonders geforderter Gebiete, wie es Städte sind, dient; •         eine Aufgabenreform, die durch die Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung unkoordinierte Doppelinvestitionen verhindert und Transparenz über die Mittelverwendung und Kostenwahrheit fördert. Durch eine sinnvolle Aufgabenentflechtung und die entsprechende Neuordnung der Mittelzuweisung erübrigen sich entsprechende Transferverflechtungen, Transfers und Umlagen entfallen zur Gänze; •         ein Steuerfindungsrecht der Städte, um zu kompensieren, dass ein bedeutender Teil der gemeindeeigenen Steuern in den vergangenen Jahren abgeschafft oder durch die Schaffung zahlreicher Ausnahmebestimmungen, so auch Steuerbefreiungen für andere Gebietskörperschaften, ausgehöhlt wurde; •         eine Reform der gemeindeeigenen Steuern: die Neuordnung der Grundsteuer und der Kommunalsteuer sowie das Streichen von diversen Befreiungen unterstützt die Abgabenautonomie der Städte. Die Reform der Kommunalsteuer soll zur Stärkung der Kommunen mit zentralörtlichen Aufgaben beitragen;
•         die Möglichkeit des direkten Zugangs zu Finanzierungen durch die ÖBFA, damit die Städte günstige Konditionen für die Finanzierung ihrer Aufgaben entsprechend nutzen können; •         durch Einbringung von zusätzlichen Bundes- und Landesmitteln die Schaffung eines kommunalen Rettungsschirmes für Städte und Gemeinden, die von besonders ungünstigen Rahmenbedingungen betroffen sind und ihre Schuldenlast allein nicht mehr bewältigen können. „Entschuldungshilfen für Gemeinden“ nach dem Vorbild der Bundesrepublik Deutschland; •         die Auflage eines kommunalen Förderprogrammes, das Investitionen in kommunale Infrastruktur nach dem Vorbild der Bundesrepublik Deutschland unterstützt; •         die Wiedereinführung des Vorsteuerabzugs für kommunale Infrastrukturinvestitionen, dessen Abschaffung bewirkt hat, dass beträchtliche finanzielle Mittel von den Kommunen zum Bund verschoben wurden; •         dass wichtige öffentliche Investitionen in die Daseinsvorsorge und Zukunftsbereiche wie Bildung und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Gesundheit und Pflege, öffentlicher Verkehr und sozialer Wohnbau sowie aktive Arbeitsmarktpolitik nicht auf die Kriterien im Fiskalpakt sowie Stabilitäts- und Wachstumspakt angerechnet werden; •         die Zweckbindung der Wohnbauförderungsmittel für den Wohnbau. Die Mittel sind zu valorisieren; •         die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass die EU-Mitgliedsstaaten auch weiterhin die Kriterien für den sozialen Wohnbau selbst definieren. Die Beschränkung des sozialen Wohnbaus auf benachteiligte oder sozial schwächere Bevölkerungsgruppen im Regelwerk  der Europäischen Union ist aufzuheben; •         den öffentlichen Personenverkehr in seiner Funktion als Rückgrat des stetig wachsenden stadtregionalen Mobilitätsbedarfs zu stärken und auszubauen. Hierfür sind mehrjährige Finanzierungen zur Erhaltung und dem Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel im stadtregionalen räumlichen Zusammenhang sicherzustellen, nach dem Vorbild des Infrastrukturfonds in der Schweiz. IdZ sind die rechtlichen Möglichkeiten zur flächendeckenden und verbindlichen Realisierung einer Verkehrsanschlussabgabe zu prüfen; •         keine steuerliche Benachteiligung der Tätigkeit von Gemeindekooperationen; •         die verfassungsrechtliche Definition der Daseinsvorsorge als Aufgabe des Staates und die Sicherstellung der Entscheidungshoheit der Städte und Gemeinden über deren Gestaltung; •         dass die Ver- und Entsorgung mit Wasser grundsätzlich von der öffentlichen Hand zu leisten ist; •         Maßnahmen zur Stärkung der Innenstädte und Zentren, die zu deren Re-aktivierung beitragen. Im Rahmen der ÖROK ist eine eigene Arbeitsgruppe aus VertreterInnen von Bund, Ländern und Städten zum Thema „Agenda Innenstadt“ einzurichten. Dazu zählt auch eine Präzisierung der gesetzlichen Grundlagen für die zivilrechtliche Vertragsraumordnung; •         die „Kooperationsplattform Stadtregion“ im Rahmen der ÖROK als Teil des aktuellen Österreichischen Raumentwicklungskonzeptes ÖREK ist weiterzuführen. Nach dem Vorbild der Schweiz sind insbesondere bei überörtlichen Planungsentscheidungen die besonderen Herausforderungen von Stadtregionen zu berücksichtigen. •         analog zur innerösterreichischen Verteilungsquote von Flüchtlingen das Eintreten der österreichischen Bundesregierung für eine Verteilungsquote in der Europäischen Union, die neben der Schaffung von ausreichenden Schwerpunktzentren die regionsgerechte Unterbringung von Flüchtlingen gewährleistet. In einem aufgabenorientierten Finanzausgleich ist neben dem von Kommunen für Infrastruktur und soziale Leistungen zu erbringenden zusätzlichen finanziellen Aufwand auch der Aufwand für notwendige Integrationsleistungen zu berücksichtigen. Funktionierende Städte fördern die Entwicklung des ganzen Landes, auch die der ländlichen Regionen. Damit es den Städten gelingt, das hohe Niveau ihrer Leistungen aufrecht zu erhalten, weiter zu entwickeln und auszubauen, bedarf es in einer Welt, die ständigen Veränderungsprozessen unterliegt, entsprechend tauglicher Rahmenbedingungen – in Österreich und in Europa. Die Mitglieder des Österreichischen Städtebundes haben in den letzten 100 Jahren bewiesen, was Sie für die Menschen vor Ort zu leisten in der Lage sind. Die von den BürgerInnen anerkannt hohe Lebensqualität belegt dies eindrucksvoll. Die Städte werden dies auch in den bewegten Zeiten des 21. Jahrhunderts tun. Wien, 65. Österreichischer Städtetag 11. Juni 2015
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